Evelyn Goßmann

Die goldene Tanne

9

 

Schneller als gedacht stand wieder mal der Hl. Abend vor der Tür.  „Haben wir eigentlich alles zusammen“, fragte Timo seine Saskia, „oder fehlt noch etwas?“ „ Nöööö,“ meinte Saskia,“ ich denke wir haben nichts vergessen, die Geschenke für unsere Eltern haben wir beisammen, sind auch schon fertig verpackt und hübsch mit Schleifchen und kleinen Anhängern verziert.“                                                                                                            Es war ihr erstes Weihnachtsfest seit der Heirat im Sommer, und sie hatten zum Hl. Abend beide Elternpaare eingeladen, und wollten den Abend für sie liebevoll gestalten und gemeinsam feiern. Also überflogen sie die vorsorglich angelegte Liste und hakten immer gewissenhaft ab was erledigt war.

Abend für Abend hatten sie mit Feuereifer voll großer Vorfreude auf die staunenden Augen der Eltern kleine Tannenbäume aus farbigem Fotokarton ausgeschnitten, ineinander gesteckt und aufgestellt, und goldene Sternchen für die Tischdekoration aus Metallfolie gestanzt.

Toilettenpapierrollen hatten sie gedrittelt, daraus fantasievolle Serviettenringe gebastelt, diese mit farblich passendem Geschenkband rundum beklebt, um sie harmonisch auf die übrige Tischdekoration abzustimmen. Kerzen gab es natürlich auch, am Ende hatten kaum die sechs Gedecke noch Platz auf dem Tisch. Sie hatten wirklich große Freude empfunden bei all den Vorbereitungen, und auch der Braten brutzelte bereits im Ofen.

„Prima, dann kann der Hl. Abend ja kommen,“ meinte Timo zufrieden.“ „Klar, alles ist bestens vorbereitet, du musst nur noch den Baum einstielen, schmücken können wir ihn dann gemeinsam,“ sagte seine junge Frau mit einem zufriedenen Seufzer, strahlte ihn verliebt an und küsste ihn zärtlich. „Baum? Ach je, der Weihnachtsbaum, ja wo ist er denn? Das Wichtigste hätte ich bald vergessen,“ lachte Timo aufgekratzt. „Schatz, nun ist aber wirklich keine Zeit mehr für solche Witze,“ erwiderte Saskia, die schon wieder geschäftig an ihm vorbeihuschte. „Du wolltest letzte Woche schon den Baum besorgen, das war doch so abgesprochen, da ich wegen meiner Überstunden keine Zeit hatte mitzukommen.“ Als sie keine Antwort erhielt, ihr die Stille aber plötzlich unheimlich, bedenklich und verräterisch erschien kam sie zurück und fragte ahnungsvoll:„du hast ihn doch gekauft, oder?“ Ein Blick in das komisch verzweifelte Gesicht ihres Gatten war Antwort genug. Wie ein begossener Pudel stand er da, mit zerknirschtem, verzweifeltem, schuldbeladenem Gesicht. Langsam schüttelte er den Kopf. „Waaas, du hast den Baum vergessen, ich denke der steht im Garten auf der Terrasse.“ Saskia wurde etwas bleich, und schnappte nach Luft, um ihre Fassung wieder zu finden. Sie war aus der Firma oft erst sehr spät heimgekommen, und bei all den vorbereitenden Aktivitäten und Planungen hatte sie vergessen, Timo danach zu fragen.

Sekundenlang herrschte bedrohliche Stille, die vorher so glückliche Stimmung schien um zu schlagen, aber da alles perfekt werden sollte, packte man nach dem ersten Schock das Problem direkt beim Schopf. Sie kamen schnell überein, dass Saskia sich weiter um das Essen kümmern sollte und Timo versuchen würde noch einen Baum aufzutreiben, was sicher nicht einfach werden würde.

Er stiefelte gleich los und die Zeit verging, doch nach zwei einhalb Stunden begann Saskia sich langsam Gedanken darüber zu machen, ob Optimismus hier noch angebracht war. Da hörte sie den Schlüssel im Schloss und ihr Mann kam herein, mit strahlenden Augen, lachendem Gesicht, im Schlepptau einen großen Weihnachtsbaum. „Schatz das Problem ist gelöst, nun können wir den Baum schmücken. Der Verkäufer hat ihn mir sogar billiger gelassen, weil er Feierabend machen wollte“,  frohlockte der junge Mann, sehr erleichtert darüber dass es ihm gelungen war, noch einen Baum zu beschaffen.

Er packte ihn aus, stielte ihn draußen ein und trug ihn stolz ins Zimmer. Saskia riss den Mund auf, jedes Wort blieb ihr im Hals stecken, ihre weit aufgerissenen Augen schienen eher entsetzt als erfreut, als sie den Baum betrachtet. „ Der ist ja schon gelb, sicher ist er schon uralt, der verliert ja bereits die Nadeln,“ weinte sie fast, und fügte unglücklich mit unterdrücktem Schluchzen hinzu: „ daher hat er ihn dir billiger gelassen, weil den keiner haben wollte.“ Er war so glücklich gewesen noch einen Baum ergattert zu haben, doch nun war seine Frau so unglücklich, das tat ihm mehr weh als alles andere. „Der wird sicher noch schön, “ tröstete er, ohne in dem Moment wirklich zu wissen wie er das anstellen sollte, „ich gebe mir auch ganz doll Mühe.“ Ein sehr trauriger, zweifelnder Blick streifte ihn, und weckte in ihm den unbändigen Wunsch diesem wirklich etwas sonderlichen Baum zu ganz besonderer Pracht zu verhelfen.

Schweigend machten sich beide gemeinsam daran, ein Meisterwerk zu vollbringen. Je mehr Kugeln, Kerzen und Figürchen in den Baum gehängt wurden, desto schöner sah er aus, und langsam hellten sich auch die bedrückten Mienen der beiden wieder auf. Etwas kritisch schauten sie am Ende den Baum an, und fragten sich wohl beide auch insgeheim, wie der Baum den Eltern gefallen würde, und ob der Abend so glücklich verlaufen würde, wie sie es sich gewünscht hatten.

Schon bald darauf klingelte es an der Tür, die Eltern standen auf der Matte und begrüßten voller Freude das junge Paar. Timo ging ins Wohnzimmer, zündete die Kerzen an und schaltete vorsorglich  die Deckenbeleuchtung aus. So, dachte er, würde nicht gleich auffallen, welche Farbe der Baum hatte, und dass ihm dieses Missgeschick passiert war, wo doch alles so perfekt hatte werden sollen. Er läutete innerlich bebend vor Anspannung etwas zitternd das Glöckchen welches Saskia und die Elternpaare zur Bescherung ins Zimmer rief. Seine Nerven vibrierten. Das junge Paar hielt sich fest bei den Händen, tauschte verschwörerische Blicke, und wartete sehr angespannt auf die Bemerkungen und Kommentare die nun gewiss kommen, und schonungslos auf sie nieder prasseln würden.

Sie trauten ihren Ohren kaum als sie nun von vier Seiten zu hören bekamen: „ das ist ja ein wundervoller Baum, eine goldene Tanne haben wir noch nie gehabt, das ist ja sehr ungewöhnlich, aber ganz besonders,“ so die einhellige Meinung der Eltern.

Das junge Paar war erleichtert, küsste sich glücklich, und es wurde ein wunderschöner harmonischer Hl. Abend. Wer genau hinsah bemerkte ab und zu ein lustiges Zwinkern der Eltern. Das junge Paar war überglücklich und tauschte verstohlen zärtliche Küsse. Es wurde ein für alle perfektes Fest an dem die Liebe die Hauptrolle spielte, denn nur dass allein zählt.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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