Andreas Gritsch

Eduard mit ohne Scherenhand

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard hatte ein Magengeschwür und eine Beule am Hals. Er war mein Nachbar, noch im letzten Jahrhundert, als ich Lehrjunge der besten Bäckerei im Dorf war. Ich hatte fast keine Allergien, Eduard dafür um so mehr. Wir haben uns leider nicht gut verstanden, weil er aus Kasachstan kam und nur kasachisch sprach. Aber er roch immer sehr gut, weshalb ich ihn im Lift immer angelächelt habe. Damals fuhr ich sehr gerne mit dem Lift, heute nicht mehr, weil Eduard vor zwei Monaten tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde.

Mir fiel zuerst nichts auf, ich ging zur Arbeit wie jeden Tag, bis eines Nachts ein Wurm in meinem Auge kleine Eier legen wollte. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich alle Tiere auf der Erde geliebt, weshalb ich auch nicht Schlachter wurde, was in unserem Dorf die einzig andere Möglichkeit gewesen war. Aber nach dieser Erfahrung konnte ich mich in kein Tierchen mehr verlieben und habe angefangen, Fleisch auch mal roh zu verspeisen. Erduard hatte davon manchmal noch etwas zwischen seinen Zähnen, ich glaube er wäre stolz auf mich gewesen.

Seltsamer Geruch war und ist auch heute noch in unserem Treppenhaus. Weil ich mich auch nur selten wasche, war es kein Grund deshalb aufmerksam zu werden. Eduard hat lange an der Küste gearbeitet, als Krappenpuler in Teilzeit, obwohl ihm zwei Finger an der rechten Hand fehlten. Abends saßen wir oft zusammen und haben alles im Schweigen vertanden. Wir haben uns mit Gesten verständigt und zum Abschied immer geküsst. Meist lag dies nicht am Vodka, sondern am Mond, aber manchmal doch am Vodka. Ich vermisse Eduard.

Ganz anders als die anderen im Dorf. Fast alle waren froh dass er endlich tot war, bis auf Leyla. Sie war die schönste Prostituierte in unserem Ort. Sie war auch immer willig und billig und nahm sich nur am Sonntag frei. Ich war auch mal bei ihr, hab mich dann ausgezogen und Leyla lachte, weil mein Penis so klein ist. Danach bin ich nicht mehr zu ihr gegangen, aber Eduard hatte in ihrem Zimmer immer eine gute Zeit. Nachdem er bei ihr war und sich zu mir ans Lagerfeuer setzte, schob er sich sogar sein Gebiss in den Mund und lächelte zufrieden. Wir sahen dann hoch zu den Sternen und hielten unsere Händchen.

Nun stand ich also damals vor der Tür zu unserem Haus an den Mülltonnen, um meine alten Unterhosen zu entsorgen, da tragen zwei dunkle Gestalten einen Sarg an mir vorbei. Gleich dahinter Polizei mit bösen Blicken in meine Richtung. Kurz bevor einer von denen anhebt um mich zu befragen, oder zu beschimpfen, kommt Leyla um die Ecke und heult lauter als jede Sirene. Sie wirft sich auf den Sarg und weint und klagt und schreit. Köpfe ragen nach und nach aus allen Fenstern der Nachbarschaft, schütteln sich und verschwinden wieder. Dies war also der Abschied von Eduard.

Ich wollte Leyla trösten und lud sie auf eine Tasse Tee in meine Wohnung ein. Wir saßen stumm zwei Stunden nebeneinander auf meinem Sofa rum, bis sie sich plötzlich erhob. Sie begann zu tanzen und sich zu drehen, um dabei in Stille zu weinen. Nach kurzer Zeit begann auch ich diese Melodie zu hören und gesellte mich zu ihrer Bewegung. Langsam begann der Mond seine Bahn in unsere Herzen zu führen. Wir berührten unsere Händchen, lächelten im gemeinsamen Gedenken an Eduard und vereinten unsere Körper, um die Zeit an ihn nicht ewig zu vermissen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.05.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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