Diethelm Reiner Kaminski

Die Vorzüge von Fleischskandalen



Frau Kreppel betrat das Behandlungszimmer erst, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass kein Patient mehr im Wartezimmer saß.
„Ich hatte mich telefonisch angemeldet“, sagte sie. Ihre Stimme klang schwach und mutlos. „Muss ich mich freimachen?“
Dr. Pander, hinter einem mächtigen Schreibtisch sitzend, blickte von seinen Akten auf und betrachtete Frau Kreppels Gesicht.
„Nur das nicht. Ersparen Sie mir den Anblick. Ich kann mir denken, wie es unter den Kleidern aussieht. Ihr Gesicht ist schlimm genug in Mitleidenschaft gezogen. Die Nase angefressen, Löcher in den Wangen, ein Ohr verlustig gegangen. Ich hatte schon viele ähnlich schreckliche Fälle in den letzten Wochen. Die Leute warten ja auch immer so lange, bis es zu spät ist.“
„Zu spät?“, brach Frau Kreppel in Tränen aus.
„Fast zu spät“, korrigierte sie Dr. Pander. „Sie können von Glück sagen, dass Sie bei mir gelandet sind. Denn Carneus excavatus rapidus, im Volksmund auch Fleischfraß genannt, ist mein spezielles Forschungsgebiet. Ich arbeite nämlich auf den Nobelpreis hin“, ergänzte er nicht ohne Stolz.
„Aber woher kommt diese fürchterliche Krankheit? Ich habe immer gesund gelebt, Sport getrieben …“
„Und viel Fleisch gegessen. Rindfleisch, geben Sie´s zu“, fiel Dr. Pander ihr ins Wort.
„Aber Rindfleisch soll doch viel gesünder sein als das fette Schweinefleisch“, verteidigte Frau Kreppel ihre Essgewohnheiten.
„Ja, gute Frau, haben Sie denn nichts von dem neuerlichen Fleischskandal gehört? Irische Rinderzüchter haben dem Tierfutter in großen Mengen verdünnte Salzsäure beigemischt.“
“Wie schrecklich“, entsetzte sich Frau Kreppel, „aber warum ausgerechnet Salzsäure?“
„Das hängt mit den sinkenden Ölpreisen zusammen. Salzsäure ist ein Abfallprodukt der petrochemischen Industrie, das schließlich irgendwie entsorgt werden muss.“
„Und das“, Dr. Pander zeigte auf Frau Kreppels entstelltes Gesicht, „sind nun die Folgen des leichtfertigen Umgangs mit Tierfutter.“
„Aber mein Mann isst mehr Fleisch als ich und hat die Krankheit nicht bekommen“, wandte Frau Kreppel ein.
„Was nicht ist, kann ja noch werden“, entgegnete Dr. Kreppel, der sich nicht gerne von seinen Patienten widersprechen ließ, „aber grundsätzlich sind Frauen mit ihrem weichen muskelarmen Fleisch viel gefährdeter als Männer. Auch Rinder mit ihren robusten Mägen erkranken offensichtlich nicht. Aber nun zu Ihrer Behandlung:
„Ab sofort essen Sie kein Fleisch mehr, insbesondere kein irisches, schottisches, walisisches, englisches, belgisches, niederländisches, französisches …“
„Auch kein deutsches?“, unterbrach Frau Kreppel Dr. Panders Aufzählung.
„Das dürfen Sie auch weiterhin unbesorgt genießen. Achten Sie nur darauf, dass es das Qualitätssiegel des nordrheinwestfälischen Landwirtschaftsverbandes trägt, dessen Vorsitzender zu sein ich die Ehre habe. Ich verschreibe Ihnen dann noch ein hochwirksames, von mir persönlich entwickeltes Gewebeaufbaumittel, und in vier Wochen schauen Ihnen die Männer wieder nach. Allerdings muss ich Sie darauf hinweisen, dass dieses Mittel noch nicht von den Krankenkassen zugelassen ist. Sie müssten es aus eigener Tasche bezahlen. Und ich muss leider um Barzahlung bitten, schließlich wollen meine kostspieligen Forschungsarbeiten finanziert werden. Das dürfte doch auch in Ihrem Sinne sein, hab ich Recht?“
Dr. Pander öffnete einen der Medikamentenschränke und entnahm ihr eine Großpackung mit 200 Kapseln Carnesanis. Die dürften fürs Erste reichen. Ich könnte Sie ihnen ausnahmsweise zum Vorzugspreis von 400 € überlassen. Eigentlich müsste ich 600 nehmen, aber wenn Sie mir schriftlich zusagen, täglich Protokoll zu führen über Ihre Heilungsfortschritte, würde ich Ihnen diesen dreißigprozentigen Nachlass gewähren. Gleichzeitig helfen Sie mit dem Protokoll der Forschung und damit auch anderen Betroffenen. Ich darf Sie bitten, in vier Wochen zur Nachuntersuchung zu kommen. Lassen Sie sich bitte von meiner Assistentin den genauen Termin geben.
Empfehlen Sie mich bitte weiter. Für die Nominierung zum Nobelpreis muss ich mindestens achthundert erfolgreiche Behandlungen dieser neuen Krankheit nachweisen, und Sie sind erst die zweihundertdreiundsiebzigste. Hier noch die Anschrift einer Fleischerei, deren Produkten Sie absolut vertrauen dürfen. Bei meinem Schwager kaufe ich selber ein und hatte noch nie auch nur den geringsten Grund zu einer Klage.“
 


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