Sechs Jahre alt der Kleine und ein
pfiffiges Kerlchen.
Vor ein paar Tagen wollte ich dem
Jungen eine Geschichte erzählen. Na ja, von Großvätern erwartet man das wohl
auch. Auf meine Frage, was er denn kenne, stellte ich mit Erschrecken fest –
der Kleine kennt kaum ein Märchen. Nur die aus der Fernsehwerbung. Wenn zum
Beispiel Mario B. die Leute anschreit und behauptet, das sei sein Laden. Kinder
glauben halt noch vieles, was man ihnen vorgaukelt.
Das muss sich ändern, war mein
nächster Gedanke und ich erinnerte mich, in der lokalen Presse gelesen zu
haben, dass auf dem städtischen Adventsmarkt ein Märchenwald aufgebaut sei und
die alten, noch aus DDR-Zeiten stammenden Holzfiguren durch neue, zeitgemäßere
ersetzt worden wären.
Angekommen im
weihnachtsmarktlichen Getümmel fanden wir es recht schnell und tauchten durch
einen riesigen Torbogen in die Märchenwelt ein.
Was ich erblickte, ließ mich
erschaudern. Vor mir standen in bemaltem Holz zwei pubertierende Jugendliche,
deren Haltung und Gesichtsaudruck nur eines verriet – Leckt mich mal!
Ich begann mit der Hexe Mitleid zu
empfinden. Wenn die beiden sich so benommen hatten, wie sie aussahen, konnte
ich die Alte gut verstehen. Aber wie sollte ich das meinem Enkel erklären, der
mich fragend ansah und im Gesicht seines Opas eher Ratlosigkeit als Aufklärung
finden musste.
„Werden die jetzt verdroschen
Opa?“
Ein paar Schritte weiter erwartete
uns – Rotkäppchen.
Wieder schaute mich mein Enkel
fragend an und wieder musste ich mir eingestehen, keine rechte Erklärung der
dargestellten Szene zu wissen.
Und das es Eltern gibt, die ihr
Kind allein durch den Wald schicken, um die eigene Mutter zum Alkoholmissbrauch
zu verführen …. . Nein, auch das konnte ich ihm nicht erklären. Ich hatte hier
schließlich einen selbst gestellten Bildungsauftrag zu erfüllen!
Mein Enkel nickte und war
zufrieden. Ich auch.
An einem langen Tisch saßen sieben
kleine Männchen mit furchterregenden Gesichtern. Davor eine junge Frau, der man
die schlechte Laune buchstäblich ins Antlitz geschnitzt hatte.
Sie tat mir ein bisschen leid.
Nicht nur, wegen der sieben ständig nörgelnden Männer - wer denn aus ihren
Becherchen getrunken oder mit ihrem Löffelchen gegessen hätte, nein die arme
Frau muss schon seit Wochen keinen Sex mehr gehabt haben, so wie die guckt. Mit
wem auch? Ein Prinz war weit und breit nicht zu sehen.
„Hier kümmert sich eine Frau um
alte Leute. Altenbetreuung sozusagen, verstehst Du das?“
„Na ja, für die viele anstrengende Arbeit kriegt die Frau nicht sehr viel
Geld und den Männern schmeckt vielleicht das Essen nicht.“
Lucas grinste und ich grinste zurück. Wir verstanden uns.
D
Zumindest vermutete ich es, da
überall schlafende Gestalten herumlagen und die Wände mit Rosen bemalt waren.
„Die schlafen alle.“
„Ja, weißt Du, früher da lebten
manche Leute in Palästen und die mussten nicht arbeiten. Die verdienten ihr
Geld sozusagen im Schlaf.“
„Nein!“ antwortete ich ihm und
doch begann sich gleichzeitig mit meiner spontanen Antwort Widerstand in meinem Kopf zu regen. Oder gab es das doch?
Aber wie hätte ich dem Kind den Begriff
„Behörde“ erklären sollen und außerdem wäre das nicht ganz fair. Es soll schließlich auch fleißige Beamte geben. Also
beschloss ich für mich, es bei dem einfachen „Nein!“ zu belassen, in der Hoffnung, das er nicht weiter fragen würde.
An dessen Gemäuer rankte sich ein
Zopf vom Boden bis zur Spitze. Mein Blick glitt an dem Zopf entlang nach oben
und ….. nein, was da aus dem Turmfenster schaute hatte nicht die geringste
Chance jemals gerettet zu werden. Selbst wenn der ganze Turm voller Euro wäre
und ich ein Prinz, nie im Leben hätte ich DIE da rausgeholt. Eher hätte ich
wohl dann mein Pferd geehelicht.
Man sollte ihr wenigstens einen
Internetzugang einrichten und die Adressen diverser Singlebörsen geben. Mit ein
bisschen Geschick im Bearbeiten ihres Konterfeis und ein wenig Schummeln bei
der Altersangabe könnte auch sie fündig werden.
Was hatte ich also erwartet?
Nur mit den Märchen, da muss ich
mir echt was einfallen lassen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.12.2009.
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