Helmut Wurm

Weshalb man Geburtstag feiern, aber nicht gartulieren sollte

 

Geburtstage sind manchmal etwas schwierige Tage, schwierig einzuordnen und schwierig zu begründen.

 

Wenn man z. B. als irgendein kleiner, völlig unbedeutender Spießbürger zum Geburtstag gratuliert bekommt, dann ist das entweder eine leere Floskel, eine bewusste Taktlosigkeit oder sogar eine gut gelungene, bewusst hämische Verletzung. Denn man gratuliert jemandem, der einfach da ist, ohne irgendeine Bedeutung für die Menschheit, für das Klimas, für die Landschaft usw. zu haben, man gratuliert ihm für nichts weiter, als dass er eben da ist: Herzlicher Glückwunsch, du graue Maus, du einer von den 7 Mia völlig unbekannten Menschen, Glückwunsch, dass es dich gibt... Eine bessere Ironie ist kaum denkbar.

 

Also bleibt nur übrig, einen Geburtstag mehr oder minder aufwendig mit Kuchen und Kaffee zu feiern. Dann wird man wenigstens wegen des schönen kulinarischen Nachmittags gelobt. Aber da erhebt sich trotzdem wieder die Frage: Weshalb feiern? Man feiert z. B. eine berufliche Beförderung, eine gelungene Bergbesteigung, einen sportlichen Erfolg, das endliche Erreichen der Pensionierung. Aber weshalb feiert man Geburtstag? Da gibt es z.B. 3 mögliche Gründe.

 

- Man feiert das erfolgreiche Bewältigen des zurückliegenden Jahres. Aber kann man das immer feiern? Nehmen wir z. B. in individuellen Fall das Jahr Mitte xxxx bis xxxy. Eigentlich ist das ein Grund zu trauern. Denn man ist wieder ein Jahr älter geworden. Man kann natürlich sagen, man feiert zurück liegende Ereignisse und Erlebnisse. Also sollen wir z.B. die Erhöhung der Energiepreise und der Lebensmittel feiern, dass die neu eingebaute Heizung doch nicht so viel Energie einspart wie versprochen, dass die ganze Familie im Winter länger an einer unangenehmen Virusinfektion erkrankt war, dass eine lästige Arthrose festgestellt wurde, dass der Salat im Gewächshaus nicht richtig wuchs und unter dem Strich erheblich teurer war als der im Supermarkt gekaufte, dass der PC höhere Nebenkosten verursachte als angenommen, dass man mit der Gartenverschönerung nur sehr langsam voran kamen, dass der Ausbau der  Gaube unter dem Dach immer noch nicht ganz fertig wurde, dass man auf der Arbeitsstelle häufige zusätzliche Vertretung machen musste... Es ließe sich noch Vieles mehr aufzählen, was man feiern könnte, ohne dass man es gerne feiern möchte.

 

- Man kann auch das kommende Lebensjahr feiern. Aber dann müsste man den kommenden Winter mit seinen kurzen Tagen und der niedergedrückten Stimmung feiern, man müsste feiern, dass man noch sehr viel an dem Haus arbeiten und verändern muss, dass die Geldentwertung zunehmen wird, dass der Benzinpreis sich vermutlich der 2- €- Marke nähern wird, dass das Real-Einkommen wieder um 1/11 gekürzt werden wird, dass im Spätherbst wieder der traditionelle grippale Infekt kommen wird... Es ließe sich noch vieles aufzählen, was man feiern könnte, ohne dass man es gerne feiern möchte.

 

Ich weiß einen Ausweg. Man könnte doch statt der Vergangenheit und der Zukunft einfach die Gegenwart feiern, das Heute. Dafür könnte ich mir manche guten und einfachen Gründe vorstellen. Gestern war z.B. Siebenschläfertag, nach dem das ganze Sommerwetter verlaufen soll. Gestern war kein schönes Wetter, heute ist aber ein schöner Sommertag. Der Siebenschläfertag war also eine der häufigen Meteoro-Lügen. Manchmal kündigen solche Meteoro-Lügen schönes Wetter an und es regnet dann in Strömen. Aber diesmal ist es auch mal umgekehrt. Das ist wirklich ein Grund zu feiern. Feiern wir also einfach unbeschwert die Wetter-Gegenwart, die erfreuliche Meteoro-Lüge und den guten Kuchen und lassen alle Glückwünsche und sonstigen Gratulationen einfach weg – als übliche Farce ohne reale Begründung.

 

Herzlichen Glückwunsch an mich wegen dieser vernünftigen Idee.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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