Georg-J. Ströhle

Paulis Tod

Paulis Tod oder “Die Auswanderer”


Der Oberhof ist eine winzige Ansammlung von Hütten, eigentlich nur ein Hof. Ein schönes
Bauerngehöft am Brandenberg,  oben im Wald, nur ein gewundener Weg führt dorthin,
hoch über dem Inntal.

Die Bewohner dort, liebenswerte Leute. Bodenständig und sehr religiös, wie seit vielen Jahren,
seit Generationen.  Der Oberhofer Paul und seine Frau Stenzi haben drei Kinder großgezogen,
Die zweiundzwanzigjährigen Zwillinge Pauli und Kathi und den zwanzigjährigen Robert.
Zum Haushalt gehört noch der Knecht Kilian, so um die sechzig - keiner weiß sein genaues Alter
und keiner will es auch so genau wissen.

Nur widerwillig versehen die Kinder die gröbste Arbeiten auf dem Hof. Die Arbeit ist hart und
sehr beschwerlich hier oben. Die Wiesen dienen den fast dreißig Kühen als Weiden und liefern
im Winter das benötigte Heu. Der Stall ist am kleinen Wohnhaus angebaut, wie üblich in dieser
Gegend. Das Wohnhaus macht von außen einen großen und romantischen Eindruck. Die
Oberhofer Stenzi gibt sich viel Mühe auf Ihre alten Tage, das Haus mit Geranien und Hängenelken
zu verschönern. Das Hausinnere ist aber viel kleiner, Wohnküche, die Gute Stube mit Diele im
Erdgeschoß. Elternschlafzimmer, die Jungen in ein Zimmer und eine kleine Kammer für Kathi           unter dem Dach - es sollte reichen meinte der Bauer
Der Knecht Kilian schläft bei den Kühen in einem Verschlag, das reicht aus - sagt der Bauer
abschätzig.

Das der Pauli nichts von den Frauen, hält betrübt die Oberhofers gewaltig, dauernd wird nach
einer tüchtigen Frau für den Sohn Ausschau gehalten, aber auf den abgelegenen Hof will
keine junge Frau einheiraten. Und dazu gilt der Oberhofer Bauer als grantig und aufbrausend.
Das reizt natürlich keiner Dorfschönen, den außerordentlich gut aussehenden Pauli zu
bezirzen und ihr Leben dort oben zu verbringen.

Die reizende Kathi kann sich den Nachstellungen der jungen Männer kaum erwehren, von
weit her kommen die Burschen und halten um die Hand an. Schon oft stand der Oberhofer
abends mit der Schrotflinte und verscheuchte die liebeshungrigen Burschen.

Der stille Robert, auch er gut aussehend und von der schweren Arbeit mit ausreichend Muskeln
versehen - arbeitete von früh bis spät, meist auf den Feldern und Wiesen. Oft gemeinsam mit
Bruder Pauli. Kilian versorgte die Kühe, reinigte den Stall und kümmerte sich mit dem Bauer
Paul um das Haus und dergleichen, während die Bäuerin Stenzi mit ihrer Tochter den Haushalt
der sechs Personen in Gang hielt.

Freizeit war ja nicht viel, der Pauli und seine Schwester fuhren Sonntags mit dem alten Motorrad
in die Stadt, in welcher blieb aber ein Geheimnis - die Ausreden waren mal Innsbruck, mal München.
Oft blieben sie über Nacht fort, was dem Oberhofer Paul überhaupt nicht passte und es gab dann
immer heftige Auseinandersetzungen am folgenden Tag.
Auch Robert verdrückte sich, wenn es ging, Nachmittags  vom Hof und verschwand nach Alpbach
zu seinem langjährigen Freund Berti. Sie waren etwa im gleichen Alter und hatten keine bestimmte
Freundin, wie sie sagten. Man sah sie in den kleinen Dorfdiscotheken und Dorffesten immer
gemeinsam und es hatte den Anschein, als ob sie sich köstlich amüsierten und auf Begleitung
keinen Wert legten. Der Oberhofer drängte auch Robert zur Heirat. Der winkte aber ab und
ließ wortlos den Bauer einfach stehen und ging seines Weges. Was dem Bauer fürchterlich
aufregte und sein Fluchen versaute jeden  hier oben den Tag.

Eines Tages brachte Robert von seinem Freund Berti kommen die Nachricht, das unten im Tal
Filmaufnahmen gedreht werden. Sogar weltberühmte Stars aus Amerika sollen dabei seien und
das ganze ist überaus aufregend, fand Robert. Der Bauer murrte etwas in seinem Bart und
massierte sich seine krummen Beine. Mutter Stenzi sagte, sie ist seit zwanzig Jahre nicht mehr
in ein Kino gekommen, die Arbeit frisst sie auf.
Kathi und Pauli fanden das aber so interessant, das sie eines Tages sich  mit Robert das ansehen
wollten, was die Amerikaner so in ihrer Alpenheimat so treiben.

Der Bauer reagierte mit einem Wutausbruch auf ein derartiges Verlangen und wies auf die
viele Arbeit hin, die noch zu erledigen war. Aber vergebens, die drei machten sich auf den
Weg - die Zwillinge mit dem Motorrad, Robert mit dem Moped.

Spät Abends kamen sie zurück. Die Gesichte glühten und es wurde getuschelt und gekichert,
aber keiner der drei erzählte etwas bei Tische und nach dem Essen verzogen sich Kinder in
ihre Stuben. Jedoch Pauli ging zu seiner Schwester und man hört lange ihre leise Unterhaltung,
mehr ein Gemurmel, in den angrenzenden Zimmern.

In den vollen vier Wochen, so lange war die Filmleute im Tal, stahl sich der Pauli abends
aus dem Haus und kam erst in den frühen Morgenstunden zur Arbeit zurück. Der Oberhofer
wollte unbedingt wissen, wo er Pauli die Nächte verbrachte, aber es war zwecklos - Pauli
blieb stumm.  Etwas hatte sich in Pauli verändert. Er wurde hin und her gerissen, mal träumte
er vor sich hin, mal war er irgendwie aufgeregt und unruhig und blickte zum Abend zunehmend
auf seine alte Armbanduhr die er zur Konfirmation erhalten hatte, um dann schleunigst mit dem
Motorrad zu verschwinden.  Manchmal nahm er die Kathi mit - dann brach im Oberhofer Haus
der Krieg aus. Oberhofer Paul und seine Frau Stenzi stritten bis in die späte Nacht, bis
letztlich die Stenzi in Tränen ausbrach und der Bauer sich in den Keller verzog um dort sich
zu beruhigen.

Eines Tages drang das Gerücht auf, die Filmarbeiten gehen zu Ende und kehren nach Amerika
zurück. Pauli und Kathi steckten jetzt viel die Köpfe zusammen und benahmen sich sehr ge-
heimnisvoll. Irgendwann wurde auch Robert eingeweiht und er war schon sehr erschrocken
über das ihn Mitgeteilte und auch betrübt über das jetzt kommende.

Eines Abends am gemeinsamen Abendbrot platzte die Bombe: Pauli und Kathi holten ihre
kleinen Köfferchen hervor und erklärten der restlichen Familie, das sie mit den Filmleuten
nach Amerika auswandern. Die Filmleute waren von den Geschwistern so begeistert, das sie
die nötigen Papiere für einen Amerikaaufenthalt besorgten und auch die Reisekosten der beiden
übernahmen.
Es regnete natürlich Streit und Vorwürfe der Eltern auf die Zwillinge ohne Ende, aber vergeblich,
Pauli und Kathi wollten nach Amerika. Was die Eltern nicht wussten, Pauli hat sich mit einem
der berühmtesten amerikanischen Schauspieler eingelassen, der in Künstlerkreisen für seine homoerotische Seite bekannt war und so in Pauli verliebt bis über beide Ohren. Selbst die
mitreisende Kathi machte ihn nichts aus, denn sie war nicht nur gut aussehend mit einer blendenden
Figur, dazu liebte sie überwiegend Frauen. Der Amerikaner hatte auch das nötige Kleingeld um alle
Kosten zu tragen, aber selbst seine Kolleginnen waren von den Zwillingen angetan und unter-
stützten wo es nötig war.

Der Abschied von den Eltern war eisig. Die Oberhofer Paul und Stenzi hatten zwei ihrer drei
Kinder verloren und brachten es zum Ausdruck nur noch einen Sohn zu haben! Robert viel
Bruder und Schwester in die Arme und konnte sich nicht von den beiden trennen, während
draußen im Hof eine kleine Kutsche aus Alpbach wartete und dann die Geschwister ins
Tal zu den Schauspielern brachte. Ein Auto schaffte es hier nicht hoch, der Weg war sehr
schmal holprig und gewunden. Erst viele viele Jahre danach wurde der Weg zu einer Straße
ausgebaut um den kommenden Touristen Zugang zu den Skihängen zu ermöglichen. Das war
dann auch die Zeit, wo Mobiltelefone unser Leben erleichtern sollten - bis dahin gab es
weder Telefon geschweige ein Handy auf dem Oberhof.

Die Jahre vergingen. Auf dem Oberhof hat sich viel getan. Der Bauer hat den Weggang der
Zwillinge Pauli und Kathi nicht verkraftet. Er wurde immer brutaler zu seiner Umgebung,
am meisten hatte seine Frau zu leiden und auch der Knecht Kilian hatte seine liebe Not
dem Bauer gerecht zu werden. Eines Tages wurde der Oberhofer Paul tot in seinem Bett
aufgefunden, Herzversagen.

Den Hof bewirtschaftet nun Robert mit dem Knecht Kilian. Mutter Kathi wurde oft krank
und konnte das Haus nur ungenügend führen, so das eine Schwägerin aus Innsbruck des
öfter auf den Oberhof kam um auszuhelfen.

Der Herbst zog in die herrlichen Kitzbühler Alpen, ein Tag zog herauf mit blauem Himmel
und die Sonne wärme mit letzter Kraft. Robert war die Nacht über bei seinem Freund Berti,
wie fast jede Nacht. Dessen Eltern hatten nichts dagegen, denn sie wussten schon seit langem,
das ihr Sohn schwul war und keine Dörflerin heiraten wollte. Er hat ja den Robert, den liebt er
über alle maßen, hatte er seinen Eltern gebeichtet. Die Eltern waren Zugereiste aus Bayern
und waren in dieser Hinsicht toleranter, auch wenn es auf dem Lande etwas schwieriger war
mit Homosexualität. Da Berti ein Auto besaß, waren beide oft in den Städten, so das die
Nachbarn wenig von ihnen mitbekamen.

An diesem Tag, es war Nachmittags und bald sollte die Sonne untergehen, saßen Robert und
Berti in eine Gastwirtschaft in Breitenbach, tranken ihr Bier und unterhielten sich Gott und die
Welt, als Robert ganz still wurde und auf Nachfrage vom Berti was denn los sei, meinte Robert
er hat ein ungutes Gefühl, ihm ist, als höre er seine Kühe brüllen. Obwohl das bei dieser Entfernung
unmöglich ist. Sie beschlossen mit dem Motorrad hinauf zu fahren, nur zur Beruhigung meinten sie.

Als sie in der Dämmerung sich dem Oberhof näherten, bemerkten sie Brandgeruch und auch
das brüllen der Kühe. Oben angekommen, rannten sie in das Wohnhaus, es war leer denn die
Mutter Stenzi war für zwei Wochen nach Innsbruck zu Ihrer Schwägerin gefahren um sich
auszukurieren, auch der Kilian war nicht zu sehen. Berti rief den Robert von Stall heraus, er solle
sich beeilen, damit die Rindviecher heraus können, denn am Stallende wo der Kilian sein Kammer
hatte, brannte es lichterloh.
Robert schickte den Berti mit dem Motorrad zum nächsten Nachbarn mit Telefon, denn sie selbst
hatten noch keines. Berti raste davon, halsbrecherisch über diesen Buckelweg mit den vielen
Kurven und Robert lief in den dunklen Stall, wo der hintere Teil gefährlich brannte. Er ließ die
brüllenden Tiere aus dem Stall, die wild davon stürmten. Der Brandgeruch wurde immer
heftiger und Robert hatte Mühe zu Atmen, da stolpert er über etwas. Er bückte sich und fand
einen unbekannten Mann, er zog ihn wie besessen aus dem Stall und besah sich den Mann dann
genauer.
Es war sein Bruder Pauli aus Amerika. Sein Schädel war wie meine Axt eingeschlagen und
Blutüberströmt lag der geliebte Bruder vor ihn. Robert war wie betäubt unfähig einen klaren
Gedanken zu fassen. Er hielt ihn den Armen auf den Boden kauernd und wiegte in ihn wie
Kind hin und her, die Tränen flossen nur so dahin, laut schluchzend.

Die Feuerwehr kam zu spät zum Oberhof. Die Fahrzeuge quälten sich den kurvigen Weg
herauf und fanden nur noch die Reste eines Hauses, der Stall war ausgebrannt, die Rinder
in der Umgebung im Wald verstreut. Die mit  der Feuerwehr kommenden Bauern aus den
unteren Dörfern fingen dann die Kühe ein.

Berti und die Helfersuchten sofort nach Robert. Sie fand ihn an einen Baum gelehnt, den
toten Bruder Pauli in den Armen. Sanitäter kümmerten sich um die zwei.                                         Robert und Berti wurden in ein Spital gebracht. Ein Krankenwagen brachte den Toten
in ein Kriminalinstitut.

Später stellte sich heraus, das  der Knecht Kilian den Pauli tatsächlich mit einer Axt
erschlagen hatte, warum weiß niemand genau. Die Kriminalpolizei aus Innsbruck hat zwei
Vermutungen über den Tathergang , entweder er hielt den Pauli für einen Einbrecher oder
es störte den Kilian das der Pauli aus Amerika gekommen ist und sein Erbe antreten wolle.
Denn Knecht Kilian machte sich Hoffnungen auf die Oberhoferin Stenzi - wie die Kripo
ermitteln konnte. Man fand den Knecht völlig verkohlt im kleinem Stallfenster aus Metall
hängend, er wollte sich wohl noch in das Freie retten, aber vergebens - er war eingeklemmt
und verbrannte qualvoll.
Mutter Stenzi blieb bei ihrer Schwägerin in Innsbruck, wo sie nach einem halben Jahr verstarb.
Sohn Robert verkaufte für billiges Geld den Grund des Oberhofes, es wurde nicht mehr be-
baut, die Gemeinde ließ den Hof  ungenutzt verwildern. Robert zog mit Berti nach Innsbruck,
kauften sich eine kleine Wohnung und blieben ihr Leben zusammen, mit allen Hoch und Tiefs.

Erneut viele Jahre später, kam eine elegante Limousine mit  Kfz-Zeichen aus den USA, der
neuen geteerten Straße herauf und blieb vor den Resten des Oberhofes stehen. Zwei gut
aussehende Frauen stiegen aus und verharrten still in sich versunken. Eine der Frauen,                    schon etwas älter, rollten Tränen aus den Augen.                                                                                   Die andere Frau legte behutsam einen Arm um die weinende Frau und führte sie zum Wagen         zurück.

Es war die Oberhofer Tochter Kathi, die nochmals Ihr Elternhaus sehen wollte. Sie wusste
vom Zustand des Oberhofes, denn sie besuchte regelmäßig ihren Bruder Robert und seinem
Freund Berti in Innsbruck, außerdem standen sie jahrelang in brieflichen Kontakt.
Die Oberhofer Kathi hatte in Amerika alles erreicht was man sich denken konnte. Sie wurde
eine der bekanntesten Schauspielerin im Unterhaltungssektor der USA und in Europa, ihre
Filme spielten Rekordsummen ein, nur mit den Männern hat es nicht hin gehauen.


 
                                                                                                          © st.2010


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.06.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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