Monika Klemmstein

Mein Freund Memet


Memet und ich sind schon sehr lange Freunde.
Memet ist fast schon ein Teil unserer Familie gewesen. Auch in Memets Familie bin ich immer als ein Freund der Familie aufgenommen worden. Nach der Schule gingen wir oft zu uns oder zu Memet nach Hause, aßen gemeinsam zu Mittag und machten dann unsere Schulaufgaben zusammen. Memet aß sehr gern Sauerkraut und Rindswürstchen. Bei Memets Mutter aß ich türkische Linsensuppe, scharf, aber gut.
Es gab keine Probleme. Wir waren eben Freunde.
Es spielte keine Rolle, daß er ein Moslem ist und ich zum Konfirmandenunterricht gehe. Wir sprachen manchmal über unsere unterschiedlichen Kulturen und Erziehung.
Aber noch lieber spielten wir zusammen Fußball. Memets Vater nahm uns manchmal mit zum Angeln. Er ist in einem Angelverein. Das war richtig interessant. Memets Vater hat viel erklärt über die Köder und so. Mein Vater interessiert sich nicht für den Angelsport. Er ging lieber mit meinem Bruder zum Handball. Jens, mein Bruder, war der Torwart im Handballverein.

Bis vor ein paar Tagen war meine Welt noch in Ordnung.
Nun ist nichts mehr so wie vorher.
Es ist, als erlebte ich einen bösen Traum. Aber es ist kein Traum.
Aus einem Traum kann man erwachen. Doch hier gibt es kein Erwachen. Wenn man morgens die Augen aufmacht, bleibt alles so schlimm, wie es am Abend vorher war.
Der Alptraum bleibt. Tag und Nacht.
Mein Bruder ist tot.
Er ist nicht irgendwie gestorben. Nein, er ist gestorben worden.
Und dabei wollte er doch nur fröhlich sein, feiern mit ein paar Kumpels. Im Dorf war ein Volksfest. Schönes Wetter, ausgelassene Stimmung. Niemand dachte daran, daß so ein Unheil über das Dorf hereinbrechen könnte.
Ein Geschehen, das ein ganzes Dorf im stummen Entsetzen vereint.

Es ging alles ganz schnell. Eine kleine Gruppe junger Männer aus der Stadt mischte sich unter die ausgelassene Dorfbevölkerung. Jungens noch, nicht viel älter als ich und Memet. Sie sahen alle aus wie Memet. Schwarze Haare, schwarze Augen. Sie sprachen Memets Sprache. Und sie wollten ihren eigenen Spaß haben. Einen Spaß, den niemand von uns je verstehen kann.
Einen Spaß, der meinen Bruder tötete. Mit Schlägen und Tritten. Mit einem Messerstich in den Bauch.

Seit dem Tag war Memet nicht mehr bei uns.
Meine Eltern und meine Großmutter sind voll mit brennender Wut. Wut auf schwarze Haare und schwarze Augen. Wut und Angst. Die Wut läßt keinen Platz für ein Traurigsein.
Mein Onkel brüllte zornig:
“Diese Türken haben doch alle ein Messer in der Tasche. Die kommen hierher und stechen unsere Söhne ab.“
Memet hat auch ein Messer. Ein Taschenmesser. Ich hab es ihm voriges Jahr zum Geburtstag geschenkt. Im Sommer hat er mir mit diesem Messer eine Rohrflöte geschnitzt. Das hat Memet von seinem Vater gelernt.
Memet ist traurig, daß das alles geschehen ist. In der Schule sprechen wir manchmal darüber. Memet hat mich in den Arm genommen.
Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.

Ich verstehe ja meine Eltern. Ich bin ja selbst entsetzt und wütend und schrecklich traurig.
Ich habe doch meinen Bruder geliebt.
Aber Memet hat doch mit dem allen nichts zu tun.
Er war´s doch nicht. Er sieht nur so aus wie sie, er spricht nur so wie sie. Er ist nur ein Türke wie sie.
Aber er ist doch nicht ein Mörder wie sie.
Er ist mein Freund Memet.

Monika A.E. Klemmstein

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