Dominic Memmel

Gelbe Streifen in der schwarzen nacht

Gelbe Streifen in der schwarzen Nacht

 

 

Nach zwölf Stunden Arbeit ist der Mensch im Regelfall geschlaucht. Er trinkt noch ein Bier, sie hat gekocht, sie trinkt ein Glas Wein, er hat den Tag vor dem Fernseher verbracht – wie herum auch immer. Dann ist vielleicht, und das kommt auf die Arbeit und das Abendessen an, Energie für eine viertel Stunde Tagesschau übrig. Zack-Bumm, Bombe in Jakarta „...möchte ich entschieden, ja allzu entschieden verurteilen...“, weil mal wieder Staatsbesuch gewesen ist, zwei Jahre, zwei Prozent, Steuern rauf „..und drei zu eins für den amtierenden Pokalsieger.“ Das war’s dann auch, und über der Lektüre, Seite Vier, Kapitel Eins, eines spannenden Romans, fallen dann die Äuglein zu. Zwölf Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf. Die Glücklichen!

Ich hatte erst geschlafen, dann gearbeitet. Um sechs Uhr morgens war ich eingeschlafen, der Wecker piepste und vibrierte um halb zehn, ergo dreieinhalbe Stunden sanftes Koma. Ich fuhr heim, gen Dusche, denn vor der Arbeit ist Hygiene lebenswichtig. Ich arbeite im Kundendienst. Leicht vorzustellen, wie vertrauensvoll ein Unternehmen wirkt, dessen Mitarbeiter ihren schändlichen Charakter offen zeigen, unrasiert, nach Whiskey stinkend, mit Flecken auf der Hose und Flecken im Gesicht. Geduscht und pünktlich besetzte ich den Posten des Vertrauens meines Arbeitgebers, der von alledem nichts wusste, schottisch Whiskey schwappte durch mein Hirn, ich hielt die blank polierte Kauleiste ins Morgenlicht. „Guten Tag, mein Name ist Alfons Malik, was kann ich für Sie tun?“ Mein eigentlicher Zustand blieb geschütztes Wissen. Ich teilte es mit meinem Magen, meiner Zunge, meinem Hirn, sonst niemandem. Der Tag verflog in Trance.

 

In der S-Bahn, oder Straßenbahn, auch Hochbahn, wie im Bus ist der Mensch gestresst. Vielleicht kommt es von dieser bipolaren Situation, welche ein jedes Herdentier in einer übergroßen Herde erlebt. Sein Instinkt sagt ihm 1. „Meine Herde, meine Freunde, hier fühl ich mich wohl!“ und 2. „Fremdes Rudel, wenig Nahrung, ungenügend Genpools – Kampf, Feindschaft, Angst!“ Was also tun? Ist der Sitznachbar ein ausreichender Genpool anderen Geschlechts, so sitzt der Feind ja überall, ist er aber gleichen Geschlechts und fremder Herkunft, dann ist er der Feind, die anderen das eigene Rudel. Ein schwieriges Problem entsteht, wenn von allem etwas in der Nähe ist. Gefühlschaos, ausgehebelter Instinkt, „...nächste Haltestelle: Friedensplatz...“, die Armen!

Ich lag entspannt in meinem Sitz und döste selbstzufrieden, denn der Arbeitstag war unter widrigsten Bedingungen recht gut gelaufen. Zwölf Stunden zwar, aber gelaufen. Mein Magen knurrte, da kam mir diese Asia-Noodle-Bar in den Sinn, mit dem seltsamen Namen, die vor ein, zwei Wochen an der Friedensstrasse Ecke Jakobsplatz eröffnet hatte. Gedacht, gemacht, und schon saß ich zu Hause, sah die Tagesschau und stäbelte mir Nudeln in den Mund. Die Wettervorhersage passte gut zum diesjährigen Sommer, der nachfolgende Katastrophenfilm dann ebenso. Viel sah ich nicht mehr... und schlief ein...

 

Und erwachte mitten in der Nacht, in der Dunkelheit und im Finale der Geschichte. Schwärze umspülte mich, ich sah nichts und überlegte, was mich wohl geweckt haben musste. Ein Hauch an meiner Wange, ich erschrak! Dann hörte ich das unverkennbare, von vielen Sommern in der Kindheit klar konditionierte Summen der Gefahr. Gelbe Streifen in der schwarzen Nacht tauchten vor mir auf. Und wieder, ganz nahe, dieses mörderische Summen. Sofort war ich hellwach (- eine Floskel zwar, zu oft schon niedergeschrieben, aber so war es. Verständlich auch, dass es mit den literarischen Jahrhunderten zur Floskel wurde, denn es ist ein Urinstinkt des Menschen bei Gefahr: Adrenalin folgt Schreck folgt Erhellwachen folgt Konzentration folgt, nicht immer, Rettung.)

Ich spürte den Hauch der kleinen Flügel über meiner Hand, zuckte instinktiv und schlug das Wesen fort. Das war es, es naschte von den Nudeln! Irgendwo im Zimmer summte die Gefahr, als ich mich durch die Dunkelheit bewegte, irgendwo, da warteten die gelben Streifen in der schwarzen Nacht. Ich fühlte den Schalter - „...nicht mehr lange,“ hörte ich mich wispern – kippte ihn und machte Licht. Da war sie, keine zwei Meter entfernt, und kreiste durch die Luft. Ein schönes Exemplar, mindestens ein Dutzend Millimeter lang, mit strahlend gelben Streifen, dickem Leib und dem bösen Blick, den Wespen immer haben. Vielleicht sind sie unschuldig, im Herzen gut, vielleicht verhält es sich mit Wespen wie mit Geiern. Nein, keine Ausreden im Angesicht des Terrors! Ich griff mir eine passende Waffe aus dem Bücherschrank, zielte, konzentrierte all Erfahrung dieser Welt und all darin enthaltene Physik auf die Flugbahn dieses widerlichen, boshaften Insekts, kreuzte diese mit dem Buch in meiner Hand...

 

Es machte ‚Tock’ am Buch, dann, an der Wand, ‚Klock’, hinter dem Schrank an dieser Wand, ‚Klick-Kleck-Klack’. Vorbei, die Wespe war erledigt, das hatte man gehört. Ihr Grab war hinter meinem Schrank, ich hatte sie mit eleganter Vorhand – ‚Tock’ und ‚Klock’ und ‚Klick-Kleck-Klack’ - dorthin befördert. Ich vermutete mindestens ein zerplatztes Auge, alle Flügel und Beinchen abgeknickt, Dellen im Chitin, und im Inneren ein großes Chaos. Siegreich stand ich da, eine warme Welle der Bestätigung und Manneskraft umspülte meinen Geist. Mit nur einem Schlag hatte ich die Schlacht für mich entschieden, nicht einmal fest, aber präzise.

Das Buch lag schwer in meiner Hand, gute 400 Gramm, da wurde mir bewusst, welche Masse das Insekt vernichtet hatte. Gehen wir von einem halben Gramm Insektengewicht aus, dann wäre der Multiplikator eine stolze Acht mit zwei Nullen, rechnen Sie das mal auf den Menschen um. Ich sah hinab. Und auf dem Einband stand, in feinen, geschwungenen Lettern: Schöne neue Welt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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