Karl-Heinz Franzen

Gesucht und gefunden. Ein Fragment


Erich hat ihn gesucht. Er hat ihn gesucht und gefunden. Dabei wussten wir alle nicht, dass er ihn überhaupt gesucht hat. Wir alle? Ja, wir alle. Seine besten Freunde, wie so gesagt wird. Ja, wir alle. Wir sind zusammen zehn Personen. Vier Ehepaare und zwei Single. Franz ist schwul und bringt seinen Freund nicht mit, weil der mir! immer schöne Augen macht. Und Josef ist Single, weil er ein Eigenbrötler ist. Übrigens, das war er schon zur Schulzeit. Aber bei Erich und Rita hat er nach meiner Erinnerung noch „nie“ gefehlt.

 

„Sie leheben, sie leheben, sie leben dreimal hoch, hoch, hoch. Sie leheben, sie leheben, sie leben dreimal hoch. Sie leben dreimal, hoch, hoch, hoch …“

 

So eine Kaffeetafel bei Erich und Rita garantiert frohe Stunden. Da wird geschwätzt, gesungen und gelacht. Sich auf die Knie geschlagen und dem Platznachbarn auf die Schulter. Und so weiter, und so weiter, und so weiter. Peter ist immer hinter meiner Erika her. Immer. Sobald Erika sich aufhübschen geht, dann muss Peter eine draußen rauchen. Dabei legen Erich und Rita großen Wert (als leidenschaftliche Nichtraucher) darauf, dass bei unseren Treffen im Wohnzimmer geraucht wird. Warum? Klar, doch. Das hat Erich mir mal in seinem Hobbykeller verraten: Eine ganze Woche lang haben die beiden „noch gut davon“, bis das schöne Fest weggelüftet ist. Natürlich werden bei der Gelegenheit auch die Gardinen gewaschen und, und, und …

 

Rita, eine mittelgroße, dralle und lebenslustige Frau von Anfang Fünfzig, backt hervorragend Torten. Quer durch das von jedem Bäcker bekannte Sortiment. Hmmh. Hmmh. Hmmh. Für mich sind ihre Nusstorten der absolute Spitzenreiter. Meine Erika liebt die Donauwellen. Heute hat Rita nach dem Motto gebacken und geschmückt: Wir lieben die Schweiz. Hmmh. Hmmh. Hmmh. By the way. Rita tanzt Tango wie eine Göttin. Da stellt sie selbst meine Erika etwas in den Schatten.

 

Dazu gibt es richtig starken Bohnenkaffee, den nur Martha, die Frau vom Fritz, verdünnt mit heißem Wasser, weil sie „was mit der Pumpe“ hat. Dazu gibt es danach, das heißt nach der Kaffeetafel, die aber „niemals“ abgeräumt wird, reichlich Himbeergeist. Himbeergeist, den Erich höchstpersönlich von der Wiege bis zur Bahre, von der Wurzel bis zur Flasche, begleitet hat. „Da gehe ich jeden frühen Morgen und jeden späten Nachmittag in den Garten und wehe …“ Der Himbeergeist ist seine Spezialität. Himbeergeist passt immer.

 

Es ließe sich über Erich und Rita noch so Einiges erzählen. Doch ich will heute den Weg zu „gesucht und gefunden“ nicht allzu sehr umschweifen. Übrigens. So als Freunde würden wir sagen: „Erich und Rita haben sich gesucht und gefunden. Ein sauberes Paar!“ Das stimmt. Sie sind fleißig. Alle beide. Sie haben natürlich ein eigenes Häuschen, wo bald die letzten Raten fällig sind. Einen PKW, zwei Kinder, werden bald Großeltern … wir sind es schon, die Erika und ich … Genau, ja Ihr ahnt es schon, das Spiegelbild der treffsicher von der Romanwelt und Fernsehwerbung gezogenen Ideale …

 

„Er lehebe, er lehebe, er lebe dreimal hoch, hoch, hoch. Er lehebe, er lehebe, er lebe dreimal hoch. Hoch, hoch, hoch …“

 

„Ich gehe mal eben in den Keller“, sagte daraufhin Erich. Die Runde grölt. Klar doch. Das Fass mit dem Himbeergeist ruft. Als Erich nach einer guten halben Stunde noch immer nicht wieder an Deck ist, und nun tatsächlich „null Himbeergeist“ auf dem Tisch steht, singt der Freundeskreis mich sozusagen in den Keller. „Hilf ihm mal beim Zapfen“. Was ich dann auch in die Tat umsetzen wollte.

 

Schon auf der Kellertreppe kam mir ein Geruch wie „vollgeschissen und nicht abgezogen“ entgegen. Das wunderte mich sehr, denn Erich verbrachte selten länger als fünf Minuten auf dem Örtchen im Keller. Sein Stammplatz. Das Fenster wurde vor dem Starten bereits weit geöffnet, und es musste „währenddessen“ mindestens zwei- bis dreimal abgezogen werden. Keiner sollte auch je ein Duftpröbchen seiner Verdauung genießen dürfen. Das konnte es also nicht sein. Somit wähnte ich Erich über dem Fußbodenablauf und Gülle schöpfen, weil es sich im Abflussrohr nach draußen, wieder von den Wurzeln der Hecke durchwachsen, aufstaute … „Da muss man sowieso mal mit der Kamera durch. Schon wegen dieser handwerkerfreundlichen Dichtigkeitsprüfung.“, so sagte es Erich damals.

 

Gerade hatte ich mich so vermutend und nachdenkend treppabwärts hüpfend Richtung Hobbyraum gebracht, da hing er auch schon vor mir. In ganzer Länge von der Kellerdecke. Der Fender von seinem Segelboot hing auch nach an dem Tau, dass er um einen Haken an die Decke geknüpft und um seinen Hals geschlungen hatte. Aus dem rechten Hosenbein wand sich und tropfte, was ich gerochen hatte.

 

Das Fass mit dem kostbaren Himbeergeist war zur Seite gestoßen und in die äußerste Kellerecke gerollt. Kein Tropfen verschüttet, erschien mir, und ich musste unwillkürlich grinsen.

 

Gesucht und gefunden.

 

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18. Mai 2010

 

 

 

 

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