Nein, nein, reißen Sie nicht gleich aus.
Ich habe nicht vor,
mit dem
Flammenschwert gegen jene vorzugehen, die ein Referendum
fordern,
bevor sie die
EU-Verfassung anerkennen.
Was das betrifft, dürfen Sie getrost Ihr
Unbehagen
– egal in welche Richtung - durch
Verweigerungspickel äußern. Und es
wird auch
nicht dazu kommen, dass Ihnen die Laune
mit einer Diskussion darüber
vermiest
werden soll, ob eine Patientenverfügung nun allgemein gültig ist und
bleibt,
oder ob eben doch noch jeder, der glaubt es besser zu wissen,
Überlegungen darüber anstellen darf, dass das Ding ja schon zehn
Jahre alt sei und deshalb
die Möglichkeit bestehe, sie hätten inzwischen Ihre Ansichten
geändert.
In
dem Fall werden Sie vielleicht ein bisschen schmerzhafter und länger vom
Leben
zum
Tode befördert, aber das ist dann achselzuckend hinzunehmen,
vorausgesetzt,
es gelingt
Ihnen noch die Achsel zu zucken. Es geht diesmal um etwas
noch
Elementareres,
Ihr Recht nämlich, sich Ihre letzte Ruhestätte
auswählen zu
dürfen.
Ach, Sie dachten, das sei ihr verbrieftes Recht und von
niemandem
auszuhebeln?
Das glauben sie aber nur.
Vater Staat,
beziehungsweise die
Institutionen, für die selbiger die Steuern einzieht,
erzählen Ihnen
da aber
etwas anderes. So sie die Mitgliedschaft im Verein der Gläubigen
irgendwann
einmal wegen Ineffektivität aufgegeben haben sollten, sind Sie dort
Persona
Non
Grata und können sich trollen. Als Heidenkind haben Sie nämlich dieses
Grundrecht
auf allen konfessionellen Friedhöfen verspielt mein Lieber.
Sie werden ausgegrenzt und haben keine Chance, etwa ein Ihnen bekanntes und als passend empfundenes Gelände anzusteuern und sich dort schon mal umzusehen, ob Ihnen die Nachbarn auch passen.
Hinweg mit Ihnen
und dem, was Ihre sterblichen
Reste sein werden, Sie können allenfalls
auf die Suche nach einem
freien Acker
gehen, der dann Ihresgleichen und ausschließlich
diese beherbergen
wird,
aussortiert wie in früheren Jahren die Selbstmörder und Ehebrecher.
Nachdem
Sie
also nun wissen, dass man hierzulande einer Konfession angehören muss,
um auf
manchem Gottesacker bestattet zu werden, zeige ich Ihnen aber auch den
Ausweg
aus der Misere.
Sie brauchen nur ein bisschen Selbstverleugnung und
es gelingt,
die oberste Heeresleitung dieser Gremien aufs Kreuz zu legen.
Ich sollte Ihnen erzählen, dass das Sonnenplätzchen, dass ich mir ausgesucht hatte, genau unserem Haus gegenüber ist und ich benutze den Schnellweg durch den Friedhof zum Supermarkt als willkommene Abwechslung. Ebenso die gesamte Nachbarschaft, sodass die verehrungswürdigen Altvorderen, die dort ruhen, einen äußerst lebhaften Durchgangsverkehr gewohnt sind.
Ein schönes Stückchen Erde, das wenig von der Stille und Beklemmung vermittelt, die ansonsten Friedhöfen anhaftet. Es lag auf der Hand, das war der Platz, der meinem Naturell lag, genau da wollte ich hin, absolut sicher, für Unterhaltung würde auch nach meinem Abgang ausreichend gesorgt sein. Ganz zu schweigen davon, dass Kinder und Enkel nur mit der Gießkanne die Straße zu überqueren brauchten, um mit Ihrer Verblichenen ein Schwätzchen zu halten.
Dachte ich – aber – da sind die
ganz eigen.
"Was?
Aus der Kirche ausgetreten? Und das schon vor vierzig Jahren?
Also
dann tut
es uns Leid. Hier können wir Sie nicht aufnehmen“, sagten die
Katholischen
und
die Evangelischen in schöner Übereinstimmung.
Ich blies zum
Angriff.
Kurzerhand ließ ich die Träger der örtlichen
Institutionen wissen,
dass ich durchaus bereit sei, in den Schoß der Kirche zurückzukehren,
hütete
mich aber, zu erwähnen, dass die gleichlautende Nachricht an beide
Besitzer des
Geländes, die Katholischen und die Evangelischen ergangen war.
Wer
zuerst
Flexibilität bewies, dem würde ich meine Mitgliedschaft und die meines
noch
etwas widerstrebenden Lebensgefährten andienen.
Der sah allerdings
so aus,
als wolle er zur Not auf das sonnige Plätzchen auf dem nachbarlichen Rennweg
verzichten. Er litt wohl an Ahnungen und die bestätigten sich dann auch.
Die Evangelischen waren schneller.
Sie
schrieben äußerst erfreut, man werde
unter gewissen Voraussetzungen die Wiederaufnahme betreiben.
Es
genüge, wenn
wir beide dort auftauchten, um den prüfenden Organen glaubhaft
nachzuweisen, dass es durchaus uneigennützige und zutiefst gläubige
Gründe gebe, in den Schoß
der Kirche heimzukehren.
Natürlich gab es die.
War es etwa kein
ausreichender Grund, wenn man als künftiger Bewohner der Parzelle
dreizehn – so
hieß mein Sonnenfleck - das Getümmel eines Durchgangsbahnhofs zur rush
hour
stiller Beschaulichkeit vorzog?
Grüßte ich doch selber auch immer freundlich rechts
und links die Gräberreihe
entlang.
Blieb ein paar Sekunden bei der unbekannten Ingrid Petersen
stehen und
bewunderte ihren
frischen Blumenschmuck. Oder murmelte auch leises
Bedauern,
wenn ich sah, dass Karl Götz schon lange niemanden mehr zu Besuch
gehabt hatte,
denn sein kupfernes Grabkreuz setzte schon Grünspan an.
Sobald ich
selber da
lag, würde ich Hof halten, das stand fest. In Bedeutungslosigkeit zu
versinken, das lag mir doch gar nicht.
Ich gedachte also eher, die
Vorbeidefilierenden
sorgsam und interessiert im Auge zu behalten.
Ich war zutiefst
neugierig, wie
viel man als Dahingeschiedener noch mitkriegt von dem, was einmal das
eigene
Leben gewesen ist.
Schließlich bin ich Pragmatiker durch und durch
und als
solcher schließt man keine Möglichkeit aus und sei sie auch noch so
ausgefallen,
nicht wahr?
Mein Abgang sollte ganz in meinem Sinne geplant sein.
Dazu gehört dann alles,
die Art der
Bestattung, der Platz, die Musikauswahl und eine von mir
selbst
verfasste Grabrede, denn der Teufel sollte mich holen, wenn ich
irgendeinem
unterbelichteten Phrasendrescher erlauben würde, von den Vorzügen
einer Person
zu berichten, die er nie gekannt hat.
Aber noch war ich nicht am Ziel.
Als die
Aufforderung des Pfarramtes kam,
man habe sich zum Zwecke einer mündlichen Prüfung des
Aufnahmeantrages dort
einzufinden, sah Hubert – mein Gefährte – schon sämtliche Felle davon
schwimmen.
"Was soll denn das“, meine er grämlich.
"Die wollen
doch nicht
etwa von zwei Rentnern eine Gesinnungsprüfung?“
Und ob die das
wollten.
Da
kann doch nicht Jeder daher kommen und in eine illustre Runde Einlass
begehren.
"Betrachte es als Mutprobe“, sagte ich lässig."Meinereiner
wird
gewaltig Schaum schlagen und je nach intellektueller Beschaffenheit
unseres Gegenüber werde ich also auf den Konflikt zwischen
Philosophie und Religion
hinweisen, wild mit Begriffen wie Realismus und Atheismus, Feminismus
und
Kommunismus um mich schmeißen und mit der Kantischen Kritik und dem
Schopenhauerschen Pessimismus jonglieren. Lass nur
Liebchen, der wird drei
Kreuze machen, wenn er uns wieder los ist.“
"Davon haste doch keine
Ahnung“,
erwiderte mein Hubert und sah aus, als sei ich bereits wegen geistiger
Hochstapelei am Pranger und meine desolate charakterliche Beschaffenheit
werde
der Gemeinde demnächst von der Kanzel verkündet.
"Er wahrscheinlich
auch nicht.“ Ich war da ganz optimistisch.
Na gut,
ich war dennoch bereit, Konzessionen zu
machen, zumal der Schlachtplan ohnehin etwa löchrig schien.
"Du
kannst ja
Deinerseits inzwischen mal in der Bibel stöbern.
Es kann ja nicht
schaden, auf
alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.“
"Bibel? Haben wir denn
eine?“
Wir hatten!
Nachdem Hubert den Einband des Buches
sorgfältig mit
einem Domestos Tuch abgetupft
und hoffentlich neben dem Staub auch
prähistorische Bakterien davon entfernt hatte,
stürzte er sich auf
Pracht,
Reichtum und Macht Salomons, bereit, demnächst allem standzuhalten, sogar
Fragen
nach dem Untergang Babylons.
Erst als Hubertchen mit Abraham und
seiner
zahlreichen Nachkommenschaft echte Probleme bekam, fiel mir ein,
dass es
vielleicht gar nicht um unsere Bibelfestigkeit gehen könnte.
Die
Frage,
welchen sonntäglichen Beitrag für den Klingelbeutel wir aufbringen,
könnte doch vielleicht für einen Examinator viel interessanter sein.
"Was?“,
sagte Hubert
und sah kampfbereit aus.
"Das ist doch kein Golfclub mit festen
Beitragssätzen und die Kirchensteuer für Rentner
ist längst
abgeschafft.“
Na
klar, wenn es um seine Moneten ging, blockte Hubert grundsätzlich ab.
Er
war in
diesem Zusammenhang so ergiebig wie die Wüste Gobi.
Und dann kam alles ganz anders.
Der Pfarrer war
eine Pfarrerin und vom
Anblick meines Hubert in seinen Leder-Kniebundhosen derart angetan,
dass sie ihn
sofort für den örtlichen Jägerverein anwerben wollte, dessen
Schriftführerin sie
war.
Die beiden waren innerhalb von fünf Minuten ein Herz und eine
Seele, ich
nur noch ein lästiges Anhängsel und Judas Ischariot so bedeutungslos
wie meine
Anwesenheit.
Aber ... wir sind seit Neuestem evangelisch, bekamen
anlässlich
einer Feier eine Fibel von
Martin Luther King mit dem erbaulichen
Titel *Ich
hatte einen Traum* und dürfen nun mit Fug und Recht einen Platz auf
der
Supermarkt-Rennstrecke – Parzelle dreizehn beanspruchen.
Hubert war ja dafür, zur Not ein Seebegräbnis zu wählen, falls man uns nicht akzeptiert hätte, aber damit konnte ich mich nicht anfreunden. Ich kann nicht schwimmen.
Aber auch mit schriftlichen Verfügungen ist das so
eine Sache.
Soeben
haben die Testamentsvollstrecker von Karel Woytila beschlossen, seine
Aufzeichnungen, die er zur Verbrennung bestimmt hatte, gegen seinen
erklärten
Willen aufzubewahren.
Sie könnten ja mal aufschlussreich für die
Nachwelt
werden.
Regeln Sie also Ihre Dinge, so lange Sie noch können.
Danach
ist
es immer so schwierig, jemanden ins Kreuz zu treten, oder nachzuweisen,
dass
man
ein mündiger Bürger war.
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Der Beitrag wurde von Lieselore Warmeling auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.04.2010.
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