Jürgen Berndt-Lüders

Der Lockstoff der Jugend

Franz stand am Toilettenbecken und urinierte durch die geschlossene Klobrille, als er die Tür klappen hörte. Rasch kniff er ab, zog die Hose herunter und setzte sich auf die feuchte Brille. Ein ekliges Gefühl.

 

Monika war zurück.

 

„Seit wann pinkelst du im Sitzen?“ rief sie und lachte erstaunt.

 

„Mache ich doch immer“, log Franz, stand auf und zog die Hose hoch. Er wusch sich die Hände, was er auch nicht immer tat und verschwand Richtung Tageszeitung, die ausgebreitet auf dem Wohnzimmertisch lag.

 

Nochmal Glück gehabt, dachte er. Trotz der Nässe in der Hose.

 

Monis mädchenhaftes Kichern drang durch die geschlossene Tür. So hatte er sie lange nicht mehr lachen gehört. Er ging dem Geräusch nach und fand sie im Bad, wo sie mit einer Wasserpistole aus einer Männer-pinkel-Position heraus in das Toilettenbecken spritzte.

 

„Ich bin ein Mann. Ich bin ein Mann der sowas kann“, reimte sie und kicherte weiter.

 

„Hast du was getrunken?“, fragte Franz besorgt.

 

Moni hörte auf zu spritzen, machte die Pobewegung, mit der Männer immer nach dem Pinkeln ihr bestes Teil in die Hose zurück flutschen lassen und kicherte weiter.

 

„Nun musst du dir aber auch die Hände waschen“, stammelte Franz, aber er hatte keinen blassen Dunst, wie er Monis Verhalten deuten sollte.

 

„Nee, riech mal“, rief  Moni und streckte Franz den Handrücken entgegen.

 

Franz schreckte zurück. Pinkeln und Riechen war eklig, aber sie hatte ja gar nicht gepinkelt. Also roch er.  Ein süßlicher, aber auch würziger Geruch stieg in seine Nase. Ein absolut natürlicher Duft. Franz hatte vergessen, woher er den kannte.

 

„Kennst du Kirschkern-Billard?“, fragte er und schnappte plötzlich vor Lachen nach Luft.

 

„Was soll das sein?“

 

„Das könnt ihr Frauen nicht. Ich stelle mich vor das Becken, pinkele, und gleichzeitig spucke ich Kirschkerne so auf den Beckenrand, dass die Abpraller mein Zipfelchen treffen.“

 

„Zipfelchen?“

 

„So hat Mama immer dazu gesagt.“

 

Er schnupperte noch einmal, sog kräftig den Duft durch die Nase, und plötzlich verstand er die Zusammenhänge.

 

„Okay, ich setz’ mich in Zukunft“, sinnierte er. „Weißt du was? ich hätte jetzt Lust auf dich.“

 

Moni strahlte. „Wirkt das Zeug also wirklich?“

 

„Was sollte an dem Geruch wirken?“, fragte Franz unverständig. „Es ist, weil ich mir eben überlegt habe, weshalb ich im Stehen pinkle. Weil ich ihn dann anfassen muss. Anfassen macht mir Lust.“

 

Moni lachte. „Geht mir auch manchmal so“, bekannte sie. „Meinetwegen können wir, aber nicht immer so treudeutsch. Wie wär’s mit draußen? Hinter der Hecke zum Beispiel? Wo die Leute einen halben Meter entfernt vorbei laufen?“

 

Aufregend fand sie sowas plötzlich. Ihre Augen leuchteten.

 

„Nachher“, schlug Franz vor, „wenn es aufgehört hat zu regnen.“

 

Moni kicherte wieder ungehemmt mädchenhaft, und sie betonte die Worte, die ihr sonst nicht über die Lippen gekommen wären. „’nen nassen Arsch hätte ich ja sowieso schon, wenn ich mich auf die Brille gesetzt hätte, nachdem du...“

 

Sie unterbrach sich selber. Ein neues Experiment war ihr eingefallen.

 

„Ich habe übrigens drei Flacons in verschiedenen Düften und Wirkungen von diesem Parfum gekauft. Das, was du eben gerochen hast, war ‚ne Probe von 3minds_child. Willst du mal ein anderes riechen?“

 

Moni öffnete den Flacon mit der Aufschrift 3minds_parents und hielt es sich unter die Nase.

 

Franz schnupperten daran.

 

„Es hat aufgehört zu regnen“, sagte er, als er aus dem Fenster sah. Nach wie vor reizte ihn der Gedanke an Sex, aber ihm wäre die Couch plötzlich lieber gewesen als der nasse Rasen. „Wir könnten jetzt raus.“

 

„Und wenn jemand über die Hecke sieht und bemerkt uns, geht es in der Nachbarschaft rund und wir sind blamiert“, stellte Moni sachlich fest.

 

„Dann könnten wir glatt ausziehen“, ergänzte Franz.

 

Beide sahen sich an, überlegten, was ihnen wichtig war und kamen ohne Worte zu dem Schluss, dass die Idee mit Sex unter freiem Himmel an einer belebten Straße eine Schnapsidee gewesen war.

 

Moni öffnete den dritten Flacon. 3minds_grandparents stand drauf. Das Zeug roch herbe und eher abstoßend als angenehm.

 

„Übrigens möchte ich nicht, dass du weiter im Stehen pinkelst. Ich muss jedesmal dein Zeug wegwischen. Bin ich deine Dienerin?“

 

„Dann wisch ich es allein weg“, schlug Franz vor. „Ich bin doch keine Frau, die sich hinhocken muss.“

 

„Und deine Idee, mitten am Tage mit mir schlafen zu wollen... unmöglich. Das nenne ich triebhaftes, unkontrolliertes Handeln. Ich käme mir vor wie eine Dirne.“

 

Die Wirkung der Granny-Version ließ endlich nach.

 

„Kauf’ in Zukunft bitte nur das, wovon ich zuerst geschnuppert habe“, schlug Franz vor.

 

„Oder wir mischen die drei“, sagte Moni. „Die benutzen wir dann gleichzeitig.“

 

Franz wehrte ab. „Dann sind wir ja so wie immer. Nein, Ich möchte uns glücklich und spontan erleben.“

 

„Aber dann hockst du dich wieder nicht mehr hin.“ Moni drohte schelmisch. 

 

„Doch, das mit der Wasserpistole hat mich überzeugt“, gab Franz zu.

 

Moni hörte nicht mehr, weil sie schnell noch mal an ihrem Handrücken geschnuppert  und das Fenster geöffnet hatte.

 

Sie prüfte, ob es noch regnete.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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