Roberto De Simine

Gute Freunde

...seit 9 Jahren sitze ich nun schon im Staatsgefängnis von Utah, unschuldig!
Das Leben im Hochsicherheitstrakt hat mir ziemlich zugesetzt. Heute habe ich den Termin erfahren. Sie wollen mir Stromstöße durch den Körper jagen und mich damit belehren, die Idioten verstehen gar nichts. Sie spielen sich auf, fühlen sich übermächtig. Ja, mich erwartet der elektrische Stuhl, ein zweifelhaftes Vergnügen. Ich bin vergangenen Dienstag 27 Jahre alt geworden, das grenzt fast schon an ein Wunder. Sie können sich nicht vorstellen wie es in solchen Strafanstalten zugeht. Hoffentlich müssen Sie es nie am eigenen Leib erleben, das wünsche ich wirklich niemandem.
Ich habe in meinem kümmerlichen Leben nie viel besessen, als junger Mensch nicht, und die vielen Jahre hier im Gefängnis erst recht nicht.
Das wichtigste für einen jungen Mann, wie ich es vor 9 Jahren war, sind Gute Freunde!
Und die hatte ich.....


...diese verdammte Stille in dieser dunklen Röhre macht mich ganz verrückt, sagte Jimmy zu seinem Freund Michael. Bleib ruhig, wir dürfen uns jetzt nicht verraten. Diese Scheißangst die uns jetzt schon seit Stunden im Nacken sitzt, macht mich krank.
Wer weiß ob das Biest da draußen am Ende der Röhre direkt auf uns wartet, um uns beim erstbesten Versuch hier herauszukommen mit Haut und Haaren verschlingt. „Das Biest“ sagte Michael, woher weißt du denn was Bobby so zugerichtet hat? Naja, ich wusste es wirklich nicht, aber nach den Wunden an Bobbys Überresten zu schliessen, musste es ein Monstrum , eine Kreatur direkt aus der Hölle gewesen sein. Michael schrie auf und zuckte fürchterlich zusammen. Eine Ratte tippelte die Röhre auf der anderen Seite entlang. Ich erschrak mehr durch Michaels Verhalten als durch die Ratte, ich meine eine Ratte war nachdem was wir hier erlebt hatten nun wirklich nicht mehr ernsthaft angsteinflößend.
Es war nun genau 16:37 Uhr, ich konnte das so genau sagen weil ich eine von den Digitaluhren mit Beleuchtung besaß, ich hatte sie vergangenes Jahr von meiner Schwester Judy zum Geburtstag bekommen. Wir steckten jetzt schon seit kurz vor 11 Uhr vormittags in dieser nassfeuchten Röhre und warteten vergeblich auf Hilfe. Wer soll uns denn hier finden, fragte Michael. Er hatte recht. Das war unser Versteck, hier kamen wir hin wenn wir reden wollten, um was zu rauchen, oder einfach nur ein Ort zu haben der nur für uns da war. Hier waren wir immer sicher vor Eindringlingen oder Störenfriede, ein tolles Versteck! Der Ortseingang liegt ca. 2 Kilometer nordwestlich von hier, um die Wahrheit zu sagen waren wir hier in all den Jahren noch nie von Spaziergängern gestört worden. Wir müssen etwas unternehmen sagt Michael, wenn wir noch länger tatenlos rumsitzen, sind wir verloren. Die Sonne geht bald unter, in der Dunkelheit haben wir keine Chance gegen diese Kreatur. Wenn Michael auch selten recht hatte, dies eine mal hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir haben jetzt grob geschätzt 3 bis 4 Stunden bevor die Dämmerung einsetzt. Michael zog sein 5 Dollar Taschenmesser aus seinen zerzausten Blue Jeans. Es war ein Bruebaker mit einer 15cm langen Edelstahlklinge. Toll sagte ich, mit diesem Ding kannst du die Kreatur gerade mal zum lachen bringen. Hast du eine bessere Idee, fragte er. Nein war meine Antwort, in dieser Situation schien uns dieses Jahrmarktmesser die einzige Waffe zu sein. Michael der von uns High School Typen immer wegen diesem Messers gehänselt wurde, warf mir in diesem Moment einen angsteinflößenden Blick zu. Er hatte recht, hier unten in diesem ausgedienten Wasserkanal, der die Stadt vor Jahrzehnten von ihrem Abwasser befreite, war außer einem wirklich ekelerregenden Gestank und Ratten nichts was unsere Lage hätte verbessern können. Wir saßen ca. 20 Meter im inneren der Röhre, das Tageslicht drang nur schwach zu uns, der vermoderte Gestank vermischt mit unserem Urin, den wir beide beim Anblick u! nseres t oten Freundes Bobby hatten lassen müssen, wurde immer unerträglicher. Doch waren wir beide ohne Scham, viel eher hielt uns die Frage auf Trab, wie wir hier herauskommen sollten. Das weit wichtigere Problem war das wir nicht einmal wussten mit wem oder was wir es hier eigentlich zu tun hatten.

Es fing alles an als Bobby mich anrief und mit mir zur alten Röhre wollte, er hatte wieder was von dem guten „Stoff“ besorgt. Er sagte das immer so, wie wenn er in einer geheimen Mission unterwegs gewesen wäre. Er fühlte sich dann scheinbar wie einer seiner Leinwandhelden, wenn man ihn darauf ansprach meinte er, das ist die Realität Junge, keine Fiktion, keine Lüge. Dabei wusste ich ganz genau das er sich wieder mal bei seinem alten Herrn bedient hatte, seine Verstecke waren ihm nur allzu gut bekannt. Klar Bobby war ein Klugscheisser wie er im Buche steht, bei seiner Erziehung, wenn man davon überhaupt reden kann, schien ihm eine düstere Zukunft voller Leid bevor zu stehen. Ich konnte Bobby gut leiden, nicht das Sie mich falsch verstehen, aber er wollte immer im Mittelpunkt stehen und der stärkste sein, und genau das hat ihm an diesem verfluchten Tag das Leben gekostet. Aber was nützt uns das jetzt, Michael und ich sitzen hier in der Scheiße und die Zeit wird knapp. Was hast du außer Tabak und deinem Feuerzeug noch dabei hörte ich Michael fragen. Er riss mich dabei aus meinem zugekifften Zustand. Das ist alles antwortete ich. Toll, sagte er sarkastisch, dann können wir ja noch eine rauchen, in der Hoffnung das wir dadurch unser Ende nur noch geringfügig wahrnehmen werden. Halt die Klappe, hast du gehört, fragte ich. Nein, was denn? Da war es wieder, Michael schreckte auf. Ich hielt ihm am Arm fest und riss ihn wieder zu Boden.. Sei still, wir starrten gespannt in das kreisförmig einstrahlende Licht am Ende des Tunnels, nichts passierte. Es schien als vergingen Stunden. Wahrscheinlich wieder eine von den Ratten, sagte Michael. Irgendwo da draußen ist jemand sagte ich zu Michael. Wir hörten eine Männerstimme, konnten aber nichts verstehen. Wir rappelten uns auf, sahen uns an und gingen daraufhin wortlos in Richtung Licht. Wir trauten uns nicht zu rufen, wir trauten uns noch nicht einmal zu atmen. Diese 20 Meter kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Michael blieb ca. 8 Meter vor dem Ausgang stehen. Was ist los,! flüster te ich ihm fragend zu als ich sein Stocken feststellte. Ich kann nicht, ich kann einfach nicht, sagte er. OK er war Kreidebleich, ich schätze ich sah auch nicht viel besser aus, er sah mich an als wollte er sagen: „Jimmy, du warst mir immer ein guter Freund, du schaffst das“! Ich sah ihn eine gefühlte Ewigkeit an, verstand, und setzte meinen Weg fort. 4...3....2 Meter, ich stoppte, drehte mich zu Michael um, er stand noch immer an derselben Stelle, starrte mich mit großen Augen an. Er schien mir sagen zu wollen: „Geh nicht weiter, tu es nicht, lass mich hier nicht allein“.
Unser Blickkontakt hielt sich eine Weile, ich hatte Angst, ja die Hosen gestrichen voll aber ich drehte mich herum und krabbelte weiter. Ich kam mir vor wie angewurzelt, doch die blendende Nachmittagssonne belehrte mich eines besseren als ich am Ende der Röhre angekommen war. Ich musste meine Augen zusammenkneifen um etwas zu sehen. Die Umrisse des Waldes, die grüne Pracht, wurde langsam durch meine Augen die sich an die Dunkelheit der Röhre gewöhnt hatten, scharffokussiert. Jimmy, schrie Michael aus der Dunkelheit. Ich zuckte zusammen, als ich mich zu ihm umdrehte erwartete ich das schlimmste. Er war mir etwas gefolgt und nun wenige Meter hinter mir. Was ist, zischte ich ihm zu. Er hob seinen rechten Arm, ich konnte die Klinge im Zwielicht aufblitzen sehen und nickte ihm zu. Er ging in die Knie und warf mir sein Bruebaker zu, ich hatte Glück, das Messer schlitterte auf dem Moos behafteten Untergrund problemlos zu mir herüber. Ich hob es auf und sah Michael an, er erhob seinen rechten arm und zeigte mir seinen abgespreizten Daumen, was wohl so viel bedeuten sollte wie „Viel Glück“! Da war also das Ende der Röhre, und der Anfang der Gefahrenzone. Nachdem sich meine Augen vollständig an das grelle Tageslicht gewöhnt hatten, und ich die Umgebung inspiziert hatte, wollte ich mir Bobbys Leiche anschauen. Er müsste direkt unter dem Röhreneingang liegen, also liess ich meinen aufmerksamen Blick von der Totalen nach unten wandern.

Bobbys Leiche war verschwunden, mir drehte sich alles. Was ist passiert, der Strudel des Wahnsinns packte mich und zog mich tief in seinen Schlund. Mir wurde schwarz vor Augen.

Als ich zu mir kam war ich offensichtlich über die Kante der Röhrenöffnung auf den Waldboden gefallen. Meine Arme bluteten, das war aber nicht so schlimm weil es nur leichte Schrammen und Hautabschürfungen waren. Mit Michaels Messer in meiner Hand inspizierte ich die Stelle an der Bobbys Leiche gelegen haben musste. Kein Bobby, noch nicht einmal irgendwelche Anzeichen wie Blut oder niedergedrücktes Gras. Nichts, gar nichts, ich war total durcheinander. Meine innerliche Verspanntheit steigerte sich mit jeder verstrichenen Sekunde und drohte mich in Stücke zu zerreissen. Plötzlich berührte mich jemand, ich schrie auf, drehte mich panisch um und riss dabei das Bruebaker hoch. Dieses etwas warf mich zu Boden und stürzte sich auf mich. In panischer Angst schlug ich um mich, strampelte hektisch und versuchte mich albtraumartig aus dieser Situation zu befreien...

Augenblicklich lag eine unendliche Stille in der Luft, außer meines rasenden Herzschlages und meines rasselnden Atems war kein Laut zu hören. Ich drehte mich unter diesem „etwas“ herum und verharrte ein wenig auf meinen zerschundenen Knien. Mein T-Shirt war ganz nass, ich blickte an mir herab und sah das blutgetränkte Shirt dass vor wenigen Minuten noch schneeweiss war. Ich schreckte herum und erblickte meinen Freund Bobby, er röchelte, ich hatte ihm das Bruebaker mehrmals in den Körper getrieben. Ich krabbelte zu ihm und drückte meine Hände auf seine Wunden. Ich sah das Blut unter meinen Händen aus ihm hervorquillen, wie aus einer Fontäne schoss es mir aus der Halswunde im Takt seines noch schlagenden Herzens ins Gesicht. Sein roter Körper bebte: „Spaß, war doch nur Spaß“, mit diesen Worten starb mein bester Freund in meinen Armen.

Ja, und nun warte ich darauf dass sie mich grillen. Sie müssten jeden Augenblick kommen um mich zu holen. Michael ist seit diesem Sommertag vor 9 Jahren verschwunden, wohin weiß niemand. Die Behörden haben ihn nie gefunden, er hätte alles erklären können, wie hätte ich mich verteidigen sollen, mir glaubt kein Mensch. Sie haben mir die Schuld an Michaels verschwinden in die Schuhe geschoben. Ich hätte ihn umgebracht, genauso wie ich Bobby umbrachte. Sie denken das ich Michael im Wald verscharrt habe, diese Idioten. Die Justiz hat in meinem Fall versagt. Ok, auf den ersten Blick sieht es so aus als hätte ich die beiden umgelegt, aber Sie kennen nun die Wahrheit. Die reine Wahrheit!

Jetzt kommen sie mich holen, in ihren Gefängnisuniformen fühlen sie sich stark. Sie reißen blöde Witze, erzählen mir wie die anderen vor mir gegrillt wurden. Während sie mich wie ein Sack Kartoffeln über den Gefängnisflur schleifen, sagt der Wichser der meine Handgelenke mit seinen Edelstahlhandschellen traktiert bis sie zu bluten drohen: „Du weißt ja das wir dir gleich die Augen mit Klebeband zukleben werden damit sie dir nicht aus deinem verkommenen Mörderschädel springen wenn die Stromstöße deine Innereien zum kochen bringen!?

Das diabolische Gelächter der Wärter bekomme ich nur am Rande mit, und während die beiden was von gerechter Strafe faseln, denke ich an Michael der vielleicht doch noch auftaucht und mich entlastet, damit ich begnadigt werde.

Ich wehre mich so stark und laut wie ich kann, doch die beiden verstehen ihren Job.
Als ich die breiten Lederbänder um meine Brust und meine Handgelenke spüre, wird selbst mir nun klar das ich den unausweichlichen Tatsachen ins Auge sehen muss.

Gerade als ich versuche zu begreifen was gleich mit mir geschehen wird, kleben mir die Beamten Klebeband auf meine Augen bis alles um mich herum in eine undurchdringliche Schwärze gehüllt ist... plötzlich kann ich für einen kurzen Moment meine Freunde sehen...

...ich sehe Bobby wie er mit seinem Streich unsere Freundschaft und unser aller Leben beendete, und ich sehe Michael wie er mit ausgestrecktem Arm auf mich zeigt, mich mit seinem fahlen Blick aus seinem Grab hinter der alten Eiche anstarrt, 20 Meter hinter der Röhre, dort wo ich ihn damals verscharrt hatte bevor die Polizei kam.
Und als ich einen der Beamten ganz leise aus dem verdrängten diesseits sagen höre: „BEREIT“.... kann ich Michaels Stimme bereits viel deutlicher verstehen...
...sie sagt: „STUFE 1“!







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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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