Steffen Christians

Am schwarzen Loch vorbei

Was passiert als erstes, wenn man an einem schwarzen Loch vorbeigeht?“ fragt der Lehrer in den Raum. Als keine Antwort kommt streift er durch die Reihen und hält vor einem jungen Mann an, der sich mehr mit dem Zettel unter seinem Block beschäftigt als mit dem Unterricht. Mit einem Ruck zieht der Lehrer den Zettel unter dem Block hervor und steckt ihn in die Innentasche seines Jacketts.  

Anatho, was passiert dann?“ fragt der Lehrkörper diesmal direkt. Die zögerliche Antwort des Angesprochenen ertönt dennoch klar : „ Als erstes werden alle freien Elektronen im Körper vom schwarzen Loch angezogen, Herr Göhrs 

Und woher wissen wir DAS! Herr Schlaumeier?“ fragt der Lehrer und wird dabei vom schrillen Pfeifen des Schulgongs unterbrochen. Das ansteigende atonale Geräusch unterbricht jeglichen Gedankengang, der gerade in jedem einzelnen vorging. Egal ob es grade um das Briefchen in der Jackettasche geht oder schwarze Löcher. Das Pfeifen ist der Alarmton der Schule, das bedeutet einen weiteren Angriff.  Der Fliegeralarm, das schrille Pfeifen, wird nun von einem tiefen Brummen begleitet.

Ok Kinder ihr wisst was das bedeutet! Sie kommen mit Landetruppen. Macht euch bereit, ihr seid die aktuelle Wachklasse. Somit habt ihr die Ehre zusammen mit dem Schulmilitär die Verteidigung zu übernehmen. Begebt euch jetzt zur Waffenkammer und rüstet euch aus. Anatho, du bist ja hier der Alphawolf, also zeig denen wie ein Saturner mit so einem Angriff umgeht.

Mit vor Stolz angeschwollener Brust steht der Junge man auf und bellt laut einige Befehle durch die Reihen seiner Mitschüler. In Rekordzeit hat sich die gesamte Klasse auf dem Schulflur eingefunden und marschiert im Gleichschritt den Flur entlang. Nach wenigen Minuten kommt der Trupp an der Waffenkammer an und in geordneter 2er Reihe gehen die Schüler in die Bewaffnungs-Gänge.

Mit einer lauten sterilen weiblichen Stimme meldet sich die Hauselektronik:

EIN SCHÜLER NACH DEM ANDEREN EINTRETEN!  LEGT DIE RECHTE HAND AUF DAS FINGERNAGEL-ERKENN-FELD. DIE HAUSROBOTIK WIRD EUCH NACH EUREN FÄHIGKEITEN UND VORLIEBEN ENTSPRECHEND AUSRÜSTEN. VERLASST ZÜGIG DIE BEWAFFNUNGS-GÄNGE DAMIT NACHRÜCKENDE EINHEITEN NICHT GESTÖRT WERDEN. EIN REIBUNGSLOSER ABLAUF IST VON NÖTEN. DIES IST KEINE ÜBUNG

 

An vorderster Front geht der junge Anatho in den Gang, als direkter Vorgesetzter bekommt er eine Spezial-Ausrüstung.   Vom Aussehen her kann man die Ausrüstung der Schüler nicht unterscheiden, lediglich ein paar weitere Einbauten ermöglichen dem Gruppenführer seine Mitschüler mit wichtigen Informationen zu versorgen.  Als erstes entledigt die Robotik den jungen Mann seiner Kleidung durch einen Zersetzungsstrahl, danach wird er aus in den Wänden eingelassenen Düsen mit verschiedenen Kontaktmitteln besprüht.  Als letzte Schicht bekommt er eine Gleitmittel-Fettung aufgesprüht, die der Robotik die folgenden Bekleidungsschritte vereinfachen soll. Die Folgeschritte laufen in Sekundenbruchteilen ab. Die Gravitation wird aufgehoben und die Robotarme fangen an den jungen Mann zu bekleiden.

Funktionsunterwäsche wird ihm übergestreift, lange gelbe Stoffunterwäsche die seinen Körper bis auf die Hände und den Kopf vollständig bedeckt. Mit leisem Surren startet die Wickelmaschine. Ein einzelner metallener Arm fährt aus der Wand und befestigt einen Stoffstreifen am Hals von Anatho.  Mit hoher Drehzahl wird der junge Mann gedreht und steht danach in der Standardmilitäruniform am Ende des Mittelstücks. Vier Stiefelteile fahren aus dem Boden und 2 davon umschließen jeweils einen Fuß und verschmelzen miteinander.  Aus Wandklappen werden den Händen die Schrumpf-Handschuhe übergezogen und zusammengezogen.  Jeder der diese Prozedur einmal über sich ergehen lassen hat, schwärmt davon wie perfekt diese Uniform doch sitzen würde. An der Decke vor Anatho dreht sich das Waffen-Karussell und lässt schließlich ein EMP-Repetiergewehr und einen Nadel-Dolch zu dem Schüler herab. Er greift zu und befestigt die Waffen an den dafür vorgesehen Schlaufen seiner Uniform. Die Anti-Gravitationstechnik hatte vieles für die Soldaten vereinfacht, vor wenigen Jahren noch musste jeder sich selbst ankleiden, seine Waffen in dem riesigen Arsenal aussuchen und von Passform, konnte bei den standardisierten Uniformen keine Rede sein. Als letzten Bestandteil bekommt Anatho den Kampfhelm aufgesetzt, das Herzstück seiner Ausrüstung. Auf dem Display erhält er alle wichtigen Kampfinformationen, Lagepläne, Gesundheitszustände seiner Mitschüler und ganz wichtig die Freund-Feind-Erkennung. Worüber sich Anatho aber am meisten freut, ist der integrierte Marker mit dem er seine komplexen Kampftaktiken seinen Mitschülern verdeutlichen kann.

 

Nachdem er nach knapp 20 Sekunden den Gang verlässt, folgen ihm im schnellen Takt seine Mitschüler. Als erstes kommen die 3 Untergruppenführer aus den beiden Gängen, danach folgt der Rest und stellt sich jeweils hinter dem zuständigen Untergruppenführer auf.  Optisch kann Anatho die einzelnen nicht mehr unterscheiden, ohne die Namenszüge die auf seinem Display eingeblendet werden, hätte er keinen einzigen wiedererkannt. Alle bis auf einen, Gothami, sein ältester Untergruppenführer war einfach zu auffällig, sein überdimensionierter Raketenwerfer, der ihm schräg über den Rücken hängt ist doch etwas sehr einprägsames. Vor allem, weil Anatho ihn bereits damit arbeiten gesehen hat und weiß wie leichtfüßig sein Freund damit durch die Gänge tänzelt. Langsam teilen sich die 4 Grüppchen auf und bewegen sich geduckt zu den von Anatho markierten Verteidigungspunkten. Aus Deckenluken springen plötzlich die Wachmannschaften der Schule zu den einzelnen Gruppen, je 40 Mann des Schulmilitärs schließen sich den Schülern an. Die Männer sind kreidebleich unter ihren Helmen. Keiner von ihnen sagt ein Wort.

Na freust du dich auf den Tod?“ fragt ein Schüler, doch anstatt einer Antwort erhält er nur ein erschüttertes Schweigen. Eine Sekunde später wird Anatho von Gothami informiert. Verärgert schaltet Anatho auf die Schüler-Interne-Sprechfunkverbindung und schnauzt: „Egal wer das war, aber verunsichert die Soldaten nicht, ihnen ist bewusst, dass sie die folgende Schlacht wahrscheinlich nicht überleben werden. Also demoralisiert sie nicht auch noch, jeder erschossene Feind macht es uns einfacher. Oder möchte einer von euch das Pech haben und wegen zu niedriger Benotungspunkte gehängt werden?

Mit einem lauten „ORHAAA“ wird Anatho bestätigt und einzelne Schüler stimmen Schlachtgesänge an. Die Soldaten fallen nach kurzer Zeit in den Gesang mit ein. Musik war schon immer gut gewesen um Soldaten zu motivieren und auch hier verfehlt sie ihre Wirkung nicht.

 

Die Schüler sind in Deckung gegangen, ihr Kanonenfutter, wie sie insgeheim scherzen, hat sich neben und vor ihnen in den Gängen verschanzt. Jetzt bald müssen sie kommen, die unsagbaren Schrecken von der Erde. Die, die Bevölkerung Saturns von ihrer Menschlichkeit abgestoßen hatten, sie als mutierte Monster und Aliens beschimpfen. Dabei hatte die Erde sie doch erst hierhergebracht. Das die Besiedlung des Saturns für Komplikationen sorgen könnte, das war allen bewusst gewesen. Das der Gasriese mit der 26 fachen Erdmaße und den Amoniak-Wolken, nicht so eben im Handstreich besiedelt werden kann, wie der Mars oder Mond, das wusste man auch. Aber, dass so massive Veränderungen am Geist des Menschen geschehen, damit hatte keiner gerechnet. Und jetzt, jetzt hat die Menschheit Angst vor dem anderen, dem Fremden. Doch die Saturner hatten nicht vor sich von ihren Urvätern vernichten zu lassen, sie würden kämpfen bis in alle Ewigkeit.

 

Mit lautem bersten zerbrechen die Poli-Beton-Platten der Wände und aus der Wand ragt der offene Rachen eines Sturmlandungsboots in den Gang. Aus dem inneren stürmen Soldaten wild schießend in das Schulgebäude. Sie tragen bionische Exoskelette und dicke Panzerwesten. Die schweren Maschinengewehre, die an den Armen der Exoskelette abgebracht sind, rattern mit tödlichem Stakkato in die Gänge.  Die mutigsten der Soldaten der Schule, die in den vorderen Reihen  hinter Tischen in Deckung gegangen waren, werden von den daumendicken Geschossen regelrecht auseinandergerissen.  Das Abwehrfeuer der vorgelagerten Soldaten ist zwar gezielt und militärisch geordnet, aber nicht ein einziger der schwer gepanzerten Exo-Kämpfer geht zu Boden. Nach wenigen Minuten sind fast alle der Schul-Militärs Tod oder schwer verwundet.

Der gepanzerte Trupp bewegt sich nun geordnet durch die langen Gänge. Lauter Sprechfunk  ist zu hören. „JETZT!“ schreit Anatho in seinen Kommunikator und das laute Krachen einer von Gothami´s Raketen lässt die Schüler in Aktion treten. Panisch fangen die Exo-Kämpfer der Erde an um sich zu schießen, als einzelne von ihnen plötzlich von unsichtbarer Hand in die Luft geschleudert werden und sich führungslose Dolche wie von Geisterhand in ihre Körper bohren.  An einem Ende des Ganges lodern die Flammen der Raketenexplosion und nehmen die Gestalten von Menschen an, die auf die Kämpfer zusteuern. Am anderen Ende sind die verschanzten Schüler und schießen auf die Exo-Skellete. Den meisten wird klar das sie in einer Falle stecken aus der es kein entrinnen gibt.

Der Anführer der Gruppe öffnet einen Kom-Kanal zu einem Kriegsschiff und gibt durch: „EXO-TERMINUS 18, wir sind gefallen, aber dafür haben wir jetzt den Standort der neuen Paranormalen-Schule, sofort das Bombardement starten, wir kommen hier nicht mehr lebend raus. Rächen Sie uns und grüßen sie unsere Familien.“ Kaum hat der Mann zu Ende gesprochen spürt er wie sich sein Körper verkrampft, wie sich alle Teile seines Körpers zusammenziehen wollen. Als er sich umsieht, stellt er fest, dass es seinem gesamten Trupp nicht anders geht. Der Zug an seinen Muskeln und Knochen wird immer stärker, ob seine inneren Organe überhaupt noch existieren oder bereits zerstört sind, kann er nicht mehr fühlen.  Er schreit auf vor Schmerzen und sieht wie ein Soldat des Saturns sich aus seiner Deckung löst, schwarzes Glitzern an seinen Händen zeugt davon, dass er seine übernatürlichen Kräfte nutzt. Der immer stärker werdende Druck geht von einem kleinen schwarzen Ball aus, der mitten im Gang schwebt, und schließlich alle im Gang verstreuten Exo-Soldaten verschlingt.

Das Miniatur Schwarze Loch, das Anatho geschaffen hat, hat letztendlich fünf der Exo-Männern das Leben gekostet, nur um sich dann wie eine Illusion aufzulösen. In den anderen Gängen waren die Kämpfe ähnlich schnell zum erliegen gekommen. Die Schüler haben so vielfältige Fähigkeiten, dass es in jedem Gang andere Zerstörungsszenarien gibt. Ein Gang ist vollkommen vernebelt, ein anderer mit glibbrigem Schleim bedeckt, der von den Wänden tropft. Der Gang von Anatho ist geradezu steril und der von Gothami lodert immer noch in Flammen, die sich am Querflur  Stück für Stück mit den Geistergestalten ausgebreitet hatten. Ein Schüler macht Meldung bei Anatho: „Melde gehorsamst die Absendung jeglichen Sprechfunks wurde unterbunden, lediglich der lokale Sprechfunk wurde zugelassen. Es sind erfolgreich keine Meldungen an die Kriegsschiffe gegangen.“ „Gut ich schlage dich für eine gute Benotung vor“ lautet die knappe Antwort von Anatho, der auf seinem Display dem noch sehr jungen Schüler einen Stern hinter dem Namen verpasst.

 

Nach einigen Tagen ist der Normzustand wieder hergestellt und die Schüler sitzen wie gewohnt im Unterricht. Gothami versucht die Aufmerksamkeit der Mädchen durch Albernheiten zu erhaschen, Anatho tauscht mit einer jungen Frau Briefchen aus und sein Lehrer schafft es wie immer ihm irgendwann diesen Brief abzujagen. Nachdem der Lehrer zu seinem Platz zurückgekehrt ist, sagt er:

Vor dem letzten Überfall hatte ich gefragt, was als erstes passiert, wenn man an einem schwarzen Loch vorbeigeht. Nun das Thema hatten wir noch nicht zu Ende diskutiert. Also Anatho, wie sieht es jetzt aus, was passiert nochmal als erstes? Und warum?

Anatho räuspert sich und antwortet salopp: „Sie sollten sich eher fragen, was als letztes eingesogen wird….

Doch innerlich war Anatho nicht zum scherzen zu Mute, er fragte sich eigentlich nur, ob die Menschen schon immer so Intolerant waren und ob sie jemals ihre Scheu vor fremden Dingen ablegen würden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.05.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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