Pierre Heinen

Kommissar Black – Sie wollten, dass ich töte! (I)

Als Black den Motor seines Dienstwagens abstellte, spürte er sogleich, wie die Hitze gnadenlos das Wageninnere in Besitz nahm. Hinfort war der kühlende Fahrtwind, der vorhin durch die heruntergekurbelten Fenster gedonnert war.

Er verwünschte alle Polizeibeamten, welche sich freigenommen hatten und stieg aus. Jetzt musste er sogar zu den Glotzern, den Bürgern welche sich aus purer Langeweile in das Leben ihrer Nachbarn einmischten und jegliche Unregelmäßigkeit ohne zu zögern der Polizei meldeten.

Manche dieser Personen riefen an, wenn eine Gardine im Nachbarhaus nicht mehr zu sehen war. Schwer vorzustellen, dass manche Menschen ihre Vorhänge auch ab und zu waschen. Andere meldeten sofort irreguläre Besucher oder sehr beliebt war es auch, abends brennende Lichter bei den Nachbarn zu observieren. Das kann ja heiter werden ...

Der Kommissar ächzte und suchte die Hausnummer die er auf einen Zettel aufgeschrieben hatte. Seine Glotzer in dieser schattenlosen Straße, die McFarmers, hatten gestern in der Nacht Schreie aus dem Nachbarhaus gehört. Werden wohl Katzen gewesen sein, ging es Black durch den Kopf. Diese Biester können ganz schön skurrile Laute von sich geben ...

Er schlenderte zum gegenüberliegenden Bürgersteig und näherte sich einem gepflegten Wohnhaus. Unzählige Blumen zierten den Vorgarten und nicht wenige ließen den Kopf hängen. Durch das offene Fenster im ersten Stock drangen die Klänge der neunten Symphonie von Beethoven in die Welt hinaus.

Black läutete. Die Sonne knallte dem Kommissar wie eine Faust ins Genick. Schweiß rann gen Erde. Die Angelegenheit schnell und sachlich hinter mich bringen. Kurz darauf konnte er hören, wie die Nadel von der Schallplatte gehoben wurde und Personen die Treppe herunterkamen. Vorsichtig wurde die Eingangstür geöffnet. Der Kommissar hielt seine Dienstmarke hoch.

Black mein Name“, stellte er sich dem alten Ehepaar vor. „Wenn sie die McFarmers sind, darf ich dann eintreten?“

Die beiden hageren Figuren nickten und ließen den Beamten in den Schatten des Flures flüchten.

Was für ne Hitze“, entwich es Black drinnen und wischte sich Schweißperlen mit dem Handrücken von der Stirn. „Was haben sie denn so Ungewöhnliches bei ihren Nachbarn gehört?“

Wollen sie nicht zuerst etwas trinken, Herr Polizist?“, erkundigte sich die Ehefrau besorgt. „Sonst fallen sie uns ja noch um.“

Wenn sie schon so lieb fragen, würde ich ein Glas Wasser nehmen“, antwortete der Kommissar.

Kein kühles Bierchen?“, wollte der Mann mit ernster Miene wissen.

Black zögerte, doch dann winkte er dankend ab. Nicht länger bleiben als nötig. Die Frau machte sich auf zur Küche am Ende des Ganges. Mister McFarmer öffnete indes rechterhand die Tür zum Wohnzimmer und bat den Kommissar einzutreten. Der karg möblierte Raum bot eine natürliche Frische, welche Black dankend aufsog.

Nachdem man um den ovalen Esstisch Platz genommen hatte und die Ehefrau ihnen unterdessen wieder Gesellschaft leistete, fragte Black erneut nach dem Beweggrund ihres Anrufes.

Bakers, das sind unsere Nachbarn, sieht und hört man selten. Seit eh und je“, fing der Mann mit erzählen an und der Kommissar nahm tief Luft. Adam und Eva haben wir zumindest übersprungen ...

Doris lebt mit ihrem Sohn allein im Haus. Ihr Lebensgefährte ist vor Jahren verunglückt“, ergänzte die Frau pflichtbewusst. „Das war ein schlimmer Unfall. Der Junge ist seitdem irgendwie geistig zurückgeblieben. Doris kümmert sich aber sehr liebevoll um ihn.“

Er ist kein Junge mehr, Fran“, fügte der Mann nüchtern hinzu. „Der müsste so um die zwanzig sein. Aber den habe ich auch bestimmt seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ist wahrscheinlich in einer Anstalt und das ist auch gut so.“

Was haben sie denn gehört?“, unterbrach Black ungeduldig das redselige Paar. „Vielleicht Katzen?“

Grässliche Schreie habe ich vernommen. Das waren garantiert keine Tiere! Die Laute waren menschlichen Ursprungs, davon bin ich überzeugt“, teilte der glatzköpfige Mann dem Beamten mit und beugte sich nach vorn. „Meine Frau hat übrigens einen festen Schlaf und weiß von nichts. Sie nimmt manchmal diese Schlaftabletten.“

Black nippte an dem Glas voll kühlem Nass.

Ich bin aufgestanden und habe dann aus dem Fenster geschaut“, fuhr der Mann mit seiner Schilderung fort. „Ich bin überzeugt davon, dass die Schreie von den Bakers kamen. Um ehrlich zu sein, haben sie sich nach Doris angehört. Und eigentlich wollte ich nachschauen gehen, aber danach war wieder alles so friedlich. Und ein bisschen dachte ich auch, ich hätte mir das bloß eingebildet. Wissen sie, in meinem Alter ist der Körper ...“

Wissen sie auch noch wann das alles stattfand?“, unterbrach Black ungeniert und stellte das Glas zurück auf den gehäkelten Untersetzer. „Um Mitternacht?“

Naja ich habe kurz danach, als ich wieder im Bett lag, die St.-Paul-Kirche zwei Mal läuten gehört“, informierte der Mann den Beamten. „Es muss also gegen halb zwei gewesen sein.“

Und der Lärm kam ganz sicher von den Bakers?“, hakte Black müde nach. „Er könnte ja auch von der Straße her gekommen sein?“

Unser Schlafzimmerfenster liegt dem Haus gegenüber. Ich kann mich auch geirrt haben“, erwägte er vorsichtig. „Heute Morgen war ich rüber klingeln und als dann niemand aufgemacht hat, habe ich bei der Polizei angerufen. Irgendwas stimmt da nicht. Das können sie mir glauben.“

Ich werde mir die Sache ansehen“, versprach der Kommissar und stand auf.

Wortlos geleiteten die McFarmers den Besucher zur Tür. Ehe er den Vorgarten verlassen hatte, konnte er hören, wie das Ehepaar die Treppen hinaufstieg.

Black ließ sich wieder auf der Straße schmoren und fluchte. Sein Blick fiel auf das zweistöckige Haus der Bakers. Um das Anwesen herum schien die Fauna und Flora einen breiten Abstand zu halten. Was die wohl für ein Mittel spritzen?, ging es dem Kommissar durch den Kopf.

Es reagierte niemand auf das Läuten. Das war ja klar ... Die werden irgendwo im Schatten dösen. Als der Beamte hinters Haus gehen wollte, nahm er hinter einer dünnen Gardine des Nachbarhauses die McFarmers wahr. Das Ehepaar winkte Black zu. Typisch Glotzer ...

Das Gebäude, um welches Black schritt, wirkte altersschwach, war aber dennoch ungewöhnlich lebendig. Als würden die hohen Fenster einen beobachten. Der Kommissar versuchte ins Innere zu schauen, aber die schweren Vorhänge gaben nichts Preis. Schlussendlich stand er auf der Rückseite des Gebäudes. Auch hier war keine Vegetation vorhanden. Kein Grashalm hatte sich zwischen den Betonplatten hochgekämpft, keine Spinnwebe ihr zuhause in einer Ecke gefunden und keine Birke hatte hier ihre Wurzeln geschlagen.

Black schluckte. Vor wenigen Augenblicken hatte er das ganze für einen sinnlosen Glotzeralarm gehalten, nun war ihm aber mehr und mehr mulmig zumute. Die Hintertür war verschlossen. Als wolle das Haus sich von der Welt abschotten ... Oder die Welt vor dessen Inhalt bewahren?

Auf das Klopfen und Rufen reagierte niemand. Der Beamte inspizierte anschließend den Boden nahe der Häuserwand und wurde fündig. Unter einer Weinkiste voll rostender Dosen und vergilbten Zeitungen, fand er eine Kellerluke, welche nicht weiter verschlossen schien. Das könnte klappen. Black schob die Kiste beiseite und öffnete das Bodenfenster mühelos.

Der Kommissar hatte im Laufe seiner Karriere so manches gesehen, galt als abgehärtet, aber die natürliche Angst zog ihm jedes Mal aufs Neue die Gedärme zusammen. Hoffen wir mal, dass nichts passiert ist.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Pierre Heinen, Jahrgang 1979, ist seit frühester Jugend begeistert von Geschichtsbüchern und Verfasser unzähliger Novellen. In Form des zweiteiligen „Payla – Die Goldinsel“ veröffentlicht er seinen Debütroman im Genre Fantasy. Der Autor lebt und arbeitet im Großherzogtum Luxemburg, was in mancher Hinsicht seine fiktive Welt beeinflusst.

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