Wilhelm Domandl

Weltstadt mit Herz(fehler).

Sie brauchen gar nicht so zu schauen. Sie können mich nicht sehen, ich existiere nicht.
“In unserer schönen, reichen Stadt gibt es keine Armen!“, rief der Oberbürgermeister dieser wundervollen Stadt, laut schallend über den Marienplatz. Ich habe es mit eigenen Ohren gehört.

Nein, ich bin zwar ein Penner aber kein Alkoholiker, wie sie bestimmt schon wieder denken. Seither habe ich eine Existenzkrise, denn ich bin arm und deshalb gibt es mich nicht.
 
Trotzdem habe ich Hunger. Wenn dieser zu groß wird gehe ich in die Suppenküche und treffe mich mit den anderen Nichtexistenten. Frauen, Kinder, Männer, Alte und Junge. Dort essen wir ganz normale Suppe, trinken existenten Kaffee und manchmal gibt es auch noch ein ganz reales Stück Kuchen dazu.

Anschließend verschwinden wir wieder. Wir, die Armen, können uns schon sehen, nur die Anderen sehen uns nicht. Zumindest der Oberbürgermeister sieht uns nicht. Wahrscheinlich sind die Scheiben von seinem Dienstwagen zu stark getönt.

Ach ja, die Polizei, die kann uns auch sehen. Wenn viele Fremde in der Stadt sind, wie zum Oktoberfest oder zur Sicherheitskonferenz, sammeln sie uns ein und fahren uns in ihren Bussen irgendwo hin, vor die Stadt. Dort müssen wir aussteigen und sie brausen davon. Das können sie natürlich nur mit uns Pennern machen, die  anderen Armen wie Rentner, Alleinerziehende und Kinder, dürfen in der Stadt bleiben, sollten aber bitte nicht auf der Strasse herum lungern. Das dürfen nur die besoffenen Touristen.
 
Bis ich dann zu Fuß und mit einigen Schwarzfahrten  wieder in der Stadt bin, ist die Suppenküche natürlich geschlossen. Man muss das positiv sehe, denn so kann ich etwas für meine schlanke Linie tun.  Ein fetter Armer ist ja eine richtige Zumutung. Obwohl, was macht das eigentlich aus, wenn er ja doch nicht existiert? Ob ich mich bei der Polizei dafür bedanken soll? Lieber nicht, die glaube am Ende noch ich will sie verarschen.

Als ich endlich wieder in der Stadt bin tun mir meine Füße weh, mir knurrt der Magen, ich bin hundemüde. Ich torkle vor Hunger und Müdigkeit. „Sie dir mal diese versoffene Sau an“, sagt ein Passant zu seinem Freund. Ich habe nicht einmal mehr die Kraft mich zu ärgern und suche mir einen Entlüftungsschacht der U-Bahn. Da gibt es Warmluftheizung. Erschöpft krabble ich in meine grosse Mülltüte und  schlafe. Endlich!

Der Hunger weckt mich viel zu früh und ich mache mich auf in die Fußgängerzone. Gott sei Dank scheint die Sonne, nichts ist schlimmer als Kälte und Hunger, gleichzeitig.

Als ich in einem Abfalleimer eines Mac Donalds nach einem Becher suche, muss ich mich beherrschen, damit ich nicht die Essenreste direkt aus dem Eimer esse. Etwas Stolz muss man sich bewahren. Aber wie lange noch, mit diesem Kohldampf?

Ich suche mir einen Platz am Gehsteig, auf dem noch keine Hundescheisse liegt und setze mich , lehne meinen Rücken gegen die von der Sonne gewärmte Wand und stelle den Becher vor mich hin. Durch meine geschlossenen Lider beobachte ich die Passanten und halte nach der Polizei Ausschau. Schließlich will ich heute einmal etwas essen und nicht wieder eine Wanderung machen.

Niemand wirft etwas in meinen Becher, ist der genau so unsichtbar wie ich? Die Menschen tun so als würde ich nicht existieren. Der Oberbürgermeister hat also doch recht. Es gibt keine Armen, in dieser Stadt der Reichen und Schönen.

Gegenüber auf einer Bank sitzt eine Frau und füttert ihren fetten Dackel mir Schinken.
„Na komm, mach schön happi, happi“, flötet sie. Der Dackel rollt näher und lässt sich den Schinken ins Maul stopfen.
„Braver Hund“. Sie tätschelt ihrer Fettwalze auf vier krummen Beinen den Kopf.

Beim Anblick des widerwillig kauenden Hundes  fängt mein Magen an zu knurren.  Ein Blick auf die Kirchenuhr sagt mir, dass es noch viel zu früh für die Suppenküche ist.

Schade, dass ich kein Chinese bin, dann hätte ich in dieser Stadt mit diesem Überangebot an Hunden, ausreichend zu essen. Sollte ich mal einen versuchen? Ich müsste das Frauchen vorher freundlich fragen wie alt er ist, damit ich keinen alten, zähen erwische. An der Isar könnte ich ihn dann am Lagerfeuer braten. Wenn es den Chinesen schmeckt?

„Klack“, ein kleines Mädchen hat mir eine 50 Cent Münze in meinen Becher geworfen.
„Danke“, rufe ich ihr nach. Sie dreht sich um und winkt. Ich winke zurück.

„Wie wäre es denn mit arbeiten du fauler Sack?“, fragt mich ein Anzugsträger aggressiv und kickt meinen Becher samt Inhalt weg.
„Fick dich Zocker!“, schreie ich ihm nach. Er verschwindet im Eingang einer Bank. Hatte ich doch richtig geraten. Erst verzocken sie in ihrer grenzenlosen Blödheit Milliarden die ihnen nicht gehören  und dann bekommen sie die von Frau Merkel wieder hinten hinein geschoben. Und ich? Ich existiere einfach nicht. Fertig!

Wenn ich auf den Viktualien Markt ginge und mir dort einen Apfel klauen würde, dann würde ich wieder existieren und die Polizei würde mich einkassieren. Nach den neuesten, von Frau Merkel und Herrn Steinbrück, aufgestellten Marktgesetzen wäre das natürlich völlig falsch. Nach diesen, müsste ich zu meinem geklauten Apfel mindestens noch fünf dazu bekommen und der Standbesitzer müsste sich bei mir bedanken, dass ich sie überhaupt annehme. Natürlich würde ich mit feierlicher Mine versichern, dass ich sie wieder zurück gebe. Allerdings erst nach der Verdauung.

Drüben bei den Bänken füttert ein Kind die Tauben mit einer Brezel. Soll ich rüber und den Tauben dieses Futter wegnehmen?
Mein Magen siegt über meinen Kopf.

„He, was machen sie da?“, kommt prompt der schrille Ruf der Mutter.
„Klauen sie doch den armen Vögeln nicht das Futter! Sie Tierquäler, sie Dieb!“
Ach, arme Vögel gibt es also in dieser zauberhaften Stadt. Wenn dass der Oberbürgermeister wüsste! Dann würde man sie allesamt einkassieren und vor die Stadt fahren.

Sofort sind einige rechtschaffene Bürger versammelt.
„Einsperren sollte man das Gesindel!“, ruft einer.
„Arbeitslager wäre besser“, meint ein anderer.
„Ich möchte ja nichts sagen, aber unter dem Hitler hätte es so etwas nicht gegeben.“

Ich schnappe mir das größte Stück Brezel, dass das Kind vor Schreck bei diesem Geschrei fallen ließ und haue ab.
„Haltet den Penner, haltet den Dieb!“, kreischt die Mutter.
„Man sollte sie zur Arbeit prügeln, das Gesindel!“
„Richtig, prügeln!“
Einige laufen mir nach. Ich höre ihre Schritte näher kommen. Dazwischen, jetzt, der unverkennbare Klang von Springerstiefeln.

„Ich krieg die Sau!“, das ist schon knapp hinter mir.
Nur nicht umdrehen. Ich muss den Marienplatz erreichen, dann bin gerettet. Dort kann ich in der Menge untertauchen.

„Ich hab ihn gleich!“
Verdammt der ist schon nahe. Ich rieche seinen biersauren Atem.

„Lasst doch den armen Menschen in Ruhe!“, hörte ich eine Frauenstimme.
Unwillkürlich drehe ich mich um. Gibt es hier tatsächlich noch einen richtigen Menschen?

Das war mein Fehler. 
Genau in diesem Augenblick spüre ich einen heißen, stechenden Schmerz. Im Rücken? In der Brust? Im Herz?
Ich falle.

„Die verabscheuungswürdige Tat eines Einzelnen, der unseren Stadttauben die Nahrung stehlen wollte, wurde von einem jungen, tatkräftigen Mann durch vorbildlichen Einsatz vereitelt“, rief der Oberbürgermeister am nächsten Tag  über den von Touristen gefüllten Marienplatz. Der Grossteil seiner Zuhörer verstand ihn nicht, Hauptsache sie klatschten Beifall.


 
© by Wilhelm Domandl, 2009

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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