Mark Galsworthy

Abendmahl

Es klingelte an der Tür.
Kurt stemmte sich an seinem Stock aus dem Sessel und ging zur Tür. Das mußte Manfred sein, der Mann vom mobilen Pflegedienst.
Seit Kurt die Pflegestufe eins anerkannt bekam, erschien Manfred jeden Tag und half ihm beim Verrichten der Dinge, die Kurt immer schwerer fielen.
Kurt war eigentlich, jedenfalls aus seiner Sicht, immer ein kerngesunder Mensch gewesen. Er hatte bis zu seiner Pensionierung auf dem Bau gearbeitet, und ihm war keine Arbeit zu schwer und kein Bier zu groß gewesen.
Er qualmte wie eine Dampflok, natürlich ohne Filter, verdiente gutes Geld und gönnte sich davon auch gutes Essen und weite Reisen.
Frauen waren bei ihm eher ein durchlaufender Posten, und keine hielt es wirklich lange bei ihm aus. Er war zwar ein stattlicher Mann aber auch ein Diktator, und die waren bei den Frauen aus der Mode gekommen.
Als dann dieser hartnäckige Husten kam, stieg er um auf Filterzigaretten. Das ließ ihn nicht weniger Husten aber gaukelte ihm vor, etwas für seine Gesundheit zu tun.
Nachdem ein Teil des linken Lungenflügels seine Zeit in Formalin fristen mußte, hörte er ganz auf zu rauchen.
Wie es bei Exrauchern so ist, sollte sein Magen das ersetzen, was die Lunge nicht mehr vermochte.
Schnell war er von seinen 75 Kilo auf 120 und stieg die Treppen nun etwas langsamer.
Mit einem stechenden Schmerz in seiner linken Brust meldete sein Herz seinen Anspruch auf Aufmerksamkeit an.
Ja, und nun war er Fünfzig, auf Frührente und mittlerweile an der Tür angekommen.
"Hallo Manfred! Schön das Du kommst!" sagte er mit einer Stimme kurz vorm Kehlkopfverstärker.
"Guten Morgen Herr Riebe! Wie geht es Ihnen?"
"Unkraut vergeht nicht, Manfred!" bemühte er sich zu lachen.
Manfred hatte die Einkäufe auch mitgebracht: Knäckebrot, Stilles Wasser, Hühnerbrühe, das volle Programm.
 
Als Manfred wieder weg war, faßte Kurt einen Entschluß. drei Stockwerke über ihm im 8. Geschoß wohnte doch die Frau Mostar mit zweifelhaftem Ruf aber vielseitigen Eigenschaften.
Er hatte sich ja zeit seines Lebens etwas zurückgelegt und hatte ja auch niemanden, den er versorgen mußte.
Einmal wollte er es noch krachen lassen, und Frau Mostar sollte dabei die Regie führen.
Erwartungsvoll saß er nun in seinem Sessel.
Mit Frau Mostar war er sich schnell einig geworden, und sie hatte alles für ihn organisiert.
Sie war nun schon ein ganze Weile beschäftigt, als endlich die Tür aufging und Frau Mostar ins Zimmer kam.
In der einen Hand hatte sie eine Flasche Single Malt, in der anderen ein Whiskyglas und eine Schachtel Dunhill.
"So Kurt, nun trink erst mal was, ich brauche noch einige Minütchen, dann bekommst Du Dein Festmahl."
Dabei kicherte sie wir ein Backfisch.
Kurt drehte den Verschluß auf und trank seit 15 Jahren den ersten Schluck Alkohol.
Dann war es soweit:
Die Fee trat ins Zimmer.
Was sie da vor sich her trug war schon atemberaubend, und er hatte so etwas lange nicht mehr gesehen, geschweige denn genossen.
Es war groß, aber fest und so wie es sich ihm jetzt darbot die Verführung an sich.
Er konnte sich nicht mehr kontrollieren, nahm das Messer fest in seine Hand und stach zu.
Aus dem weit klaffenden Schnitt lief der Saft heraus auf den Teller, hin zum Erbspüree.
Das war das beste Eisbein, das er je gegessen hatte.
Er aß alles auf bis auf den Knochen, das ganze Püree, die Kartoffeln und das Sauerkraut.
Dann öffnete er den obersten Hosenknopf, weil sein Magen um Platz buhlte.
Er öffnete die Schachtel Dunhill, roch an der Zigarette den englischen Tabak, und er zündete sie an.
Seine Lunge konnte, durfte das nicht vertragen, aber nichts in seinem Körper rebellierte.
Er hatte sie fast aufgeraucht, da schaute er Frau Mostar dankbar an und sagte ihr, daß er sich noch nie so glücklich gefühlt hätte.
Frau Mostar lächelte und erwiderte etwas, das er nicht hören konnte.
Sie kam zu ihm und nahm ihm den Zigarettenstummel aus den Fingern und drückte ihn aus und seine Augen zu.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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