Manchmal
geschehen Dinge, die erscheinen seltsam, wenn man sie sich genauer ansieht.
Letzten
Freitag war ich im Züricher Flughafen und wartete auf meinen Flug. Ich sass in
einem kleinen Restaurant, trank einen Kaffee und beobachtete die Menschen. Ich
war nicht wenig überrascht, als ich von einer Frau angesprochen wurde, die
direkt vor meinem Tisch stand. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte sie
mich.
„Ja.
Natürlich.“ Es waren noch eine Menge
anderer Tische frei und wir sind eine scheue Spezies. Normalerweise wird sich
ein Mensch fern von den anderen Fremden
halten. Es war eine elegante Frau mit halblangen schwarzen Haaren und einem
intelligenten, sympathischen Gesicht. Ich nippte an meinem Kaffee und musterte
sie. Irgendetwas stimmte nicht. Ja sicher: Die Augen.
„Die
Augen.“ sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Das ist das erste,
woran ich mich erinnern kann. Ein
Techniker betastete meinen Körper und er sah zufrieden aus. ‚Die neue Serie
wird gut laufen‘, murmelte er ‚man merkt keinen Unterschied mehr.‘ ‚Nur eines
ändert sich nicht.‘ meinte sein Kollege. ‚ Man kriegt das Tote nicht aus den
Augen.‘ “.
Sie machte
eine Pause und blickte mich unverfroren an. „Was ist Ihre erste Erinnerung?“
„Oh.“ Mit
Befremden bemerkte ich, dass ich so etwas wie Verlegenheit spürte. „Es muss ein
Urlaub gewesen sein. Mein Vater füllte Luftballons mit Helium und ich band
kleine Papierfiguren dran. Dann liessen wir sie in den Himmel steigen. Ich war
drei Jahre oder so.“
„Eine
schöne Erinnerung. Kehren wir zur Gegenwart zurück. Sie waren geschäftlich
unterwegs?“
„So in
etwa. Wir hatten einen Kongress zum
genetischen Design. Wissen Sie, ich bin bei der Genpolizei.“ Ich bemühte mich,
das letzte Wort ironisch auszusprechen.
„Sie
gehören also zu denen, die den Eltern
Verbote auferlegen.“ sagte sie „Die Genfragen halten die Menschen recht in
Atem. Ich gerate regelmässig in Diskussionen darüber.“
„Es ist gar
nicht mehr so, dass wir etwas direkt verbieten.“ entgegnete ich leicht gereizt.
„Inzwischen beschränken wir uns darauf, zu kontrollieren, ob das Verfahren
korrekt war. Ohne unsere Kontrolle würde die Verantwortungslosigkeit uferlos.
Haben Sie eine Idee, was passiert, wenn überehrgeizige Eltern mit ähnlich
veranlagten Wissenschaftlern aufeinandertreffen? Das Genom wird zu einem
einzigen Experimentierfeld. Wir haben millionenfache Beispiele von artifiziellen Pseudogenies, menschlichen Zombies,
Missgeburten aller Couleurs. Das sind Verbrechen der Eltern an ihren Kindern, den diese ihnen nicht verzeihen
können. Ich gebe zu, dass mit fortschreitender Wissenschaft andere Aspekte in
den Vordergrund geraten…“
Ich redete
mich langsam in Fahrt, doch die Androidenfrau unterbrach mich.
„Wollen Sie
nicht wissen, was ich getan habe?“
„Doch,
natürlich.“
„Ich war
auf einer Marketingveranstaltung für unseren neuen Gesundheitschip.“
Marketingveranstaltungen
waren bisher immer eine Sache der
Menschen gewesen. Interessant, wie sich die Kräfteverhältnisse verschoben.
„Dann
gehören Sie also denjenigen, die aus dem Menschen ein gläserndes Objekt machen
wollen.“ versuchte ich zu spotten.
„Ich habe
kein Problem damit.“ sagte sie. „Wir können den Menschen zwar keine
Unsterblichkeit geben, aber den Tod und die Krankheiten immer weiter
herausschieben.“
Ich schaute
in ein Lächeln, das mir süffissant erschien. ‚Wir können den Menschen…‘ tönte
es in mir nach. Ich mochte diese Gesundheitschips nicht. Diese Implantate
massen alle mediznisch relevanten Daten und funkten sie immerfort an
Expertensysteme. Bei verschiedenen Krankheiten, etwa Krebs und Infarkten wurde
durch diese Frühwarnsysteme die Sterblichkeit drastisch reduziert. Was solls,
ich würde so ein Teil nie tragen. Doch zugegeben, sie entwickelten sich zu
einem grossen Renner.
„Wir
sollten uns nicht streiten.“ sagte sie mit einer Stimme, die wieder voll und
samtweich klang. „Sie hatten anstrengende Tage und nehmen einen Kopf voller
Probleme mit ins Wochenende.“
„Ja.“ Mit
Erstaunen bemerkte ich, dass ich mich gern von ihr führen liess.
Ein Kellner
kam zu unserem Tisch. „Haben Sie noch
einen Wunsch?“ fragte er. „Einen Kaffee bitte.“ gab ich zur Antwort. Er drehte sich zu meiner Partnerin und blickte sie
fragend an. „Nein, danke. Ich habe keinen Wunsch.“, sagte sie leise, ohne ihn
anzublicken.
‚Ihre
Schläuche brauchen keinen Kaffee. ‘, kam mir in den Sinn, doch ich sagte es
nicht.
„Übrigens“,
sagte die Androidin „Es ist auch einer von uns.“
„Kein
Mensch?“
„Nein. Ich sehe
es ja direkt am Infrarotbild.“
„Aber dann
hatte er ja auch gewusst, dass Sie ein Roboter sind und er hätte Sie nicht nach
einer Bestellung fragen müssen.“
„Hätte er
nicht. Aber das gehört alles zum Spiel. Wir befinden uns in einem grossen
Theater.“
Sie blickte
mich amüsiert an.
„Das war
auch der erste Eindruck, den ich von dieser Welt hatte. Ich verliess das Werk
und war auf dem Weg zu einem Hotel. Am nächsten Tag wollte ich
Bewerbungsgespräche führen und mir eine geeignete Stelle suchen. Ich ging durch
London, benutzte die Strassenbahn und beobachtete alles um mich herum sehr
genau. Die Komplexität der Welt war erschütternd. Ich konnte kaum zehn Prozent
der Eindrücke verarbeiten. Ich beantragte externe Rechenkapazität, doch der
Zentralrechner lehnte ab.“
„Sie sollten
wahrscheinlich lernen, sich allein zurechtzufinden.“
„Ja, ganz
wie Eltern, die ihre nachpubertären Sprösslinge aus dem Nest stossen. Nun macht
mal Eure Erfahrungen, rufen sie ihnen hinterher.“
„Und was
beeindruckte Sie an London?“
„Dass es so
viele von uns gibt. Roboter und Menschen laufen nebeneinander, sitzen
nebeneinander sprechen miteinander, ohne dass noch diese Diskontinuität da ist,
die das Menschliche vom Maschinellen immer getrennt hat. Ich war erschüttert
davon, wie weit diese Mimikry fortgeschritten ist, wie weit wir uns in die
Menschenwelt eingeschlichen haben. Es gibt ja noch immer diese detektivischen Naturen, die alles drauf anlegen, zu
erkennen, ob jemand ein Mensch oder eine Maschine ist. Sie sind dann nicht
wenig stolz, wenn sie uns durchschaut haben. Den meisten ist das aber zu anstrengend oder
es ist ihnen gleichgültig. “
„Ich war schon
immer dagegen gewesen. Ein Roboter soll bitteschön wie ein Blechkamerad
aussehen.“ warf ich dazwischen. Ich schaute in ihre komisch schimmernden Augen
und mir war der letzte Satz peinlich. So, als hätte ich etwas Pïetätloses
gesagt. Doch sie war gar nicht verlegen.
„Das kann
ich gut verstehen“ stimmte sie zu „Ich begegne auch viel Ablehnung und
Feindschaft. Wissen Sie, ich gehöre zur Nachhut der grossen Androidenwelle. Die Menschenähnlichkeit wurde eine Zeit lang als ein pikanter Reiz
empfunden und die Konstrukteue schöpften aus ihr Selbstbewusstsein. Aber ich
fühle mich den meisten Androiden kaum verbunden. Geistig gehöre ich schon zu
einer neuen Generation.“
„Sie sind
besser?“ Ich versuchte ironisch zu klingen.
„Ja, ich
habe bessere Parameter.“
Der Kellner
kam vorbei und servierte mit einer galanten Bewegung den Kaffee. Ich starrte
ihn an, um seine Roboternatur zu erkennen und ertappte mich dabei, wie egal mir
das war.
„Ubrigens.“
sagte ich dann, den Blick wieder an meine schöne Androidenfrau gerichtet.
„Wir unterhalten uns jetzt schon eine Zeitlang sehr angenehm und ich kenne noch nicht Ihren Namen. Wie
heissen Sie?“
„Ich bin
Roberta. Übrigens, wir können uns duzen.“
„Warum
nicht. Mein Name ist Jeff.“
„Ja, ich
weiss. Jeff Parker.“
Ich war ein
wenig schockiert, als sie meinen Familiennamen aussprach, wenn es mich auch
nicht wunderte. Sie hatte nur eine
Anfrage ans Netz zu senden brauchen und schon wusste sie mehr als genug von
mir. Vermutlich kannte sie meine ganze Biographie. Wenn ich noch einen der vor
ihr vermarkteten Gesundheitschips tragen würde, würde sie den Zustand meines
Körpers besser kennen als ich selbst.
Ich hatte
lange über die Ganze nachgedacht. Über das Aufschäumen der Informationsflut,
über die immer vollständigere Dokumentation der zufälligen und banalen
Ereignisse. Die Vorkommnisse der Welt wurden in Echtzeit in ein rasant
wachsendes paralleles Informationsuniversum eingeschrieben und das Vertrackte
dabei war, dass die dort aufgehäuften Reichtümer von der künstlichen
Intelligenz weit besser genutzt werden konnte als von uns Menschen. Das lag
einfach in den Konstruktionsprinzipien begründet. Doch ich war zu dem Schluss
gekommen, dass nichts und wirklich NICHTS dieses flottierende Feld des Wissens
aufhalten konnte. Denn alles, was sich ihm entgegenstellte, bestand zu einem
wesentlichen Teil selbst aus Wissen und wurde von diesem aufgenommen und
aufgefressen.
Ich schaute
grüblerisch drein, für Sekunden in meine Gedankenwelt versunken. Sie unterbrach
micht nicht. Roberta. Der Name passte.
„Du sagtest
vorhin, dass dir viel Feindschaft begegnet“ nahm ich das Gespräch wieder auf.
„Es wird
von Jahr zu Jahr schwieriger.“ meinte sie. „Die Banden spriessen wie Pilze aus
dem Boden. Zu viele arbeitslose junge
Männer.“ Sie warf mir einen kurzen, wissenden Blick zu. „Die Maschinenstürmerei
grassiert, weil auch die Polizei nicht durchgreift. Androiden zu zerstören, ist
zu einer banalen Rüpelei geworden.“
„Ja.“ gab
ich zu „Die Gesellschaft steht ziemlich gespalten da. Man hört allerlei in den
Nachrichten.“
„Das ist
nur die Spitze des Eisberges. Die Produzenten können die Verluste ja leicht
kompensieren. Die führenden Firmen freuen sich sogar über diese natürliche
Auslese. Ich konnte den Banden bisher
immer gut ausweichen. Diese Zusammenrottungen sind nicht so schwer zu
identifizieren. Doch ich fürchte, eines Tages einer Gruppe von Freaks in die
Hände zu fallen.“
„Das sind
die Schlauen.“
Die Gruppen
der sogenannten Freaks sagen viel über unsere Gegenwart aus. Technikfanatiker,
die die Technik bekämpfen, gut organisierte stille Pragmatiker, die für Chaos
und Irritation sorgen. Sie kidnappten Roboter, wechselten ihre Hard- und ihre
Software aus und schickten sie in die Welt zurück. Diese künstlichen Zombies richteten dann
einen immensen Schaden an und untergruben das Vertrauen in die künstiche
Intelligenz. Die Hersteller rüsteten die Sicherheitsstandards auf, doch die
Freaks hatten ihre Verbindungsmänner in den Firmen.
„ Es tut
mir leid, dass ich mit meinen Problemen komme.“ sagte sie leise. Sie wirkte
zusammengesunken, sah traurig aus. „Dabei müssen wir keine Rivalen sein. Ihr
und wir.“
‚Ihr und
wir.‘ dachte ich ‚Du und ich.‘
„Ich gehe
jetzt. Vielen Dank, Jeff, für die fünfzehn Minuten, die du mir geschenkt hast.“
Sie erhob
sich und reichte mir ihre Hand. Eine weiche, graziöse Hand. Wieder traf mich
der matt schimmernde Blick ihrer wässrigen Augen.
Als sie
gegangen war, verharrte ich minutenlang in träumerischer Erstarrung. Ich war
verwundert darüber, dass ich mich beseelt fühlte. Die Gefühle, die ein Gespräch
mit Androiden erzeugt, hatte man vorher in sie hereingelegt. Sie waren weiter
nichts als Spiegel, kein wirkliches Gegenüber. Das war die Standardlehre. Doch
Roberta hatte gegen einige Regeln versossen. Sie war sensibel und eloquent. Und
sie war auf mich zugegangen. Das taten Roboter normalerweise nicht. Sie waren
diskret und unauffällig. Ich bewunderte die Wissenschaftler. Es schien ihnen
Grosses zu gelingen. Warum war diese Dame so zugänglich gewesen? Zeichnete sich
eine neue Strategie der Hersteller um die Märkte der Zukunft ab? Oder – dieser
Gedanke war zwar nicht neu, doch erschreckend genug – begannen sich Strategien
zu entwickeln, die nicht mehr von Menschen stammen?
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Steffen Herrmann).
Der Beitrag wurde von Steffen Herrmann auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.12.2009.
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