Kai Pfeiffer

Sterben mit Verspätung






Ist
die Hölle für Mitarbeiter der Deutschen Bahn eigentlich schlimmer
wie für andere Menschen? Wenn es nach vielen Reisenden gehen würde,
wäre das die logische Konsequenz für das tägliche Chaos auf
Deutschlands Schienen. Aber wie sieht der Weg zu Himmel und Hölle
überhaupt aus?
Hat
man ein Leben ohne Arbeitsvertrag mit der Deutschen Bahn vollendet
und stirbt, schwebt man durch einen langen, dunklen Tunnel mit einem
hellen Licht an Ende. Man versucht es zu greifen, bis man irgendwann
in ihm versinkt. Anschließend findet man sich in einer riesigen
Halle wieder, lediglich gefüllt mit einem goldenen Tor am Fuße
einer langen Treppe, die sich bis in die Wolken­decke erstreckt,
einer großen, roten Falltür und einem Dia-Projektor, auf dem die
wichtigsten Ereig­nisse seines Lebens in einer Endlosschleife
aufleuchten. Die Begrüßung übernimmt, wie sollte es anders sein,
Petrus höchst persönlich, adrett gekleidet im sandfarbenen Gewand
mit passenden Ledersandalen.Gemeinsam sinniert man über sein
vergangenes Leben und nach genauem Abwägen guter und böser Taten
öffnet sich entweder das Tor in Richtung Himmel, einem wachsen
Flügel und man ist für immer glücklich; oder aber es ist Zeit für
die Falltür, man versinkt in sengender Hitze und bezahlt bis in alle
Ewigkeit für seine schlechten Taten zu Lebzeiten.
Ein
Bahnmitarbeiter hat es bei diesem Prozess nicht ganz so einfach. Das
Schweben durch den Tun­nel wird durch einen Eisenbahntunnel
ersetzt, der nur vom ICE666 befahren wird. Eine erste Klasse gibt es
nicht und von Sitzplätzen ist weit und breit keine Spur. Der
Service-Muffel muss sich also mit dem Fußboden vor der
zugeschissenen Toilette begnügen und mit ständigem Breichreiz muss
er auch noch allerlei ertragen; seien es die inkontinenten Rentner
mit Krückstock, die schon auf dem Weg zum Klo die ersten Gase direkt
in sein Gesicht versprühen, oder die Barfuß-Aktivisten mit
schweißnassen Achselhaaren, die sie freundlicherweise beim
vorbeigehen direkt durch sein Gesicht ziehen. Kurz vor erreichen des
hellen Lichts bleibt der ohnehin schon 144 Minuten verpätete Zug
unerwartet stehen: „Meine Damen und Herren, sehr geehrte Verdammte.
Wegen absoluter Faulheit ihrer ehemaligen Kollegen und einer
nationalen Kaffeepause verzögert sich die Weiterfahrt um mehrere
Stunden. Leider hatten die Mitarbeiter des Speisewagens selber zu
viel Hunger, daher können wir Ihnen nichts mehr von unseren
überteuerten Speisen oder Getränken anbieten. Weiterhin
entschuldigen wir uns für die ausgefallene Klimaanlage, was bei 40°
C mittlerweile unangenehm werden könnte...Ladies and the gentelmän,
AI häf lörnt inglisch neva, so AI ried aut wot mai kollieck wrote
daun: AI laf small kittens because sei are soh
flaffi. Ssank juh for träwweling wis Deutsche Bahn!“
Sind
die Stunden der Wartezeit und des Schwitzens vorbei und der Zug fährt
endlich im Zielbahnhof ein, befindet sich auch der Bahnmitarbeiter in
der großen Halle.Doch es fallen sofort einige Veränderungen auf. Am
goldenen Tor blitzt ein gelber Zettel: „Tür unbenutzbar – door
not in use“ und die Treppen dahinter zerbröckeln Stück für
Stück. Auf der roten Falltür steht nun ein kleiner Stand mit großem
Schild: „DB Service Point“ und auch die Begrüßung durch Petrus
fällt aus, denn der Dia-Projektor ist eh gerade wegen einer
Signalstörung außer Betrieb. Lediglich ein mit roter Service-Weste
bekleideter und mit rosaner Mülltüte bewaffneter Mann wuselt durch
die Gegend und hebt fallen gelassene Deutsche Bahn-Seelen auf. Er
kommt auf den Bahnmitarbeiter zu, entdeckt das Namensschild an der
linken Brust, schüttelt den Kopf und schmeißt ihn ohne großes
Zögern mit in die Tüte. Diese wandert dann in die Falltür. Doch es
wartet kein Fegefeuer auf die Bahnseelen oder andere Foltermethoden.
Haben sie den Boden des Loches erreicht sitzen sie wieder vor der
gleichen stinkenden Toilette, im wieder verspäteten Zug wie zu
Beginn ihrer Reise in die Hölle. 

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