Rüdiger Nazar

Pilgertour IV.

 

Endlich brannte das kleine Lagerfeuer...mitten im Stall in der Ecke. Ein provisorisches Gestell aus Draht war die Aufhängevorrichtung für den Aluminiumkessel...in dem dasWasser zu brodeln anfing.

In einem anderen Alutopf sprudelte das Wasser für die Tütensuppe...Nudel...lecker.Baguette...Wurst und Camenbert...Eigentlich wollte ich wie ein Pilger voller Entbehrungen leben ...was jedenfalls das Essen betraf...aber ich merkte bald...wenn man nichts im Magen hatte...war die Stimmung auf dem Nullpunkt...und der Rucksack doppelt so schwer wie er eigentlich schon war. 

Aber eigentlich war das Essen schon verdammt karg...wenn ich so überlegte was ich alles zuhause täglich verputzte. Hatte so wie so einen kleinen Winterbauch...der nun durch das Laufen endlich in seine Schranken gewiesen werden sollte...es klappte...war schon viel weniger. 

Draußen nieselt es immer noch...aber hier im Stall ist es mollig warm und trocken... der Mond scheint durch das defekte Dach zwischen dem Gebälk...echt wunderschön und etwas unheimlich...aber schön. Arm in Arm schlafen wir ein...den Schlaf der gerechten. Grillen zirpen immer noch...und seltsame Nachtvögel singen ihr Werbungslied...ein Auerhahn klockt wieder...diese Geräusche kennen wir langsam und zur genüge. Ab und zu fährt ein Auto an der naheliegenden Strasse vorbei...und seine Scheinwerfen laufen wie Feenfeuer schnell an der inneren Holzwand des Stalles entlang. 

Frieden...Ruhe und Glück...gute Nacht. Renate schläft wie immer schlecht ein...weil sie aufgeregt ist...und auf fremde Geräusche hört...die ihr etwas Furcht einflösen...da helfen auch keine beruhigenden Worte von mir.  Schlaf mein Schatz...das sind nur Tiere die im Wald herumstrolchen...sie tun uns nichts...sie haben mehr Angst als wir und scheuen so wie so den Menschen. Irgendwann schläft sie ein...aber durch das ganze Gerede bin ich nun hell wach. Ich höre sie  atmen...aber ich höre auch rascheln in den Getreidefeldern...und grunzen. Ach ja...Wildschweine...hat das Schild...Attention uns doch darauf hingewiesen...aber wir lagen ja sicher im Stall. Ich gehe vor die Türe um mir eine zu rauchen. Im aufflackern meines Feuerzeuges sehe ich rasche...dunkle Schatten fliehen...!

Haut bloß ab...habt ihr keinen Bock zu schlafen ? Die Nacht verläuft ruhig. Was war das für ein Geräusch fragte meine Wölfin ? Nichts...sagte ich...bin nur ein bischen durch`s Feld gelaufen...kurzr Pause...dann...verarsch dich selber...meinst du ich weiß nicht was das war ? Was denn fragte ich ? Eine Kuh sagte sie oder so etwas. Genau sagte ich...konnte ich nicht so genau erkennen. Sie war beruhigt...hoffte ich. Der nächste Satz von ihr...sind Wildschweine eigentlich eine Gefahr ? Ich schluckte und wollte sie nicht verängstigen. Nö sagte ich...nur wenn man sie mit Borsten ißt. Wie witzig kam die Antwort aus dem Dunkel der Stallecke... schlaf nun schön sagte ich. Nachts mußten wir unsere Notdurft verrichten...aber wohin ? Ab in eine Ecke des Raumes...plumps...und Sand und Stroh drüber. Gewöhne dich nur nicht daran sagte sie...zuhause in der Wohnung macht sich das nicht so gut...ich brach in schallendes Gelächter aus...wie Recht sie doch hatte. Ja es war schön trocken in diesem Stall...und das war schon die halbe Miete. Es regnete unaufhörlich die ganze Nacht hindurch...durch das defekte Dach...tropfte das Wasser tropfenweise wie ein nervender Sekundenzeiger . Kleine Staubfontänen stoben durch den Aufprall der Tropfen wie kleine Fontänen empor...um sofort wieder in sich zu sacken...und zu sterben. 

Der nächste Morgen versprach keine Besserung...es regnete und regnete.

Nun gut...würden wir halt warten müssen...wir hatten Zeit...so viel Zeit...keiner hetzte uns...aber das Warten nervte ungemein. 

Dennoch...ab und zu blinzelt die Sonne zwischen den tiefgrauen Wolken hervor. Etwas Nebel und Morgentau...unsere Klamotten sind klamm und müffeln. 

An einer gefundenen Strohballenleine hängen wir unsere Wäsche zum trocknen in eine Ecke des Raumes. Sie dampft in den spärlichen Sonnenstrahlen als würden sie brennen. Unser Wasservorrat geht zur Neige...von den drei Feldflaschen ist eine nur noch halb voll...oder sagt man halb leer ?  Na dann Mahlzeit. Aber auch der Proviant sah sehr sehr spärlich aus.Mir würde es wirklich nichts ausmachen...habe schon so oft in meinem Leben Hunger gelitten...kann sich keiner vorstellen. Aber Renate tat mir leid....aß und naschte sie doch so gerne. 

Soll ich dir einen Elch schießen witzelte ich so blöd herum ? Oh ja sagte sie...aber nur wenn er schon gebraten herumläuft. Will mal sehen...sagte ich...und mein Magen knurrte. Nur noch ein Stückchen Baguette...etwas Kaffee den wir kalt tranken...weil das Holz zu nass war um ein Feuer zu machen...Milch war ein Wunschtraum...Trockenobst... das Kauen fiel mir so verdammt schwer.

Mein Gott sagte sie...was ein Festmahl. Vor meinen Augen schummerte es dahin...als ich in einer Ecke des Raumes saß...und Bilder vor meinem Auge auftauchten. KZ...Auschwitz...Bergen-Belsen...Meidanek...Buchenwald...????????

Oh mein Gott...wir klagten schon seit einigen Stunden über Hunger...was mögen diese armen Menschen damals gelitten haben. Ich will und mag es mir nicht vorstellen. Sie bekamen nichts...absolut nichts...bis sie starben.  Bilder die damals nach dem Kriege veröffentlicht wurden...bei  der Befreiung der KZ`s...ich könnte heulen.  Aber schlimmer als Hunger ist Durst...und ich weiß wovon ich rede. Nun gut...weiter geht`s.

Jetzt kommt Renate...ha...sie stellt einen Becher draußen im Regen vor die Stalltüre...eine Plastikfolie darüber und einen kleinen Stein darauf. 

Resultat...der Regen fällt auf die Folie...sammelt sich in der Mitte...und läuft...tropf tropf in den Becher. Die Ausbeute ist nach Stunden nicht sehr groß...aber die Lippen und der Gaumen sind nicht mehr so klebrig trocken. Diese Frau würde sogar in der Wüste überleben...sogar Eskimos Kühlschränke aufschwatzen...sie ist einmalig. 

Hoffentlich war morgen Geld auf meinem Konto...wenn wir die nächste Stadt erreichten. 

Am nächsten Morgen...die Sonne kroch gerade mühsam aus den Federn...so auch wir...packten wir schnell und zogen weiter.  Wir liefen lange...verdammt lange in der brühtenden Hitze...meine Arme und die Schultern waren schon rot. Hatte eigentlich nie einen Sonnenbrand...aber nun sah ich...wie die Haut sich langsam pellte. Die Strasse flimmerte in der Hitze...und Fatamorganagleich sahen wir in der Ferne auf dem Asphalt...Wasserpfützen. Jeder kennt dieses Phänomen.

Renate fand einen toten Nachtfalter am Strassenrand...der ihre ganze Handfläche bedeckte...was ein Riesenexemplar. Hatte leider kein Behältnis mit...sonst wäre er mitgewandert...bis nach Hause. Aber wir haben ihn photographiert.

Endlose Wälder rechts und links der Strasse...Wald-und Wildblumen in den allerschönsten Farben...sehr klein und filigran...Kräuter...die ganze Gegend roch fantastisch...die Luft war rein und klar. Wir gingen auf der linken Strassenseite dem Verkehr entgegen... so wie es sich gehörte. Entgegenkommende Autos setzten den Blinker und scherten aus als sie uns sahen...freundlich winkend und hupend.

Es dauerte Stunden bis wir den nächsten Ort erreichten...und ich dachte schon ...daß ich vor Stunden meine Fussohlen irgendwo zurückgelassen hatte...ich spürte meine Füße nicht mehr.  Ich hatte so viele Blasen...das ich wie auf Luftkissen lief.

Der Oert hieß...La Guerche L`Aubois...!Wir sahen ziemlich geschafft und zerlumpt aus...als wir in diesen Ort " einliefen ".  Es war eine mittlere Kleinstadt...aber wunderschönb. Wir hatten noch gerade 20,00 Euro in der Tasche. Vielleicht würde mein Konto uns retten...es mußte jetzt Geld auf meinem Konto sein...so meine...unsere Hoffnung. Da...da war eine Bank...hurra...hurra. Wir traten ein...dreckig und verwegen....richteten alle Blicke auf uns...hi...Bonjour Monsieur...dam ! Erstaunte Blicke. Der Rucksack...unsere Rucksäcke hatten ein Eigenleben...fielen vom Körper...knall auf den Boden...achtlos stellten wir die Butons...unsere Wanderstöcke an die Wand. Oh...wie funktionierte hier der Geldautomat ? Ich stellte mich wirklich recht blöde an...unbeholfen...hatte ich doch schon überall auf der Welt Geld abgehoben. Aber ich denke es war einfach die Erschöpfung...die wir beide inne hatten...ja so denke ich...daß wir nicht richtig schalten konnten...die letzten Tage waren hart und absolut extrem. 

Eine Bankangestellte....vielleicht gerade so über vierzig kam auf uns zu...vielleicht dachte sie...wir wären Bankräuber...so wie wir aussashen...und fragte...ob sie uns helfen könnte...auf französisch. Ok...viel verstand ich nicht...und sagte es ihr in meinem halbwegs verständlichen französisch...! Do you speak englisch...presste ich hervor... sie hob die Augenbrauen...verließ uns und kontaktierte ihren jüngeren männlichen Mitarbeiter...der flugs auf uns zugerannt kam...Hallo...you Angle ?  Er war so zwischen 20 und 25 Jahre alt...denke ich. Englisch hatte er wohl in der Schule irgendwann mal als Fach gehabt...aber er war so schlecht und kaum zu verstehen...muß wohl öfters gefehlt haben im Englischunterricht....hätten besser  iranisch geredet...wäre das gleiche gewesen. Oh...was bin ich doch für ein Schandmaul...Rüdiger...schäm`dich !

Aber auch er lachte darüber...als ich ihn nicht verstand...und er nur nickte...sagte ich boshaft...und Rotkäppchen ging in den dunklen Wald...wo der Wolf wartete...und er nickte immer noch. Qui...bon...und aus.!  Ich steckte meine EC Karte in den Schlitz des Automaten...tausend Hyroglyphen...puh...was nun. Die nette Dame der Bank kam auf uns zu und tippte auf den Tasten der Höllenmaschine herum.. ! Und Bingo...es tauchte deutsche Schrift auf...bitte Geheimzahl eingeben...was ich auch sofort tat.  Ich tippte 300 Euro ein...Value...und was kam ? Ihr Guthaben beträgt 15,00 Euro. Enttäuscht sah ich Renate an...hallo...was ? Verdammt...wieso war mein Geld noch nicht überwiesen ? Huch...ich tippte also 15,00 Euro ein...Morgen würde der gesamte Betrag wohl da sein. Dann wieder ein Schriftzug...abzuhebender Betrag beträgt 10,00 Euro. Ich war erschüttert....drückte auf zehn Euro und auf Auszahlung. Der blöde Papierschein mit dem Aufdruck zehn kam surrend wie zum Hohn aus dem Schlitz gefahren...danke sagte ich sarkastisch...danke du blöder Automat. Die nette Angestellte stand noch immer hinter mir und sah mir über die Schulter....mitleidig lächelnd...und ich schämte mich so sehr. Merde rutschte es so aus meinem Mund...das so viel wie " Scheiße " heißt. Sie lachte...pat Problem. Es war mir so peinlich...Renate sah entmutigt aus. Alleine wäre es mir so egal gewesen...aber mit Renate ? Sie zeigte auf unsere Rucksäcke...die nette Angestellte der Bank...und den Butons...und der Jacopsmuschel...ihr Gesicht bekam einen eigenartigen Glanz...le Campostel sagte sie...le Campostel ? Yes  sagte ich...le Campostel !

Renate und ich nickten eifrig...dann sprach sie zu ihrem Kollegen....blablabla...!

Dieser grinste uns an...meine Chefin sagt...ihr könnt heute Nacht bei ihr schlafen.

Renate glaubte das gehörte nicht und ließ es sich noch mal sagen.Renate...meine starke Wölfin war fertig mit den Nerven...sah die Frau an und begann zu weinen...Dankestränen...und auch die Bankangestellte hatte plötzlich feuchte Augen. Sie würde uns mit sich nach Hause nehmen...zur Übernachtung...da sie es kennt...diesen Zustand...da sie auch den Weg vor etlichen Jahren gegangen war...nach Spanien...nach Santiago de Campostela...und wußte was Dreck und Entbehrung bedeutete. Aber wir müßten bis 19,00 Uhr warten...da hatte sie erst Dienstschluss. Das war uns so egal...wir würden sogar Tage warten.

Diese Frau heißt Babette...und wir sind ihr so dankbar...sie war einmalig Fremden gegenüber...uns gegenüber... ich nannte sie großes Herz...aber darüber Morgen mehr.

Euer Rudevicus 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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