Andreas Gritsch

Der Ministrant

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Jedes Jahr bemühte sich der Pfarrer unseres Dorfes in die dritten Klassen der einzigen Grundschule und   fragte nach Freiwilligen für den Dienst am Altar. Nur einer hat sich gemeldet, wurde belacht und später bewundert. Durch jene Sonderstellung inmitten seiner Kameraden fühlte er sich in seiner Arbeit bestätigt. Wir hatten alle Religionsunterricht von der ersten bis zur letzten Klasse, aber warum will ein neun Jahre alter Junge diesen Dienst vollziehen?

Offensichtlich zog ihn die Kirche als rein mystisches Gebäude förmlich an, wie auch ein paar andere Jungs aus verschiedenen Klassen. Mit Religion hatte das ganze nur wenig zu tun, und aus dieser "Bruderschaft" wurde sehr schnell eine verschworene, geheimnisvolle Sondereinheit. Es ging dabei nicht nur um die bewundernden Blicke der knieenden Mädchen auf den Holzbänken vor dem Altar. Und auch nicht um die synchronen Bewegungen eines jahrtausenden alten Rituals, umhüllt durch sphärische Orgelklänge, welche sich im Weihrauch bis zu den Flügeltüren sinnlich auf die Gemeinde auszuwirken wußten. Nein, es ging um diese Einheit.

Das waren Jungs aus allen Schichten, sie nahmen an allen gesellschaftlichen Prozeduren teil, doch sobald es um ihre Arbeit ging, begannen sie zu schweigen und verständigten sich nur noch untereinander. Nicht mit Worten, nicht mit Gesten, sondern einfach nur durch Blicke, welche ein tiefes Verständnis zur Grundlage hatten. Ohne ein Wort hinterher zu rufen, und sei es nur im Spaß, respekierten wir ihre Entscheidung, um sie keine zwei Stunden später während der Messe vorne im Altarraum zu bewundern. Manchmal saßen wir danach im Mannschaftsheim zusammen, und ihr Weihrauchduft durchdrang den ganzen Raum. Egal wie unser Spiel zuvor geendet hatte, die ersten Eltern, welche uns abgeholt hatten, lächelten und gingen nicht weiter auf das Spielergebnis ein.

Wir waren alle getauft, hatten die heilige Kommunion erhalten und wurden gefirmt, aber nur die Ministranten trugen diesen seltsamen Schimmer auf allen Wegen mit sich herum. Natürlich wurde ich neugierig und wollte etwas mehr darüber erfahren, weshalb ich eines Abends den Mesmer vor dem Tor zum Friedhof abgefangen hatte, um ihm diese Fragen zu stellen. Er sprach von Disziplin, weil die Jungs für jeweils ein ganzes Jahr eingeteilt werden an zwei Tagen während der Woche ihren Dienst zu leisten, ganz zu schweigen von den Feiertagen. Der Ablauf des Gottesdienstes muß eingehalten werden, sind sie dazu nicht in der Lage, haben sie ganz alleine Ersatz zu organisieren. Sind sie dazu nicht in der Lage, werden sie unehrenhaft entlassen. Es gibt eine Gruppenstunde pro Woche an denen alle Messen einstudiert werden, sind die Ministranten dabei nicht aufmerksam, spüren sie noch heute was körperliche Zucht bedeutet, und werden sie in der Öffentlichkeit mit einem Mädchen gesehen, haben sie dies noch am selben Tag zu beichten.

Daraufhin grinste mich der Mesmer verständißvoll an, während er an mir vorüber in seine Nacht verschwand. Ich ging kurze Zeit später über den Friedhof in Richtung Heimat, nicht ohne kurz vor einem Kreuz inne zu halten. Der Mond schien mir von hinten über die Schulter direkt auf die Dornenkrone unseres Heilands. Ich sah ihn so lange an, bis ich dachte auch bei ihm ein Lächeln zu entdecken.

Am nächsten Tag nahm ich mir vor, einen dieser Ministranten nach seinen Beweggründen für jenen Dienst zu befragen. Auf dem Land trinken wir alle ganz viel Bier, und falls mal kein Alkohol eine Rolle spielen sollte, ist auch mal eine Bionade im Angebot. Aber diese Einheit war schon immer etwas altmodisch und verköstigte sich nach getaner Arbeit an Eismilch. Also passte ich einen von ihnen an einem Sonntag vor der einzigen Milchbar in unserem Dorf ab, und stellte ihm die selbe Frage wie tags zuvor dem Mesmer am Tor zum Friedhof. Es war ein schon älterer Junge, aber dennoch jünger als ich, der mir sagte, nicht zu wissen weshalb er sich zuvor dazu entschieden hat, aber schon kurz danch fühlte, weshalb er sich nicht dagegen entschied. Es ging ihm einfach nur um den Pfarrer, welchen er schon als kleines Kind bewundert hatte, und ihn deshalb von seiner menschlichen Seite kennenlernen wollte. Jene Erfahrung war für ihn nicht frei von Schmerzen, brachte aber seinen Blick auf die Gemeinde zu einer neuen, klaren Sicht. Dies, und eben nur dies, selbst als Erwartung, verleit den Ministranten ihren Schimmer.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.06.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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