Uwe-Gerd Reichert

Invasion

Das Raumschiff war erst vor wenigen Zeiteinheiten in den Orbit eingeschwenkt. 

„Von hier aus bereiten wir die Invasion der Erde vor!“ rief der Commander. „Wir beginnen mit diesem Kontinent“, er deutete auf eine große zusammenhängende Landmasse, die soeben auf dem Hauptbildschirm erschienen war. „Wir verteilen uns und erkunden das Terrain.“ 

Die vier Raumfahrer begaben sich in die Transporteranlagen. Hier wurden sie in Energie zerlegt und in vier verschiedenen Gebieten des Kontinents wieder materialisiert. 

Die Erde war ein lohnendes Objekt für die Invasoren aus dem Sternbild Stier. Einer automatischen Sonde zufolge, die 300 Jahre zuvor die Erde untersucht hatte, waren die Lebensbedingungen hier ideal: Gute, saubere Luft, viel Wasser, klare Flüsse und viel Bodenschätze. Mit den Ureinwohnern, den Menschen, würde man schon fertig werden. Die vier Raumfahrer sollten alles für die Große Invasion vorbereiten. 

Der erste Raumfahrer materialisierte in einer Großstadt. Bestürzt schaute er sich um. Riesige Steinwälle ringsumher; er befand sich in einer lauten, lärmenden Straßenschlucht. So etwas hatte er nicht erwartet. An allen Seiten strömten gewaltige Menschenmassen an ihm vorbei. Er wurde von niemandem beachtet. Jeder hier schien nur für sich zu existieren; rücksichtslos kämpften sich die Menschen durch das Gewühl. Es lag ein ziemlich hektischer Ausdruck auf allen Gesichtern. Der Raumfahrer konnte nicht wissen, dass er mitten in die Hauptverkehrszeit geraten war. Unendliche Autokolonnen schoben sich an ihm vorbei, es war kaum möglich, vor Lärm ein Wort zu verstehen, noch dazu, da er jahrelang die Stille des Raumschiffs gewohnt gewesen war. Sollte das die Erde sein, die die Sonde als Paradies ausgewiesen hatte? Verstört machte der Raumfahrer einen Schritt zurück. Da geriet er genau in den Menschenstrom. Er stand im Weg; dann bekam er von irgendeinem Passanten einen schmerzhaften Schlag mit dem Ellbogen, rücksichtslos wurde er zur Seite gestoßen. Er stürzte, fiel auf die Straße. Ehe er wieder aufstehen konnte, war ein Auto mit hoher Geschwindigkeit heran... 

Der zweite Invasor war in einer ruhigen Gegend materialisiert worden. Er blickte sich um und wunderte sich: Keine Pflanze weit und breit, dafür viele hohe Hügel. Interessiert trat er näher. Die Hügel waren merkwürdig aufgebaut. Einige bestanden aus Bergen von leeren, bunten Büchsen, hier und da lagen Autokarosserien. Eine Menge alter Reifen lagen umher und viele Leute schienen ihre ehemaligen Wohnungseinrichtungen hier abgestellt zu haben. Der Raumfahrer ging zweifelnd weiter: Hatte sich die Sonde geirrt? Hier war alles schmutzig und verkommen! Da schlug ihm ein furchtbarer, ätzender Geruch in die Nase. Er reizte zu Tränen und der Raumfahrer hatte kein Atemgerät dabei. Der Gestank schien aus etwas weiter abgestellten großen Blechtonnen zu kommen. Der Raumfahrer ging näher. Das musste trotz aller Widerwärtigkeiten untersucht werden! Mit einer Hand sich die Nase mit einem Tuch schützend, öffnete er mit dem Laser eine der Tonnen. Was sich aus ihr über ihn ergoss, konnte er nicht mehr identifizieren... Wie hätte er auch wissen können, dass er sich auf einer illegalen Giftmülldeponie befunden hatte? 

Der dritte Raumfahrer materialisierte sich in einem Werbestudio einer Fernsehgesellschaft. Ehe er sich besinnen konnte, hatte sich eine Horde Menschen auf ihn gestürzt. Er wurde nach Namen, Herkunft und allem möglichen gefragt. Alle redeten, Lichtblitze zuckten, er wusste gar nicht, was er tun sollte. Verstört wollte er nach seinem Laser greifen, musste aber feststellen, dass er keinen mehr hatte, sondern statt dessen wurde ihm eine Büchse in die Hand gedrückt. Hinter ihm prangte unterdessen ein großes Schild: „Auch wir Außerirdischen lieben ‚Mayers herzhafte Geflügelsuppe’“. In einem fort kam jemand und drängte ihn in eine andere Positur, bevor wieder die Filmkameras liefen. ‚Ich bin ganz gerissen entwaffnet worden!’ dachte der Invasor bei sich. Für die Invasion war er verloren! Aber er würde sich nicht ergeben! Er handelte nach seinem Leitspruch „Lieber tot als in Gefangenschaft“... 

Der vierte Raumfahrer war in einer total menschenleeren Gegend materialisiert worden. Nichts zeugte hier von Leben, von einigen wenigen halbtrockenen Pflanzen einmal abgesehen. Eine öde Landschaft, so weit man blickte. Aber dort! Dort hinten, war das nicht etwas künstlich Errichtetes? Neugierig ging der Raumfahrer näher. Ja! Hier musste unzweifelhaft menschliche Hand am Werk gewesen sein! Aber wo waren die alle, die Menschen? Wie es schien, waren sie noch ein oder zwei Stunden hier gewesen. Frische Reifenspuren und eine Menge Stiefelabdrücke zeugten davon. Doch der Invasor konnte sich nicht erklären, weshalb nun alle verschwunden waren. Und zwar verschwunden auf Kilometer hin! Es lag alles wie ausgestorben da. Wie ausgestorben? Plötzlich begann eine Sirene zu heulen. Der Raumfahrer drehte sich um. Er sah noch den Lichtblitz, heller als die Sonne... Das Kernwaffentestgebiet lag nun wirklich ausgestorben da. 

Und die Erde war von einer Invasion aus dem Weltraum verschont geblieben. Für alle weiteren Generationen von außerirdischen Raumfahrern galt sie als abschreckendes Beispiel, am besten, man machte einen großen Bogen um diesen verkommenen Planeten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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