Rita Bremm-Heffels

Ein Augenblick

Ein Augenblick

Die Luft war schwül an diesem Tag.

Ich spürte eine seltsame Unruhe in mir, ähnlich einer Ahnung, als würde etwas geschehen,
etwas Unberechenbares, Fremdes.

„ Dummkopf,“ sagte ich zu mir selber. Du mit deinen „Ahnungen“, ein Erbe meiner Mutter.
Wäre es wenigsten etwas Erfreuliches gewesen was mir schwante – nein, es war etwas, was mich unruhig und ängstlich machte.

Ich hatte einiges zu erledigen an diesem Tag.
Gewitterluft hatte sich über die Stadt gelegt
Autofahrer hupten wie besessen.
Es schien, als sei ich nicht die Einzige die Unruhe verspürte.

Die Kanzlei des Notars zu dem ich wollte lag im sechsten Stock eines wunderschönen Jugendstilhauses.
Ich kannte mich aus, wollte mir an dem Tag die mühsamen Treppen ersparen, die ich sonst schon allein wegen der wunderbaren Malereien an den Wänden benutzte.

Der Fahrstuhl war klein und eng, vielleicht für drei höchstens vier Personen.
Ich drückte die 6, die Tür schob sich langsam zu - da zwängte sich die Spitze eines schwarzen Schuhs dazwischen. Eines Damenschuhs.
Durch den schmalen Spalt drückte sich eine Frau herein und lächelte mich an.
Etwas atemlos sagte sie: “ Oh es tut mir leid, wenn ich sie erschreckt habe. Aber der alte Kasten hält immer so lange oben, da hätte ich ewig warten müssen.“

Ich lächelte zurück, während sich die Tür endgültig schloß und sich der Fahrstuhl ganz langsam in Bewegung setzte.

So unauffällig als möglich sah ich sie an. Sie war eine ungewöhnliche Person.
Eine dieser Frauen, die man weder jung noch alt nennen konnte. Bei denen das auch gleich war, unwichtig, ob groß oder klein, dick oder dünn. Es war ihre ganz besondere Ausstrahlung, die sie
alterslos aussehen ließ, auf eine eigenwillige Art schön, sinnlich, mit kurzen schwarzen Locken, dunklen Augen.
Ganz plötzlich, so als hätte sie meinen Blick bemerkt, schaute sie ungeniert zurück.
Und dann geschah etwas sonderbares: Sie hielt meinen Blick fest wie mit einem Magnet, glitt durch meine Augen in meine Seele, mein Herz und die intimsten Stellen meines Körpers.
Ich spürte ein völlig unbekanntes Prickeln, sah auf ihren Mund. Die vollen, roten Lippen, leicht geöffnet lächelten herausfordernd und lockend..

Mein Herz begann zu klopfen, rasend, ich hatte das Gefühl ich empfände etwas Verbotenes
Sündiges.
Aber es gab nichts mehr zurück zu halten, ich stand unter einer seltsamen Art von Hypnose.

Die Fremde, Schöne hob langsam ihre Hand und ein zarter Duft von Malve und Rosenblüten streifte mich.
Sie legte ihre Hand an meine Wange, ganz warm und weich war sie, zeichnete ganz zart mit ihren Finger Spitzen die Konturen meines Gesichtes nach, meiner Nase, meiner Lippen, zupfte leicht an meinen Ohrläppchen und glitt hinunter bis zu den Wölbungen meiner Brüste, die ihr deutlich zeigten was ich empfand.

Ich lehnte an der Fahrstuhlwand, völlig erstarrt und doch voller intensivster Gefühle.

Was geschah mit mir, ich, die ich mich nie auch nur im geringsten für Weiblichkeit in dieser Form interessiert hatte?

Das alles war in den wenigen Minuten geschehen in denen der Fahrstuhl nach oben fuhr.

„Ding-Dong“ machte es und die 6 leuchtete auf.

Noch einmal lächelte die Fremde, hob mit ihrem Zeigefinger ganz sacht mein Kinn nach oben und strich mit ihren Lippen leicht, fast wie ein Hauch, über meine, die sich öffneten ohne daß ich es wollte.
Ein unbeschreiblicher Moment der Süße durchfuhr mich, als dieser fremde, heiße, weiche Mund mich berührte und ich für einen winzigen Augenblick ihre Zungenspitze spürte.

Die Tür schob sich zur Seite und sie trat mit einem Schritt nach hinten aus dem Fahrstuhl -
und war verschwunden.

Ich blieb stehen, wie versteinert.

Der Fahrstuhl schloß sich langsam wieder. Alleine fuhr ich wieder nach unten.
Nur der zarte Rest von Rosen und Malvenblüten gab mir die Gewißheit, daß alles kein Traum gewesen war.

Benommen, wie in einer anderen Welt verließ ich das Haus.

Ich fuhr mit dem Taxi nach Hause, legte die alte Platte mit dem Bolero von Ravel auf und
schloß die Augen.

Im schwülen Zimmer auf meinem Bett sah ich sie im Geiste vor mir, lächelnd, schwarz lockig,
wild und zart und mit Lippen voller Sinnlichkeit und Leidenschaft. Sie hatte durch eine einzige kurze Berührung die Luft um sie herum vor Erotik zum knistern gebracht.

Mein Gefühl vom Morgen hatte mich nicht getrogen. Es war etwas geschehen, etwas Ungeheuerliches.
Eine fremde Frau hatte in Minuten Gefühle und Sehnsüchte in mir geweckt von denen ich nicht einmal geahnt hatte, daß es sie gab.

Doch von denen ich mir sicher war, nie mehr genug zu bekommen........


30.12.2002 R.B.






Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Rita Bremm-Heffels).
Der Beitrag wurde von Rita Bremm-Heffels auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Rita Bremm-Heffels als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Kriegskinder: ... nach dem II. Weltkrieg von Klaus Buschendorf



Ein Land voller Trümmer ist ihr Spielplatz, doch in Trümmern liegen nicht nur die Häuser. Schwer tragen die Erwachsenen am Trauma des schlimmsten aller Kriege auch an dem, was zu ihm führte. Und immer hören sie die Worte: Nun muss alles anders werden! [...]

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (3)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Romantisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Rita Bremm-Heffels

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Marion von Rita Bremm-Heffels (Lebensgeschichten & Schicksale)
Olga der Marienkäfer von Matthias Brechler (Romantisches)
die Geschichte vom Maffeiplatz ! von Egbert Schmitt (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen