Diethelm Reiner Kaminski

Traumurlaub



Da kann ich schon lange nicht mehr mithalten. Fast alle Freunde, Nachbarn und Bekannten fahren jährlich zwei- oder dreimal in Urlaub und reden privat oder bei der Arbeit über nichts anderes. Je weiter, desto lieber, je idiotischer, desto exotischer. Ich höre zu und bleibe stumm. Über Balkonien gibt es nun mal nicht viel zu erzählen.
Nicht dass mein Schweigen unbemerkt bliebe. Da haben sich längst zwei Parteien gebildet. Die eine bemitleidet mich und hält mich für einen ängstlichen und geizigen Nesthocker, die andere glaubt, ich sei ein Eigenbrötler und Geheimniskrämer, der sich weigert, seine Urlaubseindrücke mit den Kollegen zu teilen.
Beide sparen nicht mit bissigen Bemerkungen.
In diesem Sommer ist Schluss damit. Beiden Fraktionen werde ich den Wind ein für allemal aus den Segeln nehmen.
Ich treffe von langer Hand Vorbereitungen. Um für vier Wochen unterzutauchen, ist an mancherlei zu denken: Zeitungen abbestellen, die Nachbarn bitten, die Balkonblumen zu gießen, Hund und Hamster ins Tierheim bringen, die Monatsüberweisungen tätigen; eine stattliche  Summe vom Konto abheben und in US-Dollar eintauschen, um Nachweise vorweisen zu können; und last but not least einen Stapel neuer Silberscheiben und Bestseller zu  meiner Unterhaltung. Und – fast hätte ich´s zu erwähnen vergessen: Die allerneueste Reiseliteratur. Von den engsten Freunden verabschiede ich mich teils telefonisch, teils persönlich in Form einer kleinen, aber gelungenen Gartenparty.
„Wohin soll´s denn diesmal gehen?“
„In diesem Jahr habe ich gar keinen Bock auf Südsee und Pazifik. Immer die gleichen langweiligen Strände, dieser ewig blaue Himmel, die Hitze, die kitschigen Sonnenuntergänge. Mich zieht es in diesmal in die Stille.“
„Ins Allgäu?“, glaubt ein Schlaumeier zu wissen. „Nach Grönland?“ – „Ins Sauerland?“ – „Ans Nordkap? Nun sag doch endlich.“
Ich lasse die Bande noch eine Weile raten, bevor ich das große Geheimnis lüfte  und bedeutsam Folgendes spreche: „Ihr ratet´s ja doch nie. Nach ... nach … Tiiiiiiiiibet. Zwei Wochen in einem buddhistischen Kloster, eine Woche Kameltrekking, eine Woche Llahsa. Ich bin schon sehr gespannt.“
Die neidischen Blicke sind Balsam für meine ausgedörrte Seele.
In der Nacht richte ich mich gemütlich im Partykeller ein. Nun zahlt es sich aus, dass ich ihn seinerzeit schalldicht mit leeren Eierkartons isoliert habe. Von hier dringt kein Pieps in die Oberwelt.
Vier Wochen schlafen, lesen, schreiben, Musik hören, träumen. Kein Fernsehen, kein Telefon. Ich lese täglich ein Buch, mindestens drei Dutzend in vier Wochen. Den PC nutze ich nur für die Erstellung der obligatorischen Urlaubsfotos, denn ohne diese wäre es, als ob ich nie verreist gewesen wäre. Ich zu Füßen der gigantischen goldenen Buddhastatue. Ich umgeben von orange gewandeten Mönchen. Ich eine Gebetstrommel drehend. Ich in einer kargen Tempelzelle usw. usw. Perfekte Kollagen sind für ein modernes Fotogramm kein Problem.
Am ersten Arbeitstag umringen mich meine Kollegen und stellen tausend Fragen, die ich geduldig und kenntnisreich beantworte. „Ihr könnt mir glauben, ich fühle mich wie neu geboren. So gut erholt habe ich mich in den vergangenen Jahren in der Südsee nie. Diesen Trip in die Stille würde ich euch auch empfehlen.“
„Du hättest uns ja wenigstens eine Ansichtskarte schicken können.“
„Das habe ich absichtlich nicht getan. Schon das Klappern des Briefkastens hätte die heilige Stille entweiht, wenn ihr wisst, was ich meine.“
 


Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Diethelm Reiner Kaminski).
Der Beitrag wurde von Diethelm Reiner Kaminski auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Diethelm Reiner Kaminski als Lieblingsautor markieren

Buch von Diethelm Reiner Kaminski:

cover

Von Schindludern und Fliedermäusen: Unglaubliche Geschichten um Großvater, Ole und Irmi von Diethelm Reiner Kaminski



Erzieht Großvater seine Enkel Ole und Irmi, oder erziehen Ole und Irmi ihren Großvater?
Das ist nicht immer leicht zu entscheiden in den 48 munteren Geschichten.

Auf jeden Fall ist Großvater ebenso gut im Lügen und Erfinden von fantastischen Erlebnissen im Fahrstuhl, auf dem Mond, in Afrika oder auf dem heimischen Gemüsemarkt wie Ole und Irmi im Erfinden von Spielen oder Ausreden.
Erfolgreich wehren sie mit vereinten Kinderkräften Großvaters unermüdliche Erziehungsversuche ab.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Diethelm Reiner Kaminski

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Post-Christmas von Diethelm Reiner Kaminski (Besinnliches)
Rosalie von Christiane Mielck-Retzdorff (Satire)
Im Irrenhaus von Margit Kvarda (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen