Helmut Wurm

Planung eines modernen Wandertages mit Eltern

Kurze Skizze des Geschehens:  Herr Neu ist ein junger, engagierter Lehrer und erst kürzlich an die Üblich-Normal-Schule in Landstadt. gekommen. Die Schule liegt in einer Mittelstadt in einem weitgehend ländlich-kleinstädtischen Umfeld. Er nimmt die Schulordnung und die verschiedenen Dienstanweisungen, ministeriellen Empfehlungen usw. noch ernst und vertritt vor sich und den Schülern einen hohen Anspruch. Er ist Klassenlehrer einer 8. Klasse und plant seinen ersten Wandertag. Er möchte mit den Schülern zu einem Heimatmuseum im Nachbarstädtchen wandern, möchte dort eine Führung bestellen und dann die Schüler als Hausaufgabe einen Bericht über die Inhalte dieser Führung schreiben lassen. Ein Wandertag solle kein Urlaubstag sein. Zurück solle ebenfalls gewandert werden. Um sich die anfallenden Kosten für die Führung, durch die Eltern /Erziehungsberechtigten genehmigen zu lassen, hat er den Elternabend einberufen. Er möchte sich ebenfalls den Eltern vorstellen. Alles läuft aber anders, als sich das Herr Neu gedacht hat. Ein Vater (von Beruf Verwaltungsbeamter) führt das Protokoll. Dieser fertigt zunächst ein Ergebnisprotokoll an. Weil aber das Geschehen immer spannungsgeladener und heftiger wurde und eventuelle Nachfragen von Seiten der Schulleitung kommen könnten, fertigt er zusätzlich noch ein Verlaufsprotokoll an.

 

Zuerst das Ergebnisprotokoll:

 

Ergebnisprotokoll der Klassenelternversammlung der Klasse 8a vom....

 

Dauer: 19.30 Uhr bis 21. 30 Uhr. Anwesende.....

 

Der Elternsprecher dankte in dessen Abwesenheit dem scheidenden Klassenlehrer Herrn Alt für dessen erfolgreiche Bemühungen und begrüßte anschließend den neuen Klassenlehrer, Herrn Neu. Herr Neu stellte sich kurz selbst vor. Dann kam er schnell auf das Hauptthema des Abends zu sprechen, nämlich auf den bevorstehenden Wandertag. Er teilte seine Vorstellung mit, eine Wanderung mit Museumsbesuch zu unternehmen. Er wolle damit die Empfehlungen der Schulordnung und der Wandererlasse direkt umsetzen, dass solch ein Tag Schule in anderer Form sei und er wolle nicht diesen Wandertag als eine Form von Spaßtag gestalten. Er hoffe auf breite Zustimmung. Es stellte sich aber heraus, dass die Elternschaft überwiegend kein Interesse an einer Wanderung und überhaupt an einem irgendwie schulisch gestaltet Tag hatte, sondern dass sie den Schülern einen Tag mit Abstand von allem Lernen ermöglichen wollte. Nach einer teilweise sehr heftig und kontrovers geführten Diskussion, in der andere Vorschläge von Herrn Neu (eintägige Studienfahrt, Betriebserkundung, Arbeitstag im Wald, Besuch einer sozialen Einrichtung) und Kompromisse von Herrn Neu zu Vorschlägen aus der Elternschaft (Fahrt in die nächste Großstadt und dort längerer Museumsbesuch oder Dombesuch und dann anschließendem gemeinsamem Stadtbummel) verworfen worden waren, einigte man sich darauf, mit der Bahn die nächste Großstadt anzufahren, dort kurz ohne Führung gemeinsam in den Dom zu gehen und dann den Schülern in Gruppen die freie und mehrstündige Möglichkeit zu geben zu bummeln und einzukaufen, weil die Eltern aus beruflichen Gründen seltener die Möglichkeit hätten, in diese Großstadt einkaufen und bummeln zu fahren. Und das sei doch für Schüler aus einem ländlich-kleinstädtischen Raum ein Erlebnis. Herr Neu stimmte diesem Kompromiss nur sehr widerstrebend zu.

 

 

Nun das Verlaufsprotokoll:

 

Verlaufsprotokoll der Klassenelternversammlung der Klasse 8a vom....

 

Zuerst stellte der Elternsprecher fest, dass 24 Eltern/Erziehungsberechtigte anwesend seien. Er dankte, trotz dessen Abwesenheit, dem scheidenden Klassenlehrer Herrn Alt für dessen angenehme Klassenführung und für sein geschicktes Verhalten. Herr Alt  habe stets die Wünsche der Schüler und Eltern so weit wie möglich berücksichtigt, habe gute Noten gegeben und alles vermieden, was den Schülern ungewohnt und belastend gewesen oder erschienen sei. Er habe sich stets nach dem herrschenden pädagogischen Trend gerichtet, habe darauf geachtet, dass Schule primär Freude gemacht habe und habe viel erholsame gemeinsame Veranstaltungen und Fahrten mit den Schülern durchgeführt. Er sei deswegen auch verdient in die Schulleitung einer anderen Schule berufen worden. Schulleitung von heute verlange eben Geschick im Umgang mit Menschen, verlange die Einstellung „leben und leben lassen“ und dass man auch, wenn nötig, „eine Fünf eine gerade Zahl“ sein lasse.

 

Herr Neu eröffnete freundlich mit einer Begrüßung diesen ersten Elternabend als neuer Klassenlehrer. Erstellte sich und seinen Werdegang und vor allem seine pädagogischen Ziele als neuer Klassenlehrer vor. Er käme aus einer traditionellen Pädagogenfamilie, die die Prinzipien der großen Pädagogen immer hoch gehalten habe und die darauf geachtet habe, dass sie die Schüler fürs Leben vorbereitete. Er sei der Auffassung, dass die deutsche Schule wieder anspruchsvoller unterrichten und mehr fordern müsse und dass möglichst wenig Unterricht durch Veranstaltungen ausfallen dürfe, die eigentlich in den Freizeitbereich gehörten. Dazu gehöre auch eine anspruchsvolle Gestaltung von sogenannten Wandertagen, die eigentlich Schule in anderer Form sein sollten. Er verwies dabei auf die entsprechenden Paragraphen/Aussagen im so genannten Wandererlass. Die neuen jüngsten PISA-Ergebnisse hätten ja gezeigt, dass die bisherigen Hoffnungen auf eine Methodenreform wenig Erfolg gebracht hätten. Seiner Meinung nach müsse der Unterricht als solcher anspruchsvoller werden. Außerdem gebe der Gesundheitszustand heutiger deutscher Schüler und ihr überhöhtes Körpergewicht zu Sorge Anlass. Er schlage deswegen vor, am Wandertag Lernen und Gesundheitsförderung zu kombinieren. Er plane eine Wanderung durch denn Wald von ca. 2 Stunden (man könne dann für das Fach Biologie die Waldökologie wiederholen) hin zum nächsten heimatkundlichen Museum in der Nachbarstadt , dort eine 1-stündige Führung durch die Abteilung „Ländliches Leben in der Vergangenheit“ (das sei für das Fach Geschichte wichtig) und dann wieder die Rückwanderung, diesmal durch die Felder (hier könne man für das Fach Erdkunde praktische Gesteinskunde betreiben) . Der Gesamtzeitansatz entspreche etwa einem 6-stündigen Unterrichtstag. Er bitte die Führungsgebühr von 2 € pro Person zu genehmigen und den Schülern keine zu süßen Getränke auf die Wanderung mitzugeben.

 

Viele Eltern, die anfangs neugierig-ruhig Herrn Neue reden ließen, begannen bald unruhig zu werden und zu murmeln. Dann kam ein scharfer Zwischenruf von Herrn B.: „Wat wollen Se für Faxen mit meiner Tochter mache, die soll wandere? Hab ich das recht verstanne? Die is doch viel zu dick davor. Die müsse mer doch überallhin fahre. Die wandert net. Un ich wandere och net! Wofür han mer denn des neue Auto?“

Es folgte ein zustimmendes Gelächter von verschiedenen Seiten.

 

Herr C., Kollege von Herrn Neu an der Grundschule, stimmte Herrn Neu zu, was die gesundheitliche Situation deutscher Schüler beträfe. Das gelte bereits für die Grundschulkinder. Auch dort seien viele Kinder bereits zu dick, hätten zu wenig Bewegung und stopften zu viele Süßigkeiten in sich hinein. Insofern sei eine Wanderung nur zu begrüßen. Er habe aber mit den Grundschulkindern schon mehrere Museumsbesuche durchgeführt, auch in das angesprochene Heimatmuseum in der  Nachbarstadt und fürchte, dass eine Wiederholung des Besuches für die Kinder langweilig sei.

 

Frau D. drückte anschließend ihre Besorgnis aus, dass es an diesem Wandertag regnen könne und dass sich die Kinder erkälten könnten. Da man das Wetter nicht sicher vorausplanen könne, sei sie aus gesundheitlichen Gründen doch gegen die geplante Wanderung. Hoffentlich gebe es andere Vorschläge. Man sei ja nicht mehr in der Nazizeit, wo die Kinder um jeden Preis körperlich und geistig gestählt werden sollten.

 

Herr Neu brauste bei diesem Einwand auf und verwies darauf, dass eine gesunde Wanderung zwar körperlich kräftige, aber nichts mit der Nazizeit zu tun habe. Er machte den Vorschlag, wenn schon so viele Einwände gegen seinen Vorschlag bestünden, einen heimischen Betrieb zu erkunden. Schließlich solle die Schule ja fürs Leben vorbereiten und dazu gehörten auch wirtschaftskund-liche Eindrücke.

 

Herr E., in der Personalabteilung eines heimischen metallverarbeitenden Betriebes tätig, begrüßte diesen Vorschlag und erbot sich, eine Führung durch seinen Betrieb zu organisieren. Er kenne da einen jungen Betriebswirt, der sich gut auf Schüler einstellen könne.

 

Herr F., im Betriebsrat einer heimischen Textilfabrik tätig, schlug vor, lieber seinen Betrieb zu besuchen. Dort sei es nicht so laut und schmutzig wie in der Metallfabrik. Und die Mädchen würden sich für einen Metallbetrieb kaum interessieren. Schule berücksichtige zu viel die Jungen. Auch aus diesem Grund sei er gegen den Besuch des Metallbetriebes.

 

Herr G. rief dazwischen, dass sich Jungen nicht für einen Textilbetrieb interessierten.  Und außerdem werde er seinen Sohn deshalb nicht an einer Betriebserkundung des Textilbetriebes teilnehmen lassen, weil der Besitzer sein Nachbar sei und er sich mit diesem arroganten Firmenchef nicht verstünde.

 

Frau H. begrüßte an sich eine Betriebserkundung, zweifelte aber, ob die Schüler im Fach Sozialkunde bereits auf solch einen anstrengen Besuch, der viel Aufmerksamkeit verlange, vorbereitet seien. Sie denke bei einem Wandertag doch mehr an geistige Entspannung und Erholung von dem anstrengenden täglichen Schulstress. 

 

Frau I. meinte, dass ihre Tochter überhaupt noch zu jung für solche ernsten berufskundlichen Informationen und Anregungen sei. Ihre Tochter neige leicht zu jugendlicher Migräne und sie wüsste schon jetzt, dass am Morgen der Betriebserkundung bei ihrer Tochter wieder ein Migräneanfall zu erwarten sei, der vermutlich die Teilnahme verhindere.

 

Herr Neu reagierte gereizt mit der Bemerkung, dass es offensichtlich schwer sei, mit den Schülern dieser Klasse und vor allem mit deren Eltern etwas Anspruchsvolleres zu planen und zwar so etwas, wie es eigentlich der Wandererlass vorsehe.

 

Herr J. konterte spöttisch, dass man als Lehrer eigentlich wissen müsse, dass es sehr häufig Unterschiede zwischen ministeriellen Vorgaben und der Schulwirklichkeit vor Ort gebe. Das beträfe auch Wandertage. Die Ministerien gäben nur solche anspruchsvollen Empfehlungen heraus, um sich nach außen hin ein schönes Mäntelchen umzuhängen. Das beträfe viele schulische Bereiche. Kein Ministerium frage z.B., ob seine Empfehlungen für die Gestaltung von Wandertagen wirklich umgesetzt würden.

 

Herr K., ein Lehrer an einer Berufsschule, der sich vergeblich mehrmals um eine Funktionsstelle bemüht hatte, ergänzte giftig, dass das z.B. oft auch für die Bewerbungssituation für Schulleitungsposten zuträfe. Es seien zwar rein rechtlich alle Stellen vorher öffentlich und neutral auszuschreiben, die eigentlichen Zuschlags-Kandidaten seien aber häufig vorher schon „ausgeguckt“. Auch hier gebe es Theorie- und Praxis-Unterschiede.

 

Herr L., ein parteineutraler Kommunalpolitiker, ergänzte: Häufig komme es auch vor, dass ein Bewerber in eine Schulleitungsstelle berufen würde, weil er sich öffentlich sehr bekannt gemacht habe oder weil er derjenigen Partei angehöre, die gerade die Regierungsgewalt innehabe. Wenn er, Herr Neu, etwas werden wolle, dann solle er sich an diese Spielregeln der Realität vor Ort halten und sich informieren, wie man z.B. am besten auf sich aufmerksam mache. Die hier erkennbare Weise, nämlich sich durch anspruchsvolle pädagogische Unternehmungen Verdienste zu erwerben, sei aber als wenig erfolgreich einzustufen. Denn da auch die Vertreter der Elternschaft und die Personalräte der betreffenden Schule bei einer Stellenbesetzung mit gehört würden, sei Beliebtheit wohl der geeignetere Weg als der Ruf hoher pädagogischer Ansprüche.

 

Herr Neu konterte, mittlerweile erregt, das es ihm nicht um irgend ein langfristig geplantes berufliches Weiterkommen ginge, sondern einfach darum, den Schulalltag so effizient wie möglich zu gestalten. Dazu gehöre auch die Gestaltung von Wandertagen. Der traditionelle Ausdruck „Wandertag“ drücke ja schon aus, worum es an solchen Tagen zumindest teilweise gehe.

 

Frau M. antwortete, dass es im Deutschen viele traditionelle Bezeichnungen gebe, die inhaltlich aber nicht mehr mit der heutigen Praxis übereinstimmten. Man denke da nur an den Begriff „Ehe“ als angebliche Grundzelle der Gesellschaft. Was heutzutage alles als Ehegemeinschaft gelte und getraut würde, das habe nichts mehr mit traditionellen Begriff Ehe zu tun. Sie wolle nicht abschweifen, aber solche moderne Begriffsaufweichung würde auch für den Terminus „Wandertag“ zutreffen. Der sei leider in der modernen Schulpraxis völlig überholt.  Wenn ihre Kinder mitteilten, dass ein Wandertag geplant sei, würden sie fragen „Wohin werdet ihr denn diesmal fahren?“.  

 

Herrn N. schlug vor, sich ein anderes Ziel und Verfahren auszudenken. Er schlage z.B. ein soziales Ziel wie das Kreiskrankenhaus vor. Anschließend könne man in die gegenüberliegende Pizzeria gehen und dort gemeinsam essen.

 

Frau O. wandte dagegen ein, dass sie den Kindern im Alter der Klassenstufe 8 die bedrückenden Eindrücke von Krankheit und Krankenhaus ersparen möchte. Sie seien dafür noch nicht reif und gefestigt genug. Kinder sollten das Leben so weit wie möglich nur von den schönen Seiten kennen lernen. Das gelte auch für die Erfahrungen in der Schule. Sie schlage deswegen vor, eine Fahrt in die nächste größere Stadt zu machen, dort gemeinsam essen zu gehen und dann die Schüler in der Innenstadt bummeln und shoppen zu lassen.

 

Herr P. unterstützte diese Richtung mit dem Vorschlag, mit dem Zug und einer billigen Gruppenfahrtkarte in die Großstadt am Rhein zu fahren. Er kenne dort in der Altstadt ein sehr originelles Lokal, wo man gut essen könne und die Einkaufszeile sei auch nicht weit entfernt. Das würde sicher allen Schülern Spaß machen.

 

Herr Neu war sichtlich empört. Er verwahrte sich dagegen, Wandertag als Urlaubstag, Tourismustag oder Shoppingtag zu gestalten. Das sei nicht im Interesse einer anspruchsvollen Pädagogik. Eine gute Schule müsse fördern durch Fordern und dürfe nicht nach billigen Spaßangeboten ausschauen. Mit ihm sei so etwas nicht zu machen.

 

Herr Q. entgegnete etwas verletzend süffisant lächelnd: Er, Herr Neu, solle sich einmal überlegen, die Ansichten welcher Zeit er hier vertrete und ob er überhaupt geeignet sei, heutzutage Lehrer zu sein. Man sei nicht mehr im 19. Jahrhundert. Und er solle sich einmal fragen, ob er mit seinen überholten Ansprüchen nicht völlig isoliert im Kollegium und ein Außenseiter sei. Seine Kollegen würden Klassenfahrten z.B. zunehmend als Schultourismus verstehen und planen. Ob er glaube, gegen die Kollegen, Eltern und Schüler seine offensichtlichen Zwangsvorstellungen von einer anspruchsvoller Pädagogik durchzusetzen. Und welcher Kollege würde sich ihm denn überhaupt als Begleitung anschließen?

 

Herr R. versuchte zu vermitteln. Man könne ja z.B. den dortigen Dom oder das dortige historische Museum besichtigen und dann den Schülern 3 Stunden Freizeit zum freien Bummeln geben.

 

Frau S. unterstützte diesen Vorschlag. Es gebe ja in der Schulordnung den Passus, dass Schüler ab der Klassenstufe 7 mit Einverständnis der Eltern in Gruppen ab 3 Schülern Bewegungsfreiheit haben dürften. Sie würde ihrem Sohn eine solche Erlaubnis geben.

 

Herr T., ein höherer Polizeibeamter, bemerkte, dass ihm die wiederholten Vorschläge von freiem Bummeln und Shoppen  rechtlich bedenklich seien. Wenn er richtig informiert sei,  könne den Schülern ein solches Recht von Seiten der Schule gewährt werden, enthebe letztlich aber nicht von der Aufsichtspflicht durch die begleitenden Lehrer. Für die Großstadt gebe er seiner Tochter nicht die Genehmigung zu einem freien Bummel ohne direkte Begleitung durch einen Lehrer.

 

Frau U. schlug vor, dass diejenigen Schüler/Schülerinnen, die sich von den Eltern aus nicht frei bewegen dürften, bei Herrn Neu bleiben sollten und gemeinsam z.B. das Museum besuchen könnten. Dann habe Herr Neu doch wenigstens teilweise das Gefühl, etwas Anspruchsvolles angeboten zu haben.

 

Frau V. ergänzte, dass man ja gemeinsam mit der ganzen Klasse vorher durch den Dom gehen könne. Diejenigen Schüler/Schülerinnen, die bei Herrn Neu bleiben müssten, würden dann vielleicht Interesse an einer Besichtigung mit Führung bekommen.

 

Frau W. bot sich als eine zweite freiwillige Aufsichtsperson an, da ja Herr Neu mit seinen anspruchsvollen Vorstellungen vermutlich keinen Kollegen/keine Kollegin als zweite Aufsichtsperson fände. Die Schulleitung könne ja Eltern als Begleitpersonen zulassen. Dann könne eine Gruppe freiwilliger Schüler das Museum und eine andere freiwillige Schülergruppe vielleicht den Dom besichtigen. Der Rest könne sich frei in der Stadt bewegen. Damit sei doch allen Wünschen Rechnung getragen.

 

Herr X. schlug eine kurze, informelle Abstimmung vor, welche Schüler vermutlich Erlaubnis für freies Bewegen in der Stadt bekämen, welche Schüler das nicht dürften und welche Schüler vermutlich freiwillig das Museum und welche Schüler freiwillig den Dom besuchen würden. Das Ergebnis war, dass 5 Schüler keine Erlaubnis bekämen, dass 3 Schüler vermutlich freiwillig den Dom und 2 Schüler vermutlich freiwillig das Museum besuchen würden. Der weitaus größte Teil würde bummeln und shoppen.

 

Herr Y. stand auf und äußerte abschließend nachdenklich, dass er als Schüler auch nicht gerne Museen und Kirchen besucht habe, aber als Erwachsener im Nachhinein froh sei, dass seine Lehrer sie damals gezwungen hätten hineinzugehen. Sie hätten über solche Besichtigungen sogar Aufsätze schreiben müssen. Dadurch sei doch viel kulturelles Wissen bei ihm lebenslang haften geblieben. Ob diese moderne bequeme Pädagogik wohl für die nachwachsenden Generationen gut sei? Er habe Bedenken...

 

Als verschiedene Rufe aus der Elternschaft zu hören waren, wie „Auch so ein Gestriger...,Der hat wohl einen Kulturspleen..., Die armen Kinder von ihm..., Rollen Sie doch die Diskussion nicht wieder auf..., Gefährden Sie nicht unseren guten Kompromiss..., usw.“ setzte sich Herr Y. verunsichert wieder hin.

 

Schluss des Elternabends: Der Klassenlehrer Herr Neu saß am Tisch, den Kopf auf die Tischplatte gelegt, die Arme mit verkrampften Händen ausgestreckt. Die stellvertretende Elternsprecherin, Frau Z., trat zu ihm hin und legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Ich will ihnen gut, Herr Neu, deswegen hören Sie mir zu. Lassen Sie alle Faxen mit dem anspruchsvollen pädagogischen Idealismus. So werden Sie nie Anerkennung als Lehrer ernten und nie in der Hierarchie des öffentlichen Schulwesens weiterkommen. Die Eltern und Schüler wollen keine unbequemen Ansprüche. Eltern und Schüler wollen, dass die Schule letztlich das anbietet und macht, was sie gern wollen. Wer im Schulwesen etwas werden will, der muss darauf hinwirken sich beliebt zu machen. Wer das zur rechten Zeit am rechten Ort kann, der kommt weiter. Sie kommen so nicht weiter. Passen Sie sich an. So wie heute Abend, das halten Sie nicht durch. Wir wollen keine unbequemen Lehrer. Sie sind zwar ein gewissenhafter und begabter junger Lehrer, aber zu unbequem. Wir wollen lieber weniger begabte und weniger gewissenhafte Lehrer, wenn diese uns bequemer sind. Schlafen Sie mal über das, was ich ihnen  eben gesagt habe“.

 

Zurück blieben Herr Neu und ich der Protokollant. Mir hat es arge Bauchschmerzen gemacht, das mitzuerleben und in Notizform niederzuschreiben und auch jetzt habe ich bei der Abfassung der Endform dieses Verlaufsprotokolls wieder Bauchschmerzen.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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