Helmut Wurm

Sokrates und die Missbrauchs-Vorwürfe mit Jugendlichen


Sokrates ist von einem Journalisten einer bedeutenden Zeitung um ein Interview zum Thema der jüngsten bekannt gewordenen Missbrauchfälle mit Jugendlichen gebeten worden und hat zugesagt. Der Journalist hat sich vorbereitet und möchte auch sehr heikle und auch historische Bereiche ansprechen, ohne dabei aber seinen Gesprächspartner Sokrates zu kompromittieren. Doch das Gespräch nimmt einen etwas offeneren, aber um so ehrlicheren Verlauf.

Der Journalist: Ich freue mich, dass Sie sich zu diesem Gespräch mit einem so ernsten Inhalt bereit gefunden haben. Aber welchen kompetenteren Gesprächspartner hätte ich sonst finden können? Beginnen wir mit einer grundlegenden Frage: Weshalb treten diese Missstände gerade jetzt so gehäuft auf oder sehen Sie das Ganze als ein Randphänomen, das nur von den Medien aus Sensationsgründen hoch gepuscht wird?

Sokrates: Es handelt sich um kein modernes Problem, das angeblich durch die Liberalisierung der modernen Gesellschaft erst hervorgerufen wurde - wie es gelegentlich behaupt wird. Es handelt sich um ein zeitloses Phänomen, das immer wieder aufgetreten ist und auftreten wird und von dem immer nur ein kleiner Teil, gewissermaßen die Spitze des Eisberges, bekannt wird. Es handelt sich letztlich um ein anthropologisches Problem, um ein Problem in unserer Genetik.

Der Journalist: Was haben Anthropologie und Genetik mit solchen Missständen zu tun? Das verstehe ich nicht.

Sokrates: Ich muss zur Begründung etwas weiter ausholen:

Wir modernen Menschen haben in uns immer noch weitgehend das genetische Muster der Vorgeschichte. Die knapp 10.000 Jahre seit dem Ende der Steinzeit haben nicht gereicht, das genetische Muster der langen menschlichen Vorgeschichte entscheidend zu modifizieren. Das betrifft alle körperlichen und psychischen Bereiche, auch die Sexualität. Während der Steinzeit war die Lebensdauer nur etwa halb so lang wie in den modernen Industriestaaten und die Lebensbedingungen waren sehr hart. Die Fortpflanzung musste also so früh wie möglich beginnen und das betraf Mädchen wie Jungen gleichermaßen. Sobald ein Mädchen erwachsen und damit geschlechtsreif wirkte, richtete sich nach dem Willen der Evolution das sexuelle Interesse von geschlechtsreifen Männern und Knaben auf diese Mädchen. Das Interesse von erwachsenen Männern oder geschlechtsreifen Jungen an jugendlichen Mädchen ist also aus genetischer Sicht etwas Normales. Und andererseits sollten erwachsene Frauen auch sexuelles Interesse an geschlechtsreifen Jungen haben, denn vielleicht fielen die Männer durch Krankheit oder Unfälle zur Fortpflanzung aus bzw. waren sie bereits infolge von Hunger und frühem Alter in ihrer Fortpflanzungsfunktion eingeschränkt.

Insofern kennt unsere noch weitgehend vorgeschichtliche Genetik noch keinen Jugendschutz, sondern nur: entweder noch kindlich oder vermutlich schon fortpflanzungsfähig. Und es gab in der Vorgeschichte auch deshalb keinen Jugendschutz in unserem Sinne, weil es noch keine Rücksicht auf die innere Reife von Mädchen oder Jungen gab. Die Aufrechterhaltung der Fort-pflanzung der verstreuten Menschengruppen ging vor alles.

Der Journalist: Damit verteidigen sie den Missbrauch mit Jugendlichen aus genetischer Sicht. Das widerspricht unserer pädagogischen Ethik aber zentral. Ist das Ihr Ernst?

Sokrates: Ich verteidige solchen Missbrauch nicht, vor allem nicht mit Kindern, die offen-sichtlich noch nicht geschlechtsreif sind. Ich versuche nur zu erklären, woher diese Schwäche in unserem genetischen System kommt. Natürlich stellt es einen großen Fortschritt dar, dass nun neben die äußere körperliche Entwicklung auch die innere Reifung als gleichwertig gestellt wird - und das sollte auch so bleiben.

Weil im menschlichen genetischen Muster eine solche Schwäche vorhanden ist, muss man sie natürlich irgendwie reglementieren, durch kulturelle Normen und auch Strafen. Dazu möchte ich nachher noch etwas sagen. In dieser Beziehung habe ich meine Meinung gegenüber meiner antiken Lehrerzeit geändert und verschärft. Bei uns antiken Griechen war die Einstellung dem gegenüber zu liberal. 

Aber ich muss noch etwas ergänzen:

Wie jeder körperliche Wachstumsvorgang während der Entwicklungsphase nach einer Übung zur Kräftigung und Entwicklung sucht, so muss angenommen werden, dass gerade die Knaben in der Vorgeschichte während ihrer Entwicklung zu onanieren anfingen, um die Samenbildung und das Wachstum der Prostata zu fördern. Es war ein Irrtum der christlichen Morallehre, dass dadurch Krankheiten, Deformierungen und Schwäche hervorgerufen würden und dass die Unterdrückung der Sexualität in der Jugend die körperlichen, geistigen und seelischen Bereiche dafür fördern würde. Bei uns antiken Griechen gab es solch eine Ansicht nicht und ich brauche eigentlich nicht darauf hinzuweisen, dass wir trotz unserer toleranten Einstellung gegenüber der Onanie auf allen Gebieten Großartiges geleistet haben. Der bekannte Diogenes forderte sogar, dass auch der Mann sich regelmäßig des alten und damit vermutlich giftig gewordenen Samens entledigen solle. Deshalb onanierte er nicht nur in seiner Tonne, sondern tat es sogar öffentlich auf dem Marktplatz. Er wurde deswegen nicht verhaftet und bestraft, man war nur unterschiedlicher Meinung darüber... Ich möchte damit nicht der ungezügelten Onanie und dem Exhibitionismus das Wort reden, aber hier hat die christliche Morallehre noch etwas aufzuarbeiten... Aber am antiken Griechenland sollte man sich wiederum nicht orientieren. Wir waren nicht in allem vorbildlich.

Der Journalist: Sokrates, die Vertreter solcher pädophiler Praktiken oder solcher Ideologien berufen sich gerne auf das antike Griechenland als Entschuldigung oder sogar als Orientierung. Was sagen Sie dazu, wenn damals doch nicht alles vorbildlich war.

Sokrates: Das ist ein komplexes Thema, auf das ich wieder nicht mit einem Satz antworten kann. Ich muss weiter ausholen:

Einmal hatten wir antiken Griechen eine viel liberalere Leitvorstellung von Sexualität als die modernen christlichen Europäer. Erlaubte Sexualität war nicht nur auf das Erwachsenenalter beschränkt, sondern war es bereits ab dem Knabenalter, wobei hier eine Altersgrenze schwer festzusetzen ist. Aber man kann davon ausgehen, dass wir schon ab dem Alter von 14 Jahren die Sexualität frei stellten.

Jetzt muss ich aber bereits deutlich einschränken. Wenn ich „frei“ sage, so galt das nur für die Männer und Knaben, aber nur begrenzt für die Frauen und Mädchen. Diese hatten überhaupt keine Rechte in sexueller Hinsicht, für sie galt die Leitvorstellung der völligen Enthaltsamkeit vor der Ehe und der absoluten Treue innerhalb der Ehe. Freiheiten hatten nur die Männer und Knaben. Ein Mädchen konnte aber bereits mit 12 bis 14 Jahren verheiratet werden und musste dann den sexuellen Wünschen ihrer Ehemänner, die oft sehr viel älter waren, ohne eigenen Willen folgen.

Der Journalist: Dass Mädchen so früh heiraten durften, ist nach unserem Moral-Verständnis eigentlich Kindes-Missbrauch, genauer Mädchen-Missbrauch. Gab es denn dagegen in der Antike keine Einsprüche?

Sokrates: Natürlich heirateten nicht alle Mädchen so früh, aber viele taten das mit dem ausdrücklichen Einverständnis ihrer Eltern. Nein, das galt bei uns damals nicht als zu früh, als Kindesmissbrauch. Damals wurden die Menschen, besonders die Frauen nicht so alt wie heute und man bereitete sie deswegen früh auf die Ehe vor. Das war noch eine ähnliche Einstellung wie in der Vorgeschichte. Aber mittlerweile habe ich erkannt, dass in diesem Alter Mädchen noch nicht reif sind, weder psychisch noch körperlich, und dass es richtig ist, das Heiratsalter heraufzusetzen.  

Der Journalist: Knaben wurden dagegen also freier erzogen und durften sogar homoerotische Beziehungen mit Erwachsenen haben. Ja, so habe ich gelesen, erwachsene Männer suchten geradezu den Kontakt mit Knaben, auch den sexuellen Kontakt. Wie ist das zu verstehen?

Sokrates:. Das hatte mit pädagogischen Aspekten zu tun. Wir Griechen waren damals ein sehr pädagogisch interessiertes Volk. Wir sahen das Zusammenleben der verschiedenen Generationen auch unter pädagogischen Aspekten. Die Jüngeren sollten von den Älteren gefördert werden, sollten von ihnen lernen. Die Schule war nur eine Ebene innerhalb dieses Lern- und Förderprozesses. Die Schule vermittelte nur das allgemeine Wissen, die allgemeine Bildung. Die Detail-Formung sollte möglichst in einer direkten, engen Freundschaft zwischen Älteren und Jüngeren erfolgen, in der der Jüngere/die Jüngeren sich am Lebensstil und an den Einsichten des Älteren orientierte(n) und in der der Ältere die Anlagen des Jüngeren/der Jüngeren förderte und Schwächen minderte. Das betraf die geistige, seelische und körperliche Seite des Jüngeren/der Jüngeren. Es handelte sich also im Idealfall um ein anspruchsvolles, wertvolles Freundschaftsverhältnis. Und dieses Verhältnis konnte Verliebtsein und sexuelle Kontakte mit einschließen - konnte, musste aber nicht.

Der Journalist: Ist das nicht als unnatürliche, als abnorme Pädagogik einzustufen?

Sokrates: Aus heutiger christlicher Morallehre ja - und vermutlich war es auch unnatürlich. Aber wir antiken Griechen interpretierten damals vieles mit der so genannten Säfte-Lehre. Das reichte bis in die Pädagogik hinein. Wir nahmen an, dass das Sperma eines hervorragenden Politikers, eines Volkshelden, eines bekannten Philosophen, eines tapferen Kriegers, eines bekannten Künstlers, eines wertvollen Mannes, usw. dessen genetische Eigenschaften enthielt und diese beim sexuellen Verkehr mit einem geliebten Knaben übertragen würden, rektal oder oral übertragen würden. Auch daraus resultierte die Praxis des sexuellen Verkehrs mit einem Knaben in einer solchen pädagogischen Beziehung.

Der Journalist: Hat das denn nicht zu seelischen Schocks, zu späteren seelischen Störungen bei diesen Knaben geführt? Nach heutiger psychologischer Lehre wäre das zu erwarten.  

Sokrates: Solche seelischen Traumata entstehen nach meinen Beobachtungen mehr aus der Dissonanz zwischen einer kultur-sexueller Tradition und den praktizierten und erfahrenen Realitäten. Ich habe in meinem Umfeld damals von solchen seelischen Schocks nichts in Erinnerung - sofern es sich um ein freiwilliges, pädagogisch orientiertes Liebesverhältnis zwischen einem Mann und einem Knaben gehandelt hat. Sonst hat es sicher solche Schocks gegeben.

Der Journalist: Indirekt verharmlosen und entschuldigen Sie doch diese Praktiken, die aus heutiger Sicht mit Recht unakzeptabel wären. Solche Handlungen sind und bleiben unnormal.

Sokrates: Ich entschuldige sie nicht, ich versuche die Diskussion darüber zu versachlichen. Aus meiner heutigen historischen Erfahrung gebe ich zu, dass es sich bei uns früher um eine naive und unnormale Pädagogik gehandelt hat. Aber wenn man sie in ihren Entstehungs- und Hintergründen versteht, kann man sachlicher damit umgehen.

Weiterhin entschieden verurteile ich solche Männer, damals wie heute, die nur aus sexueller Abenteuerlust die Nähe, den Kontakt mit Jugendlichen suchen. Solche Männer sind in der Tat eindeutig abnorm und ihnen gegenüber sind deutliche juristische Konsequenzen gerechtfertigt. Schon wir haben das damals nicht für richtig gefunden... Aber geschehen ist von offizieller Seite in solchen Fällen damals leider nichts oder wenig.

Der Journalist: Aber das müssen doch genetisch abnorme Männer sein, die sich so intensiv sexuell besonders für Knaben interessieren.

Sokrates: Das sind auch genetisch abnorme Männer, und zwar in doppelte Hinsicht. Einmal tragen sie trotz ihres maskulinen Phänotypus weibliche Empfindungen in sich. Sie interessieren sich deshalb für das männliche Geschlecht. Und dann interessieren sie sich noch zusätzlich für Knaben und nicht für erwachsene Männer. Wie diese doppelte genetische Abnormität zustande kommt, weiß ich nicht. Aber sie ist nicht so selten, wie viele annehmen. Jedenfalls hatten diese doppelt abnormen Männer bei uns in der Antike recht günstige sozio-kulturelle Bedingungen. Aber in manchen anderen Ländern des Altertums war es mindestens genau so schlimm...

Der Journalist: Bedrücken Sie diese Sachverhalte damals nicht entschieden?

Sokrates: Ich lehne sie heute entschieden ab. Früher war auch ich etwas ein Mensch meiner Zeit. Heute habe ich eine anspruchsvollere Einstellung. Wirklich bedrückt hat mich damals das sexuelle Los der Sklaven. Die waren das sexuelle Freiwild ihrer Herren und deren Freunde, auch die Mädchen und Knaben. Ich habe Fälle in Erinnerung, wo Mädchen und Knaben vor Bauchschmerzen schon weinten und sich schon erbrachen, wenn ihr Herr nur in der Ferne auftauchte,  denen der Mastdarm ein Stück blutig herausragte, weil ihr Herr in verschiedenen Richtungen abnorm war. Die meisten meiner Mitbürger haben das nicht gebilligt, aber etwas geschehen ist in solchen Fällen nichts... Bei Sklavenkindern zuckte man damals generell die Achseln. Leider sind zu wenige moderne Verehrer der griechischen Antike bereit, auch an solche Fakten zu denken. Die Antike wird zu viel, auch im sexuellen Bereich, verklärt.

Der Journalist: Dann möchte ich jetzt die konkrete Frage stellen: Wie haben Sie es denn damals mit Knabenliebe, mit der Päderastie gehalten? Man weiß ja über Sie nichts Konkretes, aber gemunkelt wurde ja schon zu Ihren Lebzeiten.  

Sokrates (etwas verlegen): Ich möchte jetzt von meinem Recht auf Antwortvermeidung Gebrauch machen. Plato hat mich zwar in einem seiner erfundenen Symposien entschuldigt und dem jungen Alkibiades die Aussage in den Mund gelegt, ich sei über solche pädagogisch-päderastischen Schwächen erhaben gewesen. Mir sei es nur um die Formung der jugendlichen Seelen gegangen... Diese Aussage ist zwar im Kern richtig, aber sie traf doch nicht die ganze Realität... Auch Plato war seinen Schülern gegenüber nicht immer nur so platonisch, wie es bis heute dargestellt wird... Mehr möchte ich nicht andeuten... Heute habe ich, wie bereits mehrfach erwähnt, eine strengere Einstellung dazu. Das möchte ich betonen.

Der Journalist: Dann möchte ich nun zu der Frage kommen, weshalb heutzutage gerade im kirchlichen und auch schulischen Bereich solche Fälle bekannt zu werden beginnen. Es sind zwar auf das gesamte kirchliche und schulische Segment bezogen nur wenige Prozente, aber immerhin hat man hier besondere Vorbildlichkeit erwartet. Wie erklären Sie diese Fälle.  

Sokrates: Nun, so selten sind solche Vorkommnisse in der Realität nicht und auch früher nicht gewesen. Bei den derzeit bekannt gewordenen Fällen dürfte es sich nur um die Spitze eines Eisberges handeln. Die Mehrzahl der Fälle dürfte nicht bekannt werden, weil es sich dabei um ein gegenseitiges Einverständnis gehandelt hat, weil die betroffenen Jugendlichen das peinliche Geschehen innerlich längst hinter sich gelassen haben, weil ein neues Aufrollen unangenehm ist oder weil sie es (z.B. bei Mädchen) heimlich sogar als interessante Erlebnisse einstufen. Wenn solche Missbräuche allerdings mit Gewalt, Erpressung, Übervorteilung, Enttäuschungen, usw. einhergegangen sind, dann sind die Betroffenen auch noch nach vielen Jahren bereit, ihre Erlebnisse mitzuteilen und Anklage zu erheben... Die Mehrzahl der Fälle dürfte aber nicht bekannt werden...

Der Journalist: Aus früheren Jahrhunderten erfährt man eigentlich wenig oder nichts über solche Missbrauchsfälle. Weshalb?

Sokrates: In früheren Jahrhunderten hat es solche Fälle nach meinen Beobachtungen genau so oft gegeben wie heute. Aber damals hatten die Opfer kaum Gelegenheit, sich zu offenbaren und anzuklagen. Kirche und Schule hatten früher eine viel größere Macht als heutzutage und es wurde bewusst so viel wie möglich „unter den Teppich gekehrt“, um das Ansehen dieser beiden Institutionen nicht zu schmälern. Möglicherweise gab es deswegen früher sogar noch mehr Missbrauch-Fälle wie heute. Die missbrauchten Jugendlichen haben heutzutage die Möglichkeit, sich offen anklagend zu äußern. Das ist ein wichtiger Fortschritt und er sollte die Missbrauchopfer ermutigen, wenigstens zu berichten, auch wenn sie nicht anklagen wollen. Man kann dann besser Gegenmaßnahmen und Gegenstrategien einleiten.

Der Journalist: Jetzt scheint bei Ihnen doch eine distanziertere Haltung gegenüber diesen Missbräuchen erkennbar zu werden, als mir bisher schien. Aber nochmals die Frage: Weshalb sind gerade innerhalb der katholischen Kirche solche Missbräuche bekannt geworden? Weshalb weniger in der evangelischen Kirche?

Sokrates: Das ist nach meiner Ansicht wieder ein anthropologisches Problem. Wenn eine Kirche ein Heiratsverbot, also das Zölibat, für ihre Priester und Mönche erlässt, dann sagen sich viele Männer, die eine normale natürliche Sexualität haben: Das fällt mir zu schwer, das halte ich nicht durch... und entscheiden sich gegen solche Laufbahnen. Damit reichern sich in diesen kirchlichen Ämtern überproportional solche Männer an, die entweder ein allgemeines geringeres sexuelles Interesse an Frauen oder eine offene oder latente homoerotische Neigung haben. Damit will ich nicht unterstellen, dass alle katholischen Priester von Natur aus keine durchschnittliche normale Sexualität hätten, aber der Anteil mit einer nicht-normalen sexuellen Anlage ist nach meiner Meinung höher als in der übrigen Bevölkerung. In den allermeisten Fällen handelt es sich bei denjenigen, die Priester oder Mönche werden wollen, übrigens um charakterlich sehr wertvolle Menschen, aber ein Teil trägt eben diese peinlichen Anlagen in sich, die es ihnen erst ermöglichen, die schwere Bürde des Zölibats zu tragen. 

Wenn solchermaßen veranlagte Priester und Mönche dann länger/dauerhaft mit Jugendlichen, besonders mit Knaben, zu tun haben, dann erliegen viele irgendwann ihrer Anlage und/oder ihrer permanenten Verdrängung. Ich habe im Laufe meines verlängerten Aufenthaltes auf dieser Erde manche diesbezügliche Beobachtung gemacht, manche Gesprächs-Beichte gehört und manches erzählt bekommen, worüber ich schweigen möchte. Es wäre für das Ansehen der katholischen Kirche zu peinlich... Dem könnte man nur durch die Abschaffung des Zölibats gegensteuern.

Der Journalist: Das klingt plausibel. Dann müssten wir Journalisten uns ja bemühen, durch die Offenlegung weiterer Missbrauchsfälle die katholische Kirche so unter Druck zu setzen, dass sie diese verpflichtende Zölibatsforderung wieder zurück nimmt, die es ja erst seit ca. 500 Jahren gibt, beschlossen auf dem Konzil zu Trient - gewissermaßen als Profilierungsmaßnahme gegenüber Luthers Reformen.

Sokrates: Da habe ich wenige Hoffnungen. Die katholische Kirche gehört zu jenen unflexiblen „Recht-habe-Kirchen“, die Irrtümer und Probleme erst sich berghoch auftürmen lassen, bevor sie zähneknirschend bereit sind, schwere Fehler einzugestehen und Reformen zu beschließen. Aber ich drücke Ihnen von der Presse die Daumen. Schaden kann es nichts, wenn Sie auf die Folgen solcher Zölibats-Beschlüsse hinweisen. In den evangelischen und russisch-orthodoxen Kirchen, wo Priester heiraten dürfen, sind mir Missbrauchfälle weniger bekannt geworden.  

Der Journalist: Gegen Ihre Zölibats-Theorie sprechen allerdings die Missbrauchsfälle in den Schulen, besonders an intensiv pädagogisch orientierten Privatschulen. Dort besteht für Lehrer keine Zölibatspflicht. Wie erklären Sie sich diese Fälle.

Sokrates: Auch hier liegt nach meiner Ansicht eine anthropologische Siebung zugrunde. Ich möchte versuchen sie anzudeuten. Wenn sich junge Männer für eine besonders intensive pädagogische Tätigkeit, z.B. an Schulen mit einer besonderen pädagogischen Gewichtung, interessieren, dann entscheiden sich für eine solche Tätigkeit nach meinen Beobachtungen überproportional solche Charaktere, die für Jugendliche eine besondere Verantwortung in sich tragen und bei denen der Wunsch nach anderen Bindungen, z.B. an eine Frau und Familie, zurücktritt. Dazu kann von vorneherein auch eine latente oder offene Neigung zur Pädophilie oder Päderastie gehören. Ich möchte damit nicht sagen, dass das für alle oder die meisten Lehrer an pädagogischen Musterschulen gilt, aber doch für einen gewissen Anteil. Und dann kann im Laufe der Zeit jener Kreislauf beginnen, den ich bereits aus der Zeit des antiken Griechenlands skizziert habe: Aus Verantwortung wird Zuneigung, aus Zuneigung Liebe, aus Liebe sexueller Kontakt...

Nach meinen Beobachtungen seit meiner antiken Lehrerzeit schwang und schwingt bei machen überengagierten und berühmten Pädagogen sowohl der Universitätsebene wie der Schulebene zumindest eine latente Pädophilie im Hintergrund mit... Es handelt sich dabei oft um Personen mit sehr wertvollen charakterlichen Eigenschaften, bei denen diese pädophile Komponente eben nur eine peinliche Teilkomponente darstellt... Aber wehe, wenn man das andeutet oder sogar offen unterstellt...

Ich habe übrigens bezüglich der Schulen bisher eigentlich hauptsächlich von Päderastie, also vom Missbrauch mit Jungen, gesprochen. Vermutlich weitaus häufiger aber ist der sexuelle Missbrauch, oder neutraler ausgedrückt der sexuelle Kontakt, mit minderjährigen abhängigen Mädchen in den Schulen.

Der Journalist: Wie kommen solche Fälle zustande. Hat das auch mit genetischen Faktoren und mit Siebungen zu tun?

Sokrates: Wenn es sich um solche Lehrer handelt, die sich an sehr jungen Mädchen, im Grundschulalter oder wenig älter, vergehen, dann ja. Ansonsten handelt es sich einfach um verantwortungsloses Handeln. Lehrer, die mit abhängigen Mädchen ab der Pubertät sexuellen Missbrauch betreiben, sind einfach gewissenlos. Sie wissen um die Abhängigkeit derjenigen Schülerinnen, die ihnen gefallen, von guten Noten und pädagogischer Betreuung und nutzen das schamlos aus. Sie bemühen sich um diese Mädchen so lange, bis diese aus Angst vor schlechten Noten oder vor sonstigen Schwierigkeiten dem Werben des Lehrers nachgeben.

Der Journalist: Wie oft kommt das vor? Weiß man davon an den Schulen genug?

Sokrates: Nach meinen langen Beobachtungen, Gesprächen und nach meinen Vermutungen kommt das an sehr vielen Schulen vor, vermutlich irgendwann an fast jeder Schule. Es wird nur in der Mehrzahl der Fälle nicht bekannt oder nur so unkonkret bekannt, dass man keine Maßnahmen ergreift. Die Schülerinnen wissen oft mehr als die Schulleitung und das Kollegium.

Und die Grenzen sind fließend. Mir haben Schülerinnen von jungen Lehrern erzählt, die auf Klassenfahrten mit ihren Schülerinnen nur heftig schmusten – an sich schon eine deutliche Grenzüberschreitung für einen verantwortungsbewussten Lehrer. In anderen Fällen haben sich außerhalb der Schule und Schulzeit häufig oder sogar regelmäßig intime Treffen abgespielt.  

Hier geht nach meiner Ansicht aber die Initiative gleichermaßen auch von der Seite der minderjährigen Mädchen aus, die sich in einen Lehrer verlieben und die dann den Lehrer regelrecht so lange „reizen“, bis der Lehrer ihnen gegenüber seine pflichtgemäße Neutralität allmählich aufgibt. Solche Fälle bleiben in der Regel im Interesse beider Seiten auch später noch im Verborgenen... Aber auch hier muss ich sagen: Wehe, wenn man das andeutet oder sogar offen unterstellt...

Der Journalist: Aber solche Fälle, die Ausnutzung von Abhängigkeit, gibt es genau so häufig im Erwachsenenalter. Ich denke da nur an die Gerüchte an meiner Universität über Liebeleien zwischen Dozenten und Studentinnen...

Sokrates: Hinter solchen Gerüchten stecken häufig reale Tatsachen. Aber die meisten Fälle werden auch hier nicht bekannt. Ich weiß aus meinen vielen Kontakten und Erfahrungen, dass es immer wieder Dozenten gegeben hat (und geben wird), die gewissenlos die Abhängigkeit der Studentinnen (und auch Studenten) von den Hochschullehrern, ihrer Betreuung und ihren Benotungen ausgenutzt haben. Aber auch hier gilt für mich der Erfahrungssatz: Wehe man das andeutet oder sogar offen unterstellt...

Der Journalist: Ich fürchte überhaupt, dass Sie wegen Ihrer mutigen Offenheit und wegen Ihrer individuell-sachlichen Beurteilung dieses Problems noch Schwierigkeiten bekommen könnten. Selbst eine freizügige Gesellschaft ist gleichzeitig oft noch verlogen nach außen...

Was empfehlen Sie nun zum Abschluss unseres Gespräches unserer modernen Gesellschaft bezüglich des Umgangs mit und der Vorbeugung von solchen Missbrauchsfällen.

Sokrates: Was kann ich der heutigen Gesellschaft nun zum Abschluss noch zum Nachdenken mitgeben? Ich fürchte, dass das genau so ketzerisch für viele ist, wie das bisher von mir Geäußerte. Ich meine, dass der schizophrene Spagat zwischen der freien Sexualität auf der Erwachsenenebene auf der einen Seite und der Sexualität bei Jugendlichen und der sexuelle Umgang von Erwachsenen mit Jugendlichen auf der anderen Seite überdacht werden sollte, weil er langfristig so nicht aufrecht erhalten werden kann.

Denn einerseits hat eine Sexualisierung der erwachsenen Gesellschaft stattgefunden, die fast der der Antike gleich kommt. Überall in Wort und Bild, in den Medien, in der Werbung und im Alltag begegnet Sexualität. Man wird geradezu als altmodisch abgestempelt, wenn man das kritisiert. Andererseits wird der sexuelle Umgang mit Jugendlichen häufig strenger bestraft als Mord. Die die sexuelle Leitorientierung formenden Gruppen versuchen offensichtlich, innerhalb der zu liberalen, eigentlich unmoralischen Erwachsenengesellschaft noch eine Restmoral mit verzweifelter Strenge, also mit Zwang aufrecht zu erhalten und durch strenge Strafen die Jugendlichen vor der sexuellen Freizügigkeit der Erwachsenen zu schützen. Ich finde dafür nur die Kennzeichnung „moralische Schizophrenie“ oder „unglaubwürdiger schizophrener Moral-Spagat“. Denn sexueller Verkehr eines Erwachsenen mit einem Jugendlichen von 17 Jahren und 10 Monaten ist streng genommen strafbar, von 18 Jahren und 1 Tag an aber nicht mehr. Ist dieser Jugendliche in den 2 Monaten wirklich um so viel reifer geworden, dass man ihn in die sexuelle Freizügigkeit der Erwachsenenschicht entlassen kann?

Zu mir kam einmal ein verunsichertes, gereiftes 16-jähriges Mädchen und erzählte mir ihren inneren Konflikt. Sie hatte seit längerem einen Freund von 21 Jahren und dieser Freund wollte gerne mit ihr sexuellen Verkehr haben. Im Sexualkundeunterricht der Schule hatte man gelehrt, dass sexueller Verkehr gesund sei. Nun habe sie aber durch die Presse erfahren, wenn sie mit ihrem Freund sexuellen Verlehr hätte, würde der Freund bestraft, denn sie sei juristisch noch minderjährig. Ich konnte ihr keinen Rat geben. Denn diese schizophrene Lage stimmte. Die Schule hatte im Sexualkundeunterricht populistisch-gefällig das Interesse am Sexual-verkehr gefördert und sogar für nützlich erklärt, die juristische Beurteilung stand aber dem im Unterricht Gelehrten im Wege. Die modern-gefällige Schule oder konkreter der populistische Lehrer hatte sich um diesen Konflikt nicht gekümmert.

Der Journalist: Das war tatsächlich ein Dilemma für dieses junge Liebespaar... Aber was raten Sie nun unserer Gesellschaft in dieser „schizophrenen Situation“, wie Sie sie nennen?

Sokrates: Ich rate, dass einmal die allgemeine Sexualisierung, die permanente Präsens von Erotik und Sexualität in Medien und Werbung und die erlaubte Freizügigkeit innerhalb der Erwachsenen-Gesellschaft deutlich zurückgefahren und eingeschränkt werden sollten. Ich rate weiterhin, dass in den Schulen statt populistischem Sexualkundeunterricht der Aspekt einer Vorbereitung auf Familie und Familiengründung in den Vordergrund gestellt werden sollte. Ich rate weiter dazu, das Zölibat abzuschaffen und darauf hin zu arbeiten, dass Priester/Pfarrer und Lehrer möglichst heiraten und Familien gründen. Ich rate dazu, bei pädagogischen Projekten mit besonders engem Dauerkontakt zwischen Erwachsenen und Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit walten zu lassen. Ich rate schließlich, das Missverhältnis in der Bestrafung von Gewaltverbrechen im Vergleich zu Fällen von Missbrauch an Jugendlichen zu beseitigen und die Fälle von Sexualverkehr zwischen Minderjährigen und Erwachsenen sachlicher zu beurteilen und bezüglich der juristischen Maßnahmen flexibler zu behandeln. Man muss das Problem im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Maßnahmenbündels überdenken und behandeln. Man wird dadurch Missbrauchsfälle nicht völlig verhindern, aber man könnte sie mindern. Von einer Orientierung an unserer antiken liberalen Auffassung rate ich überzeugt ab. Wir waren in vielem nicht nur eine vorbildliche, sondern auch eine dekadente Gesellschaft, die u. a. auch deswegen als Führungsmacht allmählich abstieg. Das möchte ich Deutschland ersparen.

Der Journalist: Jetzt habe ich zum Abschluss noch eine ganz heikle Frage. Sie betrifft die Kinder- und Jugendlichen-Pornografie im Internet. Ist es eine reale Möglichkeit, dass pädophil Veranlagte sich durch Betrachten solcher Internet-Angebote gewissermaßen abreagieren und dass dann der reale Missbrauch mit Kindern und Jugendlichen weniger wird?

Sokrates: Solche Möglichkeiten wurden, wie ich gehört habe, von einigen Kollegen aus der Psychologie tatsächlich diskutiert und auch in entsprechende Therapie-Versuche eingebunden.

Aber meiner Meinung nach werden durch solche Internetseiten pädophil Veranlagte eher dazu angeregt, in der Realität das umzusetzen, was sie virtuell gesehen haben, als dass sie dadurch  beruhigt/abreagiert werden. Der reale Schaden erscheint mir also viel größer als der mögliche therapeutische Nutzen... Ich stimme denjenigen zu, die solche Seiten löschen lassen wollen. Man sollte nicht zu viel Sorge um die Einschränkung der Freiheit haben. Wer die Menschen so gut kennt wie ich, der ist prinzipiell vorsichtig gegenüber zu viel Freiheit – ausgenommen im Denken natürlich.  

Der Journalist: Jetzt haben Sie es sich mit allen verdorben: Mit konservativen Gruppen, mit der Rechtsprechung, mit der katholischen Kirche, mit Medien, mit Universitäten, mit Schulen, mit Liberalen, mit Antike-Griechen-Fans... Ich fürchte, dass jetzt von allen Seiten Kritik hageln wird. Aber Sie sind ja Kritik gewohnt... Trotzdem, ich danke für das Gespräch.

Sokrates: Ich vermute, dass einige mich jetzt wieder den Giftbecher trinken lassen möchten. Aber das wird insofern nicht möglich sein, weil ich ja eigentlich schon vor über 2000 Jahren am Giftbecher gestorben bin und nur noch ein körperlich gewordener Geist bin. Insofern kann ich mir jetzt noch mehr als zu Lebzeiten alle Eigenständigkeiten im Denken erlauben. Vielleicht nützt das auch den Deutschen bei dieser schwierigen Frage... Lassen Sie uns darüber sachlich und mutig zugleich nachdenken.

 

(Verfasst von discipulus socratei, der bei diesem Interview dabei saß und bei einigen Aussagen des Sokrates wegen ihrer Brisanz und Eigenwilligkeit zitterte.)    

  

 


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.05.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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