Matthias Kuppler

Warten


Ich liebe die Geschichten über die „alte Welt“, wie ich sie nenne. Damals muss es himmlisch gewesen sein. Heute, im Jahr 2051 erinnert nichts mehr an diese Zeit. Es gibt keine Namen mehr, nur noch Strichcodes. Individualität ist gestorben. Alle funktionieren. Doch ich habe mir ein kleines Stück Individualität gerettet. Während meinem Bürojob am Computer chatte ich mit einer Frau. Ich denke, ich gehe nur wegen ebendiesen Gesprächen zur Arbeit. Seit 3 Jahren bestimmen sie nun schon mein Leben. Es vergeht keine Minute, in der ich nicht an sie denke. Ich weiß alles über sie und doch kenne ich nicht einmal ihr Gesicht. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich ihr eines Tages begegne. Das ist, was meinem Leben einen Sinn gibt. Und so lebe ich mein Leben dahin. Solange ich hoffen kann ist alles gut.
Mein Leben ist erfüllt, erfüllt von dem Wunsch die Eine, ich nenne sie auch meinen Seelenpartner, zu finden und mit ihr mein ganzes Leben zu verbringen. Diese Vorstellung hält mich am Leben.
Bis zu diesem einen Tag.
Nach einem langen Gespräch über unsere Wünsche für unsere Zukunft schrieb sie mir den einen Satz, der mich bis zu meinem Lebensende verfolgen sollte: „Ich kann nicht mehr auf dich warten.“ Ich konnte es nicht fassen. Völlig verstört lief ich aus dem Gebäude. Ich rannte für Stunden durch leere Straßen. Irgendwann fand ich mich auf dem Dach eines Hochhauses wieder. Mir war klar, dass es kein Zufall war, dass ich gerade in diesem Augenblick, auf diesem Dach, nur umgeben von Dunkelheit und meinem leisen Atemstößen, dass ich genau jetzt aus meinem Wahn erwachte. Es gab keine Wahl. Ich musste springen und allem ein Ende setzen. So frei wie in diesem Moment hatte ich mich mein ganzes Leben lang nicht gefühlt. Es war so einfach. Kein Zögern, kein Warten mehr. Und so sprang ich.
Mitten im Sprung, mitten im Moment völliger Schwerelosigkeit musste ich an meine Arbeitskollegin denken. Sie saß nur wenige Meter von mir entfernt. Durch einen Zufall hatte ich sie einmal beim Chatten erwischt, habe sie aber nicht darauf angesprochen, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Sie wirkte immer so hoffnungsvoll, doch heute hatte sie geweint.
Plötzlich durchfuhr mich ein Schock. Ich lächelte und sprach meine letzten Worte: „Ich werde auf dich warten.“

 
matthias kuppler
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.08.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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