Paul hatte auf dem Catwalk geglänzt. Er hatte Frauenkleider vorgeführt und den meisten Beifall geerntet. Vor allem von Hetero-Männern, was immerhin bedeutete, dass sie ihn für eine Frau gehalten hatten.
„Du bist der Größte“, hatte ihn der Designer Maximilian gelobt. „Schade, dass du ein Mann bist. Allein wie du dich bewegst. Ich kenne keine Frau, die dir das Wasser reichen könnte.“
Paul kannte diese Sprüche bereits. Damit hatte Max ihn immer wieder herum gekriegt.
„Es reicht, wenn du mir meine Gage zahlst“, hatte Paul geantwortet, als sie gemeinsam auf Pauls Erfolg angestoßen hatten. „Entweder die Gage, oder ich verschwinde in dem Kleid, dass ich jetzt trage.“
„Wenn du das tust“, rief Maximilian, „erzähle ich allen, dass du eine überdrehte, hysterische Schwuchtel bist. Dann hast du nur noch bei deinesgleichen eine Chance.“
Paul drehte sich auf dem Absatz um, soweit das auf Highheels überhaupt möglich ist und verschwand wutschnaubend. Die Kunden, die ihn eben noch bewundernd angesehen hatten, sahen ihm jetzt verwundert nach.
Unten im Parterre, unterhalb der Treppe begann das Einkaufszentrum. Ein-Euro-Shops, Supermärkte, Zoogeschäfte und Billig-Klamottenmärkte. Hier sahen ihm die Leute erst recht hinterher. Als große, schlanke Frau, festlich gestylt und im Modellkleid erregte er Aufsehen neben den simplen Hausfrauen und den einkaufswagenschiebenden und bierkästenwuchtenden Ehemännern.
Vor der Damentoilette standen eine Menge Frauen an. Paul bemerkte, dass sich hier seine Bewunderer aus der Modenschau zu erleichtern gedachten. Die hoben sich gewaltig vom übrigen Publikum ab.
Vor dem Herrenklo stand niemand.
Was sollte er tun? Weil er männlichen Geschlechts war, hätte er ein Anrecht auf die freie Herrentoilette gehabt, aber dann hätten die Leute nicht übel gestaunt. Stellte er sich bei den Frauen an, musste er warten. Und wenn er jetzt – augenzuunddrauf – die Herrentoilette gestürmt hätte, wäre er bei Maximilian und Kolleginnen ins Gerede gekommen. Die Kundinnen hätten garantiert gepetzt. „Jaja“, hätten die neidische Bagage gelästert. „Immer tut er, was ihm am meisten Vorteile bringt.“
Paul kniff also die Schenkel zusammen und stellte sich ans Ende der Schlange vorm Damenklo. Eine löste sich aus der Gruppe und kam zu Paul nach hinten.
„Dieses Kleid wollte ich eigentlich kaufen“, sagte sie und tippte Paul auf den Bauch. „Aber es war ein Unikat und nicht mehr vorrätig. Sie haben es doch selber vorgeführt. Haben Sie es selbst gekauft, junge Frau?“
Paul trat von einem Bein aufs andere. Eine weitere Frau aus der Mitte drehte sich zu Paul.
„Das Kleid hätte ich auch gern“, sagte sie.
„Glauben Sie nicht, dass Sie die Figur danach haben“, sagte die erste Interessentin.
Die Schlange kam und kam nicht in Gang.
Noch eine meldete Interesse an. Ihr Mann begleitete sie. „Kauf das Kleid und wir feiern unsere zweiten Flitterwochen“, sagte er.
„Ich zahle eintausend“, rief eine.
Paul kniff die Beine. Er hielt es kaum noch aus. Da fiel ihm ein, dass er nicht einmal Geld für die Toilettenfrau dabei hatte.
„Übernehmen Sie sich nicht“, sagte der Mann zur ersten Interessentin. „zweitausend.“
Wenn er jetzt das Kleid verkaufte, das eigentlich Maximilian gehörte und dessen Wert den des Honorars bei weitem überstieg, das er zu bekommen hatte, machte er sich strafbar. Außerdem: woher sollte er Ersatzkleidung nehmen, wenn er das Kleid auszog?
„Meine Damen“, rief er wild entschlossen im für Männer seiner Hormon-Struktur typischen Tonfall. „Dies war eine Fortsetzung der Vorführung dieser bezaubernden Kleider. Und nun husch nach oben und gekauft, gekauft, gekauft. Ich will hier keine mehr sehen.“
Die Damen strömten die Treppe hinauf.
„Aber gezahlt wird an mich“, rief er den Frauen zögernd mit unsicherer Stimme nach.
„“Und sagt Maximilian, dass ich ihn liebe“, fügte er nur für sich hinzu. „Sonst könnte er sowas mit mir nicht machen.“
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2010.
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