“Na ja, man ist immer so alt wie man sich fühlt,”
“Ach wirklich,” sagte ich mürrisch, “dann
bestelle für
mich schon mal den Abdecker,
das
ist heute
nicht mein Tag. Ich fühle mich wie sechs Meilen schlecht geflickter
Zaun.”
Das kurze Gespräch mit meiner Kollegin
Britta
hinterließ eher einen faden Beigeschmack.
Sie gefiel sich mal wieder in Allgemeinplätzen und das
war bei ihr
das deutliche Zeichen dafür,
dass
sie
uninteressiert war, ob an mir oder an meiner Situation, das konnte ich
mir im
Moment aussuchen.
Auf alle Fälle
sah sie
nicht so aus, als würde sie nach Feierabend meine Matratze
mit mir teilen wollen und ich sah schon
einen
weiteren Fernsehabend mit
Alk-Exzess
auf
mich zukommen.
Es sei denn, es
gelang mir,
die Kleine aus der Postabteilung bis Dienstschluss
davon zu überzeugen, dass ich schon immer scharf auf
sie war und
bisher nur zu
schüchtern gewesen
sei, sie
anzubaggern.
Um das zu glauben,
musste sie
allerdings ihre bisherigen Erfahrungen mit mir aus
der Sparte geiler Yuppie in die Abteilung schüchterner
Lover
verlagern
und dazu mochte
vielleicht sogar
sie etwas zu clever sein.
Wie schon erwähnt, es war ein beschissener
Tag. Mein
Boss hatte mir
gerade die
Betreuung eines
Millionen-Werbeauftrages entzogen um ihn
gänzlich unerwartet seinem bescheuerten Neffen
zuzuschanzen. Die
Tatsache, dass
ich dennoch
derjenige sein
würde, dessen Ideen das Projekt zu einem Erfolg machen
sollten, war auch nicht dazu angetan, meinen Glauben an
die
Gerechtigkeit der
Arbeitswelt zu
festigen.
Neffe Friedbert war eine taube Nuss, eines
eigenen
Einfalles ungefähr so fähig
wie
eine
Magersüchtige zum Schwingen ihrer Hüften.
Dennoch war er diesmal der Projektleiter und mein
Ersteinfall, ihn
gnadenlos
auflaufen zu lassen,
wich der
logischen Überlegung, dass ich das zwar durchziehen
konnte, aber dann selber auch nicht ungeschoren
davonkommen
würde.
Als Trostpflaster der besonderen Art stand
Britta also
heute nicht zur Verfügung
und
wenn ich
Mimik deuten konnte, war sie gerade dabei, eine Attacke
auf Neffe Friedbert zu starten.
Britta war eine ganz Fixe. Sie brauchte nicht lange um
zu
erkennen, dass er die
besseren
Verbindungen zur Firmenspitze aufweisen konnte, was natürlich einem
zwar grenzgenialen, aber promiskuitiven
Werbetexter
wie mir, vorzuziehen war.
Zumindest
dann,
wenn man bereit war, ein fliehendes Kinn, Basedowaugen und
eine Kastratenstimme zu akzeptieren.
Ganz zu schweigen davon, dass Friedbert
wahrscheinlich eine Wagenladung
Viagra
brauchen würde, um sein Blut durch die verkalkten Adern
in Richtung Penis zu schleusen.
Er gehörte zu der Sorte, die schon alt auf die Welt
kommt und
danach waren
auch seine
kreativen
Einfälle.
Doch was nützte mir das alles.
Die Weichen für meinen Aufstieg waren - anscheinend
unbemerkt von
mir -
in einem imaginären
Stellwerk soeben
umgeschaltet worden und wenn ich
nicht
höllisch aufpasste, würde der Zug in dem ich saß im Nirgendwo enden.
Friedbert meine Einfälle zu verweigern würde
also
höchstens mein Arbeitsverhältnis
bei
KRE-DO etwas abrupt beenden und was das heutzutage bedeutete konnte ich
mir
ausmalen.
Ich würde mein teures
Loft
aufgeben müssen.
Der Ferrari,
den böse
Zungen meine Abschleppfalle nannten, wäre ebenfalls nicht mehr zu halten
.
Und die Anzüge von ARMANI
mussten
solchen mit dem Label von C&A weichen.
Kurz und gut, der soziale Abstieg wäre vorprogrammiert
Meine Individualität konnte ich mir
demzufolge ins
noch volle Haar schmieren,
Friedbert
und
sein Gönner saßen am längeren Hebel.
Meine Erwartungen waren mal wieder voll auf
der
Strecke geblieben, oder gerade
nicht
kompatibel mit denen meiner Umwelt, wie immer man es sah.
Und jetzt?
Aufgeben, mich anpassen, abfinden mit den Gegebenheiten
dieser
mörderischen Branche?
Ich doch
nicht.
Immerhin waren meine
Erwartungen ja
nicht zum erstenmal baden gegangen.
Ich
war jetzt fünfunddreissig und allzu lange lag die Zeit noch nicht
zurück, in
der
ich mich fragte, ob
Erwartungen
überhaupt je erfüllt werden.
War es nicht pure Gerechtigkeit, wenn dem
nicht so
war?
Denn wie kommt die Welt
dazu, meine
Erwartungen zu erfüllen, wenn ich die
ihren in schöner Ignoranz links liegen lasse?
Mit Vierzehn erwartete ich, es würde nicht
mehr lange
dauern, und irgend ein
schlauer
Kopf
entwickelt innerhalb des Projektes "Jugend forscht" eine Art
Tarnkappe, mit der ich im
Mädchenumkleideraum
auftauchen und Verwirrung stiften könnte.
Nur Verwirrung?
Na
ja, meine
knabenhaften, frühpubertären Schübe waren damals noch nicht
so weit, sich auf mehr festlegen zu
lassen.
Meine Schwester Lisbeth
hingegen,
zwei Jahre älter als ich, hatte da schon
erheblich mehr auf der Pfanne gehabt.
Sie war Cheerleaderin, schmiss ihre wogenden Locken
jeden Sonntag
beim
Eishockeyspiel der zweiten
Liga
aufreizend über die Schulter, die Beine
fast genauso hoch, und erwartete, endlich einmal von
dem
flachbrüstigen Reporter
bemerkt zu
werden.
Der aber war nur
gekommen, das
Spiel zu beurteilen.
Eine
Schlagzeile im
Sportteil, wäre das nicht der Gipfel aller Erwartungen?
Und in der Zwischenzeit entbrannte sie damals pausenlos
für irgend
einen
unterbelichteten
Scheisser, einer
pickeliger und unbedarfter als der andere,
und keiner von ihnen schien ihre Erwartungen auch nur
annähernd
erfüllen zu können.
Es waren
ausnahmslos
hirnlose Vollkretins, die sich die Hände an ihrem
Liebesfeuer wärmen wollten, und das machte Lisbeth
irgendwann
aufmüpfig:
Sie beschloß ins
Kloster
gehen!
"Weisst du eigentlich," sagte Mutter
gelassen am
Frühstückstisch,
"dass man bei
den
Ursulinerinnen immer noch die Haare abschneiden muss?
Die erwarten eine völlige Loslösung von weltlichen
Eitelkeiten,
vielleicht solltest
du doch
lieber Missionarin in China werden, da kannst du
dann die Haare bis zur Kinnlänge behalten."
Ab diesem Tag war "Kloster" kein Thema
mehr, und
Lisbeth`s Erwartungen
an die
Zukunft
müssen sich rapide verändert haben, denn sechs Monate später
wurde sie schwanger, heiratete einen
Klempner und
stellte ihre Erwartungen künftig an diesen.
Ich war damals siebzehn und wartete darauf,
in einem
Jahr zum Bund zu kommen.
Es
schien mir
außer Frage zu stehen, dass jemand mit meinen strammen
Einsneunzig, dem durchtrainierten Body eines
Brustschwimmers der
Kreisklasse,
nebst der
Erwartung,
mindestens Offizier zu werden, nur dort die
wirkliche Karriere machen würde.
Würde...denn bei der Musterung stellte sich
dann
heraus, dass ich einen
- wenn
auch
geringfügigen - Herzfehler hatte, und Plattfüsse obendrein.
Meine Sicht auf mich selbst erlitt einen
rapiden
Einbruch, und ich entschloss
mich
etwas
plötzlich, den Kriegsdienstverweigerer zu spielen, denn meineInvalidität nach aussen zu kehren, also
nein, das
konnte nun niemand erwarten.
Zumal
ich
gerade die Superblonde aus dem Maritime umwarb und mich
drei Schritte vor ihrer Kapitulation wähnte.
Leider war auch das dann eine Erwartung, die
sich
nicht erfüllte.
Sie heiratete
ihren Boss,
den Besitzer vom Maritime, und stand ab sofort
nicht mehr hinter der Bar, sondern sauste im roten
Ferrari, den
linken Arm
lässig aus dem
offenen Fenster
hängend, durch die Innenstadt, hinter sich
eine Wolke von Benzin und teurem Parfüm.
An Herz und Geist gebrochen beschloss ich,
mich nun
meinem
beruflichen Aufstieg zu
widmen.
Für den direkten
Einstieg - in
was, wusste ich noch nicht - stand die Aussicht,
bald soviel Penunzen zu verdienen, dass ich mir
mindestens zwei
Ferraris würde leisten können.
Für eine fundierte Ausbildung sprach der
Rest.
Der Rest gewann, zumal
mein Vater
seinerseits seine Erwartungen an mich daran knüpfte.
Wenn ich also das Problem von allen Seiten
betrachte,
hatte ich bis dahin
eigentlich
doch in
schöner Regelmässigkeit irgendwelchen Erwartungen
entsprochen, kein Wunder, dass ich nach dem Abitur
beschloss, der
Welt ab
sofort zu sagen, was ich
von ihr
erwartete - und das war nicht wenig .
Ein Scheitern zuzugeben schien also auch
jetzt absolut
verfrüht,
meine Stunde würde
wieder
kommen. Ich musste mich nur daran erinnern,
dass es unkonventioneller Mittel bedurfte, in der Welt
der Werbung
an die Spitze zu gelangen.
Immerhin war ich frech und unbekümmert
direkt einen
Tag nach dem
Abitur in das
größte
PR-Unternehmen der Hauptstadt getigert und hatte
mich und meine Dienste angeboten.
Und das nicht etwa beim Personalchef des Unternehmens,
sondern
beim
Vorstandsvorsitzenden und
seinem
Team.
Ein reines Versehen, aber wo wäre man ohne das berühmte Quäntchen Glück?
Ich war einfach hinter der jungen Frau mit
dem
beladenen Servierwagen hergetapst,
die im
elften Stock des Hochhauses über den mit flauschigem Belag
ausgestatteten Flur stakste und aussah, als
sei sie
der Traum meiner schlaflosen Nächte.
Blond, superschlank und mit Beinen, die einen Eremiten
aus
seiner
selbstgewählten
Verzichtshaltung
reißen konnten.
Ich war mit meiner sorgsam
zusammengestellten
Bewerbungsmappe mitten
in einer
Vorstandskonferenz gelandet und traf auf eine Runde gut gelaunter,
distinguierter Herren, die sich in
Erwartung eines
zünftigen kulinarischen
Pausenfüllers
einen Spaß daraus machten, diesen jungen unverschämten
Gipfelstürmer zwischen Champagner und Kaviarhäppchen
reden zu
lassen.
Und reden konnte ich.
Eine Chance dieser Art muss man nutzen und
das tat ich
und befand mich
zwei Stunden
später auf
der Einstellungsliste des Konzerns.
Von da
an gings bergauf, wenn auch noch nicht sofort.
Ich diente mich in Rekordzeit durch die weniger
bedeutenden
Abteilungen
des Hauses, den
erwartungsvollen Blick aber immer auf die sogenannte
Kreativschmiede im zehnten Stock gerichtet.
Dahin wollte ich, koste es was es wolle.
Es kostete zwei Jahre hochgespannter
Erwartungen. Dann
begriff ich.
Mit der Methode
würde ich
wahrscheinlich noch in weiteren zehn Jahren
die Post durchs Haus tragen, oder die Konferenztische
betreuen.
Und an denen nahmen
selten genug
Leute Platz, deren Einfallsreichtum
sich
mit meinem messen konnte.
Die
meisten
waren Zuträger, nicht übel, aber keine Genies.
Ich handelte.
Schon vierzehn Tage nach meiner plötzlichen Einsicht
hatte ich
Thea,
die Sekretärin des
Kreativ-Direktors
erobert.
Eine nicht mehr ganz
taufrische
Brünette, die in der Folge nicht nur an mir
hing wie eine Klette, sondern mir auch alle
Informationen zu
anstehenden Projekten lieferte.
Bedenken, durch die Hintertür Karriere zu
machen,
plagten mich keine Sekunde.
Ich
fand, wer
Thea fast allabendlich zu Stürmen der Leidenschaft hinriss,
hatte jede Unterstützung auf seinem
beruflichen Weg
verdient.
Als Thea dann meinen Entwurf unter die
Vorlagen aus
der Kreativschmiede
schmuggelte,
hatte ich
bereits alle anderen Entwürfe vorher eingesehen
und wusste worüber der Oberboss und seine Auftraggeber
intensive Besprechungen geführt hatten.
Kurzum, mein Entwurf entsprach genau den
daraus
resultierenden Erwartungen.
Sieg
auf der
ganzen Linie.
Schon zwei Tage später räumte ich meinen
Schreibtisch
im Großraumbüro
und zog in ein
schönes
eigenes Nest im zehnten Stock, rechts und links neben
mir all die bisher nur aus der Ferne bewunderten
Ideenlieferanten
des Hauses KRE-DO.
Die Liaison mit Thea hielt noch ein ganzes
Jahr.
Dann fand ich mich
etabliert, saß
fest im Sattel und wurde zu den Gartenfesten
meines Bosses eingeladen.
Es war an der Zeit mir auch eine
entsprechende
weibliche Begleitung zuzulegen.
Nachdem
dieser fette Knilch mir jedoch diese wechselnden Retortenschönheiten
immer öfter auszuspannen pflegte, wozu er
nicht
selten Grosseinkäufe beim
Juwelier
starten
musste, achtete ich darauf, mit keiner mehr eine längere
Beziehung einzugehen.
Ich warf mein eroberungsbereites Auge
stattdessen auf
seine Ehefrau Tilda,
eine
wunderschöne
Rothaarige mit Bernsteinaugen.
Gefährlich?
Das sah ich erst
einmal nicht so.
Aber nach Lage
der Dinge
konnte ich jetzt nicht mehr ausschließen,
dass mein Boss dahinter gekommen war und die Beförderung
von
Friedbert seine Antwort
darauf war,
dass Tilda nicht mehr mit ihm schlief.
Feuern konnte er mich nicht, denn meine
Gönner im
Vorstand würden ihm
derartige
Alleingänge
nicht durchgehen lassen.
Ich hatte in den Jahren meiner
Firmenzugehörigkeit
einen fast legendären
Ruf als
sprudelnder
Ideenlieferant der Sonderklasse erworben und
verdammt noch mal, den hatte ich mir auch redlich
verdient.
Der Vorstand
jedenfalls würde
nicht zulassen , dass der neue Millionenauftrag
durch die illegale Verstrickung unser beider Liebesleben
gefährdet
wurde.
Am Ende dieses ereignisreichen Tages fühlte
ich mich
auf bisher unbekannte
Weise
ausgepowert
und beschloss, meine exzessive Lebensweise etwas zu drosseln.
Ich würde es mir in meinem großzügig
eingerichteten
Loft behaglich machen,
vielleicht
mal
wieder selber kochen. Eine zünftige Pasta, ein bisschen Rotwein
und der Fernseher, das musste für heute
reichen.
Und dann saß ich doch nur noch erschöpft auf
dem
weißen Designersofa und
fühlte
mich zu
nichts mehr aufgerufen.
Keine
Pasta, kein
Rotwein, mir war, als sei eine Sommergrippe im Anmarsch.
Ich würde mit zwei Aspirin ins Bett gehen und diesen
beschissenen
Tag verschlafen.
Er war ohnehin
gelaufen
und ich nicht gerade der Tagessieger.
Ich erwachte mitten in der Nacht und es
dauerte zwei
Sekunden ehe mir bewusst war,
was
mich
aufgeweckt hatte.
Ein
infernalischer
Schmerz im linken Brustbereich.
Schweißausbruch,
Panik.
Stöhnend wälzte ich mich aus dem Bett in
Richtung
Telefon, absolut sicher,
dass
ich auf der
Stelle Hilfe brauchen würde.
Es
gelang mir
noch den Notruf zu aktivieren, bevor ich beim Öffnen meiner
Lofttür zum Fahrstuhl jede Orientierung
verlor.
Leider öffnete sich die Tür als der Lift
noch zwei
Etagen unter meinem
Lofteingang
stand.
Die Mechanik fiel zum
wiederholten
mal aus, etwas, das ich schon lange beheben lassen wollte.
Ich stürzte in den Schacht und landete auf
dem
Liftdach. Meine Lichter gingen aus.
***
Wie
aus
weiter Ferne drangen Stimmen an mein Ohr, ohne dass ich zunächst
fähig gewesen wäre, den Sinn der Gespräche
zu
erfassen.
Ich war absolut
schmerzfrei und
tiefe Dankbarkeit erfüllte mich.
Ich
kämpfte mich mehr und mehr an die Oberfläche meines Bewusstseins und
nun
konnte ich, obwohl meine
Augen noch
geschlossen waren, zumindest hören was gesprochen wurde.
“ Armer Kerl,” sagte eine weibliche Stimme,
“der ist
wohl fertig.
Professor Klittel
gibt ihm
wenig Chancen.
Der Schlaganfall
war gar
nicht so bedeutend, aber bei dem Sturz auf das Liftdach hat er sich eine
Rückgratverletzung
zugezogen.
Die Gefahr
einer Querschnittslähmung ist noch nicht ausgeschlossen.”
“Dann erwarte ich aber, dass der Professor
dem
Patienten diese Nachricht selbst beibringt.
Ich bins leid, immer seine Arbeit zu übernehmen, während
er sich
als der große
Helfer und Heiler
bewundern
lässt.” Der männliche Sprecher klang ungeduldig und aufgebracht.
Nein, da konnte nicht von mir die Rede sein.
KEINESFALLS.
Mühsam öffnete ich
die Augen
und starrte die beiden Personen neben
meinem Bett wütend an.
Die
weibliche Person war ungefähr in meinem Alter, vollschlank aber nicht
dick,
sondern das, was Männer
als
*handfest* zu bezeichnen pflegen.
Die
Formen unter dem weißen Kittel schienen mir durchaus ansprechend,
schön aber waren Augen und Haare.
Der weizenblonde Zopf hing schwer und
glänzend bis
zur Hüfte und die
tiefblauen
Augen sahen
mich unangenehm überrascht an.
Der Mann war klein, mickrig und das
übelnehmerisches
Gesicht schien Standard
bei ihm
zu sein.
Auch er wandte sich mir eher überrascht zu, als habe er nicht
erwartet, mich schon wieder unter den
Lebenden zu
finden.
Die Ärtzin fasste sich zuerst. Freundlich
lächelte sie
mich an und die schönen
Zähne in
dem
leicht gebräunten Gesicht blitzten .
“
Hallo Herr Grünert, da sind Sie ja wieder, wie fühlen Sie
sich”.
“Top wäre gestrunzt,” antwortete ich...NEIN,
ICH
WOLLTE ANTWORTEN.
Aber
undeutliches
Gestammel kam aus meinem ausgetrockneten Mund.
Ich versuchte es erneut, während Panik bereits alles in
mir
überflutete.
“ Langsam,
langsam,” sie
griff nach meiner linken Hand.
Jetzt flippte ich völlig aus, denn ich sah
zwar, dass
sie meine Hand hielt,
aber ich
fühlte es
nicht.
Der Schreck war gewaltig und ich unfähig,
ihn in Worte
zu fassen.
Mit einem
unartikulierten Laut
des Schreckens griff ich mit der Rechten hinüber
und riß meinen linken Arm hoch, der an mir hing wie
etwas, das
nicht zu mir gehörte.
“ Er weiß Bescheid “, die Ärztin zog blitzschnell eine Spritze auf, die sie mir geschickt und rasch injizierte.
Unvermittelt schien
alles, was um mich herum geschah, bedeutungslos zu werden.
Mein Bewusstsein wehrte sich noch kurz
dagegen, auf
diese Weise
ausgeschaltet zu
werden, aber
der Kampf ging verloren, ich trat weg.
„Was ist Aphasie?“
Das war die Stimme meines Bosses, die da gedämpft an
mein Ohr
drang.
Ich kehrte zurück aus dem
Land der
Sorglosen.
„Aphasie ist Verlust der normalen
Sprachfähigkeit
durch Schlaganfall oder Unfall.
Es
kann
allgemein mit dem Wort "Sprachlosigkeit" übersetzt werden .
Dieser Begriff wird aber nur für
Sprachstörungen
verwendet, wenn der
Betroffene
seine
normale Sprachfähigkeit durch einen Schlaganfall oder
einen Unfall verloren hat. Es gibt sehr große
Unterschiede.
Störungen bei
Aphasie können
massiv und bleibend, aber auch reparabel sein.
Oft sind sprachliche Fähigkeiten lediglich
eingeschränkt, z. B.
das Finden der richtigen Wörter.
Es
ist
aber auch möglich, dass das gesamte Sprachverständnis verloren
ging.
Aphasiker sind nicht geistig behindert.
Die Sprache ist gestört, nicht das Denken
und Wissen
der Betroffenen.
Aphasie hat
nichts mit
geistiger Behinderung zu tun.
Die
Betroffenen können Zusammenhänge begreifen und
die Realität wahrnehmen, sie haben lediglich die
Fähigkeit
verloren, sich
sprachlich
mitzuteilen.
Dies wird oft als
"Kerker der
Sprachlosigkeit" beschrieben und ist für die
Betroffenen besonders quälend.
Sie denken, verstehen und fühlen, können sich aber nicht
mitteilen.
Sprechen Sie also mit
dem
Patienten, wie sie es tun würden, wenn er sich
nur ein Bein gebrochen hätte.“
Die blonde Ärztin sprach, als sei es ungeheuer
wichtig, meinem Besucher die Art meiner
Erkrankung zu
verdeutlichen.
Na fein dachte ich wütend, und versuchte die
beiden
Personen, die neben
meinem Bett
standen zu
ignorieren.
Ich hielt die Augen
weiter
geschlossen, nicht bereit, meinem Boss mehr zu gönnen,
als den Anblick eines schlafenden Mitarbeiters.
Es kam ja gar nicht in Frage, dass er mich
als
stammelndes und weitgehend
bewegungsloses
ETWAS wahrnahm.
Ich würde meine
Situation
zunächst einmal für mich zu klären haben, ehe ich zuließ,
dass die Leute aus meinem beruflichen
Umfeld Mitleid
oder Schadenfreude raushängen ließen.
Das
würde je nach Veranlagung und meiner Beziehung zu ihnen durchaus
unterschiedlich sein, aber was Rottenhuber,
meinen
Boss betraf, war mir völlig klar,
dass er
triumphieren würde.
Er war mich
losgeworden, ohne sich mit dem Vorstand anlegen zu müssen.
Zumindest wähnte er sich gerade in dieser
begrüßenswerten Situation.
Ein
kurzes
Blinzeln und ich erkannte seinen satten zufriedenen Gesichtsausdruck.
Wenn der Ärztin anhand der Apparaturen, an
die ich
angeschlossen war,
mein Erwachen
nicht
entgangen war, dann ließ sie sich das nicht anmerken.
Sie komplimentierte meinen Besucher mit dem Hinweis,
ich brauchte in aller erster Linie Ruhe,
freundlich
aber entschieden aus dem Krankenzimmer.
“Nun, denken Sie nicht es wird Zeit, sie stellen sich dem Leben”?
Sie stand neben meinem Bett und ihre Stimme
war nicht
etwa einfühlsam und
aufbauend,
sondern
eher aggressiv, mit einem deutlichen Unterton von Verachtung.
Die Dame war wohl aus der Gilde der
Kasernenhofschleifer .
Ich öffnete ein Auge und war ihr einen
mörderischen
Blick zu.
Dann winkte ich
aufgebracht mit
dem gesunden rechten Arm und machte
ein
paar Schreibbewegungen. Sie verstand sofort und reichte mir Block und
Kugelschreiber.
"Wenn Sie einen zum Essen einladen, kann man
aber
wirklich sicher sein,
Sie
scheuen keine
Ausgaben,"schrieb ich etwas krakelig auf den Block und als sie
mich verständnislos ansah, wies ich auf die
am Halter
baumelnde Flasche, deren Zuleitung in meiner linken Armvene lag und kniff ein Auge zu.
Sie lachte laut los und dann setzte sie sich
auf den
Bettrand.
” Gott sei Dank, Sie
begreifen,
wie wichtig es ist, jetzt nicht die Nerven zu
verlieren, es würde Ihnen keinen Schritt weiterhelfen.
Im Gegenteil, depressive Aufgabe wird ihren
Zustand
nur verfestigen.
Wenn Sie da
wieder
rauskommen wollen - und glauben Sie mir, es ist möglich -
dann müssen Sie sofort damit anfangen, es
darf keine
Sekunde ungenützt vergehen.
Sie nahm meine gesunde Rechte, drückte sie
und hielt
meinen Blick fest,
als wolle sie
mich
hypnotisieren.
“Ich werde Ihnen
zur Seite
stehen. Das hier müssen Sie nicht allein bewältigen.
Ich werde da sein, wann immer Sie mich brauchen, wir
schaffen
das.”
Dessen war ich sicher, denn alle meine
Erwartungen
waren auf diesen
einen Punkt
gerichtet und
ich verschwendete keinen Gedanken daran,
wie sehr sich dieses neue Ziel von jenen unterschied,
die ich noch
24 Stunden
vorher so ehrgeizig
und
zielsicher angestrebt hatte.
Ich
würde zu
kämpfen wissen.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Lieselore Warmeling).
Der Beitrag wurde von Lieselore Warmeling auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.05.2010.
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Erlebtes Leben: Mein Meerestraum
von Fritz Rubin
Versunken in des Meeres Brandung / sitz’ ich am weiten Strand, / das Salz der Gischt auf meinen Lippen, / durch meine Finger rinnt der Sand.
Ich schließ’ die Augen, / geh’ ein in die Unendlichkeit, / es ist ein irres Sehnen / bis hin zur Ewigkeit.
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