Jürgen Berndt-Lüders

Der geile Hengst aus der Prairie

„Ich geh jetzt“, rief Ingrid vom Flur her. „Und bitte, räum auf. Du hast nichts zu tun sonst. Und chatte nicht wieder den ganzen Tag.“

 

Das Klappen der Tür zeigte an, dass Ingrid gegangen war.

 

Heinz saß vor dem PC und kämpfte mit sich.

 

Eigentlich hatte Ingrid ja Recht. Sie arbeitete den ganzen Tag, und er saß zu Hause herum und hatte nichts zu tun.

 

Ja, früher, als er noch keine Flatrate gehabt hatte, war er in der Lage gewesen, seinen Internet-Konsum noch etwas zu zügeln. Heinz hatte Respekt vor Ingrids Kritik gehabt, wenn sie den hohen Gebührenanteil durch sein Internet-by-Call kritisiert hatte, der am Monatsende unvermeidbar auf der Telekom-Rechnung stand. Aber jetzt war er endlich frei und konnte chatten, so oft und soviel er wollte.

 

Heinz gab sich einen Ruck. Heute würde er nicht den ganzen Tag chatten, nur ein wenig, und dafür würde er mal richtig aufräumen.

 

Heinz duschte ausgiebig, rieb seinen haarlosen Kopf trocken, prüfte, wie weit er den Bauch noch einziehen konnte und zog sich an.

 

Sein Blick fiel auf seinen Cowboyhut. Der hätte da nicht liegen dürfen. Der Hut führte ihn auf geradem Wege direkt zum PC.

 

Früher hatte Heinz sogar noch seinen Revolvergurt angelegt, aber der passte nicht mehr.

 

Heinz fuhr kurz entschlossen den Computer hoch. Die Autostart-Datei brachte ihn unmittelbar in den Chatroom.

 

John Dayne, nannte er sich hier. Sein Foto hatte er aus dem Internet, es stellte einen Cowboy auf einem einjährigen Hengst da, einem Maverick, beim Zureiten.

 

Heinz setzte seinen Cowboyhut auf. Er zog die Kordel straff, damit ihm der Hut nicht immer wieder über die Augen rutschte, wenn er tippte und abwechselnd auf den Bildschirm und auf die Tastatur sah.

 

Elke Weidenreich war drin, die Intellektuelle, die immer so lange Kommentare schrieb, und dieser Bursche namens Waldhüter, den er in Gedanken immer Knalltüte nannte.

 

Hatte ihm nicht irgend jemand geschrieben, dass der öfter mal raus und wieder rein war? Mit anderen Nicks? Kein Durchhaltevermögen hatte der. Kein Mann schien der zu sein, nicht nur, dass der einen so komischen Laschi-Nick hatte, sondern auch noch so jammerlappige Dinge schrieb.

 

„Können wir nicht menschlicher miteinander umgehen?“ schrieb der eben. „Müssen wir uns immer so angreifen?“

 

Für Heinz war klar: Knalltüte war feiger als er dachte. Der wollte doch tatsächlich bloß Friede, Freude, Eierkuchen.

 

Wie langweilig.

 

Wie interessant andererseits. Hier konnte John Dayne endlich zeigen, was ein richtiger Mann war. Er sah sich das Profil dieses Schwächlings an und sah, dass der 14 Jahre älter war als er.

Er schrieb:

„Alter Mann, dass du lieber gehst, statt dich mal auseinanderzusetzen mit den hier Schreibenden und Kommentierenden, das ist gerade dieses kindliche Verhalten welches hier vielen aufstößt.
Deine Schreibe ist wohl das Einzige was du kannst. Wohlgemerkt ein professioneller Schreiber, nennst du dich. Und dann fehlt jegliches Selbstbewusstsein um Kritik auszuhalten und mal gegenzuhalten?

Das ist genau dieses kindliche Verhalten, welches hier vielen aufstößt.

Da brauche ich gar nicht auf die eigene Brust trommeln und die Thymusdrüse animieren um mich mit alten Löwen zu messen.
So einen Hasenfuß wir Jürgen D. fällst schon beim Hören des Schusses tot um.“

Knalltüte verschwand, ohne dass er sich wehrte, und Heinz kam das Gefühl des Siegers, eines Cowboys, der Mavericks zuritt, der mit der Pistole umgehen konnte und der überall seinen Mann stand.

Überall?

Ehe sich’s John Dayne versah, stand Ingrid hinter ihm.

„Arbeitest du jetzt halbtags?“ fragte John, der Cowboy mit dem schlechtem Gewissen.

„Weißt du, wie spät es schon wieder ist?“, schimpfte Ingrid. „Halb fünf, und aufgeräumt hast du auch nicht.“

Hätte John Dayne alias Heinz Klawuttke gewusst, dass Knalltüte mit sowas überhaupt keine Probleme hatte: es hätte ihn überhaupt nicht gestört.

 

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