Lieselore Warmeling

Der mündige Bürger

Nein, nein, reißen Sie nicht gleich aus.
Ich habe nicht vor, mit dem Flammenschwert gegen jene vorzugehen, die ein Referendum 

fordern, bevor sie die EU-Verfassung anerkennen.
Was das betrifft, dürfen Sie getrost Ihr Unbehagen – egal in welche Richtung - durch
Verweigerungspickel äußern. Und es wird auch nicht dazu kommen, dass Ihnen die Laune 
mit einer Diskussion darüber vermiest werden soll, ob eine Patientenverfügung nun allgemein gültig ist und bleibt, oder ob eben doch noch jeder, der glaubt es besser zu wissen, Überlegungen darüber anstellen darf, dass das Ding ja schon zehn Jahre alt sei und deshalb die Möglichkeit bestehe, sie hätten inzwischen Ihre Ansichten geändert.

In dem Fall werden Sie vielleicht ein bisschen schmerzhafter und länger vom Leben zum
Tode befördert, aber das ist dann achselzuckend hinzunehmen, vorausgesetzt, es gelingt 
Ihnen noch die Achsel zu zucken. Es geht diesmal um etwas noch Elementareres, 
Ihr Recht nämlich, sich Ihre letzte Ruhestätte auswählen zu dürfen.
Ach, Sie dachten, das sei ihr verbrieftes Recht und von niemandem auszuhebeln?
Das glauben sie aber nur.

Vater Staat, beziehungsweise die Institutionen, für die selbiger die Steuern einzieht,
erzählen Ihnen da aber etwas anderes. So sie die Mitgliedschaft im Verein der Gläubigen 
irgendwann einmal wegen Ineffektivität aufgegeben haben sollten, sind Sie dort 
Persona Non Grata und können sich trollen. Als Heidenkind haben Sie nämlich dieses
Grundrecht auf allen konfessionellen Friedhöfen verspielt mein Lieber. 

Sie werden ausgegrenzt und haben keine Chance, etwa ein Ihnen bekanntes und als passend empfundenes Gelände anzusteuern und sich dort schon mal umzusehen, ob Ihnen die Nachbarn auch passen. 

Hinweg mit Ihnen und dem, was Ihre sterblichen Reste sein werden, Sie können allenfalls
auf die Suche nach einem freien Acker gehen, der dann Ihresgleichen und ausschließlich
diese beherbergen wird, aussortiert wie in früheren Jahren die Selbstmörder und Ehebrecher. 

Nachdem Sie also nun wissen, dass man hierzulande einer Konfession angehören muss, um auf manchem Gottesacker bestattet zu werden, zeige ich Ihnen aber auch den Ausweg aus der Misere.
Sie brauchen nur ein bisschen Selbstverleugnung und es gelingt, die oberste Heeresleitung dieser Gremien aufs Kreuz zu legen.

Ich sollte Ihnen erzählen, dass das Sonnenplätzchen, dass ich mir ausgesucht hatte, genau unserem Haus gegenüber ist und ich benutze den Schnellweg durch den Friedhof zum Supermarkt als willkommene Abwechslung. Ebenso die gesamte Nachbarschaft, sodass die verehrungswürdigen Altvorderen, die dort ruhen, einen äußerst lebhaften Durchgangsverkehr gewohnt sind.

Ein schönes Stückchen Erde, das wenig von der Stille und Beklemmung vermittelt, die ansonsten Friedhöfen anhaftet. Es lag auf der Hand, das war der Platz, der meinem Naturell lag, genau da wollte ich hin, absolut sicher, für Unterhaltung würde auch nach meinem Abgang ausreichend gesorgt sein. Ganz zu schweigen davon, dass Kinder und Enkel nur mit der Gießkanne die Straße zu überqueren brauchten, um mit Ihrer Verblichenen ein Schwätzchen zu halten. 

Dachte ich – aber – da sind die ganz eigen.
"Was? Aus der Kirche ausgetreten? Und das schon vor vierzig Jahren?
Also dann tut es uns Leid. Hier können wir Sie nicht aufnehmen“, sagten die Katholischen
und die Evangelischen in schöner Übereinstimmung.
Ich blies zum Angriff.

Kurzerhand ließ ich die Träger der örtlichen Institutionen wissen, dass ich durchaus bereit sei, in den Schoß der Kirche zurückzukehren, hütete mich aber, zu erwähnen, dass die gleichlautende Nachricht an beide Besitzer des Geländes, die Katholischen und die Evangelischen ergangen war.
Wer zuerst Flexibilität bewies, dem würde ich meine Mitgliedschaft und die meines noch etwas widerstrebenden Lebensgefährten andienen.
Der sah allerdings so aus, als wolle er zur Not auf das sonnige Plätzchen auf dem nachbarlichen Rennweg verzichten. Er litt wohl an Ahnungen und die bestätigten sich dann auch.

Die Evangelischen waren schneller. 

Sie schrieben äußerst erfreut, man werde unter gewissen Voraussetzungen die Wiederaufnahme betreiben.
Es genüge, wenn wir beide dort auftauchten, um den prüfenden Organen glaubhaft nachzuweisen, dass es durchaus uneigennützige und zutiefst gläubige Gründe gebe, in den Schoß der Kirche heimzukehren.
Natürlich gab es die.
War es etwa kein ausreichender Grund, wenn man als künftiger Bewohner der Parzelle dreizehn – so hieß mein Sonnenfleck - das Getümmel eines Durchgangsbahnhofs zur rush hour stiller Beschaulichkeit vorzog?

Grüßte ich doch selber auch immer freundlich rechts und links die Gräberreihe entlang.
Blieb ein paar Sekunden bei der unbekannten Ingrid Petersen stehen und bewunderte ihren
frischen Blumenschmuck. Oder murmelte auch leises Bedauern, wenn ich sah, dass Karl Götz schon lange niemanden mehr zu Besuch gehabt hatte, denn sein kupfernes Grabkreuz setzte schon Grünspan an.
Sobald ich selber da lag, würde ich Hof halten, das stand fest. In Bedeutungslosigkeit zu versinken, das lag mir doch gar nicht.
Ich gedachte also eher, die Vorbeidefilierenden sorgsam und interessiert im Auge zu behalten.
Ich war zutiefst neugierig, wie viel man als Dahingeschiedener noch mitkriegt von dem, was einmal das eigene Leben gewesen ist.
Schließlich bin ich Pragmatiker durch und durch und als solcher schließt man keine Möglichkeit aus und sei sie auch noch so ausgefallen, nicht wahr?

Mein Abgang sollte ganz in meinem Sinne geplant sein. Dazu gehört dann alles, die Art der
Bestattung, der Platz, die Musikauswahl und eine von mir selbst verfasste Grabrede, denn der Teufel sollte mich holen, wenn ich irgendeinem unterbelichteten Phrasendrescher erlauben würde, von den Vorzügen einer Person zu berichten, die er nie gekannt hat.

Aber noch war ich nicht am Ziel.
Als die Aufforderung des Pfarramtes kam, man habe sich zum Zwecke einer mündlichen Prüfung des Aufnahmeantrages dort einzufinden, sah Hubert – mein Gefährte – schon sämtliche Felle davon schwimmen.
"Was soll denn das“, meine er grämlich.
"Die wollen doch nicht etwa von zwei Rentnern eine Gesinnungsprüfung?“
Und ob die das wollten.
Da kann doch nicht Jeder daher kommen und in eine illustre Runde Einlass begehren.


"Betrachte es als Mutprobe“, sagte ich lässig."Meinereiner wird gewaltig Schaum schlagen und je nach intellektueller Beschaffenheit unseres Gegenüber werde ich also auf den Konflikt zwischen Philosophie und Religion hinweisen, wild mit Begriffen wie Realismus und Atheismus, Feminismus und Kommunismus um mich schmeißen und mit der Kantischen Kritik und dem Schopenhauerschen Pessimismus jonglieren. Lass nur Liebchen, der wird drei Kreuze machen, wenn er uns wieder los ist.“


"Davon haste doch keine Ahnung“, erwiderte mein Hubert und sah aus, als sei ich bereits wegen geistiger Hochstapelei am Pranger und meine desolate charakterliche Beschaffenheit werde der Gemeinde demnächst von der Kanzel verkündet.

"Er wahrscheinlich auch nicht.“ Ich war da ganz optimistisch.
Na gut, ich war dennoch bereit, Konzessionen zu machen, zumal der Schlachtplan ohnehin etwa löchrig schien.

"Du kannst ja Deinerseits inzwischen mal in der Bibel stöbern.
Es kann ja nicht schaden, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.“


"Bibel? Haben wir denn eine?“


Wir hatten!
Nachdem Hubert den Einband des Buches sorgfältig mit einem Domestos Tuch abgetupft
und hoffentlich neben dem Staub auch prähistorische Bakterien davon entfernt hatte,
stürzte er sich auf Pracht, Reichtum und Macht Salomons, bereit, demnächst allem standzuhalten, sogar Fragen nach dem Untergang Babylons.
Erst als Hubertchen mit Abraham und seiner zahlreichen Nachkommenschaft echte Probleme bekam, fiel mir ein, dass es vielleicht gar nicht um unsere Bibelfestigkeit gehen könnte.
Die Frage, welchen sonntäglichen Beitrag für den Klingelbeutel wir aufbringen, könnte doch vielleicht für einen Examinator viel interessanter sein.


"Was?“, sagte Hubert und sah kampfbereit aus.
"Das ist doch kein Golfclub mit festen Beitragssätzen und die Kirchensteuer für Rentner
ist längst abgeschafft.“

Na klar, wenn es um seine Moneten ging, blockte Hubert grundsätzlich ab.
Er war in diesem Zusammenhang so ergiebig wie die Wüste Gobi.

Und dann kam alles ganz anders.
Der Pfarrer war eine Pfarrerin und vom Anblick meines Hubert in seinen Leder-Kniebundhosen derart angetan, dass sie ihn sofort für den örtlichen Jägerverein anwerben wollte, dessen Schriftführerin sie war.
Die beiden waren innerhalb von fünf Minuten ein Herz und eine Seele, ich nur noch ein lästiges Anhängsel und Judas Ischariot so bedeutungslos wie meine Anwesenheit.


Aber ... wir sind seit Neuestem evangelisch, bekamen anlässlich einer Feier eine Fibel von 
Martin Luther King mit dem erbaulichen Titel *Ich hatte einen Traum* und dürfen nun mit Fug und Recht einen Platz auf der Supermarkt-Rennstrecke – Parzelle dreizehn beanspruchen.

Hubert war ja dafür, zur Not ein Seebegräbnis zu wählen, falls man uns nicht akzeptiert hätte, aber damit konnte ich mich nicht anfreunden. Ich kann nicht schwimmen.

Aber auch mit schriftlichen Verfügungen ist das so eine Sache.
Soeben haben die Testamentsvollstrecker von Karel Woytila beschlossen, seine Aufzeichnungen, die er zur Verbrennung bestimmt hatte, gegen seinen erklärten Willen aufzubewahren.
Sie könnten ja mal aufschlussreich für die Nachwelt werden.
Regeln Sie also Ihre Dinge, so lange Sie noch können.
Danach ist es immer so schwierig, jemanden ins Kreuz zu treten, oder nachzuweisen, 
dass man ein mündiger Bürger war.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.04.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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