Germaine Adelt

Nur ein Hauch

Der Geruch ließ sie nicht mehr los. Es war eher ein Duft, von dem sie schon geglaubt hatte, es wäre nur eine Einbildung gewesen, eine falsche Erinnerung.

Der alte Hagen, den sie schwer atmend hinter dem Tresen seines Lebensmittelgeschäftes vorgefunden hatte, war nun im Krankenhaus. Sie saß wieder in ihrem kleinen Zimmer und starrte auf das Taschentuch, mit dem sie ihm hilflos den kalten Schweiß abgewischt hatte und roch zaghaft daran. Es bleib dabei. Es war der Duft, den sie in all den Jahren so sehr vermisst hatte und der sie an Mutter erinnerte.

 

Drei Jahre war es nun her, als ein LKW, Mutter mit ihrem kleinen Fiat regelrecht verschluckt hatte. Sie nie wieder sehen zu können, war das Schlimmste an dieser Tragödie. Unerträglich aber auch, dass seit letztem Winter eine Stiefmutter und zwei Stiefbrüder nun auch in der Wohnung lebten. Vater hatte sich wieder gefangen und schien glücklich, nachdem er nach Mutters Tod vor Kummer mit dem Trinken angefangen hatte.

Sie aber ertrug die Nähe dieser Menschen nicht. So sehr sie sich bemühte, so liebevoll alle waren. Der Geruch, der von ihnen ausging verursachte bei ihr Übelkeit.

Wie zufällig hatte sie immer wieder neue, andere Seifen besorgt, Duschgels und Deodorants. Aber es half nichts. So reinlich und gepflegt die neuen Familienmitglieder auch waren. Sie konnte deren Nähe nicht aushalten und zog sich immer mehr zurück.

 

Als der alte Hagen, sichtlich abgemagert, seinen kleinen Laden wieder aufmachte, ließ sie keinen Tag aus bei ihm vorbeizusehen. Und sei es nur, unermüdlich neue Seifen zu kaufen. Sie konnte ihm gar nicht nahe genug sein, wollte wie süchtig seinen Duft einsaugen, wenn auch nur einen Hauch davon.

Er freute sich, wenn sie ihm half schwere Dinge zu heben, oder in den engen Regalreihen etwas einzusortieren. Und im Laufe der Zeit reichte es, wenn sie für einen kurzen Moment die Augen schloss um sich der Illusion hinzugeben, Mutter wäre in ihrer Nähe.

 

An einem Donnerstagabend im Juli fand sie ihn erneut ausgestreckt hinter seinem kleinen Tresen. Diesmal atmete er nicht mehr. Und so setzte sie sich auf den steinigen Boden neben ihm. Bereit ein letztes Mal eben jenen Geruch in sich aufzunehmen. Solange, bis dieser dann von dem abgelöst werden würde, den sie damals neben dem Sarg von Mutter wahrgenommen hatte.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.02.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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