Diethelm Reiner Kaminski

Besenrein





Hein Kuckelroth, der Leiter unserer Anwaltskanzlei, hatte mich, was ich als besondere Auszeichnung verstand, zum ersten Mal zu sich nach Hause eingeladen. Seine Warnung „Bitte auf keinen Fall etwas mitbringen. Wir haben keine Ablage“, verstand ich als reine Höflichkeitsfloskel und schlug sie natürlich in den Wind. Da stand ich nun in der Diele mit meinem überdimensionierten Blumenstrauß in Klarsichtfolie und blickte in eine völlig kahle Wohnung. So weit die offen stehenden Türen den Blick in die angrenzenden Räume freigaben. Die Wohnung wirkte, als ob ihre Bewohner gerade ausgezogen wären und sie den neuen Mietern jetzt besenrein übergeben werden sollte. Jedenfalls war kein einziges Möbelstück zu sehen, weder in der Diele noch im Salon oder Esszimmer. Nur Gardinen und Vorhänge hingen an den Fenstern. Die Sicht in Schlaf- und Arbeitszimmer und Küche war mir verwehrt, aber ich zweifelte keine Sekunde daran, dass sie ebenfalls von gähnender Leere waren.
„Ich hätte Sie darauf vorbereiten sollen“, sagte der Gastgeber, während er und seine Frau mich in den geräumigen Salon führten, „aber meine Frau und ich genießen nun einmal diesen Augenblick der Überraschung auf den Gesichtern unserer Gäste. Entschuldigen Sie, dass wir auch Sie überrrumpelt haben.
„Sie brauchen aber nicht zu befürchten“, sagte Frau Kuckelroth, „dass Sie den ganzen Abend stehen müssen.“
Herr Kuckelroth hielt eine elektronische Fernbedienung in Richtung einer Wand, drückte einen Knopf, und schon senkte sich ein Tisch herab, der genügend Platz für drei Personen bot. Er drückte noch dreimal, woraufhin aus dem metallenen Tisch drei Platten schnellten und sich automatisch zu Stühlen aufklappten.
„Unsere Wohnung steckt voller kleiner Geheimnisse“, sagte Frau Kuckelroth stolz, zog ebenfalls eine Fernbedienung aus der Tasche ihres Hosenanzuges und betätigte sie. Etwa einen Meter rechts vom Tisch schob sich eine rechteckige Tür auf. In der Mauernische stand eine große Vase, die Frau Kuckelroth heraushob, um mir endlich meinen Blumenstrauß abzunehmen.
„Wir haben alles, was wir zu unserer Bequemlichkeit brauchen, nur zeigen wir es nicht so offen wie andere. Wir zaubern es nur hervor, wenn es gebraucht wird“, erläuterte Herr Kuckelroth die seltsame Marotte.
„Und wir treiben gerne Sport“, fügte Frau Kuckelroth hinzu. „Bei jedem Wetter. Für Ballspiele, Gymnastik, Wettläufe usw. stehen uns sämtliche Räume zur Verfügung. Keine einziges Möbelstück im Wege. Sogar Radfahren können wir, wenn uns danach zumute ist.“
„Und für Entspannung nach der Anstrengung ist natürlich auch gesorgt“, sagte Herr Kuckelroth, drückte einen Knopf auf seiner Fernbedienung, und schon schob sich eine bequeme Liege samt Kissen aus der gegenüberliegenden Wand.
Ich fand diese postmoderne Art des Wohnens grauenhaft, schleimte indes: „Toll, einfach toll. So etwas Beeindruckendes habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Aber erlauben Sie mir die Frage: „Verwechseln Sie bei so vielen Möglichkeiten nicht ständig die Knöpfe?“
„Alles eine Sache der Übung“, prahlte Herr Kuckelroth. Man gewinnt Routine mit der Zeit und findet die richtigen Knöpfe wie im Schlaf.“
„Aber um ehrlich zu sein“, griff Frau Kuckelroth ein, „vorgekommen ist es schon, dass wir den Knopf für die Betten mit dem für die Tischtennisplatte oder die Taste für den Fernseher mit der für den Zeitungsständer verwechselt haben.“
„Typische Anfängerschwierigkeiten“, beschwichtigte Herr Kuckelroth, „und das ist auch schon lange her. Aber darf ich jetzt zu Tisch bitten? Halten Sie sich fest. Jetzt erleben Sie unsere größte Überraschung.“ In Erwartung des ungläubigen Staunens überzog ein breites Lachen sein feistes Gesicht.
Er streckte den rechten Arm gegen die Decke über dem Tisch und rief strahlend: „Tischlein, deck dich.“
Kaum hatte Herr Kuckelroth den Knopf betätigt und den Satz ausgesprochen, schrie seine Frau in Panik: „Falsch, falsch, der falsche Knopf. Kannst du denn nicht aufpassen, du Dämlack? Das war der Knopf für die automatische Löschanlage.“
Herr und Frau Kuckelroth saßen, triefend vor Nässe, wie begossene Pudel am Tisch und sahen sich hasserfüllt an.
„Nun mach schon“, brüllte Frau Kuckelroth. „Drück endlich. Stell endlich die Löschanlage ab.“
Herr Kuckelroth drückte verzweifelt verschiedene Knöpfe, doch nichts rührte sich. Offensichtlich hatte das Wasser die Fernbedienung funktionsunfähig gemacht.
Ich erhob mich, nass wie ich war, und sagte: „Vielleicht finde ich ja eine Telefonzelle, damit ich die Feuerwehr alarmieren kann.“
 
An zwei Notrufsäulen ging ich absichtlich vorüber. Erst von der dritten aus rief ich die Feuerwehr an und meldete den Wasserschaden in der Wohnung meines Chefs. Am liebsten hätte ich gesagt: „Lassen Sie sich ruhig Zeit. So dringend ist es nicht.“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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