Antje Schleusener

Abschied


"Wie geht es ihr?" fragte Nick den Schamanen. Der Schamane stand von Joanas Lager auf, legte seine Instrumente zur Seite und kam auf Nick zu. Das war nicht gut, wenn alles in Ordnung gewesen wäre hätte er das auch laut ausgesprochen. Eine kalte Hand griff nach seinem Herzen und drückte es schmerzhaft zusammen. Diese Klammer war schon die ganze Zeit da gewesen, aber jetzt wurde der Druck auf sein Herz noch verstärkt.
"Es wird Zeit, dass du sie gehen lässt." sagte der Schamane jetzt. Er hatte Nick die Hand auf die Schulter gelegt und merkte, wie der Ruck durch dessen Körper ging. Alles Leben wich aus seinem Blick. Er konnte nicht begreifen, was geschehen war. "Alles was sie noch hier hält bist du! Es quält sie und ihre Kräfte verlassen sie. Lass sie gehen, beende diese Qual und lass sie einschlafen. Sie ist erschöpft und müde!" "Nein!" schrie Nick auf. "wie kannst du so etwas sagen?" Er schlug die Hand des Schamanen weg und rannte zur ihrer Lagerstätte. Er kniete sich nieder, riss sie hoch und hielt sie in seinen Armen.
Sie stöhnte leicht auf, als er sie so fest umarmte, aber er bemerkte es nicht. Er wollte sie nicht los lassen, er wollte sie nicht gehen lassen und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie gehen wollte. Warum sagte dieser Schamane so etwas? Was sollte das? Er konnte sie nicht aufgeben. Es musste doch etwas geben, das man tun konnte.
"Hey," flüsterte sie ihm leise zu. "Was ist denn los?" Es riss ihn aus seiner Panik heraus und er ließ sie vorsichtig wieder auf ihr Lager gleiten. Sie sah ihn mit müdem Blick lange an, hob dann ihre Hand und strich ihm eine Träne weg, die sich aus seinem Augenblick gestohlen hatte. "Was macht dich so traurig?" verlangte sie zu wissen. Er sah sie traurig und wütend an. "Ich kann dich nicht gehen lassen! Was soll ich denn ohne dich tun? Das kann nicht sein, dass du gehen wirst! Das lasse ich nicht zu!" Er wusste, dass er seine Worte nicht einhalten konnte, aber was sollte er denn sonst sagen, dass es OK wäre, wenn sie jetzt einschlafen würde? Das wäre gelogen, er konnte sie nicht gehen lassen! "Ich weiß!" sagte sie schwach und lächelte ihn schwach an. Sie ließ ihre Hand sinken, weil sie nicht mehr die Kraft hatte sie hoch zu halten und legte sie auf die Seine. "Ich bin ja noch hier. Du musst mich noch nicht gehen lassen!" Sie wollte, dass es überzeugend klang, aber sie wusste selber, wie schwach sich ihre Stimme anhörte. Die Kräfte des Lebens verließen sie, sie flossen aus ihr heraus und sie konnte nichts dagegen unternehmen. Sie kämpfte dagegen an, sie wollte ihn nicht zurück lassen. Sie wollte nicht, dass er litt, aber sie war auch so müde und würde sich am liebsten schlafen legen.
Er sah sie an und er sah, wie müde sie war. Er sah die Qual in ihren Augen und er wusste irgendwo tief in seinem Inneren, dass es vorbei war. Sie hatten so viele, schöne Momente miteinander verbracht und er konnte nicht glauben, dass es jetzt zu Ende sein sollte, aber er wusste auch, dass er sie gehen lassen musste.
Er sah sie lange an, sah dann zu dem Schamane hinüber und dieser nickte ihm zu. Der Schamane verließ das Zelt und ließ die beiden zurück. Nick legte sich neben Joana und zog sie zu sich heran. Sie legte mit der letzten Kraft ihren Kopf auf seine Schulter und kuschelte sich an ihn. Es tat ihr gut, seine Wärme zu spüren. Sonst hatte es ihr immer Kraft gegeben, aber jetzt reichte auch seine Kraft nicht mehr aus. Er zog sie noch dichter an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Weißt du was?" fragte er. "Nein, was denn?" antwortete sie. "Ich finde, dass wir eine wunderschöne Zeit zusammen hatten. Ich danke dir für alles, was du mir gegeben, mir geschenkt hast." Eine Pause entstand. Er musste schlucken und er konnte seine Tränen nicht länger zurück halten. "Du warst meine Zuflucht, wir haben oft gekämpft und wir haben immer zusammen gehalten. Du warst immer für mich da, hast alles für mich getan. Jetzt ist es an mir dir zu helfen." Er schluckte wieder. "Ich lasse dich gehen. Ich wünsche dir alles Glück der Welt. In diesem Augenblick bist du das einzige was zählt. lass dich fallen und schlaf ganz einfach ein. Ich werde für immer an deiner Seite sein." Sie holte tief Luft und wollte ihm so viel sagen, aber alles, was sie noch sagen konnte war: "Ich Liebe Dich!" und mit diesem letzten Atemzug schlug sie die Augen zu und schlief ein.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.04.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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