Es ist ein Kreuz mit dem Abnehmen, aber ein noch größeres Kreuz mit den ständig wechselnden Diätvorschlägen in Zeitschriften und Ratgebersendungen. Von denen hat nachweislich noch kein einziger zu einem dauerhaften Erfolg geführt. Alles Augenwischerei. Vergebliche Plackerei. Nach ersten guten Vorsätzen stopfen die Übergewichtigen umso mehr Kuchen und Schokolade, Eisbeine und Döner in sich rein. Dabei ist die Lösung so einfach: Man muss ihnen den Appetit verderben. Essen ohne Genuss, Nahrungsaufnahme nur, um nicht einzugehen, und wenn überhaupt Nahrungsaufnahme, dann nur mit dem größtem Widerwillen.
Mischt den Süßigkeiten Terpentin bei. Lasst das Fleisch nach Aas schmecken, vergrault den Gourmets den zügellosen Appetit durch den Geschmack der Speisen nach Seife, Asche und Kloake.
Wie viele Eingaben musste ich im Ministerium für Familie, Gesundheit und Ernährung machen, bis ich endlich die Einladung zu einem Informationsgespräch erhielt.
Ich hatte mich gut vorbereitet, um die professionell skeptischen Beamten zu überzeugen. Ich holte weit aus, beschrieb unsere Gesellschaft als dekadent, gewissen- und verantwortungslos, weil sie durch falsche Essgewohnheiten die Kosten des Gesundheitswesens in schwindelerregende und letztlich nicht mehr finanzierbare Höhen getrieben hatte. Ich entwarf Schreckensszenarien für die nahe und ferne Zukunft von einer Gesellschaft, die nur noch aus behäbigen, fressgierigen Monstern bestehe und deshalb zu echter Leistung nicht mehr in der Lage sei. „Sie ist unweigerlich dem Untergang preisgegeben.“
„Übertreiben Sie da nicht ein wenig?“, rügte mich einer der Ministerialen, blickte aber gleichzeitig verstohlen auf seinen Bauch, der sich wie ein Vorgebirge unter seinen ineinander verschränkten Händen wölbte. Die beiden anderen schwiegen, sie hatten auch allen Grund dazu, denn sie brachten eine noch gewichtigere Tonnage auf die Waage.
„Ich möchte Ihre ungewöhnlichen Ideen nicht völlig verwerfen“, sagte der Wortführer schließlich, „wer weiß, vielleicht haben Sie den Schlüssel zur Gesundung der Gesellschaft gefunden. Trauen Sie sich zu, eine Versuchsgruppe von … sagen wir … zwanzig Personen zusammenzustellen und über einen Zeitraum von drei Monaten Verlauf und Ergebnisse des Experiments zu dokumentieren? Das Ministerium könnte dieses Projekt aus Sondermitteln finanzieren, sodass Ihnen keine Unkosten entstehen. Ihnen selbst könnten wir als Projektleiter ein Honorar von 5 000 Euro monatlich zahlen.“
„Brutto oder netto?“, konnte ich mich nachzufragen nicht enthalten.
„Ich denke, netto. Aber hängen Sie das bitte nicht an die große Glocke. Wie gesagt, wir finanzieren das aus Sondermitteln. Sie können das Honorar jeweils am Ersten des Monats persönlich hier abholen, wenn Sie Ihre Berichte und Berechnungen vorbeibringen.“
Alles war viel einfacher, als ich mir gedacht hatte. Die Aussicht auf einen kostenlosen Mittagstisch in angenehmer, gastlicher privater Atmosphäre schwemmte Scharen von verfressenen Probanden an meine Tafel. An Seifenlauge, Terpentin und anderen stinkenden Brühen hatte ich bei der Zubereitung meiner Suppen, Salate, Aufläufe, Soßen und Desserts nicht gespart, aber … statt Ekel – Anerkennung, statt Widerwillen – Begeisterung. Wie die Dicken, die an meiner Tafel versammelt waren, meine Geschmackskreationen, von denen ich freiwillig keinen Bissen runtergewürgt hätte, in den höchsten Tönen lobten! Meine eigens angeheuerten Helferinnen kamen mit dem Nachfüllen der Teller kaum nach.
Nach den ersten vier Wochen hatte keiner der Probanden auch nur ein Kilo von den Rippen, sondern zusätzliche drauf. Einige von ihnen bis zu zehn Kilo.
Und auch ich konnte mein Gewicht nicht länger halten. Zu groß war die Verlockung, mir mit meinem üppigen Honorar endlich regelmäßige Besuche in den teuersten Gourmettempeln zu leisten.
Nach einem Monat hatte ich über fünf Kilo zugenommen. Na und? Was soll´s? Ich gehörte schließlich nicht zu der Versuchsgruppe. Ich war der Versuchsleiter. Jetzt fühlte ich mich den Herren aus dem Ministerium für Familie, Gesundheit und Ernährung fast schon ebenbürtig. Wenn das so bleiben sollte, und ich wollte, dass es so blieb, musste ich meine Berichte fälschen. Aus dem Versuchsprojekt musste ein Langzeitversuch und aus dem Langzeitversuch ein Regierungsprogramm werden – mit mir als hoch dotiertem Ernährungsberater.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.09.2010.
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