Diethelm Reiner Kaminski

Die Neurose



Meine Freundin Mona behauptete neulich, ich hätte eine Finalistenneurose. Ich wollte mir keine Blöße geben und habe sie deshalb nicht gefragt, was das Wort komische Wort bedeute. Aber das war auch unnötig, denn sie lieferte gleich Beispiele, um mir die Richtigkeit ihres psychiatrischen Befundes zu beweisen. Als Hotelköchin bringt sie dafür ja auch die allerbesten Voraussetzungen mit.
„Die ganze Welt kocht Spaghetti al dente, jeder Depp beherrscht mittlerweile die Kunst des Nudelkochens, nur du lässt sie so lange kochen, bis sie zerfallen.“
„Ist das nicht vielleicht mein Problem?“, verteidigte ich meine persönliche Kochmethode. „Ich habe einfach keine Lust, so lange am Herd zu stehen und jede zehn Sekunden eine Nudel aus dem Kochwasser zu angeln, um zu überprüfen, ob sie schon der globalen Spaghettinorm entspricht. Und auf die Kochzeit auf der Packung kann man ohnehin nichts geben. Ich lasse sie 30 Minuten kochen, und dann sind sie in jedem Fall gut.“
„Gut?“, schrie Mona auf. „Mit dieser überlangen Kochzeit gibst du ihnen den Rest. Das Geklumpe, das du dann aus dem Wasser fischst, verdient den Namen Spaghetti nicht. Und mit dem Gemüse machst du es genauso. Du gibst nicht eher Ruhe, bis das letzte Vitamin aus Bohnen oder Kohlrabi entwichen ist.“
Mona trieb mich langsam in die Enge, aber so schnell gebe ich mich nicht geschlagen:
„Egal, wie Kartoffeln und Gemüse auf den Teller kommen. Ich zermansche sie in jedem Fall zu Brei. Ich mag das so am liebsten. Eine Erinnerung an meine Kindheit. Da habe ich das Gemüse auch schon so am liebsten gegessen. Außerdem brauche ich keine zusätzlichen Vitamine. Was mein Körper in der Hinsicht braucht, führe ich ihm über meine tägliche Multivitamintablette zu.“
Dieses Bekenntnis kam nun gar nicht gut bei Mona an. „Abartig, mehr möchte ich dazu gar nicht sagen“, kommentierte sie es. „Natürliche Vitamine leichtfertig zu zerstören, um sie dir dann künstlich wieder zuzuführen. Einfach abartig. Auch dass du ein Buch grundsätzlich zu Ende liest, völlig unabhängig davon, ob es dir gefällt oder nicht, ist doch ein weiteres Indiz für deine Zwangsneurose. Du kannst nicht aufhören, einfach nicht loslassen. Und ausgeliehene Bücher gibst du auch nie freiwillig zurück. Man muss sie sich heimlich aus deinem Bücherregal zurückholen.“
„Ach“, sagte ich nun doch leicht verstimmt. „Da liegt also der Hund begraben. Du möchtest mir durch die Blume zu verstehen geben, dass ich dir noch zweihundert Euro schulde. Sag das doch gleich.“
„Daran hatte ich im Augenblick gar nicht gedacht, ganz ehrlich, aber gut, dass du mich daran erinnerst. Aber nimm nur mal deine Liebhaber“, spielte sie nun ihren höchsten Trumpf aus, „es ist doch einfach auffällig, dass du noch nie einen deiner Lover verlassen hast. Immer nur verlassen sie dich. Du klammerst, du saugst sie aus. Du gibst ihnen den Rest, und dann laufen sie dir davon. Wenn du deine Beziehungskisten ein wenig lockerer sähest, könntest du dir viel Kummer ersparen, aber nein, du musst alle Männer bis zum bitteren Ende mit deinen Gefühlen zuschütten, bis sie weich gekocht sind wie deine Spaghetti, matschig wie dein Gemüse. Und um sich vor dir zu retten, verlassen sie dich. Die reinste Notwehr.“
So viel Seelenanalyse schon am Vormittag machte mich wütend. Ich schlug zurück:
“Ist ja gut, Mona, dass du dich so um meine beschädigte Psyche sorgst, aber dann möchte ich dir jetzt beweisen, dass ich die volle Kontrolle darüber habe, was ich tue und lasse.
Du magst dir vielleicht einbilden, dass dein Christian dir treu ist. Aber da täuschst du dich. Wenn ich ihn zu Brei gekocht habe, kannst du ihn gerne wieder für dich allein haben. Wenn er nach den Erfahrungen mit einer richtigen Frau wie mir, wie er mir immer wieder beteuert, überhaupt noch zu dir zurück möchte. Deine zweihundert Euro kannst du übrigens abschreiben. Die kannst du unter der Rubrik monatliches Haushaltsgeld verbuchen. Dafür habe ich deinen Christian nämlich viermal zum Essen eingeladen. Spaghetti in allen Variationen. Die mag er doch so gerne, allerdings nur beim Italiener, nicht bei dir. Da kriegt er sie einzeln von mir reingefüttert, da kannst du dich drauf verlassen. Eine Freundschaft zu Tode reiten, das ist nicht mein Ding. Und jetzt das Finale, aber ohne Neurose: Auf die Freundschaft mit dir kann ich verzichten. Verschwinde.“
 


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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