Joachim Haacke

Von einem, der auszog sein Glück zu suchen oder aber.....














Von einem, der auszog
sein Glück zu suchen oder aber  die
Beantwortung der Frage, was 13 Enten auf einem Feuerzeug zu suchen haben.
 
 
Chorus 1 oder
Unzufriedenheit ist aller Taten Anfang.


 
Manschmal ist es schon
etwas langweilig, den lieben langen Tag alleine auf einer Wiese zu verbringen.
Immerhin bin ich jetzt schon den dritten Sommer hier. Vielleicht ist es auch
schon der vierte. Wer weiß das so genau. Zeit spielt für mich keine Rolle.
Jedenfalls ist es lange her, daß ich etwas anderes gesehen habe, als besagte,
mit saftigem Gras und lieblich duftenden Kräutern bewachsene Wiese.

Na
ja, ich will mich nartürlich nicht beklagen. Wenn es mir zu heiß wird, kann ich
immerhin in die kleine Hütte gehen. Dort ist es dann angenehm. Nicht zu hell.
Aber auch nicht ganz dunkel. Genau richtig eben. Zu Essen und zu trinken ist
auch immer genügend da. Sicher, wenn man die Sache so betrachtet, könnte es mir
schlechter gehen. Viel schlechter sogar... Schließlich muß ich auch nicht
arbeiten. Kein Bauschut, der durch die Gegend befördert werden muß. Kein Holz,
welches aus dem Wald zu ziehen ist. Das ist natürlich angenehm.

Aber
trozdem... Ab und an bekomme ich eben so ein seltsames Gefühl. Langeweile ist
vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Immerhin bekomme ich ja ab und zu
Besuch. Eigentlich fast jeden Tag. Wenn auch nicht für lange. Klar, der alte
Bauer hat ja noch mehr zu tun, als mich zu besuchen. Das weiß ich natürlich. Um
es gleich vorwegzunehmen... ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, daß
ich undankbar wäre. Nein, so etwas läge mir fern. Vielen meiner Artsgenossen
geht es sicherlich schlechter. Die können nicht den ganzen Tag in der Sonne
herumliegen und irgendwelchen Gedanken nachhängen. Ja, ja das weiß ich.

Immerhin...
der alte Bauer bringt mir ab und zu sogar eine Mohrrübe mit. Da freue ich mich
dann immer. Dann zieht der alte Mann an seiner Pfeife und streichelt mich. Gut
und schön. Dagegen will ich ja nichts sagen. Obwohl... jeden Tag eine Mohrrübe
wäre natürlich schon angebrachter. Aber das ist es gar nicht....wie gesagt,
eigentlich mag ich den alten Bauer. Bis er anfängt, mit mir zu sprechen. Das
ist äußerst komisch. Man muß allerdings noch dazusagen, daß er nur mit mir auf
diese bestimmte Art und Weise spricht. Das weiß ich daher, da seine Frau gelegentlich
mitkommt, wenn er mir täglich Futter oder ab und an eine Mohrrübe bringt. Mit
ihr redet der alte Bauer in kompletten Sätzen... Er nennt mich überigens
Barnabas. Bar-na-bas...Das muß man sich einmal vorstellen. Wo ich doch
eigentlich Bennjamin heiße. Aber ich will jetzt nicht abgleiten....Wo bin ich
noch gleich stehengebleben? Ach richtig....Die an mich gerichteten Monologe
meines Herren. Ein kleines Beispiel gefällig? Gestern erst passiert. Aber halt,
ich muß erst kurz nachdenken....Die viele Sonne tut mir nicht gut...Ja
genau...So war es....

" Iaaaa,
Barnabas, feine Mohrübe fürs kleine Eselschen..."

Das muß man
sich vorstellen; mit diesem Zuruf wurde ich gestern aus meinem Mittagschlaf
geweckt. Nennt er mich doch tatsächlich kleines Eselschen, wo ich doch schon
fünf Jahre alt und längst erwachsen bin. Und dann dieses furchbar langgezogene
und äußerst durchdringende "Iaaa". Ich möchte wetten, der alte Bauer
weiß überhaupt nicht, was dieser Ausruf in meiner Sprache bedeutet. Na ja,
woher soll er auch. Hätte er es aber gewußt, würde sich mein Herr jetzt
schämen. Da bin ich mir ganz sicher. Warum, höre ich den geneigten, zur
Neugierde neigenden Leser fragen? Nun, hier nur soviel... dieses gerade eben
zitierte "Iaaa" läuft auf eine ziemlich eindeutige und grundsätzlich
der Fortpflanung dienende Willensbekundung heraus. Ein Esel meiner Herkunft
drückt sich normalerweise etwas weniger vulgär aus...Ja, wenn der alte Bauer
das wüßte... Eigentlich ganz unterhaltsam...

Auf diese Art
und Weise bin ich also gestern geweckt worden. Und das bei einer Hitze, die
ihresgleichen sucht. Schlimm, schlimm... Lauter kleine Fliegen sind mir um den
Kopf geschwirt. Ziemlich lästig, diese heißen Sommer. Andererseits... Ach egal.
Jedenfalls ließ mich die Aussicht auf eine saftige Mohrrübe meine  Müdigkeit schnell vergessen. Ich trottete
also zu meinem Wohltäter. Der stand an dem inzwischen wieder verschlossenen
Gattereingang. Der alte Barnabas, respektive Benjamin soll ja nicht
davonlaufen!

In der rechten
Hand hielt der alte Bauer seine obligatorische Pfeife; in der linken ein mich
immer wieder in Verzückung bringender Leckerbissen. Dann redete der alte Bauer
weiter...

"Mein
schlappohriger Freund, feini feini....". Sein sonnengegärbtes Gesicht
strahlte. Er streckte mir die Mohrrübe entgegen und wedelte mit ihr in der
Luft. Nicht ruckartig; ganz sachte. Denkt wohl, ich wäre nicht ganz bei Sinnen.
Unsereines hat ja bekanntermaßen ein dickes Fell...

"Na
grauer, Eselsche,  schon auf mich
gewartet?"

Ja, was soll
man da erwiedern? Er versteht meine Sprache ja doch nicht...Außerdem, das mit
dem schlappohrigen Freund war nicht gerade nett. Ziemlich unsensibel...Ja
sicher, Esel haben nun einmal lange Ohren. Daran ist nicht zu rütteln. Aber
gleich Schlappohren? Vor allem ich? Er sollte eigentlich wissen, das ich aus
gutem Hause stamme. Ein Zuchttier....Jawohl. Und Zuchttiere haben keine
Schlappohren. Aber ich will nicht kleinlich sein. Der alte Mann hat das sicher
nicht so gemeint. Außerdem hat er mir ja etwas feines mitgebracht. Das darf man
schließlich nicht außer acht lassen. Ich bin schließlich auch nur ein Esel. So
erscheint es mir schließlich am vernünftigsten, auf den alten Mann zuzugehen
und ihm ein freudiges Bariton "Iahah iaa ihaa" zuzuschmettern.
Übersetzt in die Menschensprache, bedeutet das ungefähr "Oh, welch
leckeres Gemüse sie mit sich herumtragen. Vortreflich wird es munden".

Klar, ich weiß
schon... Das ganze klingt ziemlich hochgestochen. Aber manschmal macht mir
einfach Spaß, auf diese Art zu reden. Außerdem komme ich schließlich aus gutem
Hause. Im Grunde ist meine Rethorik aber völlig irrelevant; der alte Bauer
versteht mich ja sowie so nicht. Hauptsache, meine Strimme klingt
freundlich...Inhaltlich wird von uns Eseln sowie so nichts erwartet. Wir sind
ja störrisch und dumm. Ganz im Gegensatz zu unseren ach so intelligenten
Artverwandten; den Pferden. Welch kultivierte Zeitgenossen! Lächerlich ist
das...Jawohl, lächerlich. Da kann ich mich doch immer wieder auf das neue
aufregen! Doch weiter in dem Text...der alte Bauer mit der schmakhaften
Mohrrübe, Teil 2. Oh, wie ist mir gestern das Wasser im Maul zusammengelaufen.
Dieser Anblick! Was für ein sich anbahnender Genuß! Erwachende Gier!

Aber, wie
gesagt, Esel sind äußerst schell lernende Tiere. Im Gegensatz zu Pferden. Aber
lassen wir das. Jedenfalls wußte ich, daß es törricht wäre, sofort nach dem ach
so wohlriechenden Gemüse zu schnappen. Der alte Bauer erwartet schließlich
etwas für seine Mohrrübe. Also zuerst etwas Süßholzraspeln! Sonst ist mein Herr
wieder enttäuscht! Und das heißt, für eine ganze Weile keine Mohrrüben mehr. In
diesem Fall war Süßholzraspeln gleichbedeutend mit sich streicheln lassen. Das
wußte ich bereits aus zuvorliegenden Begebenheiten. Na ja, ist ja halb so
schlimm. Wir Esel sind so etwas ja gewöhnt. Wer etwas haben will, muß dafür
schließlich auch etwas geben. So ist das nun einmal. Die Pfeife meines Herren
riecht unangenehm. Aber die Aussicht auf eine saftige Mohrrübe macht das wieder
mehr als wet. Wenn seine Hände nur nicht so rau wären! Der alte Mann arbeitet
zuviel! Er krault mich am Kinn. Das ist mir fast ein wenig unangenehm. Aber nur
nichts anmerken lassen ! Das ist ganz wichtig!

"Das
gefällt dem Eselsche, hm, hm ?"

Was Esel für
eine einzige Mohrrübe doch alles tun muß. Ja, für einen Außenstehenden ist so
etwas nur schwer vorzustellen. Sicher, man kann das ganze auch Erniederigung
nennen. Von mir aus. Aber welche Alternative bleibt mir schon? Eben....da ist
es besser, sich nicht so anzustellen. Es sei denn, man legt auf Luxus keinen
Wert. Aber, wie gesagt, ich stamme aus gutem Hause. Da hat man eben seine
Ansprüche. Aber wozu rechtfertige ich mich eigentlich? Wenn der moralisch ach
so integere Leser sich veranlaßt fühlt, mich zu verurteilen, soll er es halt
tun.

Jedenfalls
ließ ich mich gestern eine ganze Weile von dem alten Bauern streicheln.
Irgendwann hatte er genug der Liebkosung, und streckte mir das heißersehnte
Gemüse mit folgenden Worten entgegen:

"Feine
Mohrrübe für den kleinen Barnabas...."

Endtlich war
es soweit! Endtlich! Er mußte mir die Gier angesehen haben...Jedenfalls vergaß
ich für einen kleinen Moment meine gute Erziehung und rieß ihm das Gemüße aus
der Hand, um es in ein, zwei Bißen herunterzuwürgen. Was für ein Wohlgeschmak!
Köstlich!

Der alte Bauer
machte in Anbetracht meines immensen Appetites ein glückliches Gesicht und lief
in meine kleine Hütte, um dort den Futtertrog aufzufrischen. Das macht er so
gut wie jeden Tag. Die Sonne war indes nicht weniger geworden. Schatten tat
not. Da die Hütte gerade von meinem Herren besetzt war, blieb mir nichts
anderes überig, als mit dem überdimensionalen, sicherlich uralten Apfelbaum
vorlieb zu nehmen. Dieser steht direkt neben meiner eigentlichen Behausung und
ist im Grunde ein ausgezeichneter Sonnenschutz. Sein einziger Nachteil sind
diejenigen Äpfel, welche ab und zu von selbst herunterfallen. Da muß man
vorsichtig sein !

Jedenfalls
legte ich mich gestern unter besagten Baum und war auch alsbald eingeschlafen.
Ja, so schnell kann das gehen! Als ich wieder aufwachte, dämmerte es bereits.
Mein Herr war natürlich längst nach Hause gegangen. Der alte Barnabas kann sich
ja mit sich selbst beschäftigen! Esel kennen schließlich keine Langweile.


 
Ja, das war
gestern. Ein interesanter Tag, nicht wahr? Was will Esel mehr. Wenn ich da an
früher denke, wird mir ganz anderst. Wirklich, das waren noch Zeiten... Ein
riesiges Gestüt; soweit das Auge reicht....Jeden Tag Mohrrüben..Und die vielen
Kameraden...Aber nein, mein damaliger Herr mußte ja unbedingt mit dem
Roulettespiel anfangen. Das war der Anfang von dem Ende. Woher ich das weiß...
Nun, ein Esel hat bekanntermaßen große Ohren. Und die hat er nicht ohne Grund.
Wahrlich nicht... Wenn der Leser sich zusätzlich noch ein äußerst geschwätziges
Personal vorstellt, wird er seine gerade geäußerte Zwischenfrage auch schon
beantwortet haben. Ich bin schon ein gewitztes Kerlschen. Ja, irgendwann hatte
mein damaliger Herr sein ganzes Vermögen verspielt.

Eine ziemlich
tragische Geschichte damals. Alles auf dem Hof mußte schnellstens zu Geld
gemacht werden. Auch wir Tiere. Ich war damals noch relativ jung. Das sollte
sich als großer Vorteil herausstellen... Ja, das ist schon tragisch. Alte Esel
will niemand mehr haben. Die können sich schon glücklich schätzen, wenn sie
irgendwo ihr Gnadenbrot fristen können. Bei jungen Tieren ist das nicht ganz so
schlimm. Da findet sich früher oder später schon jemand. Besonders, wenn man
sich auf das Süßholzraspeln versteht. Und das konnte ich immer schon. Im
Gegensatz zu meinem damaligen Kumpel Ernesto. Aber der war auch schon viel
älter als ich. Sehr viel älter. Das merkte man auch. Seine Knochen waren müde
und knarrten. Bei dem Herumtollen mußte er des öfteren eine Pause einlegen.
Damals konnte ich das überhaupt nicht verstehen. Ich war jung und übermütig.
Voller Neugierde und Tatendrang. Ernesto wollte jedenfalls niemand kaufen.

Als
Arbeitstier war er den einen bereits zu schwach, während er den anderen als
Streicheltier zu häßlich war. Nein, häßlich ist eigentlich das falsche Wort.
Das wird meinem alten Kumpel nicht gerecht. Früher war Ernesto sicherlich ein
hübsches Tier. Da bin ich mir ganz sicher, obwohl seine besten Jahre lange vor
meiner Geburt lagen. Jedenfalls war sein Fell im Laufe der Zeit merkbar matt
geworden. Die Augen glänzten nicht mehr. Man merkte ihm an, daß er müde
geworden war. Kein Feuer mehr, daß in ihm lodert. Sein Weg neigte sich dem
Ende. Nicht sofort; aber doch in einem überschaubaren Zeitraum.

Irgendwann kam
damals mein jetziger Herr auf den Hof. Dies wußte ich bereits im Voraus, da ich
ein Gespräch der beiden noch überiggebliebenen Stallburschen belauschte. Diese
unterhielten sich über einen alten Knacker, der anscheinend einen Esel kaufen
will. Sehr interesant war das damals für mich. Man muß nämlich wissen, daß es
außer mir und Ernesto noch vier andere Esel auf dem bereits zum Verkauf
stehenden Hof gab. Alles Konkurenten.

Außer meinem
Kumpel Ernesto erzählte ich daher niemanden von dem von mir belauschten
Gespräch. In einer derartigen Situation muß man vorsichtig sein. Ich mußte mich
vorsehen....Nur wir beide...Ja, anfangs dachte ich wirklich, daß sich jemand
finden wird, der Ernesto und mich im Doppelpack kauft. Das wäre schön gewesen.
Ich und mein Kumpel Ernesto...Herrliche Aussichten....Dieser konnte meinen
damaligen jugendlichen Enthusiasmus allerdings nicht teilen. Das Alter hatte
ihn von der rosaroten Brille der Illusion befreit. Seine Worte hohlten mich
voller Ernüchterung auf den Boden der Tatsachen zurück.....

"Ach,
Benjamin... mach dir doch nichts vor. Einen alten Esel wie mich will doch
niemand mehr bei sich aufnehmen. Das weißt du so gut wie ich....Ich bin alt und
schwach, für mich gibt es nichts mehr zu erwarten. Ja, dich werden sie haben
wollen. Du bist jung und voller Kraft..."

Ernesto sollte
damals recht behalten. Eines Nachmittags war es dann soweit. Mein jetziger Herr
und seine Frau kamen in den Stall und begutachteten die vier anderen Esel.
Diese waren gerade mit Fressen beschäftigt. Mein Kumpel und ich trotteten
draußen auf der Wiese herum. Es war Frührjahr und noch nicht sonderlich heiß.
Gerade richtig für einen kleinen Spaziergang...

Ernesto machte
mich damals sogar auf den Besuch aufmerksam. Ich selbst hätte den fremden alten
Mann und die dicke Frau im Stall überhaupt nicht bemerkt. Tja, damals war ich
zumeist mit meiner jugendlichen Eitelkeit beschäftigt. Meine
Lieblingsbeschäftigung war es, mich in dem kleinen Teich, welcher direkt an der
Wiese lag, zu spiegeln. Was für ein herrliches Spiel! Und wie hübsch ich war !
Mein dunkelgraues Fell glänzte geradezu. Diese ausdrucksstarken Augen! Und jede
Veränderung bildet sich sofort im Wasser ab. Ich konnte mich überhaupt nicht
sattsehen!

Gut, gut im
Nachhinein ist mir das natürlich ein wenig peinlich. Das gebe ich natürlich zu.
Im Fegefeuer der Eitelkeiten ! Zu meiner Verteidigung müßte ich natürlich
anführen, daß die Möglichkeit, sich in einem stillen Gewässer zu spiegeln, für
mich damals völliges Neuland darstellte. Welch ungeahnte Möglichkeiten sich da
auftaten! Aber halt....ich schweife schon wieder ab. Eine schlechte
Angewohnheit ist das. Wo war ich noch gleich stehengeblieben? Ach
richtig.....ich und mein alter Kumpel Ernesto. Ich stand wieder einmal am Teich
und war voller Inbrunst mit dem Schneiden verschiedenster Grimasen beschäftigt,
als mein väterlicher Freund zu mir herlgelaufen kam:

"Benjamin,
ich glaube, jetzt ist es soweit....Benjamin, hör mir bitte zu...der alte Mann
ist da. Du weißt doch, der wo einen von uns kaufen will".

Ich schreckte
damals relativ apprupt von meiner Posiererei auf. Trotz meiner Jugend wußte
ich, daß es um meine Zukunft ging. Und wer weiß, vielleicht nimmt der fremde
Mann auch meinen Freund Ernesto auf. Ich wollte seine diesbezügliche
pessimistische Einstellung einfach nicht teilen. Jedenfalls trotteten wir beide
in Richtung Stall. Das heißt, meinen Kumpel mußte ich erst überreden. Der war
nämlich nach wie vor der Meinung, daß er sowieso keine Chanche hat und wollte
darum auch nicht mitkommen. Mir zuliebe änderte er seine Meinung dann aber
doch.

"Also
gut, Bejamin, wenn du meinst; dann komme ich halt mit....Alleine ist es mir
hier draußen sowieso zu langweilig."

Gerade
überzeugend klang das nicht gerade; armer, alter Ernesto. Seine damiligen Worte
sind immer noch derart in meinen großen und wohlgeformten Ohren
hängengeblieben, als wenn sich das ganze gerade gestern ereignet wäre.

Tja, um es
kurz zu machen; Ernesto hatte recht....Mein heutiger Herr beachtete ihn
wirklich nicht. Zuerst hatte der alte Bauer nur Augen für Alfonso; einen
ziemlich arroganten spanischen Deckhengst.

"Uiii,
ist das ein schönes Tier....Und so erhaben...Wirklich, oder was meinst du,
Elfriede?".

Elfriede ist
natürlich die etwas zur Dickleibigkeit neigende Frau des alten Mannes. Dem
aufmerksamen Leser wird diese Tatsache sicherlich nicht entgangen sein.
Jedenfalls passte es mir überhaupt nicht, was für ein Wirbel um Alfonso
veranstaltet wurde. Dieser aufgeblasene Schaumschläger...Mir war damals
jedenfalls klar, daß ich schleunigst etwas unternehmen mußte. Ernesto stand
neben mir. Sein Blick war traurig wie immer.

Also erst
einmal ein lautes, herzhaftes und forderndes "Iaaa ihaiha". Das
sollte eigentlich ausreichen, um die Aufmerksamkeit der anwesenden Personen auf
mich zu ziehen. Einen tieferen Sinn hat dieser Ausspruch allerdings nicht.
Versucht man ihn in die Menschensprache zu übersetzen, bedeutet das ganze etwa
folgendes: "Dann und wann ist es notwendig, sich zweimal in dem Kreis zu
drehen und kräftig mit den Ohren zu wackeln". Aber, genau wie ich mir das
ganze gedacht hatte, nicht lange, und die geballte Aufmerksamkeit war auf mich
gerichtet. Alfonso kochte vor Wut, das sah ich ihm deutlich an. Aber das
geschah ihm ganz recht. Ernesto beobachtete das ganze relativ teilnahmslos. Er
war weise genug, um sich keine Chanchen auszurechnen. In seinem Alter hat Esel
es schwer.

Die dicke Frau
des alten Bauers wurde damals zuerst auf mich aufmerksam. Sie kam auf mich zu.

"Eselsche,
was haste den? Must doch nicht schreien. Bist aber ein schönes Tier. "

Ihr Mann war
immer noch mit Alfonso beschäftigt. Doch er hatte die Rechnung ohne seine Frau
gemacht. Ganz Eindeutig. Diese rief ihn nämlich sogleich Gewehr bei Fuß.

"Alfred,
jetzt komm doch mal her. Schau dir mal das Eselsche an. Ist es nicht
niedlich?"

Jetzt noch
etwas süßholzraspeln, und meine Chanchen stehen gut. Ich mußte mir eigentlich
keine Sorgen machen; Alfonso kommt gegen meinen Charme nicht an. So war es dann
auch...Die dicke Frau streichelte mich zuerst eine Weile, überlegte dann kurz
und sagte schließlich folgendes:

"Alfred,
den nehmen wir mit. Keine Wiederrede, ich habe mich entschieden..."

Der alte Bauer
liebäugelte damals allerdings immer noch mit Alfonso; daß merkte ich deutlich.
Der dicken Frau war dies allerdings auch nicht entgangen. Sie fing an, etwas
böse zu werden:

"Vergiß
es, daß junge Eselsche wird genommen, und damit basta. Der ist viel niedlicher
als der komische Ackergaul da drüben. Wenn du eine Arbeitsmaschine suchst, dann
kaufe dir gefälligst einen Tracktor".

Die Ehefrau
des alten Bauers schnaubte. Ihr Gesicht war in der Zwischenzeit tomatenrot
angelaufen. Sie konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihr Mann auch nur
an Wiederrede dachte. Ihr resulutes Auftreten fand ich damals außerordentlich
belustigend. Aber natürlich ließ ich mir diesbezüglich nichts anmerken. Das sie
Alfonso als alten Ackergaul titulierte, gefiel mir natürlich
ausgezeichnet.  Die dicke Frau beendete
ihren Monolog mit folgendem Ausspruch:

"Jetzt
frag schon nach, was das Tier kostet. Ich habe nicht ewig Zeit. Los...Stehe
nicht wie angewurzelt in der Gegend herum, du weißt doch, daß um 16.00 Frau
Suhrbier und Frau Lokowski zum Kaffeetrinken kommen. Wir müßen vorher noch bei
Bäcker Zuckerguß vorbei, um eine Schwarzwälder Kirschtorte abzuhohlen."

Ja, jetzt
hatte ich gewonnen. Ganz toll. Meine Zukunft war gesichert. Eigentlich hätte
ich damals zufrieden und glücklich sein müssen. Wenn da die Sache mit Ernesto
nicht gewesen wäre. Dieser wurde nämlich von dem Bauernehepaar überhaupt nicht
beachtet. Als wenn er Luft wäre. Das tat mir leid. Er schien mit seiner
Prognosse also doch rechtbehalten zu haben. Ein alter Esel will einfach niemand
mehr haben. Ich beobachtete meinen alten Freund für einen Moment. Er machte
trotz allem einen recht gefaßten Eindruck. Sein Blick war allerdings in das
Leere gerichtet. Er wollte sich nichts anmerken lassen, um mir meine Freude nicht
zu vermißen. Ich spürte das. Armer, alter Freund. Mir wurde scherzlich klar,
daß ich wohl oder übel von ihm Abschied nehmen muß. Nichts würde mehr so sein
wie früher; kein gemeinsames Herumtollen auf der Wiese; nichts...aus, vorbei.
Was bleibt, ist die Erinnerung. Schade. Und ich hatte es mir so sehr gewünscht,
daß wir zusammen eine neue Bleibe finden. Na ja, das war damals die erste große
Enttäuschung meines noch jungen Esellebens.

Das weitere
ging dann relativ schnell. Bereits ein Tag, nachdem mich das Ehepaar zum ersten
Mal gesehen hatte, wurde ich von ihnen abgehohlt. Sie hatten sich extra einen
von diesen komischen Anhängern ausgeliehen, in welchem normalerweise Pferde zu
irgendwelchen Sportveranstaltungen transportiert werden. Ernesto und ich waren
gerade auf der Weide und spielten fangen. Er machte an diesem Tag einen recht
müden Eindruck. Wir wußten beide, daß es alsbald Zeit sein wird, Abschied zu
nehmen. Wahrscheinlich sogar für immer. Aber so schnell.... Wenigstens noch ein
paar Tage. Aber nein... die dicke Frau des alten Bauern schien darauf
spezialisiert zu sein, Nägel mit Köpfen zu machen. Sie parkten das Auto direkt
neben dem Stall. Ernesto sah die beiden als erster:

"Schau,
Benjamin, du bekommst Besuch. Dein neuer Herr will dich abhohlen...."

Im ersten
Moment wollte ich mich verstecken. Der Gedanke war einfach; wenn der alte Bauer
mich nicht findet, würde er wieder wegfahren... Und das hieß, ich könnte noch
ein paar Tage mit meinem Kumpel verbringen. Ernesto hielt aber überhaupt nichts
von dieser Idee:

"Ach,
Bejamin; daß bringt doch nichts. Nacher entscheiden sie sich für Alfonso. Und
dann? Auf mich brauchst du keine Rücksicht nehmen. Ich bin alt; aber du, mein
Freund bist jung und voller Kraft. Dein Weg liegt noch vor dir. Ich bitte dich;
laufe nicht davon..."

Die Stimme des
Freundes klang ernst und gefaßt. Tief in meinem Inneren wußte ich, daß er recht
hatte. Das Schicksal kann manchmal so ungerecht sein...Das weitere ist schnell
erzaählt. Ehe ich mich versah, befand ich mich auch schon in dem Anhänger. Dann
fuhr das Auto los. Ernesto stand allein auf der verlassen wirkenden Weide und
schaute mir nach. So lang er konnte. Seine Zukunft war vage und ungewiß. Ich
aber war fein raus. Nur weil ich jung war und mich auf das süßholzraspeln verstand....
Verückte, oberflächliche Welt.


 
Ja, das alles
ist jetzt lange her. Seither bin ich bei dem alten Bauern und seiner dicken
Frau. Wie gesagt, ich kann mich eigentlich nicht beklagen. Ernesto ist es
sicherlich schlechter ergangen. Aber dennoch... In letzter Zeit fehlt mir
etwas. Was daß ist, kann ich nicht genau sagen. Irgend etwas unbestimmtes, was
tief in mir lodert. Wenn wenigstens mein alter Kumpel Ernesto hier sein könnte.
Dann wäre mir sicherlich nicht so langweilig. Wir könnten auf der Wiese herumtollen
und  fangen spielen. Oder den alten
Bauern etwas ärgern... Aber so... Jeden Tag das selbe.

Die einzige
Abwechslung, die ich habe, ist die Straße, welche ein paar Meter neben meiner
Wiese vorbeifährt. Da fahren oft Autos vorbei. Manschmal auch ganz große und
lange. Die zu beobachten, macht mir Spaß. Ich überlege mir dann immer, wo die
Straße hinführt. Sicherlich gibt es da auch viele Mohrrüben...Oder aufregende
Geheimnisse...Vielleicht auch andere Esel. Neue Freunde....Am Ende sogar
Ernesto.. Nicht immer nur der alte Bauer und seine dicke Frau. Aber daß werde
ich wahrscheinlich nie herausfinden. Mein Gatter ist immer abgeschlossen. Da
ist der alte Mann vorsichtig...

Eines hat er
allerdings vergessen. Im Bretterzaun im hinteren Teil der Wiese ist locker und
morsch. Zwei, drei kräftige Tritte mit meinem Huß, und ich müßte in der
Freiheit sein...Und dann einfach der Straße nach. Das heißt, am besten den
kleinen Feldweg neben der Straße. Das wäre weniger aufgfällig. Ein Esel mitten
auf einer vielbefahrenen Landstraße; daß muß man sich einmal vorstellen...
Nicht auszudenken...Außerdem viel zu gefährlich. Zum Überfahren werden bin ich
noch zu jung. Ein Esel meines Alters und Schlages muß schließlich noch etwas
erleben...

Jawohl...hier
werde ich mit Sicherheit keine Abenteuer erleben können. Bis an mein Lebensende
in diesem kleinen Gatter...Nein wirklich nicht. Für einen Esel meiner Herkunft
ist das unwürdig. In meinen Adern fließt schließlich das Blut eines
Entdeckers...

Der werte
Leser fragt sich jetzt , wieso ich mir diesbezüglich so sicher bin. Vor allem
im Anbetracht der Tatsache, daß der gute alte Barnabas bislang immer in der
sicheren Obhut eines fürsorglichen Herren gelebt hat. Nun, so etwas fühlt  Esel eben. Außerdem bin ich niemanden
Rechenschaft schuldig. Ja, ich weiß, jetzt bin ich natürlich wieder dem Klische
eines störrischen Grautieres gerecht geworden. Na und wenn schon....

Das einzige
Problem, daß ich bezüglich meiner Abenteuerlust habe, ist mein Herr, der alte
Bauer. Er würde sich sicher schreckliche Sorgen machen, wenn ich eines Morgens
nicht mehr in meinem Gatter bin. Und seine dicke Frau erst... Der gute, alte
Barnabas ist nicht mehr da. Wie schrecklich. Wahrscheinlich würden sie sogar
ein Verbrechen vermuten. Eselnapping...Was für ein lustiges Wort. Aber kann man
von einem Grautier in den besten Jahren wirklich verlangen, daß es immerzu
Rücksicht nimmt? Irgendeinmal werde ich so als wie Ernesto sein. Und dann?
Immer noch in diesem Gatter bei dem alten Bauern? Eben so resignierend, wie mein
lieber, alter Freund? Was habe ich dann von meinem Eselleben gehabt? Jeden
zweiten Tag eine saftige Mohrrübe; und das soll es gewesen sein? Ernesto ist in
seiner Jugend immerhin mit einem Schäfer durch die Lande gezogen. Da hat er
dann die tollsten Abenteuer erlebt. Muß ziemlich aufregend gewesen sein. Und
ich verschenke meine besten Jahre. Ein Jammer ist das. Aber was soll Esel auch
machen. Früher waren die Zeiten eben aufregender....

Ich beschloß,
daß ich mich genug bemitleidet hatte, und trottete in Richtung Apfelbaum, um
dort auf den alten Bauer zu warten. Na, ein kleines Nickerchen hat noch keinem
Esel geschadet...Gevatter Schlaf ließ dann auch nicht lange auf sich warten.

" Iaaaa,
Barnabas, feine Mohrübe fürs kleine Eselschen..."

Träum ich oder
wach ich, sing ich oder lach ich. Gelegentlich mutet es schon etwas komisch an,
was einem für seltsame Sachen durch den Kopf schwirren, wenn Esel zu lange in
der Sonne geschlafen hat. Eines wunderte mich allerdings...Ich hatte doch erst
gestern eine Mohrrübe bekommen...Seltsam, normalerweise ist der alte Bauer mit
meinem Lieblingsgemüsse nicht so großzügig. Na, vielleicht wird er langsam
vergeßlich. Kann ja sein. Aber was mache ich mir eigentlich Gedanken? Um so
mehr Mohrrüben, um so besser...Eine altbewährte Eselsweisheit.

Der alte Bauer
rauchte wie üblich seine übelriechende Pfeife. Er trug einen alten blauen
Overal, welcher voller Ölflecken war. Dazu einen ziemlich zerzausten Strohhut.

"Ich weiß
doch, wie die meinem Freund Barnabas schmecken. Sollsts schließlich gut haben
bei mir...."

Mein Herr
hielt mir die Mohrrübe direkt vor das Maul. Theoretisch mußte ich nur noch
hineinbeißen. Ich hielt kurz inne. Tja, Esel denken erst nach, bevor sie
handeln...Ganz im Gegensatz zu Pferden. Jedenfalls überlegte ich, ob es nicht
geschickter wäre, zuerst etwas süßholzuraspeln und erst anschließend in den
saftigen Genuß zu beißen. Das würde dem alten Bauern sicherlich gefallen. Aber
mein Fleisch war wieder einmal zu schwach. Na ja, eins, zwei, drei und mit der
Mohrrübe war es vorbei. So ist das eben. Außerdem sind wir Esel keine
Streichelmaschinen. Dahingehend hatte ich den alten Mann schließlich bereits am
Vortag belohnt.

"Das
freut mich aber, daß es dir so gut gescheckt hat, Barnabas. Aber jetzt mußt du
mich entschuldigen. Ich muß für das Eselsche noch den Stall richten..."

Sprachs, und
verschwand in meine Behausung... So wie jeden Tag. Ach, wenn Ernesto nur hier
wäre. Ich überlegte, was ich mit dem Nachmittag anfangen sollte. Schon wieder
ein Nickerschen halten wollte ich nicht. In diesem Fall also das
"Esel-dreh-dich-in-dem-Kreis-herum-Spiel". Das spiele ich recht oft,
wenn mir langweilig ist. Ist im Grunde eigentlich ganz einfach. Der Leser wird
das Ganze wahrscheinlich auch für relativ albern halten. Na, und wenn schon. In
der Einsamkeit fällt Esel bekanntlich viel Unsinn ein. Aber halt, ich habe den
Leser ja noch überhaupt nicht in die Spielregeln eingeweiht. Na, daß wird jetzt
aber schleunigst nachgehohlt....

Esel stellt
sich also auf eine möglichst große Wiese und schließt die Augen. Dann heißt es
bis zwölf zu zählen...Gleichzeitig dreht sich Esel möglichst schnell im Kreis.
Dann heißt es die Augen aufzumachen, und möglichst schnell loszulaufen.
Herrliches Spiel...Es ist einem immer so herrlich schwindelig dabei...

"Barnabas,
was ist denn los mit dir? Haste mich nicht gesehen? Du rennst mich ja
um..."

Das war
natürlich peinlich. Das mein Herr aber ausgerechnet just zu dem Zeitpunkt aus
dem Stall laufen mußte, wo ich "Esel-dreh-dich-in-dem-Kreis-herum"
spiele? Was für eine Verkettung unglücklicher Unglücklicher Umstände...Na ja,
damit kann ich mir wohl für die nächsten Tage zusätzliche Mohrrüben
abschminken. Wie törricht, wie törricht !


 
Aber auch
dieser Nachmittag war irgendwann vorbei. Es dämmerte, und die Nacht stand vor
der Türe. So wie jeden Tag. Ich beobachtete die Landstraße. Es waren
verhältnismäßig wenig Autos unterwegs. Somit gab es auch nicht viel zu
beobachten. Ein äußerst träger Abend. Ob der alte Bauer wohl arg traurig wäre,
wenn ich mich auf Wanderschaft begebe? Schwer zu sagen...Nach unserer
nachmittaglichen Koalision hat er recht schnell das Weite gesucht. Ich glaube
aber nicht, daß er dem guten, alten Barnabas böse ist. Eigentlich ist er die
Gutmütigkeit in Person. Was Ernesto im Moment wohl macht? Hoffentlich ist er
damals noch irgendwo untergekommen. Vielleicht ganz in der Nähe? Wer
weiß...möglich ist alles. Irgend wie hatte ich das Bedürfnis, heute Nacht Nägel
mit Köpfen zu machen. Hinaus in die Welt. Endtlich Abenteuer. Ein Leben, in dem
die Langeweile keinen Platz hat ! Was für herrliche Aussichten sich da
auftun...Das einzige, was ich tun muß, ist es, zwei, dreimal gegen den morschen
Teil des Gatters zu tretten. Meine Eintrittspforte in eine aufregend Zukunft!
Jawohl, heute wird es endtlich soweit sein ! Ich habe lange genug gewartet. So
wahr ich Benjamin heiße! Der alte Bauer und seine dicke Frau müssen mich
verstehen! Das geruhsame Leben in fürsorglicher Obhut ist Gift für mein wild
pochendes Herz. Die Welt wartet darauf, von mir erkundet zu werden. Wohl wahr,
wohl wahr! Die Zeit ist reif für Benjamin, den Eroberer! Keine Sekunde, die
noch zu verschenken ist!

Mein Kopf
glühte. Mir war etwas schwindelig. Aber egal. Sogleich an die Arbeit. Jetzt
hält mich nichts mehr auf. Und schon gar kein morscher Holzzaun. Lächerlich!

"Mach
dich auf dein Ende gefaßt, Zaun. Jetzt kommt Benjamin, der Rammbock..."

Sprachs, und
rannte mit Karacho gegen das mir in dem Weg stehende Hinderniss. Zuerst einmal,
dann noch ein zweites Mal....Der in mir brennende Enthusiasmus verlieh mir nie
für möglich gehaltene Kräfte. Mein Wiedersacher hatte nichts entgegenzusetzen.
Schwupps, und ich war in dem güldenen Garten der Freiheit....Na also, daß war
doch gar nicht so schwer gewesen...Die erste Tat war vollbracht. Welt, hab
acht! Benjamin der Esel dreht seine Runden.


 

 
Chorus 2 oder Vorsicht ist
die Mutter der Porzelankiste.


 
Jetzt heißt
es, kühlen Kopf bewahren! Nicht übermütig werden! Die Häscher lauern überall.
Also beschloß ich, daß es am besten sein wird, auf dem kleinen, teilweise durch
den Wald gehenden Feldweg zu bleiben. Auf der Straße hätte der gute, alte
Barnabas zuviel Aufsehen erweckt. Inzwischen war es stockduster. Eine klare
Nacht; der Himmel war voller Sterne. Der arme alte Bauer! Aber das war jetzt
nicht mehr zu ändern. Mein Entschluß stand fest; zum Umkehren war es zu spät.

Vorsichtig,
vorsichtig Benjamin...da vorne....da ist doch wer. Ein Mensch! Ja,
tatsächlich...Vielleicht hundert Meter entfernt! Er hat einen Schlapphut auf...
Kühlen Kopf bewahren, Benjamin; kühlen Kopf! Wenn er mich erkennt, bin ich
geliefert! Ach, lirum, larum, Löffelstil. Papperlapap ! Ich bin schneller als
er. Ein Esel in den besten Jahren! Jawohl... Außerdem, endtlich,
endtlich....das erste wirkliche Abenteuer steht vor der Tür. Mein Herz klopft,
als wenn es außer Rand und Band wäre. Ich beschließe, mich an den Wandersman
heimlich, still und leise anzuschleichen. Tip, tap....ganz vooorsichtig. Ja
genau. Und dann begüße ich ihn mit einem lauten und kräftigen
"Iaaaaaaaaaaaaaa" (Übersetzt in die Menschensprache bedeutet das
soviel wie "Gestatten....mein Name ist Benjamin, der Abenteuerer. Wie ist
ihr werter Name, Fremder?"). Das wird ein Spaß.

Der Wandersman
hat einen riesigen Rucksack auf den Rücken gespannt. In seiner rechten Hand
trägt er einen Stock. Auf diesem stützt er sich auf. Er pfeift ein Liedschen
vor sich hin. Sein Mantel ist etwas schmutzig. Meine Anschleichtaktik scheint
aufzugehen. Inzwischen habe ich mich auf etwa fünf Meter herangepirscht. Noch
etwas näher, dann kann das Abenteuer beginnen. Ich freue mich wie ein kleines
Fohlen. Lustig, lustig, trallala, gleich ist Benjamin, der Esel da. Kräftig
Luft gehohlt, und los gehts....

"Iaaaaaaaaaaaa"

Das saß. Der
Wandersman ließ vor Schreck seinen Stock fallen. Er strauchelte etwas und
landete im Gras. Sein Gesicht war weiß wie Stutenmilch.

"Ein
Esel, ein leibhaftiger Esel...Wach ich, oder träum ich?"

Der arme Kerl.
Das er sich aber auch gleich derart erschrecken mußte? Ich war wieder einmal
eindeutig über das Ziel hinausgeschoßen. Der Wandersman starrte mich weiterhin
ungläubig an. Er mußte wohl glauben, einer Sinnestäuschung aufgeseßen zu sein.
Ich überlegte, was ich tun sollte. Einfach davonlaufen? Nein, das ging
nicht....Benjamin ist ein Abenteuerer und kein Schurke. Der Wandersman schien ähnlich
alt als mein letzter Herr zu sein. Sein dichter Bart war bereits grau. Er
öffnete seinen Rucksack, kramte eine große Korbflasche hervor und nahm einen
tüchtigen Schluck.

"Ahh....das
tut gut. Der Schrecken sitzt mir noch in alle Gliedern. Grauer Kamerad, da hast
du dem alten Hardy aber einen tüchtigen Schrecken eingejagt. Schleicht sich mir
nichts dir nichts von hinten an einen arglosen Weltenbummler heran...."

Hardy hatte
inzwischen die Position eines Schneiders eingenommen. Den ersten Schrecken schien
er überwunden zu haben. Seine Gesichtsfarbe hatte sich bereits wieder dem
Inhalt seiner Korbflasche angenähert. Na also....war doch gar nicht so
schlimm.....Ich hatte aber trozdem noch ein einigermaßen schlechtes Gewissen...

"Komm,
Grauer....Nur nicht so schüchtern, setzt dich ruhig ein wenig zu mir hin. Oder
willst du gleich wieder davonlaufen? "

Der
Wandersmann stopfte sich eine Pfeife, welche er in seiner Jackentasche verstau
hatte, und begann in aller Seelenruhe zu paffen. Kleine Rauchkringel stiegen
ihm aus der Nase. Das sah lustig aus...Fast wie diese Dampflockomotiven, von
denen mir Ernesto immer erzählt hat. Er schaute zu mir hoch.

"Brauchst
wirklich keine Angst zu haben; Schlappohr. Ich kann es mir zwar gut vorstellen,
daß du irgendwo abgehauen bist. Aber das ist deine Sache. Der alte Hardy
verpfeift niemanden. Altes Abenteuerererenwort. Also, was ist? Nur nicht so
schüchtern...."

Ich schien
wirklich großes Glück zu haben. Kaum aus meinem Gatter ausgebüchst, schon
treffe ich auf einen richtigen Abenteuerer. Mein Herz jauchzte vor Freude. Ich
machte es mir direkt neben dem Wandersman gemütlich. Der Himmel war voller
Sterne.

"Na, hab
ichs doch gewußt, Schlappohr....Der alte Hardy kennt seine Pappenheimer. Du
bist also doch kein Hasenfuß..."

Na, und jetzt
? Ich entschloß mich für ein zweites, herzhaftes "Iaaaaaaaaaaaaa".
Gut, gut, daß mich der alte Wandersmann natürlich nicht versteht, war mir schon
klar. Schließlich ist er kein Esel. Aber irgend ein Zeichen mußte ich einfach
von mir geben. Nur um nachzusehen, ob meine Stimmbänder noch funktionieren. Man
kann ja nie wissen...Ich war gespannt, wie mein Abenteuererleben weitergehen
wird. Nun, die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Und der alte Hardy
sprach folgendes:

"Weist du
was, Schlappohr....Willst du mich nicht ein wenig auf meiner Wanderschaft
begleiten? Du könntest mir helfen, meinen schweren Rucksack zu tragen. Sie
selbst, ich bin ein alter Mann. Im Gegenzug würde ich dich in die Kunst des
Abenteuerns einweisen....Nun, wie sieht es aus. Gib mir ein Zeichen,
Grautier..."

Man, eine
Ausbildung als Abenteuerer...Das wäre toll. Hardy schien wirklich nett zu sein.
Na, da mußte ich nicht lange überlegen. Wirklich nicht. Abenteuerer...das habe
ich mir doch schon lange gewünscht....Ich wackelte also heftig mit meinen
Ohren. Hoffentlich versteht das der alte Wandersmann...

"Hab ich
doch gewußt. Du bist wirklich von schnellem Entschluß. Aber das zeichnet einen
Abenteuerer schließlich aus. Ausgezeichnet, wirklich ausgezeichnet. Das erste
Ziel unseres gemeinsamen Weges wird Katzenbrühl sein. Das ist ein kleines
Städtschen, welches gar nicht weit entfernt von hier liegt. Vielleicht ein
Stündchen, vielleicht auch zwei....auf gar keinen Fall sinds aber drei".

Herrlich...eine
richtige Stadt. Das versprach, aufregend zu werden. Ich war bereits voller
freudiger Erwartung. Hardy kramte in seinem Rucksack und sprach folgendes...

"Aber
bevor wir losmaschieren, habe ich dir noch eine kleine Stärkung. Sollst sehen,
daß ich es gut mit dir meine..."

Eine
Mohrrübe...eine Mohrrübe; ganz für mich allein. Ich könnte jauchzen vor Freude.
Damit war heute wirklich nicht mehr zu rechnen. Bereits der Anblick des Gemüses
ließ mir das Wasser in meinem Eselsmaul zusammenlaufen. Was für eine Leckerei;
welch glücklicher Tag heute nur ist. Wenig später ging es dann auch los...

Der Rucksack
war leichter, als ich gedacht hatte. Hardy lief neben mir und schmauchte an
seiner Pfeife, welche er mit einem entenverzierten Feuerzeug entzündete. Oder
waren es gar Ganther, welche darauf abgebildet sind? Nicht so wichtig, nicht so
schlimm – halt den Kopf gerad und sing. Wenn der alte Bauer morgen an mein
Gatter kommen wird, bin ich schon längst in Katzenbrühl... Tja, er wird sich
sicherlich Sorgen um denn guten, alten Barnabas machen....Der arme Mann....Und
seine dicke Frau erst... Ach, nicht schon wieder....Ich beschloß, nicht mehr an
die Vergangenheit zu denken. Nur noch die Gegenwart und Zukunft....Hier warten
die Abenteuer. Ja, genau...

Der alte Mann
pfiff ein Liedschen vor sich hin. Das klang lustig und beschwingt. Seine Pfeife
war inzwischen wieder in dem Rucksack gelandet. Katzenbrühl, hab
acht....Benjamin der Abenteuerer steht vor den Pforten! Heisa, Hussa...!

Und so
wanderten wir durch Wald und Flur. Müdigkeit war ein Fremdwort. Hardy hielt
plötzlich apprupt an.

"Halt an,
Schlappohr....schau, da liegt etwas..."

Er bückte
sich....und tatsächlich! Ein Eichhörnchen. Es schien irgend etwas zu
haben.  Jedenfalls kam es mir reichlich
seltsam vor, daß der Nußfreund mir nichts dir nichts auf dem Boden
herumliegt.  Na, Esel wird sehen....

"Der arme
Kerl muß wohl von dem Baum da drüben heruntergefallen zu sein. Jedenfalls
scheint er am rechten Bein verletzt zu sein. Wir können ihn doch nicht einfach
seinem Sicksal überlassen. Oder was meinst du, Grauer?"

Tja, wo er
recht hat, hat er recht. Nein, das wäre wirklich eine himmelschreinde
Ungerechtigkeit gewesen. Der arme Nager...Ich nickte heftig mit meinem
graumelierten Haupte. Hardy schien sich zu einem Entschluß durchgerungen zu
haben.

"Tja,
dann müßen wir ihn eben mitnehmen. Ja, eine andere Lösung fällt mir nicht
ein..."

Gesagt,
getan...Das Eichhörnchen nahm also in der linken Seitentasche des Rucksackes
Platz. Nur sein Kopf schaute heraus...Ich spürte, das unser Gast etwas Angst
hatte. Er zitterte mit jeder Faser seines kleinen Körpers. Dummer, armer Kerl.
Benjamin, der Esel tut keiner Fliege etwas zu leide. Abenteuerer sind doch
keine Unholde...Allerdings nicht! Ach...das Eichhörnchen wird sich an seine
Situation schon noch gewöhnen; früher oder später...

Und so waren
wir also fortan zu dritt. Wenn ich mir vorstelle, daß ich heute morgen noch
friedlich in meinem Gatter gestanden bin...Und jetzt! Ein aufregendes und
gefahrenvolles Eselsleben...Was aus dem kleinen Nager wohl werden wird?
Hoffentlich erhohlt er sich bald wieder. Na ja, die Verletzung wird schon nicht
so schlimm sein. Alles wird wieder gut... Das Eichhörnchen schien eingeschlafen
zu sein. Jedenfalls zitterete es nicht mehr. Die Sternlein leuchteten uns
dreien den Weg nach Katzenbrühl. Wie weit es wohl noch sein wird? Mir war ganz
unruhig in meinem Fell. Was für ein aufregender Tag ! Heida daus, Benjamin der
Abenteuerer ist außer Haus. Hardy gab mit Hilfe seiner Pfeife immer noch
Rauchzeichen von sich.  Er lief ein wenig
vor mir. Sein Mund summte ein mir unbekanntes Liedchen. Der alte Bauer wird
mein Verschwinden sicher noch nicht bemerkt haben. Es ist schließlich erst
Nacht. Wahrscheinlich schläft er schon. Hach, Benjamin schläft noch lange
nicht! Ein Abenteuererleben kennt keinen Schlaf. Für unsereins heißt es allzeit
auf der Hut zu sein. Heisa ! Jawohl ! Genau so ist es. Hardy erweckte mich
schließlich aus den Aufregung verheißenden Tagträumen.

"Tja,
Schlapohr, schon bald sind wir in Katzenbrühl. Dort werden wir uns eine Pause
gönnen. Das letzte Stück des Weges liegt vor uns".

Meine
Aufregung wuchs noch einmal an. Eine richtige Stadt! Schon bald. Das habe ich
mir doch immer schon gewünscht. Und tatsächlich, mein neuer Freund schien sich
nicht getäuscht zu haben. Die Lichter des Städtschens lagen direkt vor uns. Ein
paar Minütchen des Wanderns noch. Katzenbrühl hab acht! Du schlummernd
Ansiedlung; eingebetet in beschaulich Tal. Benjamin samt Anhang naht. Bereit
für 1001 Abenteuer ! Vorbei sind deine ruhigen Tage.

Ich könnte
singen und springen vor Freude. Iaaa, was für ein Tag. Der kleine Nager schäft
immer noch. Nichts von alledem bekommt er mit. Unschuldiger, kleiner
Wegbegleiter. Doch hab keine Angst; Benjamin der Eroberer ist von der Partie.
Alles Unglück von dir wendend. Der Advokat der Schwachen und enterbten. Ach,
wenn Ernesto mich nur so sehen könnte. Ich auf dem Weg in eine Atem raubende
Zukunft. Treuer, alter Freund, warum nur kannst du nicht hier sein. Doppelt so
wohl wärs mir um das selige Eselsherz!


 
Chorus 3 oder großes, unbekanntes
Katzenbrühl.


 
Soviele Häuser
auf einen Fleck ! Und überall wohnt wer. Mancherorts brennt sogar noch Licht.
Hardy schreitet relativ zielstrebig des Weges. Er scheint ein bestimmtes Ziel
vor Augen zu haben. Benjamin, sein getreuer Begleiter folgt ihm selbstredend.
Der Nager schläft währendessen den niemer enden wollenden Schlaf des Gerechten.
Oh, du unbedarftes Kerlschen !

Ein
schwankender Gesell angelt sich die Häuserfront entlang. Er scheint uns mit
keinem Sinne wahrzunehmen. Sein Nachhauseweg verlangt ganze Anstrengung.
Gevater Bachus hat von seiner Seele Begriff ergriffen. Der Esel der Trunkenheit
sitzt ihm in dem Genick. So wie bei meinem früheren Stallburchen des öfteren.
Seine Nase funkelt wie eine Mohrrübe im Juli. Seliger, nichtsahnender Trunkenbold
in der Geheimins verheißenden Nacht!

 Am liebsten würde ich ihm ja einen tüchtigen
Schreck einjagen. Anschleichen, und dann ein kräftiges Iaaaa. Das wäre lustig.
Ob Hardy mit mir wohl böse werden würde? 

Der vom Wein
beselte Zechmeister hält inne, kramt ein trotz der Dunkelheit gut erkennnbares,
entenverziertes Feuerzeug aus seinem Hosensack, zündet sich eine Zigarette an,
öffnet seinen Hosenstal und nässt die Mauer der Kirche. Eine nie enden wollende
Notdurft! Rinnsäle voller Traubensaft. Aber halt ein – seltsam. Selbiges
Feuerzeug habe ich doch schon gesehen. Das darauf abgebildete Federvieh ist mir
wohlbekannt. Löcherig Eselshirn – laß mich jetzt nicht im Stich. Grummel,
grummel – rauch, rauch – ich habs, ich gaub. Hardy besitzt doch auch so einen
Flammenspender. Ob da wohl ein Geheimnis im Anmarsch ist? Mir wird ganz
unruhig. Meine grauen Ohren kreisen im dreivierteltackt. Ist es nur Zufall?
Oder lauert hier bereits das erste Abenteuer? Hardy steht neben mir und hohlt
seine Pfeife heraus.

„ Ah, grauer
Kamerad, mir scheints, meine müden Lungen brauchen eine kleine Stärkung“

Sprachs,
kramte seinen federviehverzierten Flammenspender aus der Hosentasche und
entfachte sein Rauchglück. Eine Mohrrübe wäre mir jetzt auch nicht unrecht.
Aber das wäre jetzt wohl etwas zu viel des guten.

Der von
Gevatter Bachus beseelte Zechmeister wankte zu uns beiden herüber.

„Ah, zwei
Fremde in diesem beschaulich Städtlein. Seid gegrüßt, woher ihr auch immer
kommt.“

Die Glut
seiner Zigarette flog zu Boden.

„Ach, was ungeschickter
Tölpel ich bin. Selbst das Tabackschmauchen will mir nicht gelingen. Da muß
wohl noch einmal der Flammenspender heran.“

Sprachs, griff
erneut in seine Hosentasche und kramte wiederum das flammenspeiende Entvieh
heraus.“

Mein tapferes
Eselsherz begann ganz aufgeregt zu pochen. Gleich muß Hardy das Feuerzeug
sehen. Abenteuer, ick hör dir trapsen. Benjamin, der Esel ist zur Stelle.

Hardy sah, was
er sehen sollte, griff ebenfalls in seine Hosentasche und hohlte – wer hätts
gedacht – du etwa werte Leserin, die gerade an meinem ersten Abenteuer
teilhast? – ebenso sein federviehverziertes Feuerzeug hervor. Dann sagte er
folgendes:

„16 Enten in
der Nacht – Das Schicksal hat sie zusammengebracht – Der Wolf, der auf der
Lauer lag – Schon an sein Abendessen gedacht – Doch das Lag nicht in seiner
Macht.“

Die Macht des
Weines schien von unserem neuem Bekannten plötzlich abgelassen. Er entgegnete
folgendes:

„16 Enten in
grausiger Gefahr – Lupus, hungrig, fürwahr“.

Jetzt war
wieder Hardy an der Reihe. So etwas hatte ich in meinem bisherigen Eselsleben
noch nicht erlebt.

„16 Enten
hiehlten zusammen – der Wolf war in seiner eigenen Gier gefangen. Zwei davon
behielten Beulen, doch reichte es aus, um den Wiedersacher zu vergreulen.“

Hardy umarmte
den Fremden, als ob sie sich schon immer kennen. Und der Fremde sprach:

„Seit meine
Gäste, solange es euch beliebt. Der Geheimbund der 16 Enten hält zusammen.“

Der verletzte
Nager hatte von alledem nichts mitbekommen. Er schlief noch immer selig in
Hardys Rucksack. Keine fünf Minuten später, und wir hatten das Haus des Fremden
erreicht.

Heisa, mein
erstes Abenteuer. Das ist schon ein anderes Leben, als den ganzen Tag in einem
kleinen Gatter eingeperrt zu sein.

Man brachte
mich auf eine große Wiese hinter dem Haus.

„Grauer, hier
kannst du dich heute Nacht zur Ruhe begeben.“ Der fremde ging in sein Anwesen –
wohl ein Bauernhof – und kam wenig später mit einem Büschel Mohrrüben zurück.

„Hier, sollst
heute Nacht auch noch etwas Spaß haben.“

Mir lief das
Wasser in meinem nimmersatten Eselsmaul zusammen. Mohrrüben – daran hätte ich
heute nicht mehr im Traum gedacht. Die beiden Männer gingen lachend und
schwatzend in das Haus. Hardy rief mir noch folgendes zu

„Gute Nacht,
Eselchen – hoffe, du bist morgen früh noch da. Hier gibt es keine Zäune, die
dich einsperren....“

Glücklich und
zufrieden schlief ich alsbald ein. Der erste Tag in Freiheit und schon das
erste Abenteuer.....Heisa.....


 
Chorus
4 oder wie Gevatter Tod seine Hand vergeblich nach einem liebreizenden Mädchen
ausstreckt und Benjamin als Held gefeiert wird.


 
Am nächsten
Morgen wachte ich sehr früh auf. Ungeduld brannte in meiner Sehle – Hunger nach
neuen Abenteuern....Meine beiden Freunde schienen noch zu schlafen; im Haus war
es noch ruhig. Ich mache mich über die letzte noch verbliebene Mohrrübe her.
Hardy ist Mitglied im Geheimbund der 16 Enten – wie aufregend. Noch gestern
hätte ich derart wagemutige Dinge noch nicht einmal zu träumen gewagt. Ich bin
ein Esel und neugierig –also schaue ich mich um. Da es noch früh am morgen ist,
fröstelt mich etwas. Aber wozu hat unsereins ein Fell. Der Himmel ist klar,
heute scheint ein schöner Tag zu werden. Bestimmt gibt es wieder neue Abenteuer
zu erleben. Hoffentlich stehen meine Freunde vom Geheimbund der 16 Enten bald
auf. Bin ganz neugrierig, was es damit auf sich hat. Die Wiese, auf welcher ich
genächtigt habe, ist riesengroß. Ich tolle etwas herum und spiele „Esel dreh
dich im Greis“. Wie immer, wenn derartiges geschieht, wird mir schwindelig.
Aber das ist ja Sinn und Zweck der ganzen Übung. Benjamin, der Abenteuerer,
versucht die Wiese zu überblicken. Esel, ist die groß. Iaa, da vorne sehe ich
jemanden. Fast am Horizont. Möglicherweise ein neues Abenteuer. Meine Freunde
schlafen immer noch. Wie langweilig. Aber Benjamin ist auf der Hut. Ein
Mädchen. Die vielen Mohrrüben haben mir gute Augen bescherrt. Iaaaa (was soviel
heißt wie jawohl). Das muß ich mir aber doch aus der Nähe anschauen. Dagegen
werden meine Freunde sicher nichts einzuwenden haben. Sie ist nicht allein; ein
struppiger, großer Hund tollt um sie herum. Meine eselspezifische Neugierde
erwacht. Die Sprache des Hundes ist mir aus besseren Tagen nicht ganz fremd.
Mein armer, alter Freund hat mich in die notwendigen Grundzüge eingeweiht.
Später habe ich auf dem Gehöft dann desöfteren mit dem dortigen Schäferhund
Konversation gahalten. Hunde sind ähnlich wie Pferde relativ einfältige Wesen.
Ihr Horizont reicht zumeist nicht weiter als zur nächsten Belobigung ihres
Herrchens. Ein paar nette Worte – und schon sind sie zufrieden. Da sind wir
Esel aber anderst gestrickt. Aber lassen wir das – ein derartiges weites
aushohlen würde die geneigte Leserin mit Sicherheit langweilen.

Soweit ich das
als nicht Artgenosse beurteilen kann, ist das Mädchen wunderschön. Ihre
dunkelblonden Haare sind durch ein Kopftuch teilweise verdeckt. Der struppige
Hund ist vor Freude außer Rand und Band. Esel merkt ihm an, das er wohl nur
selten derart zum herumtollen kommt. Mir wäre derartiges zu anstrengend. Esel
sind hier besonnener.

Das von der
Anstrengung leicht errötete Mädchen schmeißt dem sich immer noch außer sich
befindenden Hund einen kleinen Stock zu. Er stürzt sich darauf wie der Wolf auf
das Federvieh. Mich belustigt derartiger Aktionismus etwas. Die beiden scheinen
mich noch gar nicht bemerkt zu haben. So sehr sind sie in ihrer Welt gefangen.
Das Mächen zündet sich eine Zigarette an. Jetzt bin ich aber neugierig. Was für
ein Feuerzeug sie wohl hat? Ob sie wohl auch Mitglied im Geheimbund der 16
Enten ist? Das wäre ja toll.

Aber nein –
sie verwendet einen ganz ordinären hellblauen Flammenspender. Das enttäuscht
mich aber etwas. Ihr vierbeiniger Freund hat das Stöcklein inzwischen gefunden.
Im Schweinsgalopp kommt er angestiefelt. Sappelott – er springt das arme
Mädchen ja geradezu an. Ts, Ts – das sind aber überhaupt keine guten
Umgangsformen. Wirklich nicht. Als wohlerzogener Esel kann man da wirklich nur
mit den Ohren wakeln. Das arme Mädchen ist von dem Rüppel geradwegs zu Boden
gerissen worden. Ihre noch glimmende Zigarette liegt – vor Schreck aus ihrem
anmutigen Mund gefallen – einen halben Meter neben ihr im Gras. Die holde Maid
steht ja gar nicht mehr auf – drohnend unheil liegt in der frühsommerlichen
Luft. Aber Benjamin, der Abenteuerer ist bereit... Ihr vormals herzallerliebst
errötetes Gesicht ist auf einmal aschfall. Der zottige Hund steht wie
angewurzelt neben ihr. Er schnuppert an ihrem ebenmäßigen Gesicht. Die
Zigarette lodert immer noch. Eine drohende Feuersbrunst – auch das noch.
Tausend und ein Esel....Benjamin muß etwas unternehmen. Feueriooo...Dem Hund
gehören gehörig die Levithen gelesen. Aber dazu ist jetzt keine Zeit. Ich
schaue mir das Mädchen aus der Nähe an. Sie atmet noch.

Die Zigarette
hatt inzwischen einen ausgetrockneten Grasbüschel entfacht. Benjamin – besonnen
bleiben, besonnen bleiben....Ich versuche, mit meinen Hinterhufen das Feuer
auszuteten. Das tut aber weh. IAAAAA!. Die wunderschöne Maid ist immer noch
nicht zu sich gekommen. Der zottige Vierbeiner ist mir keine große Hilfe – er
stimmt irgend ein hundespezifisches Gejaule an (was glaube ich, übersetzt
soviel bedeutet wie – es tut mir ja so leid, das wollte ich doch nicht, es tut
mir ja so leid). Ia, hinterher ist Hund wohl immer schlauer.

Fanfare,
zumindest das Feuer ist gelöscht. Schwierig genug. Ich muß Hilfe hohlen. Das
arme Mädchen. Meine Freunde vom Geheimbund der 16 Enten....Schnell... Ich
galopiere zurück zum Haus. Meine Freunde scheinen immer noch zu schlafen. Das
Küchenfenster (nehme ich mahl an) steht auf. Ich strecke meinen Eselskopf
hinein. Sie sitzen beide schlaffend und scharchend am Tisch. Zwei leere
Weinflaschen stehen neben ihnen. Das sind den beiden ähnlich. Ich muß sie
schleunigst wecken. Gefahr.. Also – auf die Plätze, Esel, fertig los.....“

„IAAAAAAAAAA
(aufwachen, eine liebreizend Maid befindet sich in den Fängen von Schnitter
Tod).

Dann weiter:

„Aii
(schleunigst, schleunigst).

Das scheint
endtlich zu wirken. Hardy beginnt sich schlaftrunken die Augen zu reiben.

„Was ist denn,
Eselche – laß einen müden Wanderer doch schlafen...“

Ich gebe keine
Ruhe:

„AAAIIIAAi (du
mußt mitkommen – frohend Gefahr....)

Hardy scheint
weiterschlafen zu wollen.

„Später ,
grauer, Später...“

Dann eben
anderst und lauter:

„AAAIIIAAAIIAAAAiiiiAAA
(das bedeutet in der Eselsprache überhaupt nichts und klingt in des Menchen Ohr
nur lau, hoch und unangenehm).

Aber es wirkt.
Hardy begibt sich endtlich von seinen Stuhl und folgt mir nach draußen. Keine
Sekunde zu früh. Ich gebe ihm mit meinen Kopf ein Zeichen und deute auf die
Wiese.

Das arme
Mädchen liegt noch immer am Boden. Hardy begreift die Situation sofort. Er
weckt unseren Gastgeber. Zu dritt eilen wir zu dem Unglücksort.

Sie ist
inzwischen zu sich gekommen – iaaaa.

Zaghaft
blinzelt die Maid mit den Augen. Die Orientierung scheint ihr etwas abhanden
gekommen zu sein. Ihr engelhaftes Gesicht füllt sich langsam wieder mit Farbe.
Und sie sprach:

„Wo bin ich –
wer seid ihr – was ist mit mir geschehen.....?“

Hardy
beruhigte sie und erkärte ihr das notwendige.

„Dann bin ich
euch ja zu großem Dank verpflichtet – meine Retter...“

Der zweite Tag
und schon das zweite Abenteuer. Heisa....

Der Geheimbund
der 16 Enten zeigte sich galant:

„Gerade dem
Schicksal entrunnene Maid von sanftem Wesen – würde uns freuen, wenn wir sie in
unserem bescheiden Heim zu einem Milchkaffee einladen Dürften....“

„Diesem
Angebot kann und will ich nicht entsagen. Wohl an...“. Ihre Stimme klang warm
und herzlich. Der zottelige Hund folgte uns mit gesenktem Kopf. Er schämt sich
für deinen Übermut. Armer Kerl. Sein bisheriges Schickaal war sicherlich nicht leicht.
So gehen wir zu fünft zurück zum Haus.

Der Hausherr
baut einen Klapptisch auf und holt aus dem inneren des Hauses drei Klppstühle.

„Glaub, es ist
warm genug, als das wir im feien frühstücken können. Was meint ihr...?“

Allen anderen
schien es nur recht zu sein. Mir brachte er einen Trog Wasser samt einem ganzen
Busch frischer Mohrrüben. Auch der zottige Hund bekam ein tüchtiges Frühstück.

„Hier für
dich, wackerer Lebensretter..“

Das schöne
Mädchen graulte mich zum Dank.

„Das werde ich
dir nie vergessen, Eselchen....“

Hardy kramte
in seiner Hosentasche. Er machte mit einem Mal ein feierliches Gesicht.

„Ich glaube,
ich spreche im Namen aller Mitglieder des Geheimbundes der 16 Enten, wenn ich
unseren grauen Helden als Mitglied vorschlage...“

Der Hausherr
nickte nur mit dem Kopf.

„Soviel Mut
und ritterlichkeit sieht man selten.....“

Hardy legte
mir ein an einer Scheife befestigtes Feuerzeug mit 16 Enten um den Hals.

„Jetzt bist du
einer von uns....“

Ich konnte
mich nicht daran erinnern, mich in meinem Eselsleben jemals so gut gefühlt zu
haben.

Das
liebreizende Mädchen trank ihren Milchkaffee und rauchte eine Zigarette.
Niemand sagte etwas. Irgendwo zwitscherte ein Vogel. Hardy stopfte seine
Pfeife. Alle waren glücklich. Der zottelige Hund, dem längst niemand mehr böse
war, lag neben der geretteten schönen und schlief.


 
So, werte und
holde Leserin – das waren die ersten beiden Abenteuer von dem armen Esel, der
in die weite Welt zog, um sein Glück zu suchen. Noch immer sind viele Fragen
unbeantwortet. Was hat es mit dem Geheimbund der 16 Enten genau auf sich? Wo
ist Benjamins Feund Ernesto? Lebt er überhaupt noch? Wer ist die gerettete
zauberhafte Maid? Hat sie sich von ihrer Ohnmacht gut erhohlt? Was für eine
Rolle kommt ihr noch zu? Fragen über Fragen......Fragen, die der hoffentlich
immer noch neugierige Leser bald beantwortet sieht wenn es da heißt:

„Der
Geheimbund der 16 Enten und der traurige Bauer“


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 


 

 

 

 

 

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