Heike Clarissa Conundrum

Der Abschiedsbrief


Emilia war eine Frau, die alles hatte, was eine Frau glücklich und zufrieden macht.
Dazu zählte sie ihren Job, für den es jeden Tag früh aufzustehen lohnte. Er machte ihr Spaß und trug dazu bei, das Familienkonto am Ende jeden Monats immer ein Stück besser aussehen zu lassen.
Vor allem aber ihre zwei Töchter, einundzwanzig Jahre alt die eine, vierundzwanzig die andere, waren ein besonders großes Stück Glück in Emilias Leben.
Zu einer glücklichen Frau gehört natürlich ein ebenso glücklicher Mann.
Und der war seit siebenundzwanzig Jahren ein fester Bestandteil in Emilias Leben.
Sie fanden sich einst, lernten sich lieben und lebten fortan ein zufriedenes gemeinsames Leben.
Beide waren immer füreinander da. Das gemeinsame Miteinander war ein harmonisches Zusammenspiel.
Man verstand sich wortlos.

Das Leben lief, die Jahre vergingen, die Kinder kamen zur Welt, wurden groß und erwachsen.
Die Harmonie nahm keinen Abbruch, alles lief wie am Schnürchen.
Edward war ein toller Mann und ein toller Vater. Er war genau wie Emilia immer da, kümmerte sich um alles Mögliche, las ungesagte Wünsche von den Augen ab.
Ohne vieler Worte.

Genau das fing Emilia an zu missfallen. Sie wollte reden. Nur worüber?
Sie redete viel mit ihrem Mann. Über dies und das, über fast alles. Aber eben nicht über `genug´.
Es gab Sachen, die sie beschäftigten. Aber was genau waren es für Sachen?
Sie war doch eine rundum zufriedene Frau. War es genau das, was sie beschäftigte?
Kann man überhaupt zu sehr zufrieden sein, dass es irgendwann schlichtweg unzufrieden macht?
Sind aus Liebenswürdigkeiten Selbstverständlichkeiten geworden?
Es hat sich in all den Jahren eine schleichende, selbstverständliche Routine eingestellt.
Genau das war es.

Darüber musste sie mit Edward unbedingt bei der nächst besten Gelegenheit reden.
Es verging eine geraume Zeit. Die nächst beste Gelegenheit blieb jedoch aus. Emilia fand keinen Anfang ein solches Gespräch zu führen. Edward war weiter der liebevolle und fürsorgliche Gatte. Und Emilia war sich auf einmal nicht mehr sicher, worüber sie mit ihm reden wollte. Was sollte oder wollte sie ihm vorhalten?
Sie beschloss es einfach zu vergessen.
Nun sind beschließen und ausführen jedoch zweierlei paar Schuhe.
Alles lief normal weiter wie immer. Nur mit dem winzigen Unterschied, dass Emilia ständig am Grübeln war, was sich verändert haben könnte.

So auch eines Nachts.
Sie wälzte sich in ihrem Bett wieder einmal nur hin und her, schaute ihrem Mann dabei zu, wie er friedlich schlief.
Sie fragte sich ob er es auch fühlte, diese Veränderung.
Was fühlte er überhaupt, war er noch wirklich glücklich?
Und noch wichtiger, was fühlte sie selbst?
Emilia war längst schon übermüdet, bekam aber kein Auge zu und kam auf die verrücktesten Ideen. Irgendwann stand sie auf, ging ins Esszimmer und kramte Papier und Stift hervor.
Sie schaltete ein schwach leuchtendes Lämpchen ein, setzte sich an den Tisch und fing an zu schreiben.
Ihr Herz hämmerte wie wild, sie fing an zu frieren. Aber sie schrieb und schrieb. Sowohl ihre Augen vor Müdigkeit, als auch ihre Gedanken spielten verrückt.

Nach einigen Stunden und vier Seiten war er fertig.
Der Abschiedsbrief an ihren Mann.
Sie saß ausdruckslos am Tisch, ließ die letzten Jahre gedanklich Revue passieren und ihre Augen waren winzig, als ihr ein paar Tränen über die Wangen liefen. Sie war bereit den Mann zu verlassen, den sie liebte, ohne genau zu wissen warum.
Das war total absurd.
Irgendwann zerknüllte sie den von Tränen befeuchteten Brief, steckte ihn in die hinterste Ecke ihres Kleiderschrankes, ging zurück ins Bett, gab dem schlafenden Edward einen Kuss auf die Stirn und schlief bald erschöpft ein.
Zwei Tage später, das Haus war leer, die Luft rein.
Emilia wollte ihre Schandtat beseitigen, sie suchte alles ab, Kleiderschrank, Schubfächer, selbst den Müll durchforstete sie, aber die zerknüllte Zettelwirtschaft blieb verschwunden. Sie zweifelte schon an ihrem Verstand, aber es half nichts. Der Abschiedsbrief blieb unauffindbar.
So sehr sie sich auch anstrengte, sie nahm an, den Brief im Kleiderschrank hinter den Pullis versteckt zu haben. Aber sicher war sie sich nicht. Sie konnte sich einfach nicht erinnern.
Und nach drei Stunden war klar, dass sie ihn in jener Nacht bereits vernichtet haben muss und sie beließ es dabei.
Emilia und Edward lebten weiter wie bisher.
Niemals erwähnte sie ihm gegenüber ihre Gedanken, niemals versuchte sie ein Gespräch in diese Richtung zu lenken und niemals mehr verschwendete sie einen Gedanken an eine mögliche Trennung.

Alles lief die nächsten drei Jahre wie gewohnt...
Liebenswürdigkeiten, Harmonie und Verstehen ohne vieler Worte.
Bis Emilia eines Tages, an einem Valentinstag von der Arbeit nach Hause kam.
Sie freute sich auf Edward und einen gemütlichen Abend mit ihm.

Vor fand sie jedoch nur einen im Wohnzimmer auf dem Tisch liegenden, etwas schäbigen Brief.
Zitternd, den Brief in den Händen haltend stand sie da.
Dessen ungelesen und tränenüberströmt ließ sie sich aufs Sofa fallen.
Der Brief wurde durch die Tränen noch unansehnlicher und verschwommener als er ohnehin schon war.
Und ihr war klar...

Edward war weg. Ohne vieler Worte. Für Immer und Ewig.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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