Diethelm Reiner Kaminski

Das Glück klopft an die Tür



Adele Zwirndorf hält mit dem Staubsaugen inne. Hat es gerade geklopft? Sie stellt den Staubsauger ab und späht durch den Spion. Ein Mann in Anzug und Krawatte steht vor der Tür. Er lächelt freundlich und ruft: „Machen Sie auf, Frau Zwirndorf. Das Glück klopft an die Tür.“ Entgegen ihrer Gewohnheit lässt sie den Mann ein. Seine gepflegte Erscheinung weckt keinen Argwohn in ihr.
„Christoph Preußker“, stellt er sich vor. „Den Mutigen gehört die Welt“, überfällt er Frau Zwirndorf mit einem Wortschwall. „Und bald auch die Universal-Küchenmaschine von Laborex & Co. Haushaltsgeräte. Legen Sie schon mal 2 Möhren, einen Kohlrabi, eine halbe Sellerieknolle, eine Handvoll Bohnen, ob grün oder gelb, ist egal, eine mittlere Zwiebel und ein Bund Petersilie bereit“, und stürmt auch schon in die Küche, wo er sogleich aus seinem schwarzen Musterkoffer eine orangene Küchenmaschine nebst diversen Ersatzteilen zerrt und auf dem Küchentisch ausbreitet.
Frau Zwirndorf stottert: „Gemüse hab ich leider keins im Haus. Ich war heute noch nicht einkaufen.“
 „Das überrascht mich gar nicht. Das erlebe ich immer wieder. Die Menschen leben zunehmend ungesünder. Jede Menge Tiefkühlkost, aber kaum frisches Gemüse. Und wissen Sie, warum? Weil es viel zu mühselig ist, Gemüse mit der Hand zu reiben, hacken, raspeln, zu stiften und zu scheiben.“
„Zu scheiben?“, fragt Frau Zwirndorf, die dieses Wort noch nie gehört hat.
„Ja, für unsere Laborex-Küchenmaschine alles kein Problem. Da wird das Gemüseschnippeln zum Vergnügen.“
Mit diesen Worten angelt er aus seinem Musterkoffer eine Plastiktüte, die fertig abgepackt alles das enthält, was Frau Zwirndorf nicht beibringen kann.
„Hier ist eine Steckdose“, will Frau Zwirndorf Herrn Preußker zur Hand gehen. Der schaut sie bedauernd an. „Meine Firma hat der Energieverschwendung den Kampf angesagt. Alle unsere Geräte sind netzunabhängig und umweltfreundlich und deshalb selbstverständlich handbetrieben. Eine eigens von unseren Ingenieuren entwickelte Übertragungswelle reduziert den Kraftaufwand auf ein Minimum. Wollen Sie mal selber probieren?“ Er schiebt eine Möhre in den Zuführungsschacht und Frau Zwirndorf vor das Gerät. Er selbst drängt sich von hinten dicht an ihren Körper, ergreift ihre Hand und legt sie auf die Kurbel. Während er ihre Hand führt, streichelt sein Daumen ihren Handrücken und sein Mund berührt zärtlich ihren Hals. „Habe ich´s nicht gesagt? Es geht kinderleicht.“
Frau Zwirndorf, um die vierzig und gut zehn Jahre älter als der Handelsvertreter, ist schon seit Jahren ohne  Mann oder Freund. Ihr wird ganz anders bei den ungewohnten Berührungen. Am liebsten würde sie sich rückwärts in seine Arme fallen lassen.
Das ist aber  gar nicht nötig, denn schon führt Herr Preußker die Willenlose ins Schlafzimmer.
„Was kostet die Maschine denn nun?“, fragt Frau Zwirndorf, die, noch ganz erfüllt vom Glück der beiden letzten Stunden, Herrn Zwirndorf nicht enttäuschen möchte.
„120 Euro. Eigentlich 40, aber ich muss meinen Verdienstausfall mit kalkulieren. Im langjährigen Mittel verkaufe ich nämlich eine Maschine pro Stunde.“
Frau Zwirndorf würde auch mehr bezahlen. Was soll sie schließlich mit ihrem Ersparten in einem einsamen Leben ohne jede Freude?
„Aber du kommst doch wieder mal vorbei?“, fragt sie ängstlich.
„Sogar sehr bald. Ich wechsele in Kürze die Firma. Die vertreibt Teppichreinigungsgeräte. Deine Teppiche, das habe ich gleich bemerkt, haben es bitter nötig. Hab´ ich es nicht gesagt? Das Glück klopft an die Tür.“
„Aber man muss es auch reinlassen“, flüstert Frau Zwirndorf Herrn Preußker ins Ohr und umarmt und küsst ihn so leidenschaftlich, dass er noch ein weiteres Stündchen bleibt und sich die Rechnung auf 160 Euro erhöht.
 


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