Alfred Hermanni

Sternschnuppen

 

 

von Alfred Hermanni und Peter Jaskewitz

(Alle Rechte vorbehalten) 21.04.2010

 

Opa Thilo, warum gibt es nachts so viele Sternschnuppen am Himmel?“, fragte mich meine Enkelin, als sie sich wohlig auf meinem Schoß räkelte, oder kuschelte, je nach Stimmungslage. Wie schon öfter, saßen wir an diesem späten, warmen Sommerabend in meinem Schaukelstuhl und betrachteten von der Terrasse aus das Firmament. Für meine Enkeltochter war nicht nur dies ein Erlebnis. Allein die Tatsache, dass sie heute nicht früher ins Bett musste, sondern mit ihrem Lieblings-Opa den Sternenhimmel beobachten durfte, war für sie das Aller-Aller-Allerschönste, was es gab, jedenfalls sagte sie das immer. Und ihre Eltern hatten mal wieder etwas Zeit für sich. Sie befanden sich im Konzerthaus. Und ich? Ja, ich war ebenfalls glücklich, meiner Enkelin mal wieder von den guten alten Zeiten und auch den neuen zu erzählen. Denn nichts ist, wie ich gelernt habe, so beständig wie der Wandel. Und als 67jähriger fühle ich mich noch jung genug, mit meiner Enkeltochter über die Herausforderungen der neuen Zeit zu diskutieren.
Wir bewunderten also das Schauspiel der vielen Sternschnuppen. Dutzende von ihnen durchzogen im Sekundentakt unermüdlich die oberen Schichten der Atmosphäre, hinterließen ihre hellen wunderschönen Kaskaden gleißender Lichtspuren, bevor sie verglühten. Ein phantastischer Anblick dieses allabendliche Feuerwerk, das je nach Eintrittswinkel in die Atmosphäre manchmal eine wahre Beleuchtungs-Symphonie farbiger Effekte generierte: die Lichtkunst eines kosmischen Designers.

Das war nicht immer so, meine kleine Svenja. Früher waren sie so selten zu sehen, dass man sich etwas Besonderes wünschen durfte, falls man eine Sternschnuppe erblickte“, erklärte ich und schaute zärtlich lächelnd in ihre kindlich-fragenden Augen.
Ob sie wohl die Wahrheit verstehen würde, fragte ich mich? Denn selbst ich konnte noch heute kaum glauben, was damals geschah...

 

 

 

Vor vier Jahren. Es war eine gewöhnliche Winternacht, die einem gewöhnlichen Tag folgte und des nächsten Morgens harrte.
Der Himmel in dieser Nacht war jedoch besonders klar und ließ die Sterne noch heller und glänzender erscheinen. Vielleicht wäre nichts passiert, und niemand hätte überhaupt etwas gemerkt, wenn nicht, ja wenn nicht ein aufmerksamer Hobbyastronom in den Bergen des Sauerlands sein Teleskop zufällig gelangweilt auf eine bestimmte Region am Firmament gerichtet hätte und stutzig geworden wäre, um dann noch aufmerksamer eine Anomalie auszuwerten, die sich auf seinem vom Computer generierten Simulations-Hologramm darstellte.

Mindestens ein halbes dutzendmal ließ er die Daten auswerten, Gegenproben berechnen und die Sichtung auf Plausibilität prüfen, wieder neu eingeben und berechnen. Das Ergebnis war und blieb immer dasselbe: Ein Asteroid befand sich auf direktem Kollisionskurs mit der Erde, zumindest ließen die Instrumente des Hobbyastronomen keinen anderen Schluss zu:

 

Voraussichtlicher Treffpunkt: In nur 13.600 km Entfernung an der Erde vorbei sollte seine Bahn verlaufen, also verdammt knapp nach astronomischen Maßstäben; Datum: 26.10.2047; Größe des Asteroiden : 29,8 Kilometer; Geschwindigkeit: 38 Km/sec.; Kategorie: Global Killer; verbleibende Zeit: noch 8 Monate, 3 Wochen, 2 Tage.

 

Sämtliche Daten wurden über das Hypernet an befreundete Astronomen sowie das Forscher-Netzwerk, das Astronomie-Forum der Universitäten und spezialisierter Online-Plattformen weitergeleitet und sorgten prompt für entsprechend hektische Aktivitäten bzw. Schaltkonferenzen der Research Rooms in der astronomischen Gemeinde. Und auch die Medien erfuhren recht bald von diesem Ereignis. Damit nahm die Geschichte ihren eigenen Verlauf. Die Ereignisse begannen sich zu überschlagen

Und du bist dir sicher, dass die Informationen stimmen?“ fragte Michel der Chefredakteur eines großen deutschen Boulevardblatts noch einmal nach. „Hundertprozentig sichere Quelle, ich hab´ die Daten selbst überprüft, dreifach“ antwortete Kurt, der zuständige Redakteur für Wissenschaft und Technik. „Dann wird auch gedruckt, sofort!“ entschied der Chefredakteur kurz und knapp. „Mit Sonderbeilage?“ fragte Kurt. „Selbstverständlich“ erwiderte der Chef. Und so geschah es.

 

Weltuntergang? Riesen-Asteroid rast auf die Erde zu!

 

titelte am nächsten Tag die größte aller deutschen Zeitungen mit übergroßen Lettern, auch mit ihrem Internetauftritt. Die Printmedien der Konkurrenzblätter blieben auch nicht faul und schlachteten die Meldung ebenfalls aus.

 

Rund um den Erdball wurde die Wissenschaft aktiv, um die Nachricht auf ihren Gehalt bzw. tatsächliche Faktenlage zu überprüfen. Mit durchschlagendem Erfolg. In den nächsten Tagen folgte eine neue Erkenntnis auf die andere, und jeder wusste es bald besser und viel genauer.

Auch alle möglichen pseudo-wissenschaftlichen Experten heizten die Gemüter mit Horrorszenarien auf, und kaum jemand zweifelte letztlich am bevorstehenden ultimativen Einschlag und dem daraus resultierenden Weltuntergang, der, obwohl nie vorausgesagt, trotz alledem eintreten sollte. Die Nachricht verselbständigte sich und entwickelte fortan eine unkontrollierbare Eigendynamik.

Jedenfalls erinnerte man sich schnell an den gewaltigen Asteroideneinschlag, der vor etwa 65 Millionen Jahren unseren Planeten heimgesucht hat und bei Yukatan im Golf von Mexiko niederging. Nahezu 75% der irdischen Lebewesen sollen dabei vernichtet worden sein. Selbst die Dinosaurier starben infolge der atmosphärischen Veränderungen und des nuklearen Winters aus. Und der Brocken damals war mit seinen knapp 16 km Durchmesser nur halb so groß wie der neue kosmische Anwärter.

 

Bis heute weiß niemand mehr genau, wer die ersten Rechenfehler beging. Das Ergebnis waren Chaos, Hektik und Panik. Irgendwer hatte Kilometer mit Meilen verwechselt, ein Legastheniker versetzte eine Kommastelle. Der Global Killer sollte demnach mit der Erde kollidieren und nicht an ihr vorüberziehen wie ursprünglich prognostiziert. Wanne-Eickel war die errechnete Einschlagstelle. Ein Volltreffer, mitten ins Herz dieser Ruhrgebiets-Stadt, welche bis auf ihren „Mond von Wanne-Eickel“ und die Cranger Kirmes national allenfalls Insidern als ödes Provinznest bekannt war. Wanne stand nun plötzlich im Fokus des internationalen Interesses.

Grund genug für die deutsche Regierung, sofort Krisen- und Katastrophenstäbe auf Bundes- und Landesebene einzuberufen, der nahende Wahlkampf ließ grüßen. Die Notstandsgesetzgebung trat in Kraft. Sicherheitskräfte und das Militär bezogen Stellung, um Unruhen und Plünderungen vorzubeugen. Brennpunktsendungen zum Thema, Talkshows und politische Statements hatten Inflation. Mehr oder weniger sinnvolle Maßnahmen wurden vorgeschlagen, viele Ideen vorgetragen und verworfen. Es war die Stunde der Politiker, Experten und Verschwörungstheoretiker, bis der amtierende Bundeskanzler in einer Ansprache an das Volk martialisch verkündete, die Angelegenheit dem Militär zu übergeben.

Kluge Berechnungen hatten nämlich ergeben, dass bei entsprechender rechtzeitiger Gegenmaßnahme ein Einschlag verhindert werden könnte. Eine Rakete mit einem Atomsprengkopf sollte dem Asteroiden etwa in Höhe der Mondumlaufbahn den nötigen Effet verschaffen und etwas aus der Bahn drängen, wie eine Billardkugel, und der Einschlag in Wanne-Eickel bliebe aus. Mehr Zeit für andere Maßnahmen blieb nicht mehr. Eine Landung auf dem kosmischen Gesteinsbrocken und seine Sprengung, wie in der Verfilmung des Science Fiction-Thrillers „Armageddon“ dargestellt, kamen also nicht mehr in Frage (der damalige Hauptdarsteller Bruce Willis weilte auch schon längst nicht mehr unter den Lebenden, glaube ich.).
Erstaunlich war
nur, woher Deutschland als bislang atomwaffenfreies Land plötzlich mit einer Rakete einschließlich Atomsprengkopf dieses Kalibers aufwarten konnte. Doch diese Kleinigkeit interessierte niemanden mehr, und die Partei des Bundeskanzlers brüstete sich ob ihrer genialen Voraussicht, rechtzeitig eine nukleare Waffe angeschafft zu haben. Das brachte Wählerstimmen und Prozente. Hauptsache der Asteroid schlug nicht in deutschen Landen ein.
Stattdessen würde es aber leider, leider Nottingham in England treffen.

 

 

 

Die Briten waren sauer. And His Majesty, the Good old (very, very old)King Charles, was not amused, weil die undankbaren Deutschen nicht stillhalten wollten. Aber die englische Regierung geriet selbst in Panik und stellte ähnliche Billard-Planspiele an, worauf Orlando in Florida plötzlich zur Einschlagzone wurde.

Die Amerikaner wollten das natürlich ebenso wenig hinnehmen und kündigten an, sogleich mehrere ihrer neuentwickelten Cruise Missiles auf den Weg zu bringen, um den kosmischen Gesteinsbrocken abzulenken. Nach diesem Szenario wäre es aber schon bald um Tokio geschehen gewesen.

Doch es ging weiter, und Clonakilty in Irland wurde zum nächsten potentiellen Einschlaggebiet. Aber Teheran und seine Theokratie wurden wegen der dort lebenden Moslems und erst kürzlich erbauten Moschee aktiv. Die iranischen Revolutions-Garden (ja, es gibt sie noch immer) richteten ihre neuen Raketensilos mit Langstrecken-Raketen aus und bestückten sie mit den angeblich nie vorhanden gewesenen Nuklearsprengköpfen. Der Weltraumfelsen sollte nun mit viel Symbolik nach Glenfiddich abgelenkt werden und mitten in der weltbekannten schottischen Whiskybrennerei (Oh Gott, der ganze schöne Whisky!) dieser ungläubigen Stadt mit dem teuflischen alkoholischen Getränk niedergehen. Das konnten die Briten aber nicht hinnehmen, unbequemes Schottland hin oder her, und fanden eine eigene neue Ablenkungsvariante. New York, Albany, Vancouver, Sidney erschienen bald auf der Hitliste.
Und sogar der Vatikan kam als potentielles Einschlaggebiet in die nähere Wahl, weil auch die Australier Down Under auf so einen Weltall-Besucher keinen so großen Wert legten. Daraufhin begann man im Vatikan unter der Leitung des Pontifex sogleich mit intensiven Exerzitien, um das Unheil mit Hilfe Gottes und sämtlicher Apostel wegzubeten. Von den führenden Klerikern der Kurie wurden jedoch klammheimlich die orthodoxen Christen verdächtigt, welche das vatikanische Einschlagziel nur durch Intrigen ins Spiel gebracht haben konnten - als späte byzantinische Rache für den Fall Konstantinopels. Allerdings „vergaßen“ die Kleriker die historische Wahrheit: nämlich dass der Vatikan damals selbst Verrat an den orthodoxen Brüdern begangen und Konstantinopel dem türkischen Heer ausgeliefert hatte, als er die zugesagte militärische Unterstützung schuldig blieb.

 

Die letzte Reinkarnation des Dalai Lama begann dafür zu werben, den Asteroiden in einer hochvulkanischen Erdregion niedergehen zu lassen, um nach dem Bruch der Erdkruste alle Menschen ins Nirwana zu überführen und erflehte diese Lösungsvariante täglich in den verschiedensten Fernsehsendern. Zu seinen favorisierten Zielen gehörten die Regionen um Grand Canaria, Hawaii, Kalifornien oder die Gegend um den Yellowstone Park.

Mystiker sowie Verschwörungstheoretiker gingen eine Allianz ein und einigten sich auf ein exotisches Zielgebiet: Das Bermuda-Dreieck sei geradezu prädestiniert, den Asteroiden aufzunehmen, zumal es in der Lage wäre, ihn umgehend nach dem Einschlag restlos verschwinden zu lassen.
Von anderen Skurrilitäten abgesehen, schlug nun auch die Stunde der Zeugen Jehovas: Sie holten ihre „Wachtürme“ hervor und belagerten international alle Fußgängerzonen. Rechthaberisch und mit glänzenden Augen erheischten sie täglich das langersehnte Ende der Welt samt jüngstem Gericht. Auch andere Sekten und selbsternannte Gurus sammelten ihre Anhänger um sich. Aus jedem Winkel der Städte und Bethäuser erklang das unvermeidliche „Omm-Omm“…
Die große muslimische Gemeinde, die Umma, sah in der drohenden Ankunft des Asteroiden mehrheitlich ein Zeichen Allahs, der die Ungläubigen, und besonders die Juden, nun endlich zu bestrafen gedächte. Aber auch hierbei war klar, dass es durch den Einschlag des Weltraumbrockens wohl zu Kollateralschäden im Haus des Islams kommen würde, die auch rechtschaffene, gläubige Mitglieder treffen könnten. Sunniten und Schiiten begannen sich bald gegenseitig mit Selbstmordattentätern zu besuchen, um sich jeweils rechtzeitig einen Platz im Paradies mit sieben (oder waren es siebzig?) Jungfrauen zu sichern. Hassprediger aller Couleur feierten fröhliche Urständ. Untereinander verfeindete Palästinensergruppen brachen mal wieder einen blutigen Bürgerkrieg vom Zaun und gefährdeten das ohnehin fragile Gleichgewicht im Zusammenleben mit den Israelis. Der Nahe Osten befand sich in hellem Aufruhr.
Eine verrückte Zeit. Die Gläubigen aller Kirchen waren verunsichert.
Selbst die sonst so stoischen Buddhisten begannen Nerven zu zeigen und schwächelten. Sie lächelten öffentlich nicht mehr ganz so oft, zumal einige ihrer führenden Vertreter Zweifel an einer Reinkarnation nach dem finalen Asteroiden-Einschlag aufkommen ließen.

 

Die internationalen Krisengipfel nahmen kein Ende. Das übliche Patt. Nur Russland blieb seinem Ruf treu und schlug auf einer internationalen Konferenz mehr oder minder unverblümt vor, den Weltraumbrocken doch in China oder Indien niedergehen zu lassen, um dort zugleich das Problem der Überbevölkerung zu lösen. Nur mühsam konnten die Wogen der asiatischen Empörung geglättet werden. Erst im allerletzten Moment konnte durch internationale Krisenintervention eine kriegerische Auseinandersetzung vermieden werden. China hatte plötzlich Manöver an der russischen Grenze anberaumt und große Truppenkontingente aufmarschieren lassen, und auch Indien justierte seine Atomraketen neu, zufällig in Richtung Russlands.

Der 3. Klon des lieben, weisen nordkoreanischen Führers Kim Jong Il nutzte die Gunst der Stunde und ließ die Raketen seines Regimes auf den Asteroiden ausrichten, damit dieser zuverlässig die Hauptstadt Seoul im verfeindeten Süden des Landes träfe. Aus gut unterrichteten Kreisen war aber bald zu hören, dass der größte vom Himmel jemals erschaffene Mensch ausgetauscht worden sei, da er sich wohl der Kontrolle entzogen hatte. Er wurde durch eine andere Marionette ersetzt, die nicht ganz so exzentrisch war und feiner justiert wurde. Das nordkoreanische Volk musste sich aber nach wie vor von Gras und Fichtennadeln ernähren.
Selbst Mallorca und alle möglichen anderen Orte wurden danach je nach Planspiel zum neuen Ziel des Asteroiden auserkoren.
Am Ende war nicht mehr zu überblicken, zu welchem Zeitpunkt, an welchem Rendezvouspunkt ein Raketenschlag gegen den Asteroiden von welcher Nation geplant und in welcher irdischen Region der Asteroid durch die verschiedenen Raketen-Effets niedergehen würde oder könnte. Die Verwirrung war bald komplett, weil die unterschiedlichen Ablenkungsvarianten nicht mehr berechenbar waren und zu viele unbekannte Variablen enthielten.
Konsens bestand wohl nur darin, dass der Einschlag des Asteroiden in den Atlantik oder Pazifik zu vermeiden war. Ein daraus resultierendes weltweites unkalkulierbares Tsunami-Szenario wollte keiner der Staaten riskieren.

Eine internationale Koordination schien unmöglich, weil sich alle Nationen auf das heftigste misstrauten. Alle Krisengipfel und Konferenzen scheiterten komplett. Und der UNO mochte erst recht niemand das Management der nahenden Katastrophe übertragen. Man hielt die UNO-Verantwortlichen nicht für weise genug, einen geeigneten Einschlagort außerhalb der wenigen beitragszahlenden Nationen zu finden. Aber letztlich wollte kein Staat den Einschlag des „Schwarzen Peters“, wie der Steinbrocken bald im Volksmund bezeichnet wurde, auch nur in der Nähe seines Territoriums wissen. Deshalb ergriff jedes Land bis zur Stunde Null seine eigenen höchstgeheimen Maßnahmen. Man sprach nicht mehr miteinander. Das Chaos und die Verwirrung waren perfekt. Und die Zeit rannte allen davon.

 

 

Die Erdbevölkerung hatte mehr oder weniger resigniert und sich in ihr Schicksal ergeben. Angesichts des drohenden Weltuntergangs stieg die Selbstmordrate global ins nahezu Unermessliche. Sekten und Kirchen verzeichneten einen unglaublichen Zugang. Eilig erbaute Bunkeranlagen sollten retten, was zu retten war. Regierungen bastelten an Notfallplänen und verlegten ihre Zentralen ins Hochgebirge oder in bis dato geheimgebliebene unterirdische Anlagen. Wer konnte, deckte sich mit Lebensmitteln, Waffen und Wertsachen ein, um nach dem globalen Crash irgendwie überleben zu können. Am Ende warteten die Menschen aber nur noch demütig oder apathisch auf die große Kollision mit dem Riesen-Asteroiden. Zu ungewiss schien jede Prognose.

Bereits in diesem Stadium hatte sich gezeigt, welch Riesenschaden weltweit entstanden war, ohne dass der Asteroid die Erde je berührt hätte.

 

Und es kam der Tag, die Stunde Null, an dem erstaunlicherweise zuerst aus einem unterirdischen Silo der Welt-Hungerregion Bangladesch die erste Rakete mit einem Nuklearsprengkopf ins All aufbrach, um den Asteroiden rechtzeitig von seiner Bahn abzulenken. Denn nach unbestätigten Gerüchten hatte es zuletzt geheißen, dass sein Einschlagziel in dieser Weltregion läge. Wie zufällig starteten auch in vielen anderen Ländern zeitgleich Raketen mit Atomsprengköpfen und rasten dem Rendezvouspunkt hinter der Mondumlaufbahn entgegen, an dem sie auf den Asteroiden treffen sollten. Es müssen über hundert gewesen sein. Die deutsche Rakete lag im guten Mittelfeld, wie immer politisch korrekt, wurde sie standesgemäß von einigen Brennpunktsendungen moderiert, in denen auch die Nachkommen Wernher von Brauns zu Wort kamen.
Und die Geschosse trafen ihn, den verhassten kosmischen Überraschungsgast, alle, und nahezu zeitgleich.

Sie haben ihn pulverisiert, atomisiert, klein gemacht, zerstückelt und zerrieben.

Eine Staubwolke aus Asteroidenschutt und Staub umkreist seither die Erde und den guten alten Mond, der durch den Weltraumstaub einiges an Leuchtkraft eingebüßt hat. Vom Asteroiden blieben nur kleine und kleinste Teilchen übrig, die sich uns nun jede Nacht als Sternschnuppen zeigen, wenn sie der Erdanziehung folgen.
Sie erinnern uns täglich daran, dass die uneinige Menschheit fast an sich selbst gescheitert wäre.
Eigentlich ein Grund zur Scham. Das gegenseitige Misstrauen hatte die Intelligenz und den Geist der Menschen vernebelt. Denn es lag auf der Hand, dass das letztlich „erfolgreiche“ Zufallsprodukt des Misstrauens, nämlich eine abgestimmte gemeinsame und gebündelte Raketen-Aktion der hochtechnisierten Nationen, der eigentliche logische Ausweg zur Neutralisierung der Asteroidengefahr gewesen wäre.
Doch ein großer Gönner mit kosmisch-göttlichen Qualitäten war nachsichtig mit uns Menschen und gab uns wohl eine weitere Chance. Vielleicht sind auch die intensiven Gebete des Vatikans erhört worden und haben ausnahmsweise einen kleinen Beitrag zum Wohlergehen der Menschheit geleistet. Einer der höchstseltenen Fälle, in dem eine Maßnahme des Vatikans von Nutzen gewesen sein dürfte…

Nach und nach normalisierte sich die Weltlage. Svenjas Geburt stellte eine private Sternstunde im Kreise unserer Familie dar. Sie blieb von den vorgeburtlichen Ereignissen verschont und konnte in aller Unschuld in die Zukunft blicken.

 

Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen aus dieser „kosmischen Sternstunde“ internationaler Krisenpolitik die richtigen Lehren gezogen haben. Aber so sind wir wohl, wir Menschen… Die Stimmung der letzten Monate geht dahin, die UNO endlich mit mehr Machtmitteln auszustatten, um den Egoismen einzelner Nationen entgegenzuwirken. Das gibt Hoffnung.

 

 

 

Opa! Opa Thilo, warum gibt es denn nun jede Nacht so viele Sternschnuppen am Himmel?“, erinnerte mich Svenja nochmals an ihre Frage, aber ein wenig lauter und ungeduldiger, nachdem sie sich behaglich auf meinem Schoß zurecht geräkelt und ungeduldig auf meine Antwort gewartet hatte. Sie riss mich auf ihre kindlich unbefangene Weise aus meinen trüben Gedanken und blickte mich erwartungsvoll aus ihren unschuldigen Kinderaugen an. Ich lächelte und erzählte es ihr, alles, natürlich in kindgerechter verträglicher Dosis, fast so, als trüge ich ein Märchen vor. Sie hörte mir genau und unbefangen zu. Am Ende meines Berichtes nickte sie und kommentierte meinen Bericht in altkluger Weise mit den Worten: „Ich finde die Sternschnuppen trotzdem schön. Aber die Politiker müssen total dumm im Kopf gewesen sein!“
Ich lächelte zärtlich ob dieser Bemerkung. Sie erinnerte mich doch sehr an meine eigene Kindheit. Mit einer ähnlichen Formulierung hatte ich im Religionsunterricht bei der Exegese einer Bibelstelle Abrahams Glaubensprobe kommentiert. Darin forderte Gott bekanntlich die Opferung von dessen Sohn Isaak
, mit der ich gar nicht einverstanden war („Der Abraham muss ganz schön abergläubisch und dumm im Kopf gewesen sein, wenn er wirklich seinen eigenen Sohn töten wollte“, stellte ich damals mit kindlicher Logik fest.). Als wäre es heute, klang mir diese nahezu wortgleiche Wiederholungs-Form eines klaren Sachverhalts in den Ohren nach. Da erzähle mir niemand, Kinder hätten kein Urteilsvermögen.
Nun ja, jedenfalls war ich jetzt doch froh, Svenja alles erzählt, aber ihren Sinn für die kosmische Ästhetik der Sternschnuppen-Lichtkunst dennoch nicht zerstört zu haben.
Oder hätten Sie es als Großvater bei ihrem Liebling anders gemacht?

 

Schön, schaurig schön, sind sie noch immer, unsere allabendlichen neuen Sternschnuppen. Auch wenn es bei ihrer Sichtung mit der Erfüllung spontaner Wünsche noch immer hapert… Doch den Sternen ist es schnuppe!

 

 

 

Ende

Zwar mag dieser satirische Beitrag nicht gänzlich der physikalischen Lehrmeinung genügen, zumindest was die Wirkung der vielen Atomraketen beim nahezu zeitgleichen Aufschlag auf den Asteroiden betrifft.
Andererseits: Was schert es die Autoren.
Schließlich musste ein atomares Trommelfeuer der beschriebenen Art auch noch nie in der Praxis bzw. im Weltenraum ausgelöst werden.
Und bis dahin mögen die hochverehrten Kritiker bzw.
Anhänger der reinen Lehre oder Naturwissenschaften bitte schweigen und den Beitrag nehmen wie er ist - als Science Fiction Satire mit verstecktem pädagogischen Anspruch.
Alfred Hermanni, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.05.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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