Rüdiger Nazar

Pilgerweg V.

 

 

Wir ließen unsere Rucksäcke in der Bank bei Babette im Büro. So wie sie uns vertraute als Fremde...so vertrauten wir auch ihr...wir hatten keine Geheimnisse.

 

Der Ort war schön...und mit der Erwartung einer trockenen Unterkunft für die Nacht...noch schöner. Wir strolchten umher...sahen uns alles genau an...die alte Kirche im Ort war wunderschön und historisch aus dem dreizehnten Jahrhundert. 

Wie nahezu in jedem Ort oder Stadt waren in den Gebäuden viele Denkmale...weltliche sowie kirchliche. Auch hier wieder eine phantastische Statue der Jean de Arc...der Jungfrau von Orleans....die doch von der französischen Kirche zu Lebzeiten geächtet und als Ketzerin bezeichnet wurde...nun gut...nun war sie heilig.  Und auch hier in einer Ecke des Gotteshauses eine Steinfigur zur Erinnerung an den ersten Weltkrieg gegen das deutsche Kaiserreich...ein Soldat...ein Poulu...in taubengrauer Uniform...das Gewehr in der Hand und zum Sturme bereit...das Gesicht verzehrt.  Dann eine Gedenktafel mit der Auflistung aller gefallenen diesen Ortes....des ersten Weltkrieges. Als ich die Namen laß...schmerzte es in meiner Brust...alles junge Männer im Alter von 17 bis 28.......!

Wofür das alles fragte ich mich im geheimen...auch die Mannen der  kaiserlichen Armee waren nicht älter als 18 bis 30 Jahre...was für ein Wahnsinn...ohne Sinn und Zweck...für einen normalen Menschen...der sich Kaiser nannte...Kaiser Wilhelm der zweite.  Und ich sage es wieder und immer wieder...er opferte für nichts....NICHTS...millionen von Leben...um sich dann nach der Niederlage...bei der Kapitulation nach Holland zu verpissen. 

Aus diesen Gedenktafeln...die Namen eingraviert in Marmor oder manchesmal Beton...tropfte Blut...Blut der unschuldigen und schrie in unsere Gegenwart....WARUM ?

In einem gemütlichen kleinen Bistro kehrten wir ein  und  zählten zuerst unsere Finanzen...ok...zwei Kaffee und eine Cola.  Vorher kauften wir in einem Tabac Büro einige Postkarten...die wir nach Hause schicken wollten. Eigentlich hatten wir kein Geld für solch` einen Luxus...aber die Freunde und Bekannten...die Family erwartete es.  Was sollten wir schon schreiben ? Dreckig...kaputt...blank...erschüttert...Schmerzen ? Nein...hallo...hier ist alles in Ordnung...uns geht es gut ! Eine Notlüge damit sie sich in der " Heimat " keine sorgen machten. Einem Freund von uns aus Mönchengladbach...einem Zahnarzt...schrieben wir...bitte sende uns 100,00 Euro...hier geht alles bergab...noch kein Geld auf der Bank...bekommst das Geld sofort nach Heimreise zurück. Es mag so ungefähr 18.00 Uhr gewesen sein...als wir so langsam...ganz langsam und geschafft...in Richtung Bank zurück gingen. Wir stapften los...die Füsse waren so schwer wie Blei. Babette stand schon winkend vor der Bank...sie hatte früher ihren Dienst beendet. Mit unseren Rucksäcken stand sie auf der Strasse...und unseren Knüppeln. Oh wie hatte ich meinen schweren Rucksack vermißt...und Renate bestimmt auch. Neeeeiiiiiiiiiiiinnnnnnnnnnnnnnn...bestimmt nicht....weiß Gott nicht.  Wir schulterten unsere Rucksäcke...und Babette ging mit uns Richtung Innenstadt...auf einen Parkplatz zu. Sie hatte einen Kleinwagen...der Kofferraum wurde geöffnet und unsere Last darin verstaut...Babette lächelte...Müde fragte sie. Oh ja...müde...müde...müde...müde !  Sie fuhr los. Sie wohnte in einem sehr kleinen Ort...vierzehn Kilometer zurück...aus der Richtung...aus der wir gekommen waren... Les Bourdelins petit...verdammt...14 Kilometer zurück. No sagte sie und lächelte. Morgen früh fahre ich euch zu dem Ort zurück...wo meine Bank ist...so habt ihr keinen Streckenverlust...ich hätte sie knutschen können. Sie wohnte in einem kleinen Eigentumshäuschen...super gepflegt mit einem wunderschönen Garten. Wir erfuhren...das sie schon seit  zwanzig Jahre geschieden war...eine Tochter hatte die Theaterwissenschaften studierte...in Paris...und das sie sehr...sehr einsam war...was meine Gefühle total durcheinander brachte...sie tat mir so leid. 

Begrüßt wurden wir von einem kleinen Hund...Rasse unbekannt...der freudig wedelnd erst mich...dann Renate und dann Babette beleckte.

Als ich müde auf der Terrasse saß...leckte er mir mit voller Begeisterung den salzigen Schweiß von den Beinen. Ich träumte dahin. So ein Häuschen hatte ich mir immer gewünscht...romantisch...etwas abgeschieden vom Alltag...von Stress und Hast. Sie hatte eine wunderschöne Tigerkatze...die gerade drei Junge geworfen hatte...Renate war hin und weg...das Muttertier wich nicht von ihrer Seite...ließ sich lange streicheln. Nicht Normal sagte Babette...normal idst sie sehr scheu und verkriecht sich. Die Kleinen waren so niedlich...kam schon in Versuchung eines mitzunehmen...Babette sagte...ok...ja. Aber wohin mit dem Tier auf unserer Reise. Die arme Babette war 13 Stunden in der Bankfiliale...und sicherlich müde und abgespannt...und was tat sie ? Töpfe und Schüsseln wurden mobilisiert...Gemüse gehackt...Kartoffeln geschält...Fleisch angebraten...Käseplatte zubereitet...Baguette geschnitten...mein Gott...was für eine Arbeit für zwei Menschen die sie nicht kannte. Während sie dies`alles tat...beobachtete ich sie...hin und her laufend in der Küche...fertig mit der Tageslast....das Gesicht leicht errötend. Stop sagte ich...hallo Babette...arett...fini...Schluss...es reicht...sie seufzte...puh...puh ! Es ist alles schön und ok...danke...mache dir nicht weiter Umstände...! Sie war eine tolle Frau...hingebungsvoll...aber ich denke scheiße einsam...und ich sollte recht behalten. Und wir...oooooooooooohhhhhhhhhhh...wir durften duschen. Renate ging zuerst nach oben...ich unterhielt mich mit Babette....und hallo siehe da...sie sprach auf einmal englisch...zehn mal besser wie ihr jüngerer Angestellter. 

Ich denke sie hatte sich etwas geschämt mit mir englisch zu sprechen...da sie vielleicht dachte...ihr Kollege wäre perfekt. ...in englisch.   Als ich dann unter der Dusche stand...kam es mir vor...als würden alle Feiertage des Jahres ...auf diesen Tag verlagert. ...Wasser...Wasser...warm und naß...herrlich. Wasser....Staub...Dreck...und Schweiß...ergaben ein einzigartiges Gemisch...undefinierbar lief es an meinem Körper herunter...in den Abfluss...der Duschwannenrand hatte auf einmal komisch schwarze Ränder.

Ich fühlte mich auf einmal 10 Kilo leichter. Danach begann das Festmahl...sie tischte auf...es war wie ein feierlicher Akt ...und ich sage euch...ich kam mir so dumm vor. 

Ein Glas Rose...nein eins...zwei...drei...bei vier hörte ich auf...es reichte. Sie erzählte uns...das sie vor Jahren auch diesen Weg gegangen sei...den Pilgerweg...den Weg nach Santiago de Campostela. Beginn war in Le Puy...den Sammelort der Pilger...hier begann alles...hier war der Treffpunkt...hier gingen tausende los...den schmerzhaft langen und entbehrungsweiten Weg.  Sie ging zwei Monate...durch Wind und Wetter..keine Herberge...nur Wald und Felder...nur...manchmal Angst und Aufgabebereit...dreckig und  in gewissem Sinnen heruntergekommen. Dieser Begriff ist relativ...man ist nicht heruntergekommen...man lebt auf der Strasse...und so sieht man halt aus...ohne wenn und aber. Sie hatte Wehmut der alten Erinnerung in ihren Augen...und sie hatte schöne Augen. Ihr Pilgerausweis war voll mit tollen super Stempeln der Kirchen und Kathedralen...diese hatten wir noch nicht. 

Dann bereitete sie unser Bett...eine Ausziehcouch im Wohnzimmer...mit sauberen  kühlen Laken...Leute...und schon wieder Weihnachten für uns...keine Ameisen an den Beinen die zwickten...keine Halme die stachen...keine Stöckchen die einen pickten...kein Stein unter der Isomatte..die den Rücken am anderen Morgen steif erschienen ließen.

Babette...sie war so lieb...ich glaubte sie als Freundin schon seit etlichen Jahren zu kennen....es war da eine Verbundenheit..die ich mir nicht erklären konnte....und wenn ich mit ihr sprach...lächelte sie nur....und dieses sprach Bände. Sie war keine Fremde...nein das war sie nicht...aber woher kannte ich sie ? Ja sagte sie...ich habe viele Tiere...weil ich so einsam bin...keiner ist da...wenn ich nach hause komme...nur meine Tiere...ist das nicht traurig ? Ich schloss  sie in mein Herz...mein großes Herz...ihr großes Herz.  Sie fütterte noch zwei Schildkröten am anderen Morgen ...liebevoll mit frischen Salatblättern....bevor wir wieder aufbrachen. Ihr könnt noch ein oder zwei Tage bleiben sagte sie...und ihr Blick war fragend. Ich sah Renate an...wußte aber bescheid...das es einfach nicht ging. 

Wollte ihre Gastfreundschaft nicht überstrapazieren...Babette...oh Babette...!

Merci sagte ich...Merci Babette...aber wir müssen weiter. Viele Fotos wurden gemacht...nein ...eigentlich nicht genug....aber wir versprachen in Kontakt zu bleieben....schriftlich und per Internet. Das machen wir jetzt auch...ich möchte die Freundschaft von Babette niemals missen

Sie fuhr uns zu dem Ort zurück...an ihr Bank...zu ihrer Bank...in dem Ort wo wir sie kennenlernten. Ich kann euch auch noch weiterfahren sagte sie...bis Nervers !

Nein...das wollten wir nicht. Nervers war 22 Kilometer von hier entfernt...und wie wollten wirklich nicht das sie sich diese Bürde aufverlangte. Wir würden es schon schaffen...was sind denn schon 22 Kilometer ?

Wir drückten uns feste bei der Verabschiedung...erst Renate und Babette...dann ich...Merci Babette...Merci boku...ich drückte sie feste. Plötzlich drückte sie mich weg...und ich sah Tränen in ihren Augen. Bon Courage sagte sie...bon Courage...

Sie streichelte meinen Schwanz ............................................................................................................................

meinen alten originalen  grauen Wolfsschwanz den ich am Rucksack seit Jahren trug...seit 38...Jahren...bon Courage...! Sie fuhr weg....Ihr Wagen wurde kleiner und kleiner am Horizont...bis zu einem Punlkt...bis sie dann unserem Auge entschwand.Was war sie....Babette...doch für ein toller und wertvoller Mensch. 

Ich hoffe wir sehen sie wieder in diesem Leben...unsere Haustüre und unser Herz ist jederzeit und immer für sie geöffnet ...immer..und...ohne wenn und aber.

Der nächst Ort hieß....La Grenouille Cne.de Cuffy....war noch nicht sehr weit weg vom Ort wo Babette wohnte.....aber wir mußten eine Pause machen...Babette ging uns nicht aus dem Sinn.  Es war noch frisch und ein leichter Wind wehte der unsere Haut frösteln ließ. Ungefähr zwei Stunden später hielten wir die Hitze nicht mehr aus...die unsere Haut rötete...und zu verbrennen drohte....! Wieder endlose Wälder...Strassen mit totgefahrenen Tieren...ein riesiger Dachs...im Strassengraben...nie gesehen lebendig in freier Natur...hier leider absolut mausetot...alle paar hundert Meter Blumenkränze an der Strasse...an Bäumen....gebunden...zum Andenken an verstorbene...vermutlich alles Autounfälle. Die Menschen lernen nie.

Bis Nevers ist es genau 22 Kilometer. Hätten wir uns lieber von Babette bis dahin fahren lassen  sollen ? Nein...ich wollte die Strecke zu Fuss gehen...aus Prestige...!Der nächste Ort...Le Guetin...mit Fluss L`Allier...wir laufen unsere Fussohlen wund...mein Gott...gibt es hier denn nicht mal eine Schattengegend zur Rast ?

Pont Carreau / Challuy...Richtung Nevers...soviel Wald und Heide...Felder...Wildnis...habe ich noch nie gesehen....außer in den Abruzzen. Wo bin ich    ? In Frankreich...oder am Amazonas ?   Tausend Tiere liegen verendet am Strassenrand...von Insekten bis zum Kleinwildtier...traurig.

Die Sonne brennt unbarmherzig...meine Haut schält sich in Streifen...bin ich denn ein Zebra?

Ok...Morgen geht es weiter liebe Freunde...ich kann  icht mehr...

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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