Sie wirkt so lebensfroh wie eine tote
Motte,
sang Reinhard Mey und ich
fühlte mich seltsam angesprochen.
Lieber wäre ich zwar Christine gewesen,
deren Rückkehr er liebend ersehnte.
Aber was solls, ich hatte in dem Spiel die
Arschkarte gezogen und wer, außer mir,
kannte schon Meys Liedertexte.
Colin sicher nicht, sein Musikgeschmack
rollte
auf anderen Gleisen und eines war
leider auch sicher, mein Gefühlsleben
schien nichts zu sein, das sein leidenschaftliches
Interesse geweckt hätte.
Als ich ihm gestand, wie sehr er mich und
meine Sehnsüchte erregte,
hatte er nur lakonisch gemeint, halt die
Klappe
Kleines, sonst kommst Du nur durch
den Lieferanteneingang in den Himmel.
Er nahm mich nicht ernst und würde es
nie tun, denn ich war fünfzehn und meine
Nebenbuhlerin, die flotte Betty, stolzierte
jeden Morgen wie die Sünde persönlich,
frisch gestylt und verführerisch an mir
vorbei, bereit, und leider auch in der Lage,
Colin mehr als nur die Augenbraue heben zu
lassen.
Immerhin war sie siebzehn, zwei Klassen
über
mir und hätte ich versucht, sie nachzuahmen,
hätte mein Vater mal wieder seinen
Lieblingsspruch
vom Stapel gelassen mit dem er
jede meiner Verfehlungen – und die waren
zahlreich
– zu kommentieren pflegte.
Er kräuselte dann in seiner unnachahmlichen
Art die Stirn und gab zu bedenken,
er werde mich enterben, sobald sein
Kontostand
so beschaffen sei, dass die Enterbung Sinn mache.
Das nahm ich dann wieder nicht allzu ernst,
denn Väterchen war zwar liebenswert, aber andauernd pleite.
Viele Jahre später hat mein Anblick zwar
die älteren Semester dazu verführt,
sich wie liebeskranke Gockel aufzuführen.
Aber das war zu diesem Zeitpunkt noch eine
Erfahrung, die schlecht vorstellbar war.
Neunzehnjährige wie Colin pflegten mich
entweder nicht wahrzunehmen,
oder sie beauftragten mich allenfalls, den
Laufburschen für sie zu spielen.
Ich war absolut sicher, irgend etwas an
diesem
ganzen System das mich so benachteiligte,
konnte nicht stimmen .
„Zwei Seelen ein Gedanke“, die heisere
Stimme
in meinem Rücken ließ mich nicht
einmal herum fahren.
Das war mein nerviger, pubertärer Verehrer
Marvin, der in diesem absonderlichen
Karussell der Gefühle den Part eines
Clowns übernommen zu haben schien.
Er umkreiste mich pausenlos, obwohl ich nie
einen Zweifel daran ließ,
dass er für mich so attraktiv war wie
eine ausgenommen Makrele.
„ Das wüsste ich aber,“ entgegnete ich
gelangweilt.
"Dass wir beide dasselbe denken, ist wohl
ungefähr so wahrscheinlich
wie die Möglichkeit, dass du bis zum
Schulball noch deine Akne los wirst und außerdem,
mit nur einem Gedanken bei beiden kann da
aber nichts abgehen,
was auch nur entfernt nach geistigen
Höhenflügen
klingt.“
Ich war grausam in diesem Moment und
wusste
es.
Aber das Bedürfnis, auch einmal
auszuteilen,
anstatt immer nur einzustecken, war unüberwindlich.
Außerdem konnte man Marvin nicht wirklich
beleidigen, er hatte echte Nehmerqualitäten.
Ihn würde ich nicht mal dann loswerden,
wenn er mich bei einer Sexorgie mit der gesamten
Eishockeymannschaft
der Schule erwischt hätte.
Marvin war für mich eine Art
Sparringspartner.
An ihm erprobte ich meine Schlagfertigkeit,
wohl wissend, dass es mir nie gelingen würde, auf die gleiche Weise
Colin zu beeindrucken.
In dessen Gegenwart neigte ich eher
dazu, in
dümmlicher Bewunderung saublöde
Sachen zu sagen, die mich nun wirklich
nicht
in den Verdacht geraten ließen,
mit überragender Intelligenz gesegnet
zu sein.
Marvin dagegen schnalzte bei meinen
Retourkutschen
anerkennend mit der Zunge .
Niedergemacht zu werden gehörte zu seinen
liebsten, masochistischen Sehnsüchten,
er war schon etwas seltsam dieser picklige
Siebzehnjährige.
„Das Leben fließt nicht rückwärts
und verweilt auch nicht im Gestern,“ deklamierte er.
Marvin hatte mal wieder die
bedeutungsschwangere
Tour drauf und ich verspürte nicht
die geringste Lust, mir erklären zu lassen,
was er damit meinte.
Außerdem würde er es mir auch
unaufgefordert
sagen, er ließ sich selten
von seinen Tageszielen abbringen.
Genau so gut hätte ich versuchen können,
einen Frosch am Weitsprung zu hindern,
als Marvin daran, seine Aphorismen in die
Gegend zu posaunen.
„ Ich würde ja sagen, Dein Bart wächst
schneller als Dein Verstand,“ sagte ich giftig,
„aber wie ich sehe, glänzt bei Dir ohnehin
beides durch Abwesenheit.“
„Kleines,“ sagte Marvin mit aufreizender
Geduld,
„ wann endlich wirst Du begreifen,
dass der Kerl Dich nicht so sieht wie ich.
Ich erkenne, dass Du schon in zwei Jahren
die Beauty der gesamten Schule sein wirst,
die Sex aus jeder Pore verströmt.
Aber dieser sportgestählte Dummkopf ist
Deiner nicht würdig.
Eine wirkliche Schönheit hats nicht nötig,
sich aufzubrezeln wie ein optischer Selbstbedienungsladen.
Qualität wie Du, braucht Bestätigung
durch Männer wie mich.“
Er gluckste vernehmlich und ich brach in
Gelächter
aus.
Er hatte es mal wieder geschafft dieser
Klassenclown.
Ich hakte ihn fröhlich unter und
einträchtig
marschierten wir in Richtung Sporthalle.
Marvin, um sich dort mal wieder bestätigen
zu lassen, dass er nie eine Chance haben würde,
weder bei mir, noch im Leistungssport und
ich, um erneut zu versuchen,
als Chearleaderin des Eishockeyteams
aufgenommen
zu werden.
Die Vorstellung, damit Colin, dem As der
Truppe,
beim sonntäglichen Match
möglichst nahe zu sein, erfüllte
mein ganzes Denken, ich sah mich schon träumend
als Chearleader Nummer eins und meine Beine
sollten ihn nach Möglichkeit um den Verstand bringen.
Die Tatsache, dass Vater gestern noch
durchaus
liebevoll erklärt hatte,
ich stakse wie ein Fohlen durch die Gegend,
verdrängte ich erfolgreich.
Leider bestimmte Betty die Besetzung des
freien
Chearleaderpostens und das bedeutete,
ich wurde von oben bis unten gemustert, als
sei ich eine ganz besondere Sorte Kakerlake
und dann sagte sie geringschätzig, „Baby,
mit zwei Erbsen auf dem Brett kannst Du
bei uns keine Karriere machen, bei Dir wäre
ja sogar ein Wonderbra vergebene Liebesmüh.
Versuchs in zwei Jahren noch mal,
vorausgesetzt,
Du siehst bis dahin menschlich aus.“
„Okay“, sagte ich. „ich kann warten,
zumal
die Aussicht,
Du bestimmst in zwei Jahren hier noch über
Zu-und Abgänge, wohl bei Null anzusiedeln ist.
Bis dahin bist du unter jeder Garantie
völlig
aus dem Leim gegangen,
die Ansätze zum Doppelkinn sind ja schon
deutlich sichtbar.“
„Freche Kröte,“ kreischte Betty und ich
entwischte durch die Tür des Umkleideraumes, ehe sie ihre Schuhe als
Wurfgeschoss benutzen konnte.
Am nächsten Tag schritt ich zur Tat.
Ich meldete mich im Institut für Modern
Dance von Miß Pringle an,
fest entschlossen, meinen Körper auf
tänzerische Höchstleistung zu trimmen
und ebenso bereit, Väterchens Sprüche
über den aufgehenden Stern am Familienhimmel gelassen zu erdulden.
Ich würde es ihnen allen zeigen.
Zwei Monate später hatte sich bereits
vieles geändert.
Nein, ich war nicht die Beauty geworden,
die
Marvin angekündigt hatte und meine
Körbchengröße war immer noch
dazu angetan milde verschwiegen zu werden.
Aber ich war fit wie ein Turnschuh und Miß
Pringle mehr als bereit, mich den
jungen Formationstänzern zuzuteilen,
die dauernd Nachwuchssorgen hatten.
Und dabei erlebte ich dann die Überraschung
des Jahres.
Marvin.
Lächelnd kam er in den Übungsraum
geschlendert.
Ehe ich ihn anfauchen konnte, wieso er mir
schon wieder auf den Fersen sei,
stellte er sich in die Mitte der Tanzfläche
und machte ein paar sehr elegant wirkende Schritte.
„Bevor Sie sich entscheiden,
Formationstänzer
zu werden meine Damen und Herren,
verinnerlichen Sie zunächst einmal, welche
Voraussetzungen dafür unabdingbar sind.
Sie sollten:
- Taktgefühl mitbringen
- über Disziplin verfügen
• Begeisterungsfähig sein
• Teamfähig sein
• pünktlich sein
• niemals dem Trainergott widersprechen
• über eine solide Basic verfügen
• jederzeit für Showauftritte zur Verfügung
stehen
• den Willen haben, kein Training zu
versäumen
• über ausreichend Kondition verfügen
um
.7 min. maximale Leistung zu bringen und
dies
mindestens 4 mal hintereinander
ohne Pause
zu wiederholen.“
Marvin lächelte freundlich, dann sah er
mich direkt an und ergänzte grinsend;
„Aber wer ist schon perfekt, es reicht
also,
wenn Sie sich bemühen, etwaige fehlende Eigenschaften auf dieser
Liste unbedingt nachträglich zu erwerben und dabei werde ich Ihnen
helfen.
Die Neuen klatschten erheitert und mir blieb der Mund offen stehen, denn alles hätte ich hinter Marvin vermutet, aber mit Sicherheit keinen Formationstänzer und schon gar keinen, der selbst Unterricht erteilte.
Er war gut, nein, er war ein
Supertalent.
Leider aber auch ein erbarmungsloser
Schleifer.
Nicht selten lag ich nach dem Training in
meinem Bett und weinte vor Erschöpfung.
Muskelkater wurde zu einem
Langzeitbegleiter
und ich hatte bis zu Marvins Schulungsprogramm nicht einmal geahnt, wie
viele Knochen in einem Körper gleichzeitig schmerzen konnten.
Aufgeben hat noch nie zu meinen
hervorstechendsten
Eigenschaften gehört, aber hier war ich oft nahe an der
Kapitulation.
Ich litt in den ersten Monaten Höllenqualen
und fand mich bewegungstechnisch auf unterster Stufe.
Wenn Marvin unnachahmlich elegant die einzelnen Formationen tanzte, stand ich total erschöpft am Rand der Tanzfläche und vermutete, eher werde die Welt untergehen, als dass ich fähig würde, die Figuren auch nur annähernd mit der gleichen Präzision und Leichtigkeit zu wiederholen.
Er war ein tänzerischer Halbgott und ich
eine magere, unbewegliche Brumme, zwar ehrgeizig wie ein Olympionike, aber
mir
schien das tänzerische Talent völlig abzugehen.
Marvin ließ sich nicht erweichen, er
saß mir im Nacken wie eine Horde Zecken.
Bezeichnungen wie teuflischer Sadist, oder
„ Du Alptraum meines Daseins,“
ließen ihn höchstens noch rigoroser
durchgreifen, er wollte die beste Truppe und...er bekam sie.
Das Leben sei kein Zuckerschlecken,
heißt
es, aber als Formationstänzer, so dachte ich,
dürfe ich genau das, verbrauchte Energie
durch Zuckerzufuhr ausgleichen.
Eine der genussvollsten Tätigkeiten auf
diesem Planeten, wie ich fand. Ich handelte danach.
Das beinharte Training verhinderte, dass
ich
alsbald aus allen Nähten platzte.
Im Gegenteil, so viele Kalorien wie Marvin
uns allen viermal wöchentlich erbarmungslos entzog, hätte ich nicht einmal per
Dauer-Fressattacke
wieder aufnehmen können.
Leider erwischte Marvin mich irgendwann,
genussvoll
schmatzend, bei der Vernichtung
von gleich zwei überdimensionalen
Sahnebechern
im Krokantmantel und tobte.
„Bist du wahnsinnig, so wirst du nie die
leichtfüßige
Eleganz zum Formationstanz
erreichen, das lässt du bleiben, oder
ich schmeiße dich aus dem Team.“
Meine Bedenken, völlig vom Fleisch
gefallen,
sei ich aber lediglich noch ein Hungerhaken
in Tanzschuhen und so attraktiv wie Kate
Moss
im ausgeleierten Badedress meiner Großmutter,
fegte er wütend beiseite.
Er stellte für mich einen zwar
supergesunden,
aber leider so gar nicht süßen Ernährungsplan auf.
„Was? Ich soll mir die Teilnahme an
diesem
Folterprojekt erhungern?
„Du kannst mich mal,“ fauchte ich.
„Ich werde niemandem erlauben, mir
dergestalt
jegliche Lebensfreude abzuwürgen, schleich Dich.
Solange meine Oberschenkel noch keine so
innige
Verbindung eingehen, wie ein Liebespaar kurz vorm Koitus,
solange
bleib mir mit deinen Diäten vom Leib.
Es sei denn, eine davon lässt, entgegen
jeder Erwartung, die Hüften dahin schmelzen und den Busen
schwellen.“
„Ja,ja, ich ahnte es,“ Marvin lächelte,
„für zwei Melonen-Titten würdest du sogar drei Tage die Woche Nulldiät akzeptieren.
Aber bei diesem Hobby, das immerhin einmal
Beruf werden kann, ist nun mal die Äpfelchengröße
ideal.
Sieht erheblich besser aus als zwei
Supermöpse,
die man vor jedem Auftritt festnageln muss, damit sie nicht aus dem
Dekollete
hüpfen.“
Ich gab es erschöpft auf, um meine
Eisbecher
zu kämpfen, aber nicht ohne auf einer Gegenleistung zu bestehen.
„ Ich schloss mit Marvin einen
Sechsmonatspakt.
Jeder Nahrungskrümel sollte ab sofort
für uns beide aus der Palette
**Wir schwitzen Gesundheit aus allen Poren**
stammen und jede Verletzung dieses Abkommens würde unnachsichtlich mit Doppeltraining bestraft.
Nach sechs Monaten erbarmungslosen
Drills glitt
ich in die einzelnen Tanzschritte,
anstatt hineinzutapsen.
Ich schwebte, der Spaß an der Bewegung
erreichte euphorisches Ausmaß, ich sah mich in den Spiegeln des
Übungsraumes
und was ich da sah, war wundervoll.
Haltung, tänzerische Anmut, sportlicher Anspruch, es stimmte alles.
Lohn der Mühe, Marvin teilte mich für meinen ersten öffentlichen Auftritt in der Juniordisziplin ein und da endlich wusste ich, ich war in der Welt der Formationstänzer angekommen und....aufgenommen.
Für Marvin aber gab es ebenfalls eine Belohnung.
Zum ersten Mal seit ich ihn kannte, war
seine
Haut rein wie ein frischer Pfirsich und siehe da, die weiblichen Teammitglieder
wetteiferten noch mehr als zuvor, ihn als Partner zu bekommen.
Ein Unterfangen, das allerdings nicht zu
ertrotzen
und nicht zu erschmeicheln war, denn Marvin tanzte immer nur mit der Besten
aus der Gruppe.
Nein, die war ich noch nicht.
Aber wir beide sahen einander an und wussten, der Tag würde kommen, an dem wir beide das Juniorenteam anführen und jeden Wettbewerb gewinnen würden.
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Der Beitrag wurde von Lieselore Warmeling auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.04.2010.
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von Franz Supersberger
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