Diethelm Reiner Kaminski

Annäherungen



Die Immobilie hätte ich nie und nimmer erworben, wenn ich rechtzeitig informiert worden wäre. Ich hätte natürlich auch selber Nachforschungen anstellen können, aber der Makler bedrängte mich, mir das einmalige Schnäppchen, zudem noch in bevorzugter Wohnlage, nicht entgehen zu lassen. Und es gebe sehr viele Mitbewerber. Aber wenn ich ehrlich bin: Hätten die Tatsachen mich überzeugt oder gar abgeschreckt? Mit Sicherheit nicht.
Die Ingolstädter Straße, in der sich das zum Kauf angebotene Haus befindet, das wurde dann schnell zur traurigen Gewissheit, liegt haargenau an der Bruchzone zwischen der Düsseldorfer und der Kölner Erdplatte und gilt als hochgradig erdbebengefährdet. Als mir das nach meinem Einzug gerüchteweise zugetragen wurde, rief ich sofort in der Düsseldorfer Erdbebenwarte an, die das Gerücht bestätigte: „Die Düsseldorfer Platte schiebt sich unaufhaltsam über die Kölner. Dadurch entstehen Verwerfungen, die beträchtliche bis totale Zerstörungen entlang der Bruchzone anrichten können. Das sind jedoch, und da kann ich Sie beruhigen, langwierige geologische Prozesse, sodass Sie weiterhin beruhigt schlafen können. Wenn Sie Glück haben, Tausende von Jahren, ohne dass etwas geschieht.“
„Und lässt sich der Prozess auch umkehren?“, fragte ich, „ich meine, dass sich die Kölner Platte über die Düsseldorfer schiebt?“
„Das möchten Sie wohl“, wieherte er am anderen Ende der Leitung, „aber da muss ich Sie enttäuschen. Andererseits macht es keinen Unterschied. Wenn es kracht, trifft es, davon gehen wir jedenfalls zuversichtlich aus, nur die Kölner, weil die Bruchzone zum Glück nicht durch Düsseldorfer Gebiet verläuft. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein aufrechter Düsseldorfer in Köln angesiedelt hat.“
Ich schlief ruhig, allerdings nicht lange. Ein Knirschen und Knacken, Poltern und Krachen riss mich aus dem Schlaf. Ich eilte ans Fenster, blickte auf die von gelbem Laternenlicht beleuchtete Straße. Sie war in der Mitte auf eine Länge von mindestens hundert Metern aufgerissen. Große Asphaltbrocken türmten sich auf. Es war, als ob die Straße in einen Schraubstock gespannt worden wäre, der sie langsam zusammendrückte. Der Abstand zwischen den Häuserzeilen auf beiden Seiten hatte sich deutlich verringert und verringerte sich zusehends weiter, ohne dass die Häuser selbst in Mitleidenschaft gezogen zu werden schienen.
Im Haus gegenüber ging Licht an. Gardinen wurden zurückgezogen. Eine Frau in Nachthemd und -mütze erschien am Fenster, öffnete es und blickte unschlüssig zu mir herüber.
„Guten Abend“, rief ich. „Nach der närrischen Nachtmütze zu urteilen, können Sie nur Düsseldorferin sein.“
„Na, und?“, antwortete sie. „Bin ich. Und dazu stehe ich auch. In der Stunde der Gefahr muss man zusammenhalten. Darf ich Sie zu einem Glas Altbier einladen? Dann können wir uns das ungewöhnliche Spektakel zusammen ansehen. Endlich kommt mal Bewegung ins trostlose Kölner Nachtleben.“
„Meinetwegen“, sagte ich, „aber kommen Sie lieber zu mir. Bei mir gibt es nämlich lecker Kölsch im Kühlschrank.“
„Das sollten Sie sich gut überlegen. Mein Haus steht auf der Düsseldorfer Platte, Ihres auf der Kölner. Dreimal dürfen Sie raten, welches von beiden morgen noch steht. Wir walzen euch platt. Nehmen Sie meine Einladung nun an, oder nicht?“
Der Schuttberg vor meinem Haus war inzwischen noch höher geworden. Die Häuser der gegenüberliegenden Straßenseite hatten sich so nah an die auf meiner Seite geschoben, dass ich mir ausrechnen konnte, wie lange mein Haus dem Druck der Schuttmassen noch standhalten würde. In Panik flüchtete ich aus dem vom Einsturz bedrohten Gebäude. In der Eile vergaß ich, mir ein paar Kölschflaschen aus dem Kühlschrank mitzunehmen. Ich würde wohl über übel mit dem trüben Altbier der Düsseldorferin vorlieb nehmen müssen.
 

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