Maria Stern

BILLY wird 30!

 

 

Klar, eines Tages war es dann so weit, und auch sie standen im IKEA, Regalabteilung, um zu überlegen, welches BILLY-Regal er sich kaufen würde. Das mit den 80 oder 40 cm? Oder beide? Wie oft und, vor allem: in welcher Farbe? Buchen- oder Birkenfurnier, weiß, rot, oder, NEU! blau?

Dass  BILLY, Begeisterung für BILLY, in diesem Herbst 30 Jahre alt werden würde, konnten sie natürlich nicht wissen, auch nicht, dass das schlichte Allzweckholzgestell bereits 41 Millionen Mal verkauft worden war.

Heimelig sollte die neue Wohnung werden, denn: so wird aus dem Raum den du hast, der Raum, den du brauchst. Natürlich nicht für die Ewigkeit eingerichtet, denn wer richtet sich schon für die Ewigkeit ein, sicher nicht Tom, nachdem er Berlin nach 12 Jahren verlassen hatte, nachdem er Paris verlassen hatte, nachdem er New York verlassen hatte, nachdem er Frankfurt verlassen hatte, nachdem er Duisburg verlassen hatte, aber nicht, um zu Anna und ihrer kleinen Mara nach Wien zu ziehen, sondern, berufsbedingt, was denn sonst, nach München. Unendliche Kombinationsmöglichkeiten. Such dir deine aus.

Kennengelernt hatten sich Tom und Anna in Amsterdam, lieben gelernt in immer anderen Städten und Stränden, an den Wochenenden, an denen Mara bei ihren Großeltern in Salzburg war, weil ihr Vater sich spurlos nach Rom vertschüsst hatte. Um sich ein neues Leben aufzubauen. Immerhin zahlte er Alimente. Wenn auch nicht regelmäßig.

Wozu mehr bezahlen?

 

Anna strich über die glatte, weiße Oberfläche des Furnierholzes und lehnte sich an Tom. Nicht auszuschließen, dass der Vater von Mara sich auch ein BILLY-Regal gekauft hatte, nein, sogar eher anzunehmen. So praktisch ist es und auch so preiswert, und wandelbar wie Lego. Ja wie Lego. Annas Kindheit. Die sie in Bern verbracht hatte. Bei BILLY passt eben alles zusammen und es passt sich an. Jedem Raum, jedem Bedürfnis. Jeder Lebensfase. Intelligente Möbel. Nur Leben musst du selbst.

Deshalb war Anna auch so euphorisch gewesen, damals, an ihrem 35 Geburtstag, der, gibt es Zufälle? gerade mit dem Jahresjubiläum das Wiener IKEA-ablegers in Kagran zusammengefallen war. Und als Anna das im Internet gelesen hatte, wusste sie, was sie sich selber schenken würde, denn in ihrem Wohnzimmer-BILLY (3mal 80cm, 2mal 40, mit CD-Lösung von BENNO, jeweils mit Aufsetzregal, außer BENNO natürlich, weiß) war kein Platz mehr für Bücher. Doch Anna verschlang seit der Scheidung ein Buch nach dem Anderen und auf der IKEA-Homepage stand, dass die ersten 200 Besucher sich ihr Gratis-BILLY mit nach Hause nehmen durften. Also geschenkt und das war gut so, da Maras Vater die Alimente noch nicht überwiesen hatte, obwohl schon der 17. war.

Dass das IKEA  an diesem Samstag um 6 Uhr öffnete, machte die Sache zu einem Abenteuer, da sowohl Anna als auch Mara überzeugte Langschläfer waren. Wahrscheinlich liegt sie noch im Bett. Denn wer will schon aufstehen, wenn es hier so gemütlich ist? Mit der richtigen Guten-Morgen-Stimmung, farbigen Vorhängen und kuscheligen Lieblingstieren, beginnt das Abenteuer noch im Traum…

Außerdem wurde ein Gratis Sektglas in Aussicht gestellt und ein schwedisches Geburtstagsfrühstück, Svensk Frukost, mit Spezialschinken, Premiumsalami, Emmentaler, Landfrischkäse, Ei, Butter, Marmelade, 2 Semmeln. Kaffee nachfüllen sooft du willst. Tee und Kakao.2,99€. Wann waren Anna und Mara das letzte Mal in einem Restaurant gewesen?

 

Dass sie an diesem stockfinsteren Morgen aufgestanden waren, war noch aufregend gewesen. Dass die U-Bahn wegen einer technischen Störung eine halbe Stunde auf sich warten ließ, eine WienerLinienGemeinheit und dass sie dadurch 2 Busse Richtung Kagran versäumten, bald traurige Gewissheit.

Erstaunlich wiederum war die Menschentraube an der Bushaltestelle und Anna bemitleidete all die Menschen, die sogar am Samstag so früh zur Arbeit mussten.

Dumm war, dass alle Menschen, die den Bus restlos füllten, dort ausstiegen, wo auch Anna und Mara ausstiegen, nämlich beim IKEA und Anna gelang es nur kurz, den Gedanken zu verdrängen, dass sie nicht nur reichlich verspätet, sondern offensichtlich nicht die Einzige war, die sich ein BILLY gönnen wollte, überdauert alle Trends,  und wo wollten denn all die Menschen das Regal überhaupt hinstellen und fuck die Wirtschaftskrise und die Alimente und obwohl Anna sich schämte, nahm sie Mara an der Hand und begann zu laufen, umgeben von Laufenden, in der Morgendämmerung ihres 35. Geburtstages, hin zum Eingang des unmögliches Möbelhauses aus Schweden. NEU!

-Das darf ich niemandem erzählen – dachte sie keuchend und es war ihr peinlich vor Mara und sie erzählte ihr im Laufen vom Elch, der in ihrer Kindheit damals das Maskottchen vom    IKEA gewesen war und Anna sah die vielen, bunten Bälle vor sich, in die sie damals hineingerutscht war, in die sie sich hineingewühlt hatte, glatt und kühl, während ihr Vater mit seiner neuen Frau Möbelschauen war. Aber nein, ein BILLY hatten sie damals nicht gekauft, obwohl es, überschlägt Anna schnell im Kopf, damals schon Mitglied der Familie hätte werden können. Und wir dachten schon, BILLY sei nur ein Bücherregal.

 

Absperrung. Countdown übers Megaphon. Menschenschlange, meterlang.

Zwei junge Menschen, jeder sein BILLY zum gemeinsamen Auto tragend, lächeln.

„Scheißjuppies!“ dachte Anna, denn zwei sich liebende Verdiener ohne Kinder aber mit Auto waren ihr längst zum Feindbild geworden.

Anna verlangsamte ihre Schritte, nimm dir Zeit und sie gehört dir, denn ihr war längst klar geworden, dass dieser Ausflug nichts weiteres als einer der vielen Fehlern war, die sie in ihrem Leben begangen hatte.

Das Megaphon wurde beiseite gelegt und die Menschenmasse konnte nun endlich ungezählt durch den Haupteingang gehen. Veni, vidi, wenig.

Anna hatte dann das Gratissektglas gemeinsam mit den vielen anderen UmsonstFrüh- Aufgestandenen gekippt, ohne jemanden anzuschauen. Sie hatte dagestanden, müde und betrunken um 6 Uhr Morgens in Kagran. Das war so beschissen gewesen, dass sie zu kichern begann und das fand Mara toll und die Kleine probierte gleich sämtliche Polstermöbel aus und da hätte sich Anna dann doch wieder gerne heulend unter einer MYSKMALVA- Bettwäsche verkrochen. Probiers einfach aus!

 

Eine Woche später waren dann ihre Schwester und ihr GeradeNochFreund auf Besuch gekommen und hatten das hellbraun verpackte, viele kg schwere Geburtstagsgeschenk in Annas Wohnzimmer getragen( BILLY, 2mal 80cm, weiß) und hatten Anna lachend gefragt, wie sie denn die schweren Dinger NEU! so mit der U-Bahn hatte transportieren wollen.  

Anna hatte nicht wirklich geantwortet und sich nur gedacht, dass ihre Schwester ohne ihren GeradeNochFreund auch kein Auto mehr hätte.

 

 

Tom notierte sich die Maße mit dem kleinen Bleistift, den du einfach rausziehen kannst, auf den  praktischen Vordruck, verglich sie mit dem Grundriss seiner Wohnung, die er mit Anna gefunden hatte, an einem der Wochenenden, die sie ein Mal im Monat hatten.

Anna rückte vom  BILLY-Regal ab, BILLY ist eine Passion, und wusste nicht recht, ob sie es romantisch finden sollte, dass Tom das gleiche Bücherregal wie sie haben wollte, wie gesagt wusste sie noch nichts von den 41 Millionen, oder nicht doch ein wenig irritiert, dass es nicht das kleine Weiße werden sollte sondern das dunklere Buchenfurnier. Und eigentlich war sie dann doch erleichtert, dass sie nicht zusammen wohnten und sich somit auf keine kleinen Kompromisse einlassen mussten, die der Fase der Auseinandersetzung folgten. Nein, mit Tom würde sie sich niemals streiten. Männer waren zum Genießen da. NEU! Tom, das war Sex und Sauna, gute Gespräche und Essen und Filme und Bücher, die sie, er in München, sie in Wien, zeitgleich lasen, SMS-Flirts und viele geskypte Stunden. Kanufahrten, Wanderungen und ab und an Theater. Er verkörperte für sie eine erfrischende Unverbindlichkeit, die, erstaunlich genug, mit den Jahren an Tiefe gewann. Eine tiefe Unverbindlichkeit also. Wer hätte das gedacht? Anna sicher nicht, als sie noch verheiratet gewesen war und mit Maras Vater nur noch oberflächliche Gewohnheiten pflegte.

 

Dabei sind Singelhaushalte ja ein ökologisches Verbrechen: 2 Waschmaschinen, 2 Föns, die Kilometer von Singelhaushalt zu Singelhaushalt, strahlende Handys, ganz zu schweigen von den doppelten Heizkosten.

Ökonomisch ist eine Fernbeziehung ja auch nicht gerade, da ist es dann schon gut, dass es die ganzen globalen Ketten gibt, die die Welt vernetzen und z.B. erschwingliche Möbel herstellen, die einem die vielen Lebensbrüche zumindest erschwinglich überstehen lassen.

In den zahlreichen Behälterlösungen findest du für jeden Stift seine Schublade, jedes Blatt seinen Ordner, jeden Topf seinen Deckel.

 

Tom und Anna beschlossen, eine Pause einzulegen und schlenderten zum Restaurant. Finde deinen Tisch!

Sie gingen durch die Schlafzimmerabteilung, in der Annas Ehebett stand, durch Küchenträume, unzählige Wohnzimmerentwürfe und Vorzimmerskizzen, denn alles ist möglich, Anna zeigte Tom ihre Schreibtischlampe, er ihr seinen Duschvorhang und sie wurden beide sehr still, als sie durch die Kinderwelt gingen, durch das Reich der wichtigsten Menschen der Welt und Anna beschleunigte ihren Schritt, denn sie war gerade dabei, sich abzugewöhnen, von einem gemeinsamen Kind mit Tom zu träumen, denn Wien ist in Wien und München in München und ihre Arbeitsplätze waren zu kostbar, um noch einmal alles zu riskieren für die Liebe.

Hier ein paar einfache Optionen, sich mit der Welt zu verbinden.

Sie dachte an Toms Sohn, der damals ertrunken war und an Toms Frau, die so lange geschwiegen hatte, bis sie sich auch von Tom trennte. Doch Tom hielt inne, griff in die durchsichtige Plastikschale und zog für Mara einen kleinen Elch heraus. Ein Euro an UNICEF.

 

Die Fleischbällchen schmeckten wie immer. Auf die war Verlass. Auf den Orangensaft, den du nachfüllen kannst, so oft du willst, auch.

Toms Handy läutete. Ein alter Freund. Jahrzehnte nicht von einander gehört. Hatte ihn gegoogelt. Hat jetzt eine Firma. Basel. Absolut krisensicher. Ob Tom sich nicht überlegen möchte…

Anna schaut aus dem Panoramafenster und wundert sich, dass keine Flugzeuge abheben, denn tatsächlich fühlt sie sich wie am Flughafen und ihr lebenslängliches

NurFürKurzeZeitAnkommen tut ihr plötzlich weh. Mara fehlt ihr und Tom, obwohl er neben ihr sitzt, aber morgen um die gleiche Zeit schon wieder nicht mehr.

Ob sie es aushalten würde mit Tom in ihrer Nähe? Würde sich Tom auf Mara einlassen, nach allem , was ihm passier war? Würde Mara ihn an sich heran lassen, nachdem, was ihr passiert war? Zog er jetzt zu seinem bescheuerten Freund in die Schweiz? Vielleicht sollte Anna auch in die Schweiz zurückgehen. Immerhin war sie dort, Tochter einer Polin und eines Franzosen, geboren worden. Übersiedeln ist ja nicht schwer. So oft schon hat sie sich aller materiellen Last entledigt. Und schließlich gibt es in der Schweiz auch ein  IKEA.

Oder zog Tom doch irgendwann zu ihr? Gemeinsam in eine größere Wohnung, in der sein BILLY neben ihrem BILLY Platz hätte? Oder doch alles so lassen wie es ist: ohne Auflagen,  kombinierbar, schlicht. Kreativ, individuell, aber niemals langweilig?

Weil du immer wieder alles austauschen kannst.

Schlafzimmer bieten unendlich viele Möglichkeiten.

Wie sich deines jetzt verwandelt, siehst du unter www.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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