Michael Dauk

Ein Spaziergang an der Elbe

Ich möchte euch zu einem Elbspaziergang einladen.


Wir kaufen uns Fahrkarten am Bahnhof Holstenstraße und fahren mit der S1 nach Wedel. Wenn wir Glück haben, ist es ein Sonnabendvormittag, und die Geschäfte in der Einkaufsstraße von Wedel sind geöffnet. Dort können wir uns noch ein wenig Wegzehrung kaufen, wenn es auch ausreichend Stationen auf dem Elbwanderweg gibt, um sich zu verköstigen. Wir schlendern die abschüssige Straße zum alten Wedeler Yachthafen hinunter und machen am Willkomm-Höft die erste Pause. Große Müßiggänger können im Restaurant ein reichhaltiges Frühstück zu sich nehmen. Kleine ein Paar Wiener Würstchen am Imbissstand. Die Chance, der Begrüßung eines einlaufenden Schiffes beizuwohnen, ist sehr groß, laufen doch täglich viele Schiffe die Elbe zum Hamburger Hafen hinauf. Das ankommende Schiff wird in der Landessprache begrüßt und anschließend die jeweilige Nationalhymne gespielt. Hörpuristen sollten sich dann die Ohren zu halten, weil die Lautsprecheranlage ein entsetzlich verzerrtes Krächzen von sich gibt. Doch beim Weitergehen bitte vorsichtig sein: Übersteigt die Flut die normale Hochwassermarke, kann der Uferweg durchaus einmal unter Wasser stehen.

Der Weg schlängelt sich nun das Steilufer empor, landseitig flankiert von hässlichen Reihenhäusern. Der Blick aus diesen Vorgärten entschädigt aber für die architektonischen Verbrechen. Der Blick schweift über das Alte Land bis hinüber zu den Harburger Bergen. Im Frühjahr grüßt ein Blütenmeer von den weitläufigen Obstplantagen. Zur Erntezeit der Kirschen dröhnt ein unablässiges Gewummer der Böllerkanonen herüber. Deshalb fliegen die Stare dort mit aufgesetzten Gehörschutzkapseln. Die Elbinseln liegen wie langgestreckte Pfannkuchen im Wasser. Manches Segelboot liegt schräg auf dem weißen Sandstrand. Vereinzelt sind zwischen den niedrigen Büschen kleine Zelte zu entdecken. Der Halunder-Jet nach Helgoland rauscht mit voller Fahrt über dem Wasser dahin. Durch dichten Wald verlassen wir nun den unmittelbaren Uferbereich. Wir müssen das Kohlekraftwerk Wedel umgehen. An den längst stillgelegten Entladeanlagen der Bahn entlang erreichen wir einen hässlichen, graffittibeschmierten Zaun, der uns wieder zurück ans Ufer führt, immer noch hoch über der Elbe. Einige steigen die steile Treppe zum Wasser hinunter, ich bevorzuge den Weg zum oberen Leuchtturm und den anschließenden Elbhöhenweg, um in Wittenbergen wieder mit den anderen zusammen zu treffen. Mir ist dieser Weg lieber, weil er weiterhin imposante Ausblicke über die Elbe bietet und in der Ferne bereits die ersten Hafenanlagen zu erkennen sind.


In Wittenbergen, kurz hinter dem unteren Leuchtturm, haben die Hobbyarchäologen Gelegenheit, nach den Fundamenten des alten Wittenberger Fährhauses zu suchen, das bei der Sturmflut 1976 vollständig zerstört wurde. Von der Pontonbrücke aus könnt ihr über die Radaranlage lästern, die das gegenüber liegende Ufer des Hanskalbsandes verschandelt. Hier in Wittenbergen gibt es auch bereits die nächsten zwei Verpflegungsstationen: Den kleinen Imbiss direkt am Parkplatz und etwas weiter flussaufwärts das winzige Café mit dem durchaus umfangreicheren Angebot. Ein langgestreckter Campingplatz trennt uns nun vom Elbufer. Das Gelände wirkt verwahrlost. Verwaiste Stellplätze rotten vor sich hin und sind von Unkraut überwuchert. Halb verfallene Wohnwagen erwirken den Eindruck eines ungepflegten Schrottplatzes. Dabei ist der Platz durchaus in Betrieb. Kinder spielen am breiten Sandstrand. Eine Gruppe Jugendlicher schart sich um ein Grillfeuer, lärmen und grölen. Wer schon wieder Hunger hat, kann sich am Kiosk des Campingplatzes Würstchen oder belegte Brötchen holen. Wenn wir an dem Gelände vorbei sind, sehen wir linker Hand die alten Backsteingebäude der Hamburger Wasserwerke. Uferseitig liegen die massiv eingezäunten Wasserbecken.


Kurz vor Erreichen der DLRG-Station vor Blankenese sehen wir bei Ebbe die Wracks von drei Schuten, die schon zu meiner Kinderzeit dort lagen und mir damals Angst eingeflößt haben. Jetzt nicht mehr, jetzt finde ich sie nur noch interessant. Es interessiert mich, warum sie nicht schon längst dort weggeschafft wurden. Nun, sie liegen nicht in der jetzigen Fahrrinne, stören also nicht. Vielleicht sollen sie ja auch als Attraktion dort liegen bleiben. Der Strand ist hier sehr feinsandig, ein idealer Platz zum Rasten, Faulenzen und Schauen. Wenn wir genug gesehen haben und weiter gehen, flanieren wir auf dem Strandweg in Blankenese. Es lohnt sich, einmal ins Treppenviertel hinauf zu gehen. Wir können viele alte Villen bewundern, die in ihrer Pracht vom Wohlstand dieses Stadtteils zeugen. Zu den ärmeren Bereichen oben am Bahnhof müssen wir nicht unbedingt weiter steigen. Auf jeden Fall gehen wir hinaus auf den Anleger „Op´n Bullen“. Diesen Namen hat die ehrwürdige Landungsbrücke von dem bulligen Dampfer, der dort im frühen neunzehnten Jahrhundert als Anleger diente. Der jetzige, schlichte Ponton wurde im Jahr achtzehnhundertzweiundvierig errichtet. Dort ist ein Kaffee oder, wem es lieber ist, ein Bier, im Winter auch ein Glühwein Pflicht. Im Café von Manuela Gehrmann erwacht beim Blick elbabwärts das Fernweh. Landeinwärts erhebt sich das unübersichtliche Gewirr des Treppenviertels mit den Häusern der unterschiedlichsten Stilarten. Ehemalige Fischerkaten ducken sich neben klotzigen, modernen Villen. Weiter geht es den Strandweg entlang, vorbei an dem altmodischen, gemütlichen Hotel am Ende der Straße. Jetzt ist es auch wieder vorbei mit dem Autoverkehr, jetzt gibt es nur noch den Fußweg. Am Blankeneser Yachthafen takeln Kinder unter großem Geschrei ihre Optimistenjollen auf, um anschließend mit staunenswerter Geschicklichkeit durch die enge Ausfahrt in den Strom zu segeln. Die zuschauenden Eltern sind wahrscheinlich aufgeregter als ihre Kleinen. Ich drehe mich um und schaue den Hang hinauf. Wie kommt jemand an solch exponiert gelegene Grundstücke, an solch großzügige Häuser? Geld allein kann es wohl nicht sein.


Aber weiter. Es gab einmal das Mühlenberger Loch, die weite und breite Bucht elbaufwärts von Cranz. Es war das größte Süßwasserwatt Europas. Wieso heißt ein Wattgebiet Loch? Ursprünglich war damit der Priel von Cranz zum tiefen Bereich des Flusses bezeichnet. Im Laufe der Zeit bürgerte sich der Name für das gesamte Gebiet ein. Bei Hochwasser das ideale Revier für die Optimisten. Nun stehen die Werkshallen von Airbus auf dem teilweise aufgeschütteten Gelände. Ich bin unschlüssig: Soll ich das Vorhaben verdammen oder mich der Einsicht beugen, dass dieses nun einmal der Lauf der Welt ist? Aber eines ist mir klar – ich sehe lieber die bunten Segel der Nachwuchskapitäne als Industriegebäude. Wenn dann jedoch der Beluga knapp über den Elbhöhen einschwebt und ich mich frage, wie ein solches Monstrum überhaupt fliegen kann, bin ich auch wieder fasziniert. Meine Begleiter mögen entscheiden. Der Blick auf das Airbusgelände wird jetzt ohnehin verdeckt. Die „Columbus Express“ gleitet vorbei, nimmt Kurs auf die verzweigten Kaianlagen des Eurokai. Lediglich zwei Schlepper halten den gewaltigen Rumpf auf Kurs. Das Schiff war für einige wenige Monate der größte Containerfrachter der Welt. Und horch! Der Heimathafen ist Hamburg! Der Riese gehört zur Reederei Hapag Lloyd. Wenn wir den Blich von den hoch aufragenden Containertürmen abwenden, sehen wir vor uns bereits die Dependance des legendären Café Jacob zwischen Elbuferweg und Strand. Dieser kleine Ableger ist nicht weniger exklusiv und teuer wie das Haupthaus. Deshalb gehen wir daran vorbei und erreichen den Anleger Teufelsbrück. Liebe Mitwanderer, lasst euch nicht täuschen: Der Name hat nichts mit einer Brücke zu tun. Er stammt vom niederdeutschen Wort „Brook“ ab, bedeutet also sumpfige Niederung oder auch ein Moor. Im Gebiet des heutigen Jenisch-Parks lag und liegt dieses Gebiet. Aus urheberrechtlichen Gründen konnten die Stadtväter das Gelände nicht Teufelsmoor nennen, diesen Namen hatten die Bremer Ratsherren bereits dem Gebiet nördlich von Worpswede vermacht. Ihr seht, die Rivalität der beiden Hansestädte existierte bereits lange vor dem HSV und Werder Bremen. Auf dem Fähranleger gilt es, eine wahrhaft köstliche Bockwurst zu genießen. Von der Bratwurst rate ich ab, sie ist fade und geschmacklos. Aber die Bockwurst, die Bockwurst ist eine richtige Wonne! Ich weiß nicht, wie die Imbissbetreiber es schaffen, die Knacker immer genau die richtige Zeit im Wasser ziehen zu lassen. Sie wissen doch nicht, wann und wie viele Leute kommen, um die Spezialität dieser Bude köstlich zu finden. Sie schaffen es dennoch. Und Qualität spricht sich herum. Die Bockwürste auf dem Fähranleger Teufelsbrück sind ebenso bekannt wir die Thüringer Bratwürste von Salzbrenner an den beiden Wurstbuden am U-Bahnhof Mönckebergstraße. Um nicht in rechtliche Schwierigkeiten zu kommen, muss ich mich berichtigen. Die Würste heißen jetzt „Mö-Bratwurst“, weil sie eben nicht in Thüringen, sondern in Hamburg produziert werden. Das Werk hat sogar eine eigene Rezeptur nur für diese beiden Imbissstände.

 

Nun aber genug des Kulinarischen. Während wir noch an unserer Wurst kauen, wird die „Columbus Express“ am Kai vertäut, die ersten Containerbrücken klappen die Ausleger herunter, und die spinnenbeinigen Containertransporter warten schon auf ihre Fracht. Zeit ist Geld. Wir haben Zeit und verlassen den Anleger, um uns weiter auf den Weg zum Zentrum zu machen. Eine gewundene Straße führt hinauf nach Klein-Flottbek. Dort findet im Derbypark gerade das Deutsche Fahr-, Dressur- und Springreitderby statt. Wer mag, soll hinaufgehen. Ich schließe mich nicht an. Sollen diese sogenannten Sportler doch selbst über die Hindernisse springen, durch Wassergräben waten und unnatürliche Bewegungsabfolgen vollziehen. Ich schwenke lieber am Eingang des Jenisch-Parks rechts ein, folge dem Uferweg. Über hunderte von Metern begleiten mich Heckenrosen, die sich am schmiedeeisernen Zaun auf der Wasserseite empor ranken. Sie sind zum Glück nicht so hoch, dass wir nicht den Blick frei haben auf den roten Backsteinturm der Lotsenstation Finkenwerder. Eine der schnellen Hafenfähren biegt dort gerade mit schäumender Bugwelle um die Ecke. Das Freideck ist voll besetzt mit Menschen. Sie winken der „Norwegian Dream“ zu, die langsam und majestätisch die Elbe hinauf gleitet. In einer knappen Stunde wird sie am entstehenden Kreuzfahrtterminal fest machen. Am landseitigen Hang liegen kleine Teiche. Der Fußweg ist durch grüne Wellblechstreifen abgetrennt. Die Kröten wandern. Wir und sie haben Glück: Uns kommt keine unter die Sohlen. Das Glück ist uns weiterhin hold. Wir haben Sommer. Uns kommen keine außer Kontrolle geratenen Schlitten in die Quere, die die steile Rodelbahn von der Elbchaussee herunter schlittern. Die Prachtvillen am Hang können wir nicht genau erkennen, dafür stehen die Bäume zu dicht. Beim nächsten Mal fahren wir mit der Fähre nach Finkenwerder und von dort aus nach Teufelsbrück, um einen ungehinderten Blick auf die schönst gelegenen Häuser Hamburgs zu haben.

Die Wurst liegt doch ein wenig schwer im Magen. Da kommt der nächste Verpflegungsstand gerade recht. Wir nehmen einen starken Kaffee mit einem Kräuterbitter und setzen uns auf die schattigen Bänke. Die Flut hat jetzt ihren höchsten Stand erreicht. Vollbeladene Containerriesen nutzen die Stunde und verlassen in rascher Folge den Hafen. Beim Anblick dieser Monstren kommt bei mir keine Seefahrtsromantik auf. Gab es die wirklich jemals? Wahrscheinlich nicht. Es war wohl immer nur Arbeit, Schwerstarbeit. Beim Weitergehen werden die Gedanken durch die alten Bäume am Strand abgelenkt, über deren starken Ästen vielerorts Seile gehängt sind. Kinder schaukeln daran und lassen sich mit weitem Schwung in den weichen Sand fallen. Wir haben gerade gegessen, ansonsten wäre der Geruch der vielen Grillfeuer am Wasser sehr verführerisch. Dann wird der Platz am Strand aber eng: Der alte Schwede liegt da. Der Findling wurde vor einigen Jahren bei Baggerarbeiten aus der Fahrrinne geborgen und am Ufer gelagert. Er verdankt seinen Namen der Tatsache, dass er bei der letzten Eiszeit von den Gletschern aus Skandinavien hierher geschleift wurde. Nun liegt er im Sand, durch aufgehäuften Schotter vor dem Verrutschen gesichert. Eine Informationstafel klärt die Uneingeweihten über die Herkunft auf.


Nun verlassen wir aber den Strand und machen einen Schlenker nach links. Der leicht ansteigende Weg führt vom Ufer fort und wird eng. Wir erreichen Övelgönne, die alte Kapitänssiedlung. Parallel zum Strand, gegenüber dem Containerterminal, gehen wir zwischen liebevoll geputzten Einfamilienhäusern und den dazu gehörigen Gärten entlang. Viele der Häuser haben Veranden, die mit kunstvoll geschmiedeten, eisernen Geländern eingefriedet sind. Die alten Fenster lassen sich noch nach außen öffnen. Die ebenerdigen guten Stuben gewähren einen Einblick in die Einrichtungen, die manchmal wie ausgestellt wirken. In den Gärten, die meistens von sorgsam gestutzten Hecken eingefasst sind, stehen häufig Fahnenmasten mit dem flatternden Hamburger Wappen. Ein Besuch der „Strandperle“ ist Pflicht. Die „Strandperle“ ist Kult. Das direkt am Ufer liegende Lokal bietet neben großer Getränkeauswahl auch einige Speisen und Küchenspezialitäten an. Aber wir sind nicht wegen des gastronomischen Angebots hier. Wir nehmen uns jeder ein Einbecker Urbock hell und mischen uns unter die Menschenmenge, die sich am Strand tummelt. Hier trifft sich Hamburg. Kreti und Pleti, Hinz und Kunz, Banker und Malocher, Literat und Penner, sie sind alle hier, um den Anblick des großen Stromes mit dem vielfältigen Leben darauf zu genießen. Und sie wollen gesehen werden. Wir sind ja so wichtig, so bedeutsam, sagen Körperhaltung und Gestik. Von der anderen Elbseite dröhnt das Rummsen der Container herüber, wenn sie von den Ladekränen in den Schiffsbäuchen versenkt werden.

Wir fühlen uns nicht so wichtig. Wir steigen den Weg vom Strand wieder hoch und setzen unseren Gang Richtung Museumshafen fort. Hat jemand bereits wieder Hunger? Ich empfehle das gebackene Seelachsfilet mit Hamburger buntem Kartoffelsalat auf der Terrasse des Restaurants „Zum Bäcker“. Ich weiß, dass das Lokal seit langem einen anderen Namen führt, aber für mich trägt es noch die alte Bezeichnung. Während wir uns an dem köstlichen Fisch erfreuen, picken Spatzen Panadereste von Tellern. Frech sind diese Burschen. Als ich einmal mit meinem alten Freund Toni dort saß, vergaß er fast sein Essen, so sehr begeisterten ihn diese Vögel. In Kempten waren sie seit Beginn der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verschwunden. Die Kellner in diesem Lokal haben es nicht leicht. Sie müssen die Speisen und Getränke den auf der Terrasse sitzenden Gästen bringen, indem sie sich mit voll beladenen Tabletts durch die Menschenmasse kämpfen, die durch die enge Gasse strömt. Nicht umsonst ist das Fahrradfahren auf diesem Weg verboten. Vor etlichen Jahren eilte ein Kellner aus der Tür, ohne nach rechts und links zu blicken. Ein rücksichtsloser Radfahrer erfasste ihn und riss ihn um. Der Mann starb an seinen Kopfverletzung – der Kellner, nicht der Radler.

Nun ist es nur noch ein kurzer Weg zum Museumshafen Övelgönne. Vorher grüßen uns jedoch die Lüftertürme des neuen Elbtunnels. Wir sind gesättigt und zufrieden und schlendern daher an den vielen Gaststätten vorbei, die sich rund um den Museumshafen angesiedelt haben. Vielleicht haben wir ja Glück, und es ist gerade Hafengeburtstag. Dann können wir mit dem Dampfeisbrecher „Stettin“ eine Fahrt auf der Elbe machen. Wem danach ist, darf sogar bei sengender Hitze Kohle in den Heizkessel schaufeln. Aber auch wenn kein Hafengeburtstag ist, lohnt sich eine Besichtigung dieses alten Arbeitspferdes allemal. Auch der daneben liegende Schwimmkran ist einen Besuch wert. Wem jetzt bereits die Füße weh tun, kann die Fähre zu den Landungsbrücken nehmen. Uns schmerzen sie noch nicht, wir verlassen den Museumshafen und gehen das etwas eintönige Stück entlang der neuen Bürobauten. Erst bei den Docklands wird es wieder interessanter. Das futuristisch anmutende Gebäude des Stararchitekten Teherani lädt zum Treppensteigen ein. Wir gehen die schräge Rückfront des Gebäudes hinauf und genießen den grandiosen Blick über den Hafen und den Strom. Die Gebäude des Terminals der Englandfähre liegen verlassen da. Die Fähre fährt schon lange von Cuxhaven aus. Schade. Ich war zu jener Zeit häufig am Hafen und habe mir das Auslaufen des Schiffes angesehen. Langsam und majestätisch drehte der Rumpf um 180 Grad, nahm gemächlich Fahrt auf und ließ zum Abschied das mächtige Horn ertönen. Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut. In naher Zukunft, wenn das neue Kreuzfahrtterminal endlich fertig gestellt sein wird, werde ich mich vielleicht auch dort einige Male hin begeben. Jetzt gehen wir aber zunächst an den vielen Fischhandlungen vorbei, die die Straße säumen. Und mitten drin liegt Rüdiger Kowalkes viel gerühmtes „Fischereihafen-Restaurant“.

Nein, wir haben nicht schon wieder Hunger, wenn auch aus der historischen Fischauktionshalle verführerisch der Geruch von Bratkartoffeln mit Spiegelei zieht. Die Klänge einer schlecht spielenden Coverband klingen heraus. Es ist Sonntagmittag. Die Müllwagen säubern die Marktflächen vom liegen gebliebenen Abfall der Stände. Es riecht nach faulem Obst und Fisch. Wehmut kommt bei uns auf, wenn wir bei der Skulptur am Rand des Fischmarkts stehen bleiben und die Frau betrachten, die sitzend die Arme um die Knie geschlungen hat, elbabwärts starrt und auf die Rückkehr ihres Mannes wartet. Vergeblich.

Wir beschließen unseren Spaziergang an den Landungsbrücken. Unser Magen verlangt noch längst keinen Nachschub, aber es gibt einen Imbissstand bei Brücke 8, dort gibt es frisch zubereitete Kartoffelpuffer. Der Andrang ist so groß, dass der Mann an der Fritteuse kaum nach kommt. Das ist gut so, so erhalten wir die Puffer frisch und kross. An weniger frequentierten Tagen liegen sie bis zu einer Stunde auf dem Abtropfrost, bevor sie verkauft werden. Dann schmecken sie nicht halb so gut. Nehmt ihr ruhig euer Apfelmus dazu, ich esse sie nur mit ein wenig Salz. Jetzt aber hinauf zum U-Bahnhof. Wir müssen noch zur Konditorei Stenzel im Schulterblatt, um den anstrengenden Gang mit einer Sahnetorte zu beschließen.

Hamburg, Januar 2010

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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