Jürgen Berndt-Lüders

Die Win-Win-Situation.*

Erna war in eine tiefe Depression verfallen und auf Anraten des Psychiaters in eine Klinik eingewiesen worden.

 

Ihrem Mann Kasimir, einem erfolgreichen Geschäftsmann, fehlte sie sehr, und er versuchte, die Ursache für ihre Depression heraus zu finden. Falls er sie fand, würde er ihr vielleicht helfen und sie in ihre vertraute Umgebung zurück holen können.

 

Eine reine Win-Win-Situation, denn Erna fehlte ihm wirklich überall, sowohl emotional als auch rational. Emotional, weil er niemanden mehr hatte, der ihm zuhörte, wenn er seine Gedanken los werden wollte. Rational, wenn es darum ging, wer ihm den Kaffee und das Essen kochte.

 

Den Psychiatern und Psychologen vertraute er nicht. Aber er vertraute Gott. Das heißt, er war sich sicher, dass es einen Gott gibt, schon, weil er der Evolutionstheorie nicht glaubte, aber er wusste nicht welchen es wirklich gab, und aus Sicherheitsgründen betete er am Abend ohne konkrete Anrede.

 

„Schöpfer der Welt“, betete er. „Erna und ich, wir brauchen eine Rückführung in den vorherigen Stand. Du musst da nicht lange abwägen, denn es wäre eine Win-Win-Situation.

 

Ohne diese Verkleisterung des Gehirns, die sie heute Depression nennen, ginge es ihr besser, und wenn sie zu Hause ist, geht es auch mir besser, und die Krankenkasse muss nicht zahlen, und ich muss nichts zuzahlen. Dann ist mehr Geld für wirklich ernsthafte Erkrankungen wie Krebs oder Herzinfarkte da. Also bitte, tu’ etwas, damit ich erkennen kann, weshalb Erna auf nichts mehr reagiert und nur noch vor sich hin brütet. Und vor allem, ob dies wirklich eine Krankheit ist oder sie nur mehr keine Lust hat, mit mir zu reden.“

 

Kasimir schlief in freudiger Erwartung ein, und bevor die Morphine sein Hirn umnebelten, schickte er noch rasch hinterher, dass  es doch eine tolle Chance für einen Gott sein müsse, einen ungläubig Gewordenen durch den Beweis seiner Existenz zum Glauben zurück zu holen. Dieser Gedanke tat ihm gut, denn diese Schlussfolgerung lag nahe und er hätte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, falls es einen Gott wirklich gäbe.

 

Eine reine Win-Win-Situation, für ihn und den imaginären Gott,gleichgültig ob er Allah oder Jahve oder sonst wie hieß.

 

Am nächsten Morgen weckte ihn ein warmer Sonnenstrahl, obwohl eigentlich Winter war, und es war plötzlich Sonntag und nicht etwa Dienstag, wie es hätte sein müssen. Der Abreißkalender unter dem Röhrenden Hirschen an der Wand bewies es.

 

Neben ihm lag Erna, und sie sah so aus wie  in seiner Erinnerung, so wie er sie einst begehrenswert gefunden hatte.

 

Ist sie also wieder da, dachte er, und er wunderte sich nicht, dass sie plötzlich wieder so jung aussah, und weil Sonntag war, krabbelte er gleich unter ihre Decke und machte sich ans Vorspiel. Reizen der Sekundären Geschlechtsmerkmale, etwa 5 Minuten hatten früher immer ausgereicht.

 

Heute war Erna anders als sonst. Sie spreizte nicht die Beine, sondern sie klemmte die Füße übereinander.

 

Da kannst du als Mann noch so stark sein, dachte Kasi. Gegen die Muskelkraft der Beine einer Frau  kommst du mit den Armen nicht an.

 

Nun weinte sie auch noch.

 

„Du hast mit Frau Schuster geschlafen“, brachte sie mühsam zwischen zwei Schluchzern heraus. „Sie kam gestern, um den neuen Mietvertrag mit der geringeren Miete zu bringen. Sie zwinkerte mir zu und meinte, auf einmal mehr oder weniger käme es mir doch sicherlich nicht an.“

 

„Aber Schatz“, wandte Kasimir ein. „Denk doch mal nach. Das ist eine reine Win-Win-Situation mit der Schustern. Sie kriegt, was sie braucht, und wir haben eine kleinere Miete.“

 

„Und für sowas betrügst du mich?“

 

„Aber mein Gold-Ernalein, ich betrüge dich doch um nichts. Du krriegst doch genau so viel wie vorher. Ich bin doch mit dir eh nicht ausgelastet.“

 

Mit einem Ruck war es wieder Dienstag und Winter.

 

„Weißt du’s nun?“, fragte eine donnernde Stimme von der Zimmerdedcke her.

 

„Nur wegen Frau Schuster verweigert sie mir das Gewohnte?“, fragte Kasimir zurück. „Aber jetzt, wo ich weiß, dass es dich gibt, sag mir wenigstens, in welche Kirche ich eintreten soll. Du sprichst weder einen hebräischen noch einen arabischen Dialekt...“

 

Es gab noch einen Ruck, und der brachte Kasimir in sein Kinderbett, das bis zu seinem vierten Lebensjahr quer vor dem elterlichen Ehebett gestanden hatte. Kasi hopste auf der Matratze und sah verwundert den Auf- und Abbewegungen unter der Bettdecke seiner Mutter zu.

 

Kasi zeigte darauf und schrie „Auch will, auch will.“

 

„Ich bin doch keine Hopseburg“, rief Kasis Mutter und sah lachend unter Papas Oberkörper vor.  Und zum Papa sagte sie, „warte mal einen Moment. Nein,  nicht raus, es dauert nicht lange.“

 

„Kasi“, erklärte sie. „Das, was dein Vater und deine Mutter hier tun, dient dem Frieden zwischen deinen Eltern. Es ist eine Art Zeremonie, eine Win-Win-Situation. Hinterher sind alle Aggressionen weg und man versteht sich wieder besser.“

 

Als wenn der kleine Kasi gewusst hätte, was sie mit Aggreessionen meinte.

 

„Und falls dir mal jemand einzureden versucht, es ginge bei sowas um Liebe: es geht nicht um Liebe. Liebe ist wie ein Lasso, mit dem man jemanden einfangen und festbinden kann.“

 

„Und wir sind ja schon fest gebunden“, ergänzte Mutter lachend und hielt ihren Ehering hoch, und zum Vater sagte sie „... nun mach bitte weiter, ehe du wieder von vorn anfangen musst“.

 

Wieder knallte es, und Kasi lag am Dienstag und im Winter in seinem Bett, und wieder rief die donnernde Stimme: „weißt du’s nun?“

 

„Hast du den Aufnahmeantrag dabei?“, fragte Kasi, nur, um nicht wieder trotz Beweis für die Existens Gottes, der er Rechenschaft tragen wollte, so ganz ohne Schriftliches da zu stehen. „Und was soll ich wissen? Es geht doch um Erna und nicht um Frau Schuster oder meine Eltern.“

 

Diesmal zischte es, als die Donnernde Stimme verschwunden war, als wenn eiskaltes Wasser im Höllenfeuer verdampft, und Kasimir wusste so viel wie zuvor, und die Loserin Erna blieb in der Geschlossenen. Ohne Liebe, aber das war sie ja bei Kasimir auch gewesen.

 

Was nützt einem ein Gott, der wirklich existiert, wenn er sich von logischen Argumenten über das Vorliegen einer klassischen Win-Win-Situation nicht überzeugen lässt, fragte sich Kasi frustriert und vergass die Sache.

 

Frauen, die Erna ersetzen konnten und die einen guten Versorger und weniger die Liebe brauchten,  gab es schließlich genügend auf der Welt.

 

Eine reine Win-Win-Situation für so eine und für ihn.

 

---

 

* Eine Win-Win-Situation ist eine Konfliktlösung, bei der beide Beteiligten einen Nutzen erzielen.

 

Liebe Leser, das ist mal keine fröhliche Geschichte, sondern eine Parabel auf die Gesellschaft von heute. Ich hoffe, es ist mir gelungen, die Knackpunkte so gut anzudeuten, dass ihr sie in Eure Sichtweise übertragen könnt.

Jürgen Denkfix
Jürgen Berndt-Lüders, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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