Silvia Pree

Die Ballade von der Sonne im Herzen

Ein Plädoyer für die Liebe...

In einer großen Stadt lebte eine junge Frau. Sie war nicht besonders hübsch, aber sie verfügte über Geist und einen wachen Verstand. Die junge Frau arbeitete in einer großen Fabrik und verdiente sich ihr Geld hart. Ihr kleines Häuschen war sehr einfach eingerichtet, und wenn sie daheim war, las sie meistens kluge Bücher, die sie in der Bibliothek ausborgte. Denn das Geld selber Bücher zu kaufen, das besaß sie nicht. Ihr Herz hatte sie lange vergeben. Es gehörte einem jungen Mann, der am anderen Ende der Stadt lebte. Die beiden liebten sich innig und die junge Frau war oft voller Sorge um ihn: ihr Liebster hatte ein Herzleiden und schwere Arbeit konnte er deswegen nicht verrichten. Die beiden trafen sich, wenn immer es möglich war. Und für beide war es die schönste Zeit, denn der Alltag gestaltete sich hart und mühselig. Aus ihrer Liebe schöpften die beiden die Kraft, sich dem Leben und seinen Anforderungen zu stellen.

In der Nähe der Fabrik, in der die junge Frau arbeitete, war ein älterer Herr ansäßig. Sein wallender Bart war eisgrau und sein Mund war schmal und hart. Wenn er vor seiner Villa im Garten saß und die Sonne am Morgen genoss, sah er oft die junge Frau auf ihrem Weg in die Arbeit vorbeigehen. Sie grüßte meistens nur kurz und beachtete den Mann nicht weiter. Seine sehnsüchtigen Blicke, das Verlangen in seinen Augen, das bemerkte sie gar nicht. Der alte Mann begann davon zu träumen, dass er die junge Frau erobern und sein schönes, beschauliches Leben mit ihr teilen könnte. Er war seit Jahren alleine und so schön und luxuriös er auch lebte – es schien ihm alles wertlos, wenn die junge Frau nicht bei ihm wäre. Als seine Gefährtin, als sein kostbarstes Stück in seiner großen, weitläufigen Villa. Manchmal war er wütend, wegen der Art und Weise, wie die die junge Frau da an ihm vorbeihuschte, bevor er den Gruß überhaupt erwidern hätte können.

„Dumme Gans!“ dachte er oft. „Warum hältst du kein Schwätzchen mit mir? Wir könnten flirten und lachen... Du trittst dein Glück mit Füßen!“ Er ärgerte sich oft den halben Tag deswegen. Noch größer wurde sein Ärger, als er einmal am Wochenende mit einem Freund in ein teures Restaurant fuhr um groß abend zu essen. Dabei lenkten sie den Wagen am Park vorbei und er konnte ein Pärchen auf einer Bank entdecken. Ein schlimmer Verdacht kam in ihm auf und tatsächlich: die junge Frau, die er so begehrte, saß auf der Bank. Und der Mann an ihrer Seite, der sie in diesem Moment zärtlich küsste, musste ihr Liebster sein. Rasende Wut ergriff den alten Mann, der Appetit war ihm völlig vergangen. Seinem Feund fiel dieser Unmut gleich auf und er fragte nach, was los wäre. Der Bärtige erzählte ihm von seinen Gefühlen für die junge Frau. Der Freund lachte: „Ja, wenn du ihr immer nur nachsiehst...! Du musst reden mit  ihr! Lad sie zum Essen ein, zeig ihr, was du ihr alles bieten kannst und welch ein sorgloses Leben in Wohlstand sie bei dir erwartet. Und du wirst ihr Herz im Sturm erobern!“

Der Gedanke gefiel dem Alten. Voller Vorfreude konnte er kaum schlafen. Und am nächsten Arbeitstag beschloss er seine Angebetete anzureden. Die erschrak, denn nach all den Jahren der Einsilbigkeit hatte sie nicht damit gerechnet, einmal ein Gespräch mit dem bärtigen Herrn zu führen. Sie schien auch gar nicht so begeistert wie er erhofft hatte, als er ihr vorschlug, sie zum Essen auszuführen. Eher war es wohl Höflichkeit als wirkliches Interesse, dass sie zusagte. Aber allein dass sie kommen wollte, versetzte ihn in Verzückung. Statt wie sonst im Garten zu sitzen, hielt er sich stundenlang im Schlafzimmer vor seinem Kleiderkasten auf und suchte nach eleganter Kleidung, mit der er die junge Frau beeindrucken konnte. Am Abend stand diese wie vereinbart vor seiner Tür, in einem einfachen Kleid. Sie war unsicher und ein wenig verwirrt. Das änderte sich auch nicht, als sie das feine Restaurant betraten. Der Alte versuchte mit teuren Weinen und Speisen, die er bestellte, anzugeben.

Aber seine Begleiterin aß wenig und trank fast nichts. Sie fühlte sich in dem feinen Lokal sichtlich nicht wohl. Der alte Mann bemerkte das und er beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Er öffnete sein Herz und gestand seine Liebe. Er wurde nicht müde darauf hinzuweisen, wie reich er nicht wäre und was er ihr nicht alles bieten könnte: schöne Kleider, prachtvollen Schmuck und Reisen an exotische Orte. Aber noch während er mit allem Feuer, das er zu geben hatte, erzählte, merkte er auch, dass sich keine Begeisterung in den Augen der jungen Frau spiegelte. Sie sah eigentlich nur müde aus. Und etwas „erschlagen“ von seinen Worten. Schließlich stand sie auf. „Ich habe einen Freund“, begann sie ihre Rede. „... und ich liebe ihn sehr. Er ist nicht reich und er hat ein schwaches Herz. Aber all meine Liebe gehört ihm.“ Ihre Augen begannen zu leuchten wie zuvor den ganzen Abend nicht. „Wir haben es beide nicht leicht, wir verdienen nicht viel – aber wir haben uns. Und das alleine zählt.“ Sie wurde unvermittelt ernst. „Sie erzählen mir da von Reichtümern und Luxus und von all dem, das Sie mir geben könnten. Aber wissen Sie was? Mein Freund, er erzündet eine Sonne in meinem Herzen, wann immer wir beisammen sind. Diese Sonne wärmt mich innerlich und macht mich so glücklich. Und das ist so viel wertvoller als alles, das Sie mir kaufen könnten.“

Und sie verließ den Tisch...

Vivienne

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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