Marion Redzich

das Weihnachtsgeschenk

                                          

 

 

Ich war 15. Und pleite. Wie immer! Dummerweise war in 4 Wochen Weihnachten.

Und ich hatte noch kein einziges Geschenk. Weder für meine Familie, noch für meine Freunde. Doch ich hatte Fantasie. Und eine Idee.

Meine Mutter wunderte sich zwar, dass ich sie an diesem Samstag unbedingt zum Einkaufen begleiten wollte. 4 Kilo Mehl, zehn Päckchen Hefe, einige Tüten Milch und Dekomaterial aus der Backabteilung wanderten zusätzlich in den Einkaufswagen. Auf die Frage, wofür ich das alles brauche, antwortete ich nur, dass dies eine Überraschung werden solle. Und Überraschungen dürfe man nicht verraten, da es dann ja keine mehr seien. Meine Mutter wunderte sich zwar immer noch, wenigstens stellte sie jetzt aber keine Fragen mehr.

Noch am gleichen Tag verbarrikadierte ich mich in der Küche. Glücklicherweise waren meine Geschwister unterwegs und meine Eltern bei Bekannten eingeladen, so dass niemand wirklich mitkriegte, was ich da machte.

Meine Idee für dieses Weihnachtsfest war, jedem Familienmitglied einen großen Hefemann    (oder –frau, je nach dem) zu backen. Ich rührte den Teig zusammen, mischte jede Menge Hefe drunter, etwas Vanillearoma, Zucker, und was mir sonst noch so einfiel. Der Teig schmeckte gar nicht so schlecht. Aber die Haupt-Arbeit lag noch vor mir. Nun mussten aus dem  Teig die Figuren geformt werden. Jede so ca. 50 cm groß. Ich belegte jede einzelne liebevoll mit bunten Zuckerperlen und bemalte die freien Stellen mit farbiger Zuckerglasur.

Da noch ziemlich viel von dem Mehl übrig war, bastelte ich noch ein weiteres Männchen, das ich später meiner Freundin schicken wollte. Und noch eines in Form eines Hundekuchens für Tessy, unsere Hündin.

Nach mehr als 4 Stunden war ich fertig. Vor mir lagen 6 große, bunte Hefemänner. Der mit Hut war für meinen Vater bestimmt. Jeder war mit viel Liebe zum Detail bemalt und geschmückt. Müde, aber glücklich betrachtete ich mein Werk und war mir ganz sicher, viel Freude damit zu machen. Damit die Hefemänner bis Weihnachten auch schön frisch blieben, wickelte ich jeden einzelnen sorgfältig in Alufolie ein. Und weil ja in 4 Wochen schon Weihnachten war, wurde jedes Männchen schon jetzt festlich in Geschenkpapier verpackt und mit Namensschildchen versehen. Danach versteckte ich alle Päckchen auf dem Dachboden, machte die Küche sauber und ging mit Tessy spazieren.

Noch nie zuvor hatte ich so entspannte Vor-Weihnachtstage. Meine Geschwister waren ständig unterwegs um auf den letzten Drücker Geschenke zu besorgen. Amüsiert beobachtete ich das vorweihnachtliche Treiben. Und ich freute mich wahnsinnig auf die Feiertage.

Heiligabend. Wie immer saß unsere Familie bei Kartoffelsalat und Würstchen zusammen. Alle redeten durcheinander. Am Weihnachtsbaum brannten die Kerzen und unter dem Baum stapelten sich die Geschenke. Meine Päckchen hatte ich auch dazu gelegt. Hin und wieder schielte ich dorthin und malte mir aus, wie meine Eltern und Geschwister wohl auf dieses doch sehr persönliche Geschenk reagieren würden. Und ich war natürlich neugierig, was diesmal wieder für mich dabei sein würde. Meistens wusste ich schon lange vor Weihnachten was ich geschenkt bekommen würde. Weil ich einfach von Natur aus ziemlich neugierig war und so lange in den Schränken wühlte, bis ich fündig wurde. Mittlerweile kannte ich fast alle Verstecke. Das wusste auch meine Mutter. Denn von Jahr zu Jahr wurde es schwieriger und die Verstecke raffinierter.

Nach dem Essen las mein Vater, wie jedes Jahr, die Weihnachtsgeschichte vor. Den Text kannte ich zwar schon. Aber es war immer wieder berührend und gehörte einfach zum Weihnachtsfest dazu. Dann wurden ein paar Lieder gesungen. Ja, und dann war es endlich soweit. Die Geschenke wurden verteilt. Schnell rannte ich zum Baum und holte eines der Päckchen. Es war das größte von allen und ich brachte es zu meinem Vater.

Langsam wickelte er das Geschenk aus und…

Nie werde ich das Gesicht meines Vaters vergessen, als das ausgewickelte Geschenk vor ihm lag. Es war eine Mischung aus Ungläubigkeit, Entsetzen und Ekel.

Außer einem „Aha, mmmhh“ und ähnlichem Gemurmel brachte er keinen Laut zustande.

Schnell lief ich zu ihm hin und betrachtete das seltsame Etwas, das er da ausgewickelt hatte.

Es war ein bräunliches Teil, ca. einen halben Meter groß, mit einem dicken grünlichen Pelz überzogen. Rote und gelbe Farbe rann von beiden Seiten herab und silberne Liebesperlen funkelten einsam in einer Masse aus blaugrauem, mit Schimmelpilz überzogenem Etwas. Die Form des Männchens war kaum mehr zu erkennen. Auch der Hut sah jetzt eher aus wie ein trauriges Toupet. Das Ganze roch auch seltsam. Mir wurde schlecht.

Die Farbe wich aus meinem Gesicht. Ich glaubte, ohnmächtig zu werden. Meine Mutter und meine Geschwister wickelten nun auch ihre Geschenke aus. Die sahen auch nicht besser aus.

Ich begann zu weinen. Das waren die einzigen Geschenke, die ich hatte. Und ich hatte mir doch so viel Mühe gegeben! Meine Schwester fand das Ganze eher lustig. Ihr Männchen sah aus wie eine fehlgezündete Briefbombe. Unter großem Gelächter wurden die einzelnen „Kunstwerke“ begutachtet. Meine Mutter kam als erste drauf, warum das passiert war.

Ich hatte die Hefeteigmännchen vor 4 Wochen noch warm in Alufolie verpackt. In dieser Zeit hatten die Schimmel- und sonstigen Pilze alle Zeit der Welt um zu wachsen und sich zu vermehren. Wäre Weihnachten erst in einem halben Jahr gewesen, wer weiß, vielleicht wären die Päckchen dann schon ganz von alleine davongelaufen.

Dann musste ich plötzlich laut loslachen.

Ich stellte mir vor wie gerade in diesem Augenblick, 250 km entfernt von hier, meine Freundin in München ihr Weihnachtspäckchen auspackt!

 

Noch heute, 35 Jahre später, ist gerade dieses Weihnachtsfest und meine seltsame Geschenkidee unserer Familie in bleibender Erinnerung geblieben. 

 

 

 

 

 

                                                                                                             E N D E

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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