Diethelm Reiner Kaminski

Flowerpower



Manche Menschen haben einen grünen Daumen. Ich nicht. Dabei liebe ich Blumen über alles und bestücke unermüdlich das ganze Jahr hindurch meine Fensterbretter und meinen Balkon mit allem, was die Flora-Märkte unserer Stadt zu bieten haben. Aus Verzweiflung, mir in die Hände gefallen zu sein, pflegen die meisten Blumen innerhalb einer Woche Selbstmord zu begehen. Die Blätter kräuseln sich und werden braun. Die Knospen fallen ab, ohne zur Blüte gelangt zu sein. Es ist ein Kreuz.
Nichts habe ich unversucht gelassen: kalkfreies Wasser, Spezialdünger, Hydrosteine. Wie um mir zu beweisen, dass ich die allein Schuldige an dem Elend bin, sterben die Blumen noch früher als ohne Lebenshilfen.
Sebastian kennt mein Problem, gibt aber wie ich die Hoffnung nicht auf. Zum fünften Jahrestag unseres ersten Rendezvous schleppt er – immerhin wohne ich im vierten Stock eines Altbaus ohne Aufzug – eine fast mannshohe Kübelpflanze an. Ein Hibiskusstrauch mit einigen aprikosenfarbenen Blüten und unzähligen Knospen.
Sebastian überreicht ihn mir feierlich mit den Worten: „Betrachte diesen Strauch als Symbol unserer Liebe. Er ist zwar pflegeleicht wie ich, aber gib dir trotzdem Mühe, damit er dir nicht eingeht.“ Und pathetisch fügt er hinzu: „Wenn Blumen sterben, stirbt auch die Liebe.“
Und der Hibiskus geht nicht ein, obwohl ich ihn nur unregelmäßig mit Leitungswasser Härtegrad 3 gieße. Jeden Tag öffnen sich weitere Blüten, neue wachsen nach, und die Blätter behalten ihre gesunde dunkelgrüne Farbe.
Eines späten Abends klingelt mein Handy.
Sebastian will sich bestimmt, von Reue gepackt, bei mir entschuldigen, weil er sich eine volle Woche nicht gemeldet hat, und mich zum Essen einladen.
„Ich rufe von Lanzarote aus an.“
„Schön für dich.“
„Wie geht es deinem Hibiskus?“
„Prächtig. Er steht in voller Blüte.“
Sebastian räuspert sich. Ich höre, wie er schluckt und mühsam um Worte ringt. „Ich muss dir trotzdem etwas beichten. Ich bin nicht allein. Silke, meine Sekretärin, ist bei mir. Äh, was soll ich lange drum herum reden. Silke und ich haben uns schon vor etwa einem Jahr ineinander verliebt. Als sie neu in die Firma kam. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir wollen heiraten, aber nicht etwa nur, weil sie ein Kind von mir erwartet. Wir sind beide fest davon überzeugt, den Partner fürs Leben …“
Ich lasse ihn nicht ausreden, sondern drücke auf den Aus-Knopf, stürze zur Balkontür, reiße sie sperrangelweit auf, haste zurück, packe den Hibiskus-Kübel, schleppe ihn ächzend zur Balkonbrüstung und versetze ihm mit beiden Handballen einen kräftigen Stoß. Kurze Stille. Dann meine ich von unten kein Krachen und Scheppern, sondern ein durchdringendes Weinen und Wimmern zu hören. Aber vielleicht bin ich das auch nur selbst. Wenn die Liebe stirbt, sterben die Blumen.
 


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