Klaus-D. Heid

Tortur

Nun liegt der Termin bei meinem Arzt bereits zwei Stunden hinter mir und ich habe noch immer das Gefühl, daß sein Finger in meinem Hintern herum stochert! Wieder und wieder bohrte er mit seinem Plastik überzogenen Finger so tief in mich hinein, daß ich den Schmerz kaum noch ertragen konnte! Mit gequältem Gesichtsausdruck bat ich ihn, doch endlich mit dieser Tortur aufzuhören - doch er schien mich nicht zu hören und dachte gar nicht daran, seine Folter abzubrechen!

"Es reicht jetzt! Ich will, daß Ihr Finger aus meinem Arsch verschwindet...! " brüllte ich ihn an und drehte mich dabei so herum, daß sich mein Hintern seiner Hand entzog!

"Jetzt ist Schluß damit!" fauchte ich ihn an. "Ich bin weder schwul, noch schmerzunempfindlich! Entweder Ihnen reicht, was sie bisher entdeckt haben - oder Sie müssen schon in einem anderen Hintern nach Geschwüren suchen! Meiner ist jedenfalls ab sofort Tabu für Sie, Herr Doktor Kraus!"

Wahrscheinlich habe ich einen ungünstigen Zeitpunkt für meinen Protest gewählt; auf jeden Fall blaffte mich mein Arzt an und meinte:

"Wenn Sie sich bei diesem Bißchen schon so mädchenhaft anstellen, werden Sie sich noch wundern, wie's Ihnen ergeht, wenn die Untersuchung mit einem Stahlrohr erfolgt! Vorher wird man Ihnen nämlich den Darm aufpumpen, bis er kurz vorm Platzen ist und dann schiebt man Ihnen ein ungefähr dreißig Zentimeter langes Geschütz in den Allerwertesten! Dagegen, mein Lieber, ist diese Untersuchung harmlos wie eine Kopfschmerztablette! Aber wie Sie wollen! Dann tun Sie mir bitte einen Gefallen - und suchen Sie sich einen anderen Hausarzt, ja? Ich muß schließlich meine Arbeit machen, ohne daß mir Patienten sagen, wie ich sie zu tun hätte! Auf Wiedersehen!"

Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, warf er den ,Fehdehandschuh aus Plastik in einen Mülleimer und verließ das Behandlungszimmer. Im Hinausgehen rief er noch:

"...ziehen Sie sich an und verlassen Sie umgehend meine Praxis!

Natürlich steht ein Arzt ständig unter Strom und kann unmöglich immer das nötige Feingefühl aufbringen, um sich individuell auf jeden Patienten einzustellen! Ich verstehe das sehr gut; schließlich habe ich beruflich auch jeden Tag mit unterschiedlichen Menschen zu tun, die auch völlig unterschiedliche Eigenarten haben! Ich verstehe deshalb gut, wenn man mal die Nerven verliert, weil ein Gegenüber sich absolut anders verhält, als es einem in den Kram paßt! Wirklich! Ich kann das schon begreifen...!

Bedauerlicherweise bedeutet der Abbruch der Untersuchung für mich, daß die Frage, warum ich unter ständigen Darmschmerzen zu leiden habe, vorerst ungeklärt bleibt!

In meiner kleinen 1-Zimmer Wohnung stehe ich also unter der Dusche, genieße das heiße Wasser und versuche, dieses ekelhaft glitschige Gefühl von meinem Körper zu waschen. Wäre ich nicht ganz sicher, daß der Doktor noch jeden seiner fünf Finger an der Hand hat, könnte ich beschwören, daß einer davon noch immer in meinem Hintern steckt! Ich hasse solche Untersuchungen! Sie verletzten das Scham- und Intimgefühl auf eine derart widerliche Weise, daß nur eingefleischte Masochisten mit einem Lächeln darüber hinweggehen, während sie hoffen, daß der Arzt möglichst lange und dicke Finger hat...!

Und nun?

Schon unter der Dusche spüre ich wieder den Schmerz, der mich in meiner Verzweiflung zum Arzt getrieben hat! Wieder ist da dieses Gefühl, als würde mein Darm auseinandergerissen werden und als würde er gleich mit einem gewaltigen Knall in meinem Körper zerplatzen! Wie so oft in den letzten Wochen greife ich in mein kleines Badezimmerschränkchen, um eine Schmerztablette einzunehmen. Wenn es so weitergeht, werde ich noch zu einem der besten Kunden, den die Apotheke jemals gesehen hat! Ohne vier Tabletten pro Tag ist es jedenfalls nicht mehr auszuhalten!

Es sind keine mehr da...

Verdammt! Ausgerechnet jetzt! Ob es sein konnte, daß durch die Untersuchung etwas in mir verletzt wurde? Konnte es sein, daß meine Schmerzen viel stärker geworden sind, weil der Finger des Arztes mir den Rest gegeben hat? Blödsinn! Unmöglich!

Und doch werden die Krämpfe, die ich jetzt verspüre, so stark, daß ich mich zusammen krümme und gleich anfangen werde, zu heulen, weil es einfach nicht mehr zu ertragen ist!

Meine Bauchdecke fühlt sich an, als ob sie mit Zement gefüllt wäre. Die Hände, die ich instinktiv auf meinen Bauch presse, ertasten eine steinharte und pralle Oberfläche. Verrückterweise schießt mir der Gedanke durch den Kopf, wie viele Hammerschläge es wohl bräuchte, um einen langen Nagel in diesen Eisenbauch zu schlagen, bis nur noch der Kopf des Nagels herausschaut...!

Ohne Tabletten bin ich wirklich aufgeschmissen.

Verzweifelt suche ich im Schränkchen nach alten Packungen, in denen vielleicht noch eine Tablette steckt, die ich übersehen hatte. Ich werfe bestimmt zwanzig leere Schachtel auf den Boden, bis ich begreife, daß nicht eine einzige Tablette verschont worden ist. Selbst die Pillen, die meine Exfreundin zurückgelassen hat und die eigentlich nur bei Menstruationsbeschwerden helfen sollen, hatte ich längst verspeist, um etwas gegen meinen Dauerschmerz zu tun!

Zur Apotheke schaffe ich es nicht mehr! Zum Einen ist sie am anderen Ende der Stadt - und zum Anderen ist es jetzt 13 Uhr und damit ist sie für die nächsten zwei Stunden geschlossen! Bei Herrn Schieffer, meinem Nachbarn, kann ich auch nicht klingeln, um ihn zu bitten, mir mit einer Schmerztablette auszuhelfen, weil der sonst sehr hilfsbereite Schieffer noch volle drei Wochen die Sonne der Karibik genießt! Ich habe also jetzt ein Problem! Ein echtes, riesiges und äußerst schmerzhaftes Problem!

Mit angezogenen Beinen liege ich auf meinem Bett und drücke noch immer auf meinen Bauch, als gälte es, ihn vorm Platzen zu schützen. Ich wälze mich in dieser unnatürlichen Lage von der rechten zur linken Seite, um dann wieder festzustellen, daß es keine Position gibt, in der sich der Schmerz ertragen läßt. Sobald ich allerdings versuche, meine Beine ein wenig auszustrecken, straft mich mein Körper mit einem Reißen im Bauch, daß ich befürchte, ohnmächtig zu werden!

Wäre vielleicht nicht das Schlimmste, wenn ich nun mein Bewußtsein verliere. Aber leider würde ich es doch irgendwann wiedererlangen und stände dann vor dem gleichen Problem, wie jetzt auch!

Was mache ich nur?

Sogar mit diesem irrsinnigen Schmerz werde ich mir nicht die Blöße geben, den Arzt noch einmal anzurufen! Eher sterbe ich unter höllischen Qualen, bevor ich mich noch einmal von seinem Wurstfinger beglücken lasse! Einen anderen Arzt kenne ich allerdings nicht - und wahrscheinlich ist die Untersuchungsmethode bei dem einen Arzt ebenso abscheulich, wie bei jedem Anderen auch.

Das Krankenhaus? Natürlich! Ich könnte das Krankenhaus anrufen! Die werden mir dann einen Sanitäter schicken, der mir erst mal eine Novalgin-Spritze verpaßt und damit ist mir fürs Erste geholfen...! Genau so mache ich es!

Wo ist bloß dieses verfluchte Telefonbuch? Ich bin mir ganz sicher, daß ich es gestern noch auf meinen Nachttisch gelegt habe! Wie soll ich denn bei diesen Schmerzen in der Wohnung herum rennen, um mein Telefonbuch zu suchen? Ich schaffe es ja kaum, die immer noch gekrümmte Liegeposition zu beizubehalten, ohne die gesamte Nachbarschaft mit meinem Geschrei in Panik zu versetzen!

Ich werde gleich wahnsinnig! Die Auskunft! Ich rufe einfach die Auskunft an! Warum bin ich bloß nicht gleich darauf gekommen? Offenbar blockieren meine Schmerzen nun schon das Gehirn!

Besetzt!

Das ständige ,tut, tut, tut...' ist für mich ebenso schmerzhaft, wie der Finger des Arztes! Was müssen jetzt auch hunderttausend Leute die Auskunft anrufen, weil sie zu bequem sind, ihr Telefonbuch zu suchen! Es können ja wohl nicht alle Menschen, die eine Auskunft brauchen, das gleiche Problem haben, wie ich, oder? Ich drücke die Wahlwiederholung, um mir das Wählen zu ersparen.

,tut, tut, tut...'

Noch einmal.

,tut, tut, tut...'

Und noch einmal!

Freizeichen! Na endlich!

"Auskunftsplatz Sowieso, mein Name ist Irgendwie. Guten Tag! Was kann ich für sie tun?"

"Die Nummer vom Krankenhaus bitte! Aber schnell; es handelt sich um einen dringenden Notfall!"

"Von welchem Krankenhaus möchten sie die Nummer? Oststadt? Weststadt oder lieber das Kreiskrankenhaus am Marktplatz? Ich könnte ihnen auch die Nummer vom..."

Herr Gott, hat diese blöde Kuh die Ruhe weg!

"Völlig egal! Geben Sie mir die Nummer von irgendeinem Krankenhaus!"

"Na gut, dann gebe ich Ihnen die Nummer des Weststadt Krankenhauses! Da habe ich nämlich selbst schon einmal gelegen und ich finde, daß dort die Ärzte...

"DIE NUMMER BITTE!"

Schnell notiere ich die Rufnummer mit einem Bleistift auf meiner Bettdecke, weil ich natürlich kein Blatt Papier zur Hand habe. Die langweilige Telefonistin drücke ich schnell und unfreundlich aus der Leitung, um jetzt endlich das Krankenhaus anzurufen. Tatsächlich kommt sofort eine Verbindung zustande! Ich danke dem Herrn in gekrümmter Haltung...!

"Krankenhaus Weststadt. Guten Tag."

Ohne Verzögerungen schildere ich kurz mein Problem, bis ich merke, daß die Stimme am anderen Ende offenbar vom Band kommt.

"Alle Leitungen sind zur Zeit besetzt. Bitte bleiben sie am Apparat und haben sie etwas Geduld. Wir sind gleich für sie da...!"

Und ich dachte schon, ich hätte etwas Glück gehabt.

Dann, nach der vielleicht zwanzigsten Wiederholung der automatischen Ansage klingt eine leibhaftig menschliche Stimme in meinem Ohr:

"Krankenhaus Weststadt!"

Wieder schildere ich schnell mein Problem und befürchte dabei irgendwie, daß sich auch diese Stimme als Tonbandstimme entpuppt. Meine Befürchtung bewahrheitet sich nicht, denn die Stimme fragt mich nach meinem Namen und nach meiner Adresse, möchte noch meine Telefonnummer erfahren und verspricht, daß spätestens in einer Stunde ein Notarzt bei mir eintreffen wird. Wie's ausschaut, habe ich mein Problem dramatisch genug geschildert, um endlich eine schnelle Hilfe zu erhalten!

Eine Stunde warten!

Immerhin ist es besser, in spätestens einer Stunde schmerzfrei zu sein, als in eigenen Bett und in der eigenen Wohnung an den unerträglichen Schmerzen zu verrecken!

Vom Bett aus sehe ich auf die Wanduhr, die an der gegenüberliegenden Wand hängt und die mich in ihrer Grausamkeit daran erinnert, wie endlos langsam sich die Zeiger der Uhr bewegen.

Um die Wartezeit besser überbrücken zu können, teste ich, wie oft ich das Wort ,Novalgin' aussprechen kann, während sich der große Zeiger der Uhr einmal komplett gedreht hat.

Novalgin...Novalgin...Novalgin...Novalgin...Novalgin...

,Novalgin' paßt genau 172 mal in eine Minute! Eine Stunde setzt sich aus 60 Minuten zusammen. Somit paßt ,Novalgin' wie oft in eine Stunde?

Ich habe Mathematik - und ganz besonders Kopfrechnen - schon immer gehaßt! Also verzichte ich auf das Ergebnis einer Multiplikation und konzentriere mich nun darauf, nach Staubfäden an der Zimmerdecke zu suchen. Jedem Staubfaden, den meine Augen aufspüren, gebe ich den Namen ,Novalgin'! Nach einer halben Stunde habe ich so viele kleine Freunde gleichen Namens ausgemacht, daß ich es mir erspare, mit der Suche fortzufahren!

Fieberhaft überlege ich, wie ich die verbleibende halbe Stunde überleben soll, bis endlich der Notarzt auftaucht. In dem Moment als ich verzweifelt anfangen will, wie lange ich wohl die Luft anhalten kann, klingelt es an meiner Wohnungstür!

Endlich!

Irgendwie quäle ich mich aus meinem Bett. Mit Sicherheit ist es die Erwartung auf die Spritze, die mir die nötigen Kräfte verleiht...

Meine Hände zittern, während ich unter Aufbringung meiner letzten Reserven die abgeschlossene Tür öffne. In wenigen Sekunden bin ich wieder so weit auf den Beinen, daß ich in aller Ruhe darüber nachdenken kann, wie es mit mir und meinem Darm weitergehen soll!

"Notarzt Doktor Kraus! Wo drückt uns denn der..."

Der schon wieder!

Es ist also kein Sanitäter und es ist kein anonymer Arzt, den mir dieses verdammte Krankenhaus auf den Hals geschickt hat; es ist Doktor Kraus, der mit Sicherheit einen frischen Plastikhandschuh in seinem Köfferchen versteckt hat. Mühsam stütze ich mich an der Wand ab, um nicht mein Gleichgewicht zu verlieren.

"Na, mein Lieber? Wir beide kennen uns ja bereits, wie? Dann wollen wir mal da weitermachen, wo wir heute morgen aufgehört haben...!"

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Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

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