Gaby Schumacher

Büchersüchtig - und dann passierte es ...

Bereits im Kinderwagen nahm mich ein Pappbilderbuch restlos gefangen. Wie hypnotisiert staunte ich die Großbuchstaben an, noch viel mehr die bunten Tiere und mit wichtiger Miene hielt ich den ersten Vortrag meines Lebens:

„Da, da, iah, wau, daah, wau, da miau, da da da ...“

Meine Mutter strahlte stolz.

Etwas später dann grabschte ich mir die umfangreicheren Kleinkindergeschichten, erzählte und erzählte und war stundenlang bestens beschäftigt.

 

Während meiner Grundschulzeit war kein Buch mehr vor mir sicher und meine Eltern erstanden Sicherheitsschlösser für die Bücherschränke, denn die enthielten nicht die Grimms Märchen, sondern weitaus gewichtigere Werke.

Notgedrungen verschlang ich ´Pu, der Bär`, Pucki-Bücher, Putzi-Bände, Nesthäkchen und Heidi, massenweise Tiergeschichten und Märchen, vor allem Dornröschen und Aschenputtel. Die Prinzen in den beiden Märchen imponierten mir gewaltig wie selbstverständlich auch die wunderschönen Kleider. Nur mit der Angelegenheit mit der Spindel und der des Zehabhackens vermochte ich mich nicht recht anzufreunden und kontrollierte jeden Abend vorm Einschlafen sowohl die Finger als auch die Füße mit dem stets erleichternden Ergebnis, dass alles in bester Ordnung war.

 

´Der Wolf und die sieben Geißlein` und `Rotkäppchen` dagegen brachten mir Angstattacken sowie damit begründete zusätzliche Gymnastikübungen ein. Bei einbrechender Dunkelheit robbte ich nämlich mit meinem Kinderregenschirm bewaffnet unters Bett, um einem dort vielleicht mir auflauernden Wolf eines über die Rübe zu hauen. Einerseits froh, andererseits fast enttäuscht hatte ich zu registrieren, dass dort keiner lag, Weil so ein Schirm ja piekende Spitzen hat, entschloss ich mich heldenhaft, auf dessen nächtlichen Schutz im Bett zu verzichten und schlief auch ohne ihn bis zum nächsten Morgen tatsächlich unbeschadet durch.

 

Später entwickelte sich das Bücherwürmchen aus der Grundschule zum unbremsbaren Bücherwurm der Extralänge. Jetzt verschlang ich nicht allein die Enid Blyton Bände wie ´Fünf Freunde Bücher` und die ´Geheimnisbücher`, die Abenteuer von Jim Knopf und die Wilde 13, sämtliche Astrid Lindgren Bücher sowie ´Hanni und Nanni, sondern nun bewies sich eindrücklich, dass ich ein richtiges Mädchen war.

 

Es war die Zeit der ersten romantischen Träume. Meine wurden sehr romantisch und schließlich kannte die Romantik keine Grenzen mehr. Je kitschiger und schmalziger umso besser. Nachts begegneten mir an den Ufern eines im Mondenschein silbrig schimmernden Sees Prinzen mit blitzblauen Augen auf schneeweißen Rössern, spielten mir auf der Laute vor und zum Schluss entführte mich dann einer. Seufzend vor Wonne erwachte ich morgens.

 

Und es fiel mir das Buch in die Hände, welches mich Jahre meines Lebens nicht mehr loslassen sollte. In einem leuchtend gelben Einband präsentierte es sich mir, trug vorne die Abbildung eines jungen Mädchens mit Krempenhut und hübschem Kleid und auch sein Umfang ließ einem wild gewordenen Bücherwurm wie mir das Herz vor Begeisterung verrückt klopfen. Sage und schreibe über 500 Seiten warteten nur darauf, von mir bezwungen zu werden. Es war geschrieben von Rhoden-Wildhagen und hieß:

 

                                                         ´Der Trotzkopf``

 

Meine Eltern hatten es nicht grundlos für mich ausgesucht.

Die Schulaufgaben waren vergessen (meine Mutter hielt ja Mittagsschlaf). Stattdessen tauchte ich ein in die heile Welt des grenzenlosen Kitsches, in die Welt des goldgelockten verwöhnten, ungezähmten Gutsbesitzerstöchterleins, das in einem Internat für Höhere Tochter Benimm lernen sollte. An dieser Textstelle glaubte das erste Taschentuchpaket dran. Ich heulte solange, bis es pitschnass war. glücklicherweise zeigte sich genau dann in der Geschichte eine Wendung zum Guten.

 

Ilse, der ungebärdige Trotzkopf, überwand ihre sture Ader und mauserte sich nach einigen deftigen Streichen und den darauf folgenden noch heftigeren Strafen zur jungen Dame der Gesellschaft, knickste sich eifrig über Seiten hinweg durchs Buch und senkte wohlerzogen zur Begrüßung der Direktorin den Kopf. Hier kam das zweite Taschentuchpaket zum Einsatz, denn mich rührte des Blondschopfs Wandlung zutiefst.

 

Danach wurde der Tempotuchverbrauch gewaltig angekurbelt. Ilse kümmerte sich aufopfernd um ein schwerkrankes jüngeres Mädchen, das dann sehr bald starb. Die schmalzigen Dialoge zwischen Betreuerinnen und Ilse, Ilse und ihren Freundinnen und vor allem zwischen Ilse und der Todkranken (im ebenfalls lockigen Haar)taten ihre Wirkung. Ich schluchzte hemmungslos vor mich hin.

„Oh Ilse, ach du armes Kleines!“

Ich weiß nicht mehr, wann endlich ich die Weinarie beendete ...  Jedenfalls stellte ich erschrocken fest, dass mir nur noch zwei von vier Tempopaketen für eventuell noch nachfolgende sentimentale Überraschungen zur Verfügung stehen würden.

„Morgen kauf ich sofort neue!“

 

Dies war ein sehr weiser Entschluss, denn Ilse erhielt Tanzunterricht und verliebte sich. Als ob das noch nicht ausreichen würde, um mein Jungmädchenherz aufzuwühlen, erhielt sie noch zusätzlich die Nachricht von der Geburt eines Brüderchens:

„Schluchz, schluck!“

´Ob es wohl auch blondgelockt ist?`, fragte ich mich.

Die nächste Träne rollte.

Und es folgte, was ja gar nicht ausbleiben konnte. Ilse schmalzte ihren Schwarm an, er schmalzte und flötete in den höchsten Tönen zurück. Dann stritten sie sich, ich litt mit, schrie mit Ilse gemeinsam deren Wut auf ihn in diese bislang fast heile Welt, durchkämpfte mit ihr den inneren Kampf bis zur Versöhnung und wartete atemlos auf den erlösenden Kuss, der  auch prompt folgte.

 

Die Hochzeit dann ... Ilse im weitschwingenden, weißen Prinzessinnenkleid, er im Festtagsstaat, die unausbleibliche weiße Kutsche mit den prächtigen Pferden davor, das gehauchte ´Ja` und dazu noch der Kaiserwalzer ... Es tropfte regelrecht vor Schmalz und es war dermaßen wunderschön, dass es bei mir denn ebenfalls tropfte. Das Zimmer verschwamm mir vor den Augen. Es gab kein Halten mehr. Ich glaube, so sehr geheult habe ich später als Erwachsene nur, als meine Kinder zur Welt kamen. 

 

Ich habe dieses Buch mindestens zwanzig Male gelesen ...

 

 

       

     

 

   

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.04.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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