Annegret Schütz

Hibiskus und Lavendelduft


Geschafft! Mit steifen Gliedmaßen fiel Heike mehr aus dem Auto als das sie ausstieg. Mit großen Augen blickte sie durch das hohe schmiedeeiserne Tor auf das Haus inmitten einer Blumenpracht, die einem den Atem verschlug. Hier würde sie also die nächsten vier Wochen verbringen. Ihre Freunde und Kollegen hatten sie für verrückt erklärt. Die Miete hatte fast ihr ganzes Sparguthaben aufgebraucht. Aber das kümmerte sie wenig und den anderen konnte es egal sein. Voller Vorfreude schloss sie das Tor auf und betrat den Garten.
 
Ein verwunschener Garten bei einer verwunschenen Villa inmitten der Provence. Genau das Richtige für eine gestresste Großstadtfrau. Langsam stieg sie die ausgetretenen Steinstufen der Terrasse hoch, auf der ihr Vermieter die Gartenmöbel schon einladend aufgebaut hatte. „Erst einmal in Ruhe die Landschaft betrachten,“ dachte Heike und sog mit einem tiefen Atemzug den betörenden Blumenduft in sich auf. So musste es im Paradies riechen. Schließlich konnte sie es nicht mehr erwarten und ging zum Eingang.
 
Das Haus war sehr groß. Viel zu groß für eine Person. Die Möbel waren altmodisch und von einer gediegenen Eleganz, die darauf schließen ließ, das der Eigentümer wohlhabend war. Im oberen Stockwerk waren drei Schlafzimmer, von denen sie eines sofort ins Herz schloss. Es war in den warmen Farben der Provence und hatte einen kleinen Balkon. Von dort konnte sie weit über die malerische Landschaft blicken und entdeckte etwas unterhalb des Grundstückes ein anderes Haus. In der Einfahrt stand ein alter klappriger Lieferwagen. Wenigstens würde sie nicht alleine in dieser Gegend sein.
 
Im Schlafzimmer stand ein hoher Spiegel, vor dem sich Heike kritisch betrachtete. Sie war blass und hatte tiefe Ränder unter den Augen. Die letzten Monate hatten ihren Tribut gefordert. Der plötzliche Tod der Mutter und die permanent anhaltende Stresssituation auf ihrem Arbeitsplatz hatten sie um mindestens fünf Jahre altern lassen. War sie wirklich erst Fünfunddreißig? Ihr Anblick bestärkte sie nur noch darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Schnell räumte sie den Wagen aus und stellte die Koffer im Flur ab. Ausräumen würde sie morgen. Zeit hatte sie schließlich mehr als genug. Jetzt wollte sie nur noch unter die Dusche und schlafen.

Heike träumte. Sie träumte von einem ständigen Hämmern. Schließlich registrierte ihr Gehirn, dass dieses Geräusch wirklich da war. Verschlafen blickte sie auf die Uhr. Es war kurz vor Vier. Das konnte doch wohl nicht war sein! Sie ging auf den Balkon und sah bei dem Nachbarhaus Licht. Eindeutig kamen die Hammerschläge, oder was immer es war, aus dieser Richtung. Entschlossen und mit einer Taschenlampe bewaffnet ging Heike zu dem Zaun, der die beiden Grundstücke von einander trennte. Das Geräusch wurde immer lauter. Wie sie ihr Glück kannte, würde in dem Haus wenigstens ein Verrückter wohnen.

Er stand mitten im Garten und war eifrig dabei, einen Stein mit Hammer und Meißel zu bearbeiten. Fasziniert betrachtete Heike das Spiel seiner Armmuskeln. Der Mann war groß und schlank, hatte ein markantes Profil und glatte dunkelblonde Haare, die ihm ins Gesicht fielen. Schnell kramte sie ihr Schulfranzösisch aus dem Gedächtnis und rief: „Was tun sie da? Es ist vier Uhr morgens.“
 
Erschrocken blickte der Mann sich um und starrte sie verwundert an. Dann erschien ein verschmitztes Grinsen auf seinem Gesicht und er antwortete im perfekten Deutsch: „Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass die Villa Mimosa wieder vermietet ist. Sie kommen auch aus Deutschland?“
 
Verärgert durch das ständige Grinsen fuhr sie ihn unfreundlich an: „Ich komme aus Frankfurt und sie können sich sicher denken, dass ich eine lange Autofahrt hinter mir habe.“
 
„Nein. Kann ich nicht. Vorher soll ich wissen wie, wann und woher sie hier angekommen sind.“
 
Das leuchtete Heike ein und sie ärgerte sich noch mehr. „Ich werde immer sehr früh wach. Aber zukünftig unterlasse ich es natürlich nachts solchen Krach zu veranstalten. Ist ihr Mann nicht aufgewacht?“ Nach kurzem Zögern antwortete Heike:
 
„Es gibt keinen Mann. Ich bin alleine hier.“ Der forschende Blick des Mannes verunsicherte sie. „Ich hatte viele Probleme in den letzten Monaten. Ich brauche eine Auszeit.“
 
Der Mann nickte. „Das kenne ich. Ich wohne auch alleine hier. Wenn sie möchten, können sie heute Morgen bei mir frühstücken. Sie müssen sich sicher noch häuslich einrichten.“ Dankend nahm Heike das Angebot an. „Gehen sie jetzt wieder schlafen. Ich werde meine Arbeit einstellen. Übrigens, mein Name ist Stefan Lindner.“ „Heike Ludwig. Bis gleich also.“ Schnell ging sie ins Haus zurück. Sie spürte, dass er ihr nachblickte. Verrückt war vermutlich sie selbst. Ließ sich von einem vollkommen Fremden zum Frühstück einladen. Aber was soll’s. Einen verbrecherischen Eindruck hatte er nicht gerade gemacht. Sie ließ sich aufs Bett fallen und schlief sofort wieder ein.

Heike streckte und räkelte sich. Noch eine Viertelstunde. Sie zog sich die Decke über den Kopf um den grellen Sonnenstrahlen auszuweichen. Schließlich griff sie noch schlaftrunken zum Wecker und war mit einem Schlag hellwach. 11 Uhr! Wie war das möglich. Zu Hause war sie auch am Wochenende spätestens um 8 Uhr hellwach. Was würde ihr Nachbar von ihr denken. Vermutlich wartete er schon seit Stunden mit dem Frühstück. Schnell lief sie ins Bad.

Stefan saß auf der Terrasse und zog genüsslich an einem Zigarillo. Seine neue Nachbarin schien eine Schlafmütze zu sein. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht als er an Heike Ludwig dachte. Eine bildhübsche Person mit ihren honigblonden Haaren und den veilchenblauen Augen. Honig und Veilchen. Das war die richtige Beschreibung. Vielleicht durfte er sie malen. In einem weißen Sommerkleid im Garten. Eine Fee umgeben von einem Blütenmeer. Stefan hatte das Haus vor einem Jahr erworben. Er war Künstler und hatte einige Werke teuer an einen japanischen Sammler verkauft. Es war gerade zu einem Zeitpunkt gewesen, als er eine Schaffenskrise hatte. Als er dann noch die Untreue seiner Frau aufdeckte, zögerte er nicht lange. Die Galerie in Regensburg war schnell verkauft. Jetzt hielt er sich schon seit fast einem Vierteljahr hier auf. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Seit einigen Wochen war er wieder kreativ tätig. Die herrliche Umgebung, die Ruhe und das Flair der Provence waren Labsal für seine Künstlerseele.
 
Ein Rascheln an den Sträuchern kündigte die Ankunft seiner neuen Nachbarin an. „Guten Morgen. Das Tor ist offen.“ Im Sonnenlicht war ihr Anblick genauso entzückend wie im Mondschein. Etwas verlegen blickte sie ihn an. „Es tut mir leid. Normalerweise bin ich eine Frühaufsteherin.“ „Das macht nichts. Schließlich hatten sie eine lange Fahrt hinter sich. Außerdem läuft das Leben hier nicht nach Uhr. Daran werden sie sich leicht gewöhnen. Nehmen sie Platz. Ich werde uns schnell Kaffee kochen.“ „Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit habe ich Zeit. Allerdings auch großen Hunger..“ Stefan musste lachen. Sie gefiel ihm immer mehr. Sie hatte so eine natürliche Art. Ganz anders als seine Frau Sybille, die mittlerweile eine richtige affektierte Zicke war. Er freute sich jetzt schon auf die Scheidung.

Die Stunden vergingen wie im Flug. Schon war es früher Nachmittag. „Meine Güte“ sagte Heike. Fast 2 Uhr und ich sitze noch immer hier. Meine Koffer müssen noch ausgepackt werden. Aber vielen Dank für das tolle Frühstück und die nette Unterhaltung. Ehrlich gesagt bin ich froh, sie in der Nähe zu wissen. So ganz wohl war mir nicht bei dem Gedanken, alleine hier zu sein.“
 
Stefan zögerte einen Moment dann fragte er: „Kennen sie eigentlich den Besitzer der Villa Mimosa.“ „Nein. Wieso. Stimmt etwas mit ihm nicht?“ „Er ist ein ziemlicher Schürzenjäger. Obwohl er mit Sicherheit altersmäßig zwischen 60 und 70 liegt.“ „Haben sie Bedenken, dass er heimlich in das Haus eindringt und mich überfällt.“ Stefan musste lachen. „Das eher nicht. Er ist ein vollendeter Gentlemen. Zur Zeit hat er eine Liaison mit einer jungen italienischen Reisejournalistin, die er in Venedig kennengelernt hat. Dort besitzt er noch ein „bescheidenes Stadthaus“. „Nun. Solange er nicht vor hat, in den nächsten Wochen in die Villa einzuziehen, soll er machen was er will. Eine Bitte habe ich noch. Könnte ich ihre Handynummer haben, weil ich mich beim Einkaufen gleich verfahren sollte.“
„Nicht nur dann. Auch wenn sie nachts etwas hören und sich ängstigen. Rufen sie mich sofort an. Sie wissen ja, ich bin ein Nachtmensch.“ „In der Tat. Ich hörte so etwas.“ Thomas blickte ihr nach. Alles hatte er Heike nicht erzählt. Zum Beispiel das Monsieur Serrault noch einen nichtsnutzigen Sohn hatte, der des öfteren plötzlich unvermutet hier auftauchte. Sollte dies der Fall sein, konnte es Probleme geben.


Luc Serrault stieg aus dem Wagen und streckte sich genüsslich. Es war eine lange Fahrt von Paris bis hier hin. Zum Glück war er zeitig losgefahren. Das Treffen war morgen um 8 und seine Geschäftspartner duldeten keine Verspätung. Den Wagen würde er später in die Garage fahren. Jetzt wollte er wenigstens noch 5 Stunden schlafen. Verärgert blickte er auf Estelle, die schon seit Stunden schlief. Recht unsanft schüttelte der das junge Mädchen an den Schultern. „Wir sind da Estelle. Wach jetzt endlich auf!“
 
Erschreckt fuhr Estelle von dem Sitz hoch und stieß ihren Kopf an der Tür. Luc seufzte. Sie war wirklich bildschön, aber strohdumm. Was kümmerte es ihn. Sie war mit ihren süßen 19 Jahren 20 Jahre jünger als er und hatte die aufregendste Figur, die er bisher an einer Frau gesehen hatte. Dazu noch die schweren pechschwarzen Haare, die bis auf ihre wohlgeformten Hüften fielen. Er freute sich auf die kommenden Tage, die er ganz bestimmt nicht mit Reden verbringen würde.
 
Aber erst musste das Geschäft unter Dach und Fach sein. Mit leichtem Unbehagen dachte er an das Kokain, das er hinter den Radkappen versteckt hatte. Schuld an allem war nur sein alter Herr, der ihm ständig den Geldhahn zudrehte und tatsächlich verlangte, dass er arbeiten sollte. Er steckte den Schlüssel in das Schloss, aber das reagierte nicht. Von innen steckte ein anderer Schlüssel. Verdammt! Darüber hatte er gar nicht nachgedacht. Vermutlich hatte der Alte schon wieder vermietet.
 
„Was ist denn los. Ich bin müde“ jammerte Estelle. Jetzt sah Luc auch, dass der Laden von einem der Schlafzimmer geschlossen war. „Was sollte er jetzt bloß machen. Ohne weiter zu überlegen, betätige er mit lautem Knall den Türklopfer. Es dauerte einen kleinen Moment, da öffnete sich eines der oberen Fenster und ein blonder Lockenkopf erschien.
 
 „Was wollen sie hier? Es ist mitten in der Nacht.“ „Entschuldigen sie. Mein Name ist Luc Serrault. Meinem Vater gehört diese Villa. Ich bin unterwegs nach Spanien und wollte heute Nacht hier Zwischenstation machen. Ich wusste nicht, dass mein Vater vermietet hat.“
 
„Du hast mir aber nicht gesagt, dass wir nach Spanien fahren Darling.“ „Bitte Estelle! Sei einfach nur still! Er wandte sich wieder nach oben. „Vielleicht könnte ich heute Nacht mit meiner Freundin hier schlafen. Schließlich sind genug Schlafzimmer da.“
 
„Das stimmt“ antwortete Heike mit zögernder Stimme. „Aber wer sagt mir, dass sie nicht lügen. Warten sie einen Moment!“ Sie schloss das Fenster und wählte die Nummer von Stefan Lindner. Nach dreimaligen Klingeln hörte sie seine verschlafene Stimme. Schnell erklärte sie den Grund ihres Anrufes. „Öffnen sie noch nicht. Ich komme.“

Meine Güte. Was machte die Frau bloß. Warum konnte sie nicht einfach nur die Tür öffnen. Er brauchte wirklich dringend Ruhe. Morgen würde er sich ein Hotel suchen. Er hörte Schritte im Garten. Natürlich, sie hatte Lindner angerufen. Der schien über die nächtliche Störung alles andere als erbaut zu sein.
 
 „Vielleicht sollten sie vorher mal mit ihrem Vater reden, bevor sie einfach hier mitten in der Nacht antanzen“ fuhr er Luc wütend an. Jetzt öffnete sich auch die Tür und Heike erschien auf der Treppe. „Eine bezaubernde Frau,“ dachte Luc. „Eher klein, aber mit schönen Rundungen und einem bezaubernden Gesicht. Sie war nicht so perfekt wie Estelle, aber auf ihre natürliche Art viel schöner und anziehender. Heike hingegen schien gegen den Charme von Luc immun zu sein, wie Stefan mit Genugtuung bemerkte. Zum Glück schien nicht jede Frau auf diese südländischen Typen zu stehen.

„Also, was ist denn jetzt? Wollen wir hier stehen bis die Sonne aufgeht?“ Langsam wurde Luc ungehalten. Er brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf.
 
„Ich bin müde Darling“ quengelte Estelle. Fragend blickte Heike ihren Nachbarn an. Sie wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Schließlich antwortete sie: „Von mir aus. Aber nur diese eine Nacht. Sie sollten sich wirklich besser mit ihrem Vater absprechen.“
 
 „Danke. Wir werden spätestens um die Mittagszeit verschwunden sein. Ich habe morgen früh noch etwas zu erledigen und dann sind wir auch schon weg.“
 
Die beiden gingen ins Haus. „Sie kennen ja den Weg“ rief Heike ihnen nach und wandte sich dann an Stefan: „War das jetzt ein Fehler? Kennen Sie diesen Luc?“ „Er ist ein Nichtsnutz und ein Schürzenjäger. Aber Gefahr geht nicht von ihm aus. Schließlich hat er eine Frau dabei. Ansonsten hätte ich ihn nicht hier übernachten lassen.“ „Ja. So sieht er mir auch aus. Unter uns gesagt“ flüsterte Heike „ich mag diese Art Männer nicht.“ „Das kann ich mir vorstellen. Gehen Sie jetzt schlafen, aber verschließen sie vorsichtshalber das Zimmer und lassen kein Portemonnaie oder Schmuck im Haus herumliegen.“ „Das hört sich ja alles nach einer angenehmen Nachtruhe an. Aber ich werde den Rat beherzigen.“

Wenig später saß Stefan mit einer Tasse Kaffee im Garten. Er würde heute Nacht nicht mehr schlafen.


Zufrieden blickte Stefan auf die Skizze, die er in den letzten Stunden angefertigt hatte. Die Morgendämmerung begann und in der Villa schien alles normal zu sein. Kein Laut war zu hören gewesen. Nach kurzem Zögern entschloss er sich, doch noch einmal sein Bett aufzusuchen. Er legte das Telefon auf seinen Nachttisch und schlief auch sofort ein.

Kurze Zeit später näherten sich zwei zwielichtig aussehende Typen der Villa Mimosa. „Zum Glück“ sagte der eine. „Ich dachte schon, der Typ im Nachbarhaus wäre festgewachsen. Was meinst du Henri, ob der rote Porsche wohl unserem guten Luc gehört?“ Der Mann mit dem Namen Henri schüttelte ungläubig den Kopf. „Serrault ist dümmer als die Polizei erlaubt. Lässt einen Wagen draußen stehen, der vollbeladen mit Kokain ist.“ „Er konnte doch schließlich nicht wissen, dass wir kommen“ antwortete Raymond. Henri verdrehte die Augen. „Komm, aber sei leise.“

Heike war früh aufgewacht. Sie hatte schlecht geschlafen. Die Anwesenheit des Paares war ihr unangenehm. Beide waren ihr nicht gerade sympathisch gewesen. Sie blickte auf die Uhr. Kurz nach sechs. Entschlossen zog sie Jeans und Bluse an. Ein Blick zum Nachbarhaus zeigte ihr, dass Stefan offensichtlich noch am schlafen war. Als sie an ihn dachte, musste sie unwillkürlich lächeln. Sie schlüpfte in ihre Flip-Flops und entriegelte die Haustür. Frische Morgenluft würde ihr gut tun.
 
Frohgelaunt lief sie die Treppe herunter, als sich plötzlich von hinten eine Hand auf ihren Mund legte und ein eiserner Griff sie umfangen hielt. Zuerst dachte sie es wäre Stefan. Aber als sie die fremde Stimme hörte, durchfuhr sie ein eisiger Schreck. „Sieh mal an. Da hat sich der gute Luc doch wieder was Hübsches zum Spielen mitgebracht.“ Mittlerweile hatte sie den zweiten Mann gesehen, der sie  nun skeptisch betrachtete. „Ich weiß nicht Henri. Sie ist zwar hübsch, aber für Lucs Geschmack zu alt.“
 
Heike schaffte es, diesen Henri so kräftig gegen das Bein zu treten, dass er seinen Griff lockerte. Doch sofort hielt der andere ihr eine Pistole an den Kopf.“ Bisher hatte sie die beiden gut verstanden. Jetzt fragte sie in ihrem Schulfranzösisch: Wer sind sie und was wollen sie von mir. Luc ist im Haus. Machen sie ihre Probleme mit ihm aus. Ich mache hier nur Urlaub und kenne den Mann nicht.“
 
Sie hoffte, dass man sie verstanden hatte. Raymond schob sie die Treppe herauf und sagte zu Henri. „Du suchst das Zeug.“ Worauf sich dieser murrend umdrehte. Im Haus deutete Raymond auf einen Stuhl. Heike setzte sich. Im gebrochenen Deutsch fragte der Mann: Wo ist Luc?“
 
Heike zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Er ist mit einer jungen Frau hier.“ Wie zur Bestätigung erschien Estelle in der Küche. Nur mit einem weißen durchsichtigen Nachthemd begleitet und rieb sich die Augen.
 
Raymond stockte der Atem. Was für ein Prachtweib. Doch dem Prachtweib entfuhr ein gellender Schrei, als sie in die Pistolenmündung blickte. Noch schlimmer, sie hörte nicht mehr auf zu schreien und Raymond verpasste ihr eine schallende Ohrfeige.
 
Henri riss die Küchentür auf und zog sofort seine Pistole, da Luc im Eiltempo die Treppe heruntergelaufen kam. „Was ist denn hier los“ rief er. Verwundert blickte er auf die Situation in der Küche. „Raymond, Henri, was macht ihr denn hier? Unser Treffen ist doch erst um 10 Uhr.“ Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, wurde es ihm schlagartig klar. „Ihr Schweine. Ihr wolltet mich übers Ohr hauen. Habe ich recht?“
 
„Kluges Kerlchen“ grinste Henri in Richtung seines Kumpels. Raymond zog Heike hoch. „Hast du etwas zum festbinden hier.“ „Woher soll ich das wissen. Ich bin gestern erst angekommen.“
 
Raymond fing an, die Schubladen zu durchsuchen und tatsächlich fand er eine längere Schnur, mit der er Luc die Hände fesselte. „Das werdet ihr bitter bereuen“ schrie dieser. „Ich zittere jetzt schon“ kam die spöttische Antwort von Henri. Raymond blickte sich um. Von der Schwarzhaarigen ging keine Gefahr aus. Die saß wie ein Häufchen Elend in der Ecke und heulte ohne Unterbrechung. Bei der Deutschen sah es anders auf. Die Frau war ziemlich ruhig und machte einen intelligenten Eindruck. Er musste sich was einfallen lassen.

Stefan hatte sich vorsichtig der Villa genähert. Er war gerade im Bad gewesen, als er die schrillen Schreie einer Frau hörte. Sofort war er losgerannt und konnte sich noch schnell hinter einem blühenden Strauch verstecken, ehe der Mann neben dem Porsche ihn entdeckt hatte. Verflixt! Was ging hier vor und wo war Heike. Wenn er wenigstens eine Waffe hätte. Als der Mann im Haus verschwunden war, lief Stefan schnell zurück und ergriff seinen Hammer. Jetzt stand er neben der Terrassentür, die aus der Küche führte und lauschte dem Gespräch im Innern.

„Ich will wissen, was ihr vorhabt“ schrie Luc. Aber er bekam keine Antwort. Stattdessen unterhielten die beiden Dealer sich, als wären ihre Geiseln gar nicht im Raum.
 
„Was sollen wir mit denen hier anfangen“ fragte Henri. „Du weißt, wir können keine Zeugen gebrauchen.“ Raymond wusste es. „Du tust, was du tun musst.“ „Darf ich vorher noch ein bisschen Spaß mit der Schwarzhaarigen haben? Du kannst ja die Blonde nehmen.“ „Dafür ist keine Zeit. Wir müssen um 10 Uhr mit dem Kokain am Hafen sein.“
 
Heike war verzweifelt. Sie hatte alles verstanden. Dafür war sie in die Provence gefahren, um jetzt wegen einem dummen Millionärssöhnchen erschossen zu werden. Eine unbändige Wut, die stärker als ihre Angst war, packte sie und peitschte das Adrenalin durch ihren Körper. Ohne lange nachzudenken ergriff sie das große Holzbrett auf der Spüle und schlug es Raymond über den Kopf. Der ging sofort benommen zu Boden und ließ die Pistole fallen.
 
Estelle, die doch nicht so unbrauchbar war, trat sie sofort mit dem Fuß weg. Mit einem wütenden Schrei stürzte sich Henri auf die beiden Frauen, um einige Sekunden später schmerzerfüllt zu Boden zu gehen.
 
Hinter ihm stand Stefan und hatte den Hammer volle Wucht auf Henris Schulter geschlagen. Heike holte sich Raymonds Pistole und Stefan nahm die von Henri, der wimmernd mit gebrochener Schulter am Boden hockte. „So, das war’s meine Herren. Er reichte Estelle sein Handy. „Rufen sie die Polizei.“ „Keine Polizei“ bat Luc. „Wir können die Geschichte doch so regeln. Sagen sie mir ihren Preis.“ Doch Stefan ließ sich auf keine Verhandlungen ein und kurze Zeit später ertönten  aus der Ferne  Polizeisirenen.

Die Nacht roch herrlich. Von den nahen Feldern strömte der schwere Duft des Lavendels ins Schlafzimmer. Doch noch besser roch der Mann an ihrer Seite. Stefan war eingeschlafen und hielt Heike festumschlungen. Nach dem anstrengenden schrecklichen Tag, war sie wie selbstverständlich mit zu ihm gegangen. Sie wollte im Moment nicht allein sein. Sie hatten geredet, gegessen, getrunken und waren ohne große Worte und Fragen ins Bett gegangen. Stefan war ein Künstler, auf jedem Gebiet. Bei dem Gedanken musste Heike leise kichern und davon erwachte Stefan. Zärtlich küsste er sie auf die Nasenspitze. „Was ist denn so lustig Mon Coeur.“ „Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass du ein Künstler auf jedem Gebiet bist“ antwortete Heike und blickte ihm tief in die Augen. „Das ist aber ein schönes Kompliment, das wir doch direkt belohnen wollen.“

Es war kurz nach elf, als sich Stefan und Heike verschlafen an den Frühstückstisch setzten. „Irgendwie scheint das unsere neue Frühstückszeit zu werden“ meinte Stefan und grinste. „Na, dass will ich doch nicht hoffen. Wo ein Morgen hier doch so herrlich ist. Die Luft ist frisch und es ist noch nicht so heiß. Ich liebe es und ich liebe diese Nächte hier. Das Zirpen der Grillen, das Konzert der Frösche, die Pracht des Hibiskus im Mondenschein und der Duft des Lavendels.“
 
„War das schon alles“ fragte Stefan und zog Heike auf seinen Schoß. „Kann es sein, dass du ein schlechtes Erinnerungsvermögen hast.“ Lachend stand Heike auf. „Das nicht. Aber einen Bärenhunger.“ Fröhlich machten sich die Zwei über das Frühstück her. Glücklich, nicht mehr allein zu sein. Erwartungsvoll, was die Zukunft anging. Stefan merkte plötzlich, dass er auch wieder Lust zum Schreiben hatte. Er würde gleich damit anfangen. Es sollte eine Geschichte über seine neue Liebe werden. Und sie würde den Titel tragen: Hibiskus und Lavendelduft.




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Nicht alltägliche Hausmannspost: Scherzartikel, Wortspüle und Küchenzeilen aus Valencia von Siegfried Fischer



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